Die Antennenkopplung im VE301 mit Käfigspule

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Die Antennenkopplung im VE301 mit Käfigspule 
25.Apr.15 22:07
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Jochen Bauer (D)
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Jochen Bauer

Um kaum einen Rundfunkempfänger ranken sich so viele Mythen, Halb- und Unwahrheiten wie den Volksempfänger VE301. Dabei geht es hauptsächlich um die angeblich gezielte konstruktive Erschwerung bzw. Unmöglichmachung des Fern- und damit Auslandssenderempfangs. Herr Roschy hat bereits vor einiger Zeit in diesem Beitrag die VE und DKE Modelle bezüglich ihrer Konstruktion und Leistungsfähigkeit untersucht. Ich möchte an dieser Stelle noch eine genauere Analyse der Thematik Antenne, Antennenkopplung und Eingangskreis in den frühen VE Modellen mit Käfigspule beitragen.

Die Schaltung des Eingangskreises mit Antennenkoppelspule im VE301 in den Versionen mit Käfigspule, also vor dem VE301dyn und VE301Wn ist in der folgenden Abbildung gezeigt (vielen Dank an Herrn Knoll für die Messung der Induktivitäten).

Die Ankopplung der Antenne an den Eingangskreis erfolgt induktiv über die Antennenkopplungsspule A bei Mittelwelle und B bei Langwelle. Der Kopplungsfaktor beträgt dabei ungefähr 0.24 für Mittelwelle und 0.12 für Langwelle.

Um die Wirkungsweise der Antennenkopplung besser zu verstehen, müssen wir uns etwas allgemeiner mit der induktiven Ankopplung von Antennen befassen. Im Falle des Lang- und Mittelwellenempfangs haben wir es fast ausschließlich mit Drahtantennen zu tun, deren Länge 1/10 der Wellenlänge des zu empfangenden Signals nicht übersteigt. Solche "elektrisch kurzen" Antennen stellen im Wesentlichen einen kapazitiven Blindwiderstand dar, lassen sich also im Ersatzschaltbild durch die Serienschaltung einer idealen Spannungsquelle (Antennenspannung), eines Kondensators (Antennenkapazität) und eines ohmschen Widerstandes (Verluste) beschreiben. Eine ausführlichere Darstellung dieser Thematik findet sich hier und in den dort angegebenen Referenzen. Wird die elektrisch kurze Antenne an die Antennenkopplungsspule angeschlossen, so ergibt dies einen gedämpften Schwingkreis (kurz Antennenkreis genannt), der über den Erdanschluss der Antennenkopplungsspule geschlossen wird.

Im Ersatzschaltbild sieht der Eingangskreis eines generischen Einkreis-Rückkopplungsempfängers mit induktiv angekoppelter Antenne nun wie folgt aus:


Dabei ist U1 die Antennenspannung, C1 die Antennenkapazität, R1 der Antennenverlustwiderstand und L1 die Antennenkopplungsspule im Empfänger. Auf der anderen Seite ist L2 die Eingangskreisspule mit dem Verlustwiderstand R2 und C2 ist der Abstimmkondensator im Eingangskreis. Die Rückkopplung erfolgt induktiv über eine von der Spannung an C2 gesteuerten Stromquelle und der Rückkopplungsspule Lf. Eine ausführliche Analyse dieser Schaltung wurde bereits hier und hier durchgeführt und wir werden die dort erzielten Ergebnisse verwenden können.

Ein Merkmal der Antennenkopplung im VE301 ist das diese relativ fest ist (k12=0.24 für Mittelwelle) und im Gegensatz zu den Nachfolgemodellen VE301Wn und VE301dyn in der Stärke auch unveränderlich ist. Es gibt in diesem Fall eigentlich nur zwei sinnvolle Möglichkeiten: Entweder die Empfangsfrequenz (auf die der Eingangskreis abgestimmt ist) liegt deutlich überhalb der Resonanzfrequenz des Antennenkreises oder die Empfangsfrequenz liegt deutlich unterhalb der Resonanzfrequenz des Antennenkreises. Im ersten Fall spricht man auch von hochinduktiver
Antennenkopplung im letzteren Fall von niederinduktiver Antennenkopplung, was sich auf die Anforderungen an die Induktivität der Antennenkoppelspule bezieht. Der Fall, dass die Resonanzfrequenz des Antennenkreises in den Empfangsfrequenzbereich fällt muss unbedingt vermieden werden, da sich sonst durch die relativ starke Kopplung bei typischen Antennenparametern (C1=100pF-200pF, R1=100Ω-200Ω) eine ausgeprägte Doppelhöckerkurve ergibt. Wir werden dies gleich sehen.

