Röhrenparameter, Kennlinien und Ersatzschaltungen

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Röhrenparameter, Kennlinien und Ersatzschaltungen  
06.Feb.16 23:48
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Jochen Bauer (D)
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Jochen Bauer

Die wichtigste "Kennlinie" einer Röhre ist die Abhängigkeit des Anodenstroms Ia von der Gitterspannung Ug und der Anodenspannung Ua. Da Ia(Ug,Ua) damit eine Funktion von zwei unabhängigen Variablen ist haben wir es genau genommen mit der "Kennfläche" einer Röhre zu tun. Diese Ia(Ug,Ua) Kennfläche lässt sich in einem 3D Plot darstellen:

Solche Darstellungen von Kennflächen finden sich in praktisch keinem Röhrendatenblatt. Der Grund dafür ist einfach: Solche 3D Plots sind zwar für das grundlegende Verständnis des Verhaltens der Röhre nütz- lich, allerdings ist das genaue Ablesen von konkreten Werten aus perspektivisch dargestellten 3D Plots schwer bis unmöglich. 

In den Röhrendatenblättern finden sich statt dessen zweidimensionale Ia(Ug,Ua) Kennlinien, bei denen jeweils eine Variable konstant gehalten wird. In der Praxis ist dies der Anodenstrom Ia in Abhängigkeit von der Gitterspannung Ug bei verschiedenen konstanten Anodenspannungen Ua und der Anodenstrom Ia in Abhängigkeit von der Anodenspannung bei verschiedenen konstanten Gitterspannungen Ug. Graphisch ergeben sich diese zweidimensionalen Kennlinien als Schnitte durch die dreidimensionale Ia(Ug,Ua) Kennfläche der Röhre entlang der Ug bzw. Ua Achse.

Die Funktion Ia(Ug,Ua) muss meistens experimentell ermittelt werden. Lediglich für ideale Röhren lässt sich Ia(Ug,Ua) formelmäßig angeben. Reale Röhren weichen in ihrem Ia(Ug,Ua) Verhalten oft drastisch davon ab, insbesondere Röhren mit Regelcharakteristik. Der Grund dafür ist die Bildung von Emis- sionsinseln auf der Kathode bei Verwendung der üblichen helixförmigen Gitter. Näheres dazu findet sich z.B. in Karl R. Spangenberg, Vacuum Tubes, MacGraw-Hill, 1948.

Bei Kleinsignalansteuerung der Röhre kann man sich nun aber, wie so oft in diesem Falle, mit einer linearen Approximation des Röhrenverhaltens um einen festgelegten Arbeitspunkt herum behelfen. Dieser Arbeitspunkt, nennen wir ihn "q" (engl. quiescent), ist gegeben durch die Gittervorspannung Ugq, der Anodenspannung Uaq und dem Anodenstrom Iaq=Ia(Ugq,Uaq).  

Graphisch ist diese lineare Approximation durch das Anlegen der Tangente an eine zweidimensionale Kennlinie im Arbeitspunkt gegeben. Im Falle der dreidimensionalen Kennfläche Ia(Ug,Ua) wird eine Tangentialebene an den Arbeitspunkt q angelegt. Dies ist in der folgenden Graphik veranschaulicht.


Nun lässt sich eine derartige Tangentialebene im Gegensatz zu einer Tangente nicht mehr einfach mit Lineal und Bleistift konstruieren. Man bräuchte schon ein Drahtgittermodell der Ia(Ug,Ua) Fläche um die Tangentialebene direkt zu konstruieren. Wir benötigen daher an dieser Stelle einen formelmäßigen Aus- druck, für die Tangentialebene am Arbeitspunkt q. Aus der Analysis von Funktionen mit mehreren Var- iablen ergibt sich die lineare Approximation Fq(Ug,Ua) der Funktion Ia(Ug,Ua) um den Arbeitspunkt q als (keine Angst vor den partiellen Ableitungen, diese werden schnell wieder verschwinden...)


