Prüfeinrichtung zur Inbetriebnahme alter Röhrenradios

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Prüfeinrichtung zur Inbetriebnahme alter Röhrenradios 
07.Apr.16 21:34
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Hans RODT (D)
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Hans RODT

Prüfeinrichtung zur Inbetriebnahme alter Röhrenradios

Unbekannte Radios, vor allem alte Geräte, sollten niemals ohne genaue Vorprüfung und nur nach festen Regeln an das  Stromnetz gebracht werden, da es sonst zu Personenschäden und irreversiblen Schäden am Gerät kommen kann. Ernst Erb hat in seinem Buch „Radios von Gestern“ (1) beschrieben, was bei einer Inbetriebnahme zu beachten ist. Weitere Publikationen (2) und verschiedene Threads im Forum des Radiomuseums haben sich mit Detailfragen einer Inbetriebnahme beschäftigt. Den Gefahren liegt die Tatsache zu Grunde, dass bestimmte Teile anfällig für Alterungsprozesse sind, was in der Folge Kurzschlüsse und andere gravierende Fehlfunktionen  mit weiteren destruktiven Kettenreaktionen auslösen kann. Das gilt selbstverständlich auch für Radios, die vor längerer Zeit noch störungsfrei gelaufen sind. Weiter besteht beim Einkauf fremder Geräte die Möglichkeit, dass unsachgemäße Eingriffe des Vorbesitzers ein unerwünschtes Geräteverhalten zur Folge haben können. Auch bei einer Manipulation am unter Spannung stehenden ausgebauten Radiochassis können verfahrensbedingt Personengefährdungen durch die in alten Röhrengeräten vorkommenden hohen Spannungen auftreten.

Welche Inspektionen und Messungen verschiedener Bauteile im Einzelnen erfolgen sollten, wurde in den genannten Büchern und verschiedenen Berichten im Forum bereits dargestellt.

Aber selbst wenn eine genaue Prüfung relevanter Bauteile des Geräts hinsichtlich aller möglichen Schwachstellen erfolgt ist, sollte nur kontrolliert eine langsam steigende Spannung auf ein altes Radio  gegeben werden, da trotz einer gewissenhaften Voruntersuchung nicht aufgedeckte Fehlfunktionen zu Tage treten können.

Eine seit langem immer wieder empfohlene Methode baut darauf auf, mit Hilfe der Serienschaltung von Glühbirnen zunehmender Leistung in den Stromkreis einen stufenweisen Anstieg des Stromflusses zu bewirken. Auch mit dem Einsatz von Regel-Trafos kann man eine schonende Applikation mit langsam steigender Versorgungspannung erreichen.

Fortschritte der Digitalelektronik ermöglichen inzwischen weitere Messungen beim Aufschalten der Spannungsversorgung. Mit diesen gerätetechnischen Möglichkeiten soll sich mein nachfolgender Bericht beschäftigen. Dabei haben mir die Threads „Bauanleitung Logarithmisches Analog Amperemeter“ (Heinrich Stummer) und „Hall-Effekt Stromwandler“ (Dietmar Rudolph) wertvolle Anregungen vermittelt.

Es war die Absicht, eine Versorgungs- und Messeinrichtung zu konzipieren, die

  • die Applikation einer stufenlos steigenden Spannung von 0 – 230 V bei entsprechender Absicherung erlaubt
  • potentialfrei gegenüber Erde ohne Beschaltung des Schutzleiters ist
  • eine hoch auflösende digitale Messung des Wechselstromflusses ermöglicht
  • eine Möglichkeit bietet, den Wechselstromfluss am Oszilloskop zu verfolgen

Die Prüfeinrichtung verteilt sich auf 2 Geräteeinheiten: Trenn-Regel-Trafo und digitaler Strom und Leistungsmesser (siehe Schaltungsübersicht Abb.1). Die Frontplatten wurden mit dem Frontplattendesigner von Schäffer am PC gestaltet und nach Bearbeitung von diesem Lieferanten bezogen.