Mit Hilfe der in den oben angegeben Artikeln abgeleiteten Formeln lassen sich nun die typischen Resonanzkurven des Eingangskreises mit angekoppeltem Antennenkreis plotten. Die Empfangsfrequenz, auf die der Eingangskreis abgestimmt wird, ist dabei auf ungefähr 1000kHz gesetzt.

Es wurden dabei folgende Parameter verwendet: Eingangskreis: L2=220µH, C2=115pF und R2=20Ω (entspricht Q=70). Antenne: C1=115pF, R1=200Ω, Antennenspannung U1=1mV. Kopplungsfaktor der Antennenspule k12=0.25. Keine Verwendung der Rückkopplung. Für die niederinduktive Antennenkopplung wurde L1=22µH, für die hochinduktive Antennenkopplung L1=2200µH verwendet. Der Fall Antennenkreisresonanz auf der Empfangsfrequenz wird durch L1=L2=220µH erreicht. 

Wie man sieht können beim Mittelwellenempfang im Fall, dass die Antennenkreisresonanz in den
Empfangsfrequenzbereich fällt die Höcker durchaus einen Abstand von ca. 300kHz haben, wodurch in diesem Bereich keine selektive Senderwahl mehr möglich ist. Der technischen Laie, dem diese Zusammenhänge verborgen bleiben, wird aus seiner Sicht feststellen, dass sein Radio in diesem Bereich auf der Frequenzskala "spinnt". Es sei hier erwähnt, dass in diesem Fall auch ein "Anziehen" der Rückkopplung nichts bringt, wie im folgenden Bild zu sehen ist.

Hier wurden alle Parameter des obigen Plots beibehalten, die Rückkopplungsspule wurde mit Lf=15µH und den Kopplungsfaktoren k1f=k2f=0.3 angesetzt. Die Steilheit der Stromquelle zur Rückkopplung wurde dabei so gewählt, dass ein negativer Verlustwiderstand von -10Ω im Eingangskreis auftritt, der den Gütefaktor auf Q=140 erhöht. Die nun deutlich auftretende Asymmetrie der Doppelhöckerkurve sowie die unterschiedliche Maximalamplitude zwischen der Kurve mit niederinduktiver und hochinduktiver Antennenkopplung resultiert aus dem Verhalten der induktiven Rückkopplung in der Nähe der Resonanzfrequenz des Antennenkreises, welches hier untersucht worden ist.

Offensichtlich muss also, um ein Mindestmaß an Benutzerfreundlichkeit zu erreichen, die Resonanzfrequenz des Antennenkreises wie schon erwähnt entweder deutlich überhalb oder deutlich unterhalb des Empfangsfrequenzbereiches liegen. Dabei kann ein relativ großer Frequenzbereich auch in mehrere Empfangsfrequenzbereiche unterteilt werden, für die dann über Anzapfungen an der Antennenspule verschiedene Kopplungsinduktivitäten zur Verfügung stehen. Dies wurde beim VE301 mit 4 Antenneneingängen für Mittelwelle und 3 für Langwelle auch so realisiert und in der Bedienungsanleitung dokumentiert.

Die Frage die sich nun unmittelbar stellt ist die ob die niederinduktive (Empfangsfrequenz unterhalb der Antennenkreisresonanz) oder die hochinduktive (Empfangsfrequenz überhalb der Antennenkreisresonanz) Antennenkopplung im vorliegenden Fall günstiger ist. Dazu kann man folgende Überlegungen anstellen:

