1923: "Empfangsbericht" eines "Radioamateurs"

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1923: "Empfangsbericht" eines "Radioamateurs" 
13.Feb.04 13:09
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Otto Kippes † 24.4.17 (D)
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Otto Kippes † 24.4.17

1923

"Empfangsbericht" eines "Radioamateurs"

... die Frage auf den Lippen, was denn dem Radioamateur bei uns in Deutschland und der Schweiz von diesen schönen Dingen heute schon geboten wird. Dazu ist zu sagen, daß in Deutschland eigene Sendestellen für Radioamateure noch nicht bestehen, aber in Vorbereitung begriffen sind, während in der Schweiz vorerst zwei kleine Stationen, Lausanne und Genf, drahtlose Konzerte und Wetterberichte geben, bis im Spätherbst die für Zürich geplante große Amateurstation ins Leben tritt.

Immerhin steht auch der Radioamateur bei uns nicht vor dem Nichts, denn die elektrischen Wellen sind zollfrei und nicht an Landesgrenzen gebunden. Und in England, Frankreich, Holland und Skandinavien sind überall Stationen bereit, auch dem deutschen und dem schweizer Amateur ihre Darbietungen zu erschließen. Als Beweis dafür sei das Zeugnis eines Berliner Amateurs zitiert, der jüngst in der "Telefunken Zeitung" (H. 30, S. 24 ff.) eine telephonische Radioreise durch Europa geschildert hat.

Um 8.30 Uhr abends wird "zum Einsteigen" gerufen. Da wird und der Kopffernhörer umgelegt Empfänger an die Hochantenne geschaltet. Da es weit gehen soll, ist die Benützung eines Verstärkers nötig. Ein Griff an den Heizschalter, und die Verstärkerröhren erglühen. Gleich darauf gleitet der Kondensatorgriff über die Wellenskala, um den Empfänger auf die gesuchte Sendestelle "abzustimmen". Da der Amateur aus seinen Tabellen weiß, welcher Sender gerade arbeitet und mit welcher Wellenlänge die Station "gibt", braucht er den Empfänger nur zur richtigen Zeit auf die richtige Wellenlänge einzustellen, um die Station sogleich zu vernehmen.

Unsere Reise beginnt in London, von wo auf Welle 369 m Sprechempfang hörbar ist. Der Ansager meldet eine Sängerin, deren Stimme deutlich und rein zu den Tönen der Klavierbegleitung ertönt. Es folgen nach leider häufigen und langen Pausen Männerchöre eines Londoner Gesangvereins, die ihre Volkslieder in vollendeter Weise singen. Nach einem Streichquartett und verschiedenen Ansprachen beschließt regelmäßig die englische Nationalhymne, von einem Orchester gespielt, den Abend; und der Ansager wünscht uns "Gute Nacht".

"Die Lautstärken", fährt der Bericht fort, "sind zeitweise überraschend groß; man wähnt sich in den ersten Reihen eines Konzertsaales sitzen, kann den Kopfhörer beiseite legen und den Lautsprecher anschalten. Zu andern Zeiten, die schnell wechseln, wird jedoch der Empfang von London sehr leise. Die kleine Welle von 369 m eignet sich nämlich nicht für eine Übertragung auf so große Entfernungen (für die sie ja auch gar nicht gedacht ist!), da sie durch Wolkenbildung und Umstände meteorologischer Art geschwächt wird, Auch wird die musikalische Unterhaltung mitunter durch die monotonen Morsesignale von Schiffssendern gestört. Häufig gelingt es, durch loseres Koppeln, unter Verzicht auf Lautstärke, die Störer unhörbar zu machen. Wenn der Störsender jedoch die gleiche Welle hat oder zu stark ist, so hilft allerdings keines der vorhandenen Mittel, und es heißt entweder abwarten oder versuchen, auf einer anderen Welle zu hören.

"Auf der Welle 385 m haben wir Empfang aus Manchester. Der Ansager ist erheblich leiser als jener der Londoner Station. Aber die Musik ist noch gut wahrnehmbar, so daß mehrere Zuhörer mit Kopftelephonen mithören können.

,Wir suchen weiter und hören auf der Welle 400 m Newcastle mit der gleichen Empfangsgüte. Auf der Welle 420 m ist Birmingham zu hören; es ist wieder etwas lauter, sendet allerdings seltener.

"Zuweilen, zu Versuchszwecken oder wenn gerade einer der häufigen Vorträge stattfindet, die Telefunken veranstaltet, hören wir eine Berliner Station, nämlich den Röhrensender des Telefunken-Laboratoriums am Tempelhofer Ufer 9. Dann sind die Lautstärken wegen der geringen Entfernung natürlich so groß, daß wir ohne jede Verstärkung und mit jeder Ersatzantenne reichlich laut mithören können. Die Sprache dieses Röhrensenders ist außerordentlich klar, die Musik, besonders beim Cellovortrag, ein Kunstgenuß. Die Lautstärke von Musikstücken reicht völlig aus, um in kleiner Gesellschaft danach zu tanzen.

"Auf der Welle 1000 m können wir die holländische Station im Haag vernehmen, deren Sprache allerdings nicht immer klar ist, da der Sender mit nur etwa 50 Watt Antennenleistung arbeitet. Die Lautstärke der Musik ist aber in den meisten Fällen selbst zur Anschaltung einiger Kopfhörer ausreichend.

"Die Welle 1550 m bringt Radiomusik aus Paris; wir hören sie jedoch nur selten, da gerade diese Welle von vielen störenden Verkehrswellen umgeben ist. Ein sehr lautes und gutes Konzert der Versuchsstation Eberswalde der C. Lorenz A.-G. können wir dagegen täglich mit der Welle 2550 m, häufig auch 2700 m, empfangen, Die Station hat ein flottes Programm, leider zu wenig Originalmusik.

"Die Welle 3000 m gibt uns Radioempfang von der dänischen Station Lingby bei Kopenhagen . . . Mit dem Hochfrequenzverstärker kann er im ganzen Zimmer hörbar gemacht werden. . .

"Gehen wir die Wellenskala noch weiter hinauf, so nehmen wir bei 4000 m ein sehr lautes tönendes Brummen wahr. Wenn wir alle Verstärkerröhren ausschalten und auf die einfachste Ersatzantenne übergehen, hören wir die monotonen Wirtschaftsnachrichten des Rundspruchdienstes von Königswusterhausen immer noch reichlich laut. Die Worte und Zahlen sind uns aber unverständlich. Darum besitzt dieser Empfang für den Radio-Amateur nicht den geringsten Reiz; eine Verletzung des Telegraphengeheimnisses ist also keinesfalls zu befürchten.

 

Quelle: Seiten 13 ff aus

Der praktische Radioamateur

Das A.B.C. des Radiosports zum praktischen Gebrauch für Jedermann

Von HANNS GÜNTHER (W.DEHAAS) und Dr. FRANZ FUCHS

1923 Stuttgart Franckh'sche Verlagshandlung

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