Wir benötigen nun nur noch die Steilheit S und den Innenwiderstand Ri der Röhre am Arbeitspunkt q. Diese lassen sich aufgrund ihrer Definition nun leicht mit den im Röhrendatenblatt angegebenen zwei- dimensionalen Kennlinien durch Anlegen der Tangente am Arbeitspunkt q ermitteln. S ist die Steigung der Ia(Ug) Kennlinie bei Ugq für die feste Anodenspannung Uaq und 1/Ri ist die Steigung der Ia(Ua) Kennlinie bei Uaq für die feste Gitterspannung Ugq. Damit lässt sich die lineare Approximation Fq(Ug,Ua) für jeden Arbeitspunkt sofort niederschreiben und wir können die Funktion Ia(Ug,Ua) in einer hinreichend kleinen Umgebung des Arbeitspunktes q durch Fq(Ug,Ua) ersetzen. Wir werden davon nun auch umgehend Gebrauch machen.

Betrachten wir nun folgende Röhrenstufe mit einem ohmschen Anodenlastwiderstand RL:


In der obigen Schaltung ist eine Triode gezeichnet, die folgenden Betrachtungen gelten aber allgemein für Trioden, Pentoden und auch Feldeffekttransistoren. Eine wesentliche Größe einer derartigen Röhrenstufe ist die Spannungsverstärkung. Um diese zu Ermitteln machen wir folgenden Ansatz: Die Anodenspan- nung entspricht der Speisespannung U0 abzüglich des Spannungsabfalls am Lastwiderstand RL aufgrund des Anodenstroms Ia(Ug,Ua). Es ist also


Diese ist im folgenden Bild skizziert:


Ein häufig angegebener Parameter einer Röhre ist die sogenannte Leerlaufverstärkung oder kurz Ver- stärkungsfaktor. Dieser wird mit µ bezeichnet und gibt den Verstärkungsfaktor v der obigen Röhrenstufe für einen gegen unendlich gehenden Lastwiderstand RL an. Da in diesem Fall RL||Ri=Ri ist, ergibt sich in diesem Fall v=µ=Ri S. Der früher häufig verwendete Begriff des Durchgriffs D ist definiert als der Kehrwert des Verstärkungsfaktors, also D=1/µ. Damit ergibt sich nun die Identität SDRi=1.

Diese Identität ist im Deutschsprachigen Raum als Barkhausen-Formel bekannt. Offensichtlich handelt es sich dabei um eine rein mathematische Identität, schließlich ist das einzige was wir zur Herleitung benötigt haben die lineare Approximierbarkeit der Funktion Ia(Ug,Ua) sowie die Definitionen der Steilheit S und des Innenwiderstandes Ri einer Röhre. In der Barkhausen-Formel ist also streng genommen gar keine "Röhren-Physik" enthalten. Sie gilt daher ganz allgemein für Trioden, Pentoden und auch Feld- effekttransistoren. 

Zum Abschluss wollen wir nach der Norton Ersatzschaltung nun auch noch die Thévenin Ersatzschal- tung einer Röhre herleiten. Dazu gehen wir zurück zur weiter oben hergeleiteten Gleichung für den Ver- stärkungsfaktor v einer Röhrenstufe und ersetzen S durch S=µ/Ri,


Dies ist in folgendem Schaltbild skizziert:


Offensichtlich sind beide Ersatzschaltungen äquivalent. In der Praxis wird allerdings für Trioden die Thévenin Ersatzschaltung und für Pentoden die Norton Ersatzschaltung bevorzugt.

 

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.

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Der Kathodenfolger 
14.Aug.16 21:50
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Jochen Bauer (D)
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Jochen Bauer

Ein weiteres Beispiel für die Anwendung der linearen Approximation für die Berechnung der
Kleinsignaleigenschaften einer Röhre (oder auch eines FETs) ist die Betrachtung des in der folgenden Abbildung dargestellten Kathodenfolgers.

Der Kathodenfolger ist bekanntermaßen der mit einer Hochvakuumröhre aufgebaute Vorläufer des Emitterfolgers und hat schaltungstechnisch das selbe Anwendungsgebiet. Wir wollen nun die Spannungsverstärkung und Ausgangswiderstand eines Kathodenfolger in Kleinsignalansteuerung
ermitteln.