Aus den in den oben referenzierten Artikeln abgeleiteten Formeln ergibt sich, dass der Hauptvorteil der
hochinduktiven Antennenkopplung in der frequenzunabhängigkeit der von der Antenne in den Eingangskreis eingekoppelten Antriebsspannung liegt. Allerdings stellt sich bei der hochinduktiven Kopplung in der Praxis folgendes Problem: Um die geforderte niedrige Resonanzfrequenz des Antennenkreises zu erreichen benötigt man eine Spule mit sehr hoher Induktivität bei gleichzeitig aber sehr geringer Eigenkapazität. (Die Eigenresonanz der Spule muss deutlich überhalb des Empfangsfrequenzbereiches liegen!) Derartige Spulen sind entsprechend aufwendig und daher teuer in der Herstellung und kamen im VE301 daher verständlicherweise nicht zum Einsatz. Alternativ kann die geforderte niedrige Resonanzfrequenz des Antennenkreises natürlich auch über hochkapazitive
Antennen wie z.B. Vertikalantennen mit Dachkapazitäten in Form eines Metallschirmes oder T-Antennen mit mehreren Horizontaldrähten erreicht werden. Dem Endbenutzer wird man den Aufbau solcher Antennen aber eher nicht zumuten wollen. Weiterhin hat man beim Einkreiser das Problem, dass die Antennenkreisresonanz bei Mittelwellenempfang im schlimmsten Fall bereits in den Langwellenbereich fällt und die dortigen Sender dann durchschlagen.

Offensichtlich bleibt also unter den beim VE301 gegebenen Rahmenbedingungen die niederinduktive
Antennenkopplung trotz ihres Nachteils einer stark frequenzabhängigen Spannungseinkopplung in den
Eingangskreis als einzig praktikable Alternative, zumal in diesem Fall auch die Wahl einer Anzapfung der Antennenspule mit kleinerer Induktivität zur Herabsetzung der Lautstärke eines stark einfallenden Senders verwendet werden kann. Der VE301 hatte ja aus Kostengründen keine Lautstärkeregelung im NF Teil. Wie nun sofort aus den im Schaltbild weiter oben eingetragenen Induktivitätswerten für die Antennenspule und deren Anzapfungen errechnet werden kann, ist der VE301 in der Tat für niederinduktive Antennenkopplung mit den für elektrisch kurze Hochantennen üblichen Antennenkapazitäten von bis zu 200pF ausgelegt.

Es bleibt an dieser Stelle allerdings noch eine weitere grundsätzliche Frage zu klären: Warum wurde
überhaupt eine induktive Antennenkopplung anstelle einer (nicht ganz so üblichen) kapazitiven
Scheitelpunktkopplung direkt an den Schwingkreis angewendet, deren entsprechende Ersatzschaltung im nachfolgenden Bild dargestellt ist?

Bei dieser Art der Antennenkopplung muss der Kopplungskondensator Cc hinreichend klein sein
(ca. 2-10pF), damit der Eingangskreis nicht zu stark durch die nun parallel zum Abstimmkondensator
liegende Kapazität aus der Serienschaltung von Antennenkapazität und Kopplungskondensator zu tiefen Frequenzen hin verstimmt wird. Dadurch wird natürlich wiederum nur ein Teil der Antennenspannung als Antriebsspannung des Eingangskreises verwendet.

Mit Hilfe der komplexen Wechselstromrechnung lässt sich auch hier recht schnell eine Formel für den
HF Strom im Eingangskreis angeben. Der interessierte Leser findet die Herleitung als PDF Dokument im Anhang dieses Textes. Damit lassen sich nun bei gleichen Antennenparametern die niederinduktive
Antennenkopplung und die kapazitive Scheitelpunktkopplung direkt vergleichen.

Hier wurden wieder alle Parameter, inklusive Rückkopplung, aus dem vorherigen Plot übernommen. Der Antennenkopplungskondensator wurde zu Cc=10pF gesetzt. Offensichtlich ist hier die niederinduktive Antennenkopplung leicht im Vorteil, da sie zu einem etwas höheren HF Strom im Eingangskreis bei geringerer Verstimmung zu niedrigeren Frequenzen hin führt.