Abb. 01

1. Trenn-Regel-Trafo

Regel-Trafos sind häufig wie hier in Sparschaltung ohne Trennung zwischen Primär- und Sekundärseite ausgelegt und erlauben daher keinen potentialfreien Ausgang. Ein Betrieb ohne Netztrennung gilt wegen der Gefahr eines Stromflusses über den Körper als gefährlich. Daher wurde hier ein 3 A Ringkern-Trenn-Trafo vor den Regel-Trafo gesetzt. Der Regel-Trafo kann bis 1,4 A belastet werden. Ringkern-Trafos haben den Vorteil, dass sie einen sehr geringen Leerlaufstrom aufweisen, aber den Nachteil, dass sie einen sehr hohen Einschaltstrom entwickeln können (Hintergründe siehe dazu hier und hier). Ohne weitere Hilfsmittel kann damit der Primärstromkreis nicht in Höhe der Nennstromstärke abgesichert werden, selbst eine 5 A TT Sicherung schlug je nach Einschaltzeitpunkt durch. Es wurde daher eine Einschaltstrombegrenzung zwischen Netzspannungsschalter und Primärwicklung des Trenn-Trafos geschleift. Die Einschaltstrombegrenzung ST-04 wurde als Fertigbaustein von Audiocreativ bezogen und basiert auf der anfänglichen Serienschaltung eines 47 Ohm Leistungswiderstands in den Primärstromkreis, der nach ca. 1 Sec Vormagnetisierung des Ringkern-Trafos durch ein Relais mit Hochlastkontakten überbrückt wird. Jetzt konnte der Primärkreis mit einer Feinsicherung 1,4 A T geschützt werden. Die Sekundärwicklung des Trenn-Trafos wurde auf den Regel-Trafo geschaltet. In den Ausgangskreis sind ein analoges Volt- und analoges Amperemeter geschaltet. Obwohl das Dreheisen-Amperemeter nur einen Bereich bis 2 A umfasst, wurden Ströme bis 0,5 A zu niedrig und ungenau angezeigt. Auf diesen Mangel wurde auch in einem vorausgegangenen Thread hingewiesen. Das Metallgehäuse wurde mit dem Schutzleiter verbunden. Der Regelspannungsausgang stellt eine Spannung von 0 V bis 230 V bis zu einer maximalen Belastung von 1,4 A zur Verfügung. Er ist durch den Trenntransformator potentialfrei gegenüber Schutzleiter/Erde und darf daher keinesfalls mit dem Schutzleiter verbunden werden.

Der Aufbau wurde in einem Metallgehäuse realisiert, ein Blick ins Innere ist in Abb. 2 dargestellt.

Abb. 3 und 4 zeigen Frontansichten dieser Einheit.

Die am Ausgang zur Verfügung stehende Wechselregelspannung von 0 – 230 V wird mit dem Eingang der zweiten Geräteeinheit verbunden.

2. Digitaler Strom- und Leistungsmesser

Um eine genaue Messung des Wechselstroms und einen galvanisch getrennten Anschluss für ein Oszilloskop zu ermöglichen, wurde auf zwei digitale Bausteine zurückgegriffen.

Der Baustein PZEM-021 20 A AC Digital LED Power Panel Meter mit digitaler Anzeige erlaubt eine Wechselstrommessung und (Wirk-) Leistungsmessung im Bereich von 80-260 V bei bis zu 20 Ampere Stromfluss und basiert auf dem Prinzip eines Stromwandlers. Der Preis  (Ebay) liegt bei etwa € 15.- . Die technischen Daten können in der Anlage A1eingesehen werden. Leider ist im Internet keine interne Schaltung publiziert.

Der galvanisch getrennte Anschluss eines Oszilloskops wurde mit Hilfe des magnetischen Stromsensors T60404-N4646-X66282 realisiert. Über diesen Baustein wurde bereits im Thread „Hall-Effekt Stromwandler (Dietmar Rudolph) ausführlich diskutiert. Mit Hilfe dieses Sensors können auch Gleichstromanteile gemessen werden. Der Sensor kann z.B. von Pollin für € 4,95 bezogen werden. Die Versorgungsspannung des Bauteils beträgt 5 V. Die genauen technischen Daten können in der Anlage A2  eingesehen werden.

Der Stromfluss erfolgt nach Einschaltung zuerst über das PZEM-021 und dann über die Spule der Magnetsonde. Da der Baustein PZEM-021 aus der angelegten Regelspannung versorgt wird und ab 80 V messen kann, wurde auch der Oszi-Anschluss so umgesetzt, dass mit Hilfe einer Stromversorgung mit dem Low Drop Festspannungs-Regler LM-2940 ab 80V Regelspannung eine stabile Versorgungspannung von 5 V zur Verfügung steht und ab dieser Stufe gemessen werden kann. Bei den Messungen mit dem Oszilloskop hat sich gezeigt, dass für eine saubere Darstellung der Kurven am Ausgang der Sonde ein Tiefpassfilter (R, C) notwendig war und auch der Tiefpass des Oszilloskops eingeschaltet werden sollte.

Der Stromfluss der Regelspannung wird außerhalb der Messbereiche der digitalen Bausteine  nicht beeinflusst; es steht eine stufenlos regelbare Spannung von 0 – 230 V am Ausgang zur Verfügung.

Man könnte einwenden, dass bei diesem Design die Einschränkung besteht, digital erst ab 80 V Regelspannung messen zu können. Andererseits werden Kurzschlüsse bei sehr niedriger Spannung bereits mit dem analogen Amperemeter erkannt, beide Geräteeinheiten sind überdies mit Feinsicherungen entsprechend abgesichert. Ansonsten kann durchaus die Inbetriebnahme alter Rundfunkgeräte ab 0 V mit langsam steigender Spannung erfolgen. Genauere Messungen sind dann vor allen im Bereich der Nennleistung des Prüfobjekts interessant.

Der Aufbau der Schaltung erfolgte auf der Rückseite der Alu-Frontplatte mit anschließendem Einbau in ein passendes Teko-Kunststoffgehäuse (Abb. 5). Die Frontansicht ist auf Abb. 6. zu sehen.

