Die Siemens "Riesenskala"

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Die Siemens "Riesenskala" 
26.Jul.16 12:25
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Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
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Dietmar Rudolph † 6.1.22

In einem früheren Post wurde die Riesenskala schon einmal vorgestellt, allerdings für ein Gerät von Telefunken, den T121W. Telefunken hat hierbei (nur für diesen Typ) die Technik der Riesenskala übernommen, aber tatsächlich als "Skala" nur einen kleinen Ausschnitt davon verwendet.

Siemens hat seine Riesenskala für das Weihachtsgeschäft stark beworben, wie das Bild hier zeigt.

Auch in einem Sonderprospekt vom Sept. 1931 kommt das zum Ausdruck.

Auf diesem Prospekt sieht man den Siemens 35W (35G) und den Lautsprecher 080.

Die Idee mit der "Riesenskala" ist die Durchstimmbarkeit von der unteren Langwelle bis zur oberen Mittelwelle, ohne daß dabei eine Bereichsumschaltung erforderlich wird. In Wellenlängen sind das 2000 m bis 200m bzw. in Frequenzen 150 kHz bis 1500 kHz, also ein Variationsbereich von 1:10. 

Da nach der Thompsonschen Schwingungsformel f = 1/2π√(LC) gilt, muß folglich das Produkt (LC) um einen Faktor 100 variiert werden, wenn sich die Frequenz f um einen Faktor 10 ändern soll. Drehkos schaffen nur ein Verhältnis von 1:10, aber wenn die Induktivität gleichzeitig auch im Verhältnis 1:10 (mit Hilfe eines Variometers) geändert wird, läßt sich die geforderte Frequenzvariation von 1:10 erreichen.

Siemens hat also ein Abstimmaggregat entwickelt, bei dem sowohl L als auch C gemeinsam variiert werden können.
(Später [1960 -1981] findet man bei Rohde&Schwarz einen Verstärker/Sender ASV, der nach dem gleichen Prinzip von 30 MHz bis 300 MHz in einem Bereich durchstimmbar ist.)

Die frühen Aggregate (1929) verwendeten noch ein (aufwändiges) Kugel-Variometer, bei dem die beiden gegen einander drehbaren Spulen Kugelform hatten und in einander lagen. Hatte die innere und die äußere Spule den gleichen Wicklungs-Sinn, war die Induktivität maximal. Wurde die innere "Kugel" um 1800 gedreht, ergab sich die minimale Induktivität. Der zugehörige Drehko war eine Ausführung in Pertinax und er ist unterhalb des Kugelvariometers angeordnet.

Ein Jahr später änderte sich die Form des Variometers und es wurde zum "Flachvariometer". Die Spulen des Flachvariometers sind nur eine Drahtstärke dick, weshalb sie vorne und hinten "gestützt" werden müssen. Damit man eine Änderung der Induktivität durch Drehen erreicht, mußten die Spulen "nierenförmig" sein. Sie bestehen dabei aus je zwei solchen Teilspulen, die um 1800 gegen einander angeordnet sind. Man kann diese Form so einigermaßen in dem Bild erkennen. 

Im nächsten Bild sieht man das Kugelvariometer und den Drehko (aus Kappelmayer).

Bei Radios mit 2 Kreisen wurden diese Kugelvariometer in kupferenen Bechern geschirmt. Beispiel 41W

Verglichen mit den Kugelvariometern waren die Scheibenvariometer im Grunde "Sparversionen", wie sie in späteren Geräten verbaut wurden.

Im Kappelmayer findet man ein Bild von einem Aggregat, das in einem Zweikreiser (35W) zum Einsatz kam.

Bei diesem Gerät ist das Zweifach-Aggregat unter der Schirmung (Mitte und rechts) verborgen, während beim nächsten Gerät diese Schirmung fehlt, so daß das Abstimm-Aggregat gut sichtbar ist.

Und so wird der 35W in einem Prospekt gezeigt.

Man sieht die "Riesenskala", die sogar noch die Möglichkeit bietet, (interessante) Sender mit Bleistift zu markieren. (Damals gab es mehrmals Frequenzwechsel der Sender.) Beachtenswert ist auch der Knopf links für die "Korrektion", was nichts anderes bedeutet, als daß man jeweils den Gleichlauf der beiden Abstimmaggregate nachjustieren mußte, um optimalen Empfang zu haben. (Absoluter Gleichlauf kam erst 1932 auf.)

Worin bestand nun ein Vorteil dieser LC-Abstimmung?

Hierzu gibt es im Lehmann eine Grafik und eine Erklärung.

Danach ist die Verstärkung über der Wellenlänge (bzw. reziprok der Frequenz) mit dieser kombinierten LC-Abstimmung gleichmäßiger (Kurve A) als bei reiner C-Abstimmung und Umschaltung des Wellenbereichs (Kurven B).  (Man beachte, daß die Mittelwelle von 200 m bis ca. 700 m geht: B links.) Die "Bequemlichkeit" der Abstimmung ermöglichte es auch, (Telegraphie-) Sender im Bereich zwischen Lang- und Mittelwelle zu empfangen, was dazu führte, daß über einen nicht unerheblichen Winkel der "Riesenskala" nichts "Vernünftiges" empfangbar war. (War das der Grund, daß der "Gag" mit der Riesenskala kein langes "Leben" hatte?)

Der einfachste Empfänger mit Riesenskala war der 22W, ein Einkreiser, den es auch noch in der Gleichtrom-Ausführung als 22G gab.

Dieses Gerät hat nur ein einzelnes, ungeschirmtes Abstimmaggregat, das beim nächsten Gerät gut zu sehen ist, insbesondere auch die Nierenform der Scheibenspulen.

Aber, wie aus dem nächsten Bild zu sehen ist, gab es offensichtlich später (vergleicht man das Bild "Flachvariometer" aus der Siemens-Veