Oszillator mit zwei gekoppelten Kreisen

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Oszillator mit zwei gekoppelten Kreisen 
15.Apr.16 15:28
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Jochen Bauer (D)
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Jochen Bauer

Einstufiger Sender

Im Thread  "Springen und Reißen der Frequenz" wird ein Beispiel von einem frühen einstufigen Sender gezeigt, bei dem die Wellenlänge bzw. die Frequenz "umspringen" kann, Abb 393 b) & c).

In Abb. 393 ist zu sehen, wie bei stärker werdender Kopplung KAnt zwischen dem Oszillator-Schwingkreis und der abgestimmten Antenne (Antennen-Schwingkreis)

  • der Strom I1 im Schwingkreis einen "Dip" macht, wenn der Antennenkreis auf die Frequenz des Oszillators abgestimmt wird. In der Praxis ist das ja auch das Kriterium für eine korrekte Abstimmung der Antenne, Abb. 393 a).
  • bei weiterer Zunahme der Kopplung schließlich ein Sprung in der Wellenlänge λm der erzeugten Schwingung entsteht, Abb 393 b), wobei bei noch festerer Kopplung zusätzlich eine Hysterese besteht, Abb. 393 c). (Die Pfeile in den Kurven zeigen die Richtung der Abstimmung.)

Idealer Oszillator mit gekoppelten Kreisen

Die Frage die sich hier stellt ist, unter welchen Voraussetzungen ein über einen gegebenen Frequenzbereich durchstimmbarer Oszillator solche unerwünschte Sprünge in Frequenz und Amplitude machen kann. Zunächst ist man vielleicht dazu geneigt, irgend welche Eigenheiten der Röhre bzw. ihrer Kennlinie oder auch eine nicht phasenreine Rückkopplung dafür verantwortlich zu machen.

Um es vorweg zu nehmen: Selbst ein mathematisches Modell eines idealen Oszillators mit völlig phasenreiner Rückkopplung ist zu solchem Verhalten in der Lage.

Die einzige Voraussetzung für die Entstehung von Sprüngen ist die hinreichend feste Ankopplung eines (parasitären) Resonanzkreises, im folgenden Sekundärkreis genannt, mit einer Eigenfrequenz ω2 von

\omega_2=\sqrt{\frac{1}{L_2 C_2}}

 

die im Frequenzbereich des durchstimmbaren Oszillators liegt, an den Oszillatorkreis. Die konkreten
Eigenschaften der verwendeten Bauteile (Röhren, Transistoren, ICs) und deren Kennlinien sind für das
prinzipielle Auftreten von Frequenz- und Amplitudensprüngen erst mal irrelevant.

Um das nachzuweisen, wird ein bereits in einem anderen Thread vorgestelltes Oszillatormodell verwendet, welches dort zur Untersuchung der nicht phasenreinen Rückkopplung diente. Nachdem der aus RC-Gliedern bestehende Phasenschieber hieraus entfernt wurde, kommt man wieder zurück zu einer idealen, phasenreinen Rückkopplung. Nachdem nun auch noch der Sekundärkreis (L2, C2, R2) induktiv angekoppelt wurde, gelangt man schließlich zu folgender Schaltung:

Der Oszillatorkreis besteht aus L1 und C1 mit dem Parallelverlustwiderstand RP, der die Verluste im
Oszillatorkreis beschreibt. Der angekoppelte Sekundärkreis besteht wie bereits erwähnt aus L2, C2 und R2. (Hier ist es günstiger, die Verluste mit einem Serienverlustwiderstand R2 zu beschreiben.) Die induktive Kopplung der beiden Spulen ist durch den Kopplungsfaktor k gegeben, damit ergibt sich die gegenseitige Induktivität (mutual inductance) zu

M=k\cdot\sqrt{L_1 L_2}

Die Spannung des Oszillatorkreises ist U1. Seine Schwingung wird durch den Strom If aufrecht erhalten. U1 ist damit die Ausgangsspannung des Oszillators aber gleichzeitig auch die Eingangsspannung für den Rückkopplungsverstärker "FB" (FeedBack). Dieser besitzt eine endliche maximale Ausgangsspannung, einen unendlich hohen Eingangswiderstand (Rein → ∞) und einen Ausgangswiderstand von Null (Raus → 0). Seine Kennlinie soll für kleine Werte der Eingangsspannung U1 näherungsweise linear sein. Bei großen Eingangsspannungen muss aber eine Sättigung, d.h. eine Limitierung der Ausgangsspannung Uf auftreten, da sonst die Amplitude des Oszillators über alle Grenzen wachsen würde. Wir geben daher die Kennlinie des Rückkopplungsverstärkers als

U_\mathrm{f}=h(U_1)=a_1\arctan(a_2 U_1)

vor. Diese Funktion ist im folgenden Diagramm geplottet.