Abb. 05 und Abb. 06

3. Betrieb der Versorgungs- und Messeinheit

Den Gesamtaufbau der Messeinrichtung zeigt Abb. 7 . Die Messungen am Oszilloskop wurden mit einem SIGLENT SDS1052DL durchgeführt.

Zuerst wurde ein Ohm’scher Verbraucher (100 W Glühbirne) getestet. Auf Abb. 8 bis Abb. 13 sieht man bei 80 V, 150, V und 230 V den gemessenen Strom, die verbrauchte Leistung und den Kurvenverlauf im Oszilloskop. Die Kurvenform ist sinusförmig.

Abb. 08 und Abb. 09

Abb. 10 und Abb. 11

Abb. 12 und Abb. 13

Danach wurden eine Leuchtstoff-Sparlampe und eine LED-Sparlampe getestet, um unterschiedliche Wechselstromverläufe darzustellen. Diese Lampen weisen meist kleine eingebaute Schaltnetzteile auf. In Abb. 14 und Abb. 15 sind die entsprechenden Kurvenverläufe am Oszilloskop dargestellt. Diese Verläufe weichen stark von der Sinusform ab. Besonders der Stromverlauf der LED-Sparlampe ist interessant.

Abb. 14 und Abb. 15

Zum Schluss erfolgte die Prüfung eines lauffähigen Röhrenradios AEG 29W (Abb. 16). Das Röhrenradio ist ein Wechselstromgerät mit Transformator und Doppelweggleichrichtung (Baujahr 1939/1940).

Die Spannung wurde über den Regler langsam von 0 V bis zur Nennspannung 220 V gesteigert. Abb. 17 zeigt auf dem Display bei einer Spannung von 220 V den entsprechenden Wechselstrom und die verbrauchte Leistung. Der gemessene Strom betrug 0,26 A bei einer Leistung von 50,6 Watt. Abb. 18 zeigt den Kurvenverlauf am Oszilloskop mit deutlichen Abweichungen von der Sinusform.

Abb. 17 und Abb. 18

Weitere Untersuchungen sollten nun die Einflüsse von Faktoren und Fehlern in Prüfobjekten (z.B. Gleichrichterröhre, Elkos, Schutzkondensatoren) auf die Kurvenform ermitteln.

Zusammenfassung

Es konnte gezeigt werden, dass mit der beschriebenen Versorgungs- und Messeinrichtung eine schonende und sichere Inbetriebnahme alter Radios möglich ist. Unter Verwendung der Regeleinheit sowie des digitalen Bausteins PZEM-021 und des Magnetstromsensors T60404-N4646-X66282 konnte die Applikation einer stufenlos steigenden Spannung ohne Erdpotential mit folgender Messung des Wechselstroms und der Leistung mit Darstellung am Oszilloskop realisiert werden.

Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass der Betrieb von Messeinrichtungen dieser Art prinzipiell experimentellen Charakter hat und wegen der hohen Spannungen nur mit entsprechender Fachkunde umgesetzt werden sollte. Auch erdpotential-freie Spannungen bleiben gefährlich, wenn man am ausgebauten Röhrenchassis mit beiden Händen Teile mit großer Spannungsdifferenz berührt. Wenn ich im Betrieb eine Manipulation mit beiden Händen nicht vermeiden kann, ziehe ich mit der linken Hand einen dünnen Gummihandschuh an.

Ein kleiner Wermutstropfen bleibt. Ein restauriertes altes Röhrenradio hat es inzwischen schwer, durch die reihenweisen Senderabschaltungen noch hörbare Mittelwellensender zu empfangen. Aber das wurde bereits ausgiebig und mit Wehmut diskutiert.

Literatur

(1) Erb, Ernst : Radios von Gestern ; 5.Auflage, S. 363 und ff. ; Verlag für Technik und Handwerk GmbH, Baden-Baden 2012

(2) Grund, Eike : Radios der 50er Jahre ; Band 1 und Band 2 ; Verlag egrund, Dietmannsried 2000 und 2014

Anlagen:

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15.Apr.16 21:08
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Hans RODT (D)
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Hans RODT

Prüfeinrichtung zur Inbetriebnahme alter Röhrenradios  /  Ergänzung

Ergänzend zu meinem Bericht soll noch die Prüfung eines lauffähigen Röhrenradios Telefunken T230W („Katzenkopf“,Baujahr 1931/1932) gezeigt werden (Abb. 19).

Das Röhrenradio ist ein Wechselstromgerät mit Transformator und Einweggleichrichtung durch die Röhre RGN354. Die Spannung wurde über den Regler langsam von 0 V bis zur Nennspannung    220 V gesteigert.

Abb. 20 zeigt auf dem Display bei einer Spannung von 220 V den entsprechenden Wechselstrom und die verbrauchte Leistung. Der gemessene Strom betrug 0,12 A bei einer Leistung von 22,6 Watt.

Abb. 21 zeigt den Kurvenverlauf am Oszilloskop mit deutlichen Abweichungen von der Sinusform und asymmetrischem Verlauf (Einweggleichrichtung).

 

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.