Da wir in diesem einfachen Modell die Kapazität der Gitter zu Kathode Strecke nicht betrachten, ist der Gitterstrom Ig stets Null und der Kathodenstrom, der den Lastwiderstand R durchfließt ist identisch mit dem Anodenstrom. Dieser ist in der in Post #1 eingeführten linearen Näherung durch

I_a=I_{aq}+S\cdot(U_{gk}-U_{gkq})+\frac{1}{R_i}\cdot(U_{ak}-U_{akq})\hspace{55pt}(1)

gegeben. Dabei ist S die Steilheit der Röhre und Ri ihr Innenwiderstand. Der Index q (engl. quiescent) bezeichnet wiederum Gleichspannungen bzw. Gleichströme am Arbeitspunkt "q".

Da sich nach der Kirchhoffschen Maschenregel die Ausgangsspannung UR am Widerstand R und die Gitter-Kathodenspannung Ugk zu der am Gitter gegen Masse angelegte Eingangsspannung Ug aufsummieren, gilt

U_{\scriptscriptstyle R}+U_{gk}=U_g \hspace{55pt} (2)

Weiterhin summieren sich die Spannungen UR am Widerstand R und die Anoden-Kathodenspannung Uak nach der Kirchhoffschen Maschenregel zu

U_{\scriptscriptstyle R}+U_{ak}=U_0\hspace{55pt}(2^\prime) 

Aus Gleichung (1) folgt nun unmittelbar

U_{\scriptscriptstyle R}=R\cdot I_a=R\cdot\left(I_{aq}+S\cdot(U_{gk}-U_{gkq})+\frac{1}{R_i}(U_{ak}-U_{akq})\right)

und zusammen mit Gleichung (2) und Gleichung (2') ergibt sich sofort

U_{\scriptscriptstyle R}=RI_{aq} + RSU_g - RSU_{\scriptscriptstyle R} - RSU_{gq} + RSU_{\scriptscriptstyle Rq}+\frac{R}{R_i}U_{\scriptscriptstyle Rq}-\frac{R}{R_i}U_{\scriptscriptstyle R}

Da RIaq natürlich die Gleichspannung URq am Widerstand R am Arbeitspunkt q ist, vereinfacht sich die obige Gleichung zu

U_{\scriptscriptstyle R}-U_{\scriptscriptstyle Rq}=\frac{RS}{1+RS+R/R_i}(U_g-U_{gq})

und enthält damit lediglich die Differenzspannungen ΔUg=Ug-Ugq und ΔUR=UR-URq vom Arbeitspunkt q. Wir erhalten also letztendlich

\Delta U_{\scriptscriptstyle R}=\frac{RS}{1+R(S+1/R_i)}\Delta U_g

Da der Kehrwehrt des Innenwiderstandes 1/Ri selbst bei Trioden in den meisten Fällen gegenüber deren Steilheit S vernachlässigt werden kann, erhält man daraus in guter Näherung

\Delta U_{\scriptscriptstyle R}=\frac{RS}{1+RS}\Delta U_g \hspace{55pt} (3)

Aus dieser Gleichung wird nun unmittelbar ersichtlich, dass die Spannungsverstärkung des Kathodenfolgers immer etwas kleiner als Eins ist und für hinreichend große Lastwiderstände R und Röhrensteilheiten S asymptotisch gegen Eins geht.

Aus Gleichung (3) ergibt sich durch Erweiterung des Bruches mit 1/R sofort

\Delta U_{\scriptscriptstyle R}=S\cdot\Delta U_g\cdot\frac{1}{\frac{1}{R}+S}= S\cdot\Delta U_g\cdot\frac{1}{\frac{1}{R}+\frac{1}{1/S}}=S\cdot\Delta U_g\cdot\left(R||\frac{1}{S}\right)

was natürlich unmittelbar auf die Norton Ersatzschaltung des Kathodenfolgers mit einer Stromquelle I=SΔUg und einem Parallelwiderstand von 1/S gemäß der folgenden Abbildung führt

Erweitert man den Bruch in Gleichung (3) mit dagegen 1/S führt dies auf

\Delta U_{\scriptscriptstyle R}=\frac{R}{\frac{1}{S}+R}\cdot\Delta U_g

woraus sofort die dazu äquivalente Thévenin Ersatzschaltung mit einer Spannungsquelle ΔUg mit einem Ausgangswiderstand von 1/S gemäß der unten stehenden Abbildung folgt

Der Ausgangswiderstand eines Kathodenfolgers von Rout=1/S liegt als Beispiel für S=2mS bei 500Ω und ist damit in der Regel deutlich höher als bei einem Emitterfolger mit Bipolartransistor.

 

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.