Die maximale Ausgangsspannung des Rückkopplungsverstärkers ist dadurch auf ±a1π/2 beschränkt. Die im weiteren Verlauf wichtige erste Ableitung dh(U1)/dU1 = h'(U1) dieser Funktion nach der Eingangsspannung und damit die Steigung der Kennlinie ist

h^\prime(U_1)=\frac{a_1 a_2}{1+(a_2 U_1)^2}

Damit wird die Kleinsignalverstärkung von "FB" (für U1 → 0) zu:

h^\prime(0)=a_1 a_2

Mit Hilfe der Kirchhoffschen Regeln lässt sich folgendes System von zwei gekoppelten Differentialgleichungen herleiten, die das Verhalten des Oszillators vollständig beschreiben:


L_1 C_1 \ddot{U}_1(t)+L_1\left(\frac{1}{R_P}+\frac{1}{R_\mathrm{f}}-\frac{1}{R_\mathrm{f}}h^\prime(U_1(t))\right)\dot{U}_1(t)+U_1(t)+M C_2 \ddot{U}_2(t)=0

\left(L_2 C_2-\frac{M^2 C_2}{L_1}\right)\ddot{U}_2(t)+R_2 C_2\dot{U}_2(t)+U_2(t)-\frac{M}{L_1}U_1(t)=0

Diese gekoppelten Differentialgleichungen können nun für konkrete Parameterwerte der Schaltung numerisch gelöst werden. Insbesondere kann die sich nach der Anschwingphase einstellende Amplitude Aosc und Frequenz fosc des Oszillators ermittelt werden.

Wir wollen zunächst den Verlauf der Oszillatoramplitude als Funktion der Eigenfrequenz

\omega_1=\sqrt{\frac{1}{L_1 C_1}}

des Oszillatorkreises für verschieden starke Ankopplungen des Sekundärkreises untersuchen. Wir setzen dazu folgende Parameter: a1 = 10, a2 = 1, Rf =100 kΩ, L2 = 200 μH. C2 wird so gewählt, dass die Eigenfrequenz des Sekundärkreises f2 = 1 MHz beträgt. Weiterhin sei L1 = 300μH und der Oszillator wird mit C1 durchgestimmt. Für die folgenden Betrachtungen werden RP und R2 so gewählt, dass sich die physikalischen Kreisgüten Q1 = 80 (primär) und Q2 = 50 (sekundär) ergeben. Es ergibt sich dann der folgende Verlauf der Oszillatoramplitude für die Kopplungsfaktoren k = 0.01, k = 0.015 und k = 0.3:

Bei schwacher Kopplung (k=0.01 und k=0.015) ergibt sich ein scharfer "Dip", der recht genau auf der
Eigenfrequenz f2 des Sekundärkreises liegt. Bei starker Kopplung (k=0.3) ist der Dip stark verbreitert und es ist ein Sprung in der Oszillatoramplitude bei etwas über f1 = 1000 kHz zu erkennen.

Im Beispiel des einstufigen Senders, Abb. 393, zeigt der Strom diesen "Dip" mit zunehmender Kopplung ganz entsprechend. Hier ist ist nicht der Strom, sondern die Spannung des Oszillators dargestellt, was aber zu einer gleichartigen Aussage führt. 

Diese Anordnung kann natürlich auch als Dip-Meter zur Frequenzmessung verwendet werden. In diesem Fall ist der Sekundärkreis der zu messende Resonanzkreis.

Betrachten wir nun den Verlauf der Oszillatorfrequenz fosc als Funktion der Eigenfrequenz f1 des Oszillatorkreises für verschieden große Kopplungsfaktoren k.

Während für k=0.015 nur bei genauem Hinsehen eine kurze Erhöhung der Steilheit der Kurve bei der
Eigenfrequenz des Sekundärkreises (1 MHz) zu sehen ist, ergibt sich für k = 0.3 ein ausgeprägter Sprung*) in der Oszillatorfrequenz von ca. 400 kHz(!) etwas überhalb der Eigenfrequenz des Sekundärkreises.

*) Mathematisch gesehen handelt es sich dabei aber natürlich nicht um einen "echten" Sprung im Sinne einer Heaviside Funktion, sondern nur um einen extrem steilen Anstieg der Kurve. Wir wollen den Begriff "Sprung" trotzdem beibehalten.

Im oben zitierten Beispiel des einstufigen Senders, Abb. 393, sind nun die dort gestichelten Kurven für die Wellenlänge λm zu vergleichen, wo ab einer gewissen Stärke der Kopplung ein Sprung der Wellenlänge auftritt, Abb. 393 b) & c). Da aber die Wellenlänge reziprok zur Frequenz ist, springt die Wellenlänge genau anders herum wie die Frequenz. Ein Sprung zu kleinerer Wellenlänge ist ein Sprung auf eine höhere Frequenz.