Es gibt allerdings auch einen Fall, bei dem die kapazitive Scheitelpunktkopplung deutlich bessere
Werte liefert: Steht als Antenne nur ein kurzes Stück Draht von 1-2m Länge zur Verfügung, so ist
Aufgrund der nun sehr geringen Antennenkapazität und der damit verbundenen hohen Resonanzfrequenz des Antennenkreises die in den Eingangskreis eingekoppelte Antriebsspannung sehr gering. (Der interessierte Leser sei dazu nochmals auf die weiter oben verlinkten Texte und die darin hergeleiteten Formeln verweisen). In diesem Fall kann dieses Stück Draht jedoch über einen sehr großen Kopplungskondensator oder auch direkt an das HF Spannung führende Ende des Eingangskreises angelötet werden. Diese Drahtantenne bildet dann mit dem Metallchassis des VE301 einen Kondensator mit sehr geringer Kapazität und geringen Verlusten, was eben die direkte Ankopplung an den Eingangskreis ermöglicht. Es wird in diesem Falle offensichtlich auch kein Erdanschluss benötigt. Durch die direkte Ankopplung dieser sehr kleinen Antenne ist nun der HF Strom im Eingangskreis deutlich größer als beim Versuch diese Antenne über die Antennenbuchsen mit der vorgesehenen niederinduktiven Kopplung anzuschließen.

Der technische Laie mag die in diesem Fall erreichte Empfangsverbesserung nun sogar fälschlicherweise dahingehend interpretiert haben, dass die "offiziellen" Antennenanschlüsse im
VE301 mit der eigentlich vorgesehenen Antennenkopplung den Zweck hatten den Empfang von (weiter
entfernten) Auslandssendern zu verhindern.

 

Anlagen:

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Ergänzende Angaben zur Käfigspule des VE301 
08.May.15 12:11
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Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
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Dietmar Rudolph † 6.1.22

Der Namen "Käfigspule" beschreibt ganz gut die Konstruktion der Spule, bei der die Zuführungsdrähte zu den einzelnen Spulen den Eindruck eines "Käfigs" vermitteln.

Im Bild sind die einzelnen Spulen gemäß ihrer Verwendung bezeichnet.

Sowohl die Antennen-Spulen als auch die Kreis-Spulen bestehen aus (dicker) HF-Litze (mit vielen Adern) und haben daher hohe Güten.

Mechanisch ist jede der Spulen für sich auf einen Pertinax-Ring gewickelt. Zusammen mit entsprechenden Abstands-Ringen sind sie dann auf ein (inneres) Pertinax-Rohr geschoben. Die Decken- und die Boden-Platte halten dann mit Hilfe der vertikalen Drähte die Käfigspule zusammen.

Aufgrund dieser Konstruktion ist auch eine Reparatur der Käfigspule möglich - wenn man Ersatz hat. Das Problem entstand z.B. dann, wenn die Erdbuchse mit der (geerdeten) Heizung verbunden war und über einen (defekten) Kondensator das Lichtnetz als Antenne verwendet wurde. Oder aber, wenn beim Gewitter die Antenne nicht geerdet war. (Der Ratschlag von Ludwig Manfred Lommel: "Vergessen Sie nicht, Ihren Antennerich zu beerdigen!") Jedenfalls konnte in einem solchen Fall eine der Antennen-Spulen abbrennen.

Eine verbrannte Antennenspule war anscheinend keine Seltenheit. Ich habe einen VE, bei dem die LW-Antenenspule verbrannt war und der entsprechend repariert wurde. Es gab auch Käfigspulen als Ersatz zu kaufen, wie das Inserat zeigt.

Abschließend die Schaltung des VE301W Audions aus dem TFK Werstattbuch. Eingetragen sind die von Hans Knoll gemessenen Werte von

  • MW - Kreisspule C
  • MW - Antenenspule A
  • LW - Kreisspule D + C  (hier liegen beide Kreisspulen in Serie)
  • LW - Antenenspule B

Die berechneten Werte der Kopplungsfaktoren (gemessen über sekundärseitigen Leerlauf/Kurzschluß) ergeben sich zu

  • kAC = 0,24 : für MW
  • kB(D+C) = 0,12 für LW (Wert ist kleiner, weil Spule B nur auf Spule D koppelt, aber die Serienschaltung der Spulen D + C die Kreis-Induktivität für LW ist.)

Da die Spulen als Kreuzwickelspulen (und nicht als Zylinderspulen) realisiert sind, ergeben sich für die Anzapfungen der Antennenspulen praktisch kaum Änderungen der Koppelfaktoren. Man kann sich das sofort klar machen, wenn man die Induktivitäten der Kreis-Spulen mißt und wahlweise die Antennenspulen bzw. deren Anzapfungen kurz schließt.


Weitere intressante Detail-Informationen zum VE findet sich auf der Modellseite des VE301W.

Man findet dort auch die Zuordnung der Spulenanschlüsse zu den "Gitterstäben" des Käfigs.

MfG DR

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.