Das Ausbleiben einer Hysterese in den Sprüngen liegt daran, dass das verwendete Oszillatormodell eine Echtzeitbegrenzung der Rückkopplungsspannung hat. Im Gegensatz dazu regelt ein Röhrenoszillator mit abgestimmtem Gitterkreis (tuned grid) die Rückkopplung über eine Verschiebung des Arbeitspunktes. Diese Verschiebung des Arbeitspunktes erfolgt aber über eine größere Anzahl an Perioden der Schwingung, wie es am Beispiel eines rückgekoppelten Empfängers diskutiert wurde.

Abhängigkeit des Sprungs von Kopplungsfaktor und Kreisgüte

Von Interesse ist es, herauszufinden, ab welchem "kritischen Wert" ksp des Kopplungsfaktors k die Sprunghöhe in der Frequenzkurve des Oszillators merklich ansteigt und wie dieser kritische ksp Wert von den (physikalischen) Gütefaktoren Q1, Q2 der beteiligten Schwingkreise abhängt.

Zunächst liegt die Frequenzkurve des Oszillators als Tabelle von diskreten (fosc, f1) Paaren vor, entsprechend zur Graphik "Oszillator-Frequenz über Eigenfrequenz des Oszillator-Kreises". Daraus kann sofort die Steigung der Frequenzkurve des Oszillators Δfoscf1 zwischen zwei benachbarten Punkt (numerisch) ermittelt werden. Diese Steigung ist am Sprungpunkt der Frequenzkurve natürlich maximal, d.h. Max(Δfoscf1) ist die Steigung am Sprungpunkt.

Die nächste Graphik zeigt das Maximum von Δfoscf1 [= Max(Δfoscf1)] als Funktion des Kopplungsfaktors k für verschiedene Gütefaktoren Q1, Q2  von Oszillator- und Sekundärkreis.

Es fällt sofort auf, dass der kritische Wert von ksp, bei dem die Steigung an der Sprungstelle drastisch zunimmt, vom physikalischem Gütefaktor Q1 des Oszillatorkreises praktisch unabhängig ist.

Dies ist dadurch zu erklären, dass der Oszillatorkreis durch die Rückkopplung vollständig entdämpft wird, im Mittel also einen virtuellen Gütefaktor von "unendlich", unabhängig vom physikalischen Gütefaktor Q1 hat.

Betrachtet man nun den Gütefaktor Q2 des Sekundärkreises, so ergibt sich ein ungefährer Zusammenhang von ksp ≈ 1/Q2 für den Knick in der Max(Δfoscf1) Kurve, ab dem die Sprunghöhe in der Frequenzkurve des Oszillators drastisch zunimmt.

Eine sehr effektive Methode zur Verhinderung von Amplituden- und Frequenzsprüngen des Oszillators
ist damit natürlich die Herabsetzung des Gütefaktors des (parasitären) Sekundärkreises durch einen
zusätzlichen Dämpfungswiderstand in der Schaltung.

Aus der praktischen Entwicklertätigkeit von Hans Knoll gibt es folgende Anmerkungen:

Während und am Ende einer Entwicklung wurden die Wellenbereiche, speziell die KW-Bereiche, durch laufende Überwachung des „Schwingstromes“ (der Richtstrom vom Oszillator-Gitter nach Katode) auf Saugstellen durch parasitäre „Sekundärkreise“ kontrolliert, was einem Grid-Dipper nahe kommt. Dass dies nötig war und in jedem Messprotokoll eingetragen wurde belegt, dass mit solchen parasitären "Sekundärkreisen" immer gerechnet werden musste. Bei Export-Modellen mit 2 bis 4 KW-Bereichen kam es in der Entwicklungsphase vor, dass eine Frequenz in einem Bereich nicht empfangbar war, weil der Oszillator dort einen Sprung machte. Der vorsichtige Entwickler drehte daher über das ganze Band den Empfänger laufend vom unteren Ende kommend, x-mal auf das Seitenband und stellte den HF-Generator wieder nach um jede (Sprung) Lücke zu finden. Was auch wieder beweist: Dieser Fall ist keine Seltenheit.

Nur der Außenseiter kennt den Fall, dass der Oszillator springen kann im Radio nicht oder nur dann, wenn ein Fehler auftritt, weil ein „shorting“ Kontakt versagt. Als Entwicklungsfehler in der Serie durfte das dem Entwickler nur einmal passieren, sonst war am „Ersten der Letzte“ für ihn. Schwierig war das bei den rotierenten Wellenschaltern zu überblicken. Die nachfolgenden Kontakte liefen ja zwangsweise und hoffentlich kontrolliert dorthin wo vorher gewollt Kontakt gemacht wurde.

Es war ein Grundsatz in der Praxis, die Güte der Spule (und des Kondensators) des Oszillator-Schwingkreises so hoch wie nur irgend möglich zu machen und dann so gering wie möglich an das aktive Element anzukoppeln. Typisches Beispiel in dem Zusammenhang ist ein Quarz als Schwingkreis. Natürlich schwingt ein Oszillator mit einer Spule schlechter Güte (meist) auch irgendwie, aber eben nicht stabil, Sprünge eingeschlossen.

Vielen Dank an Hans Knoll.

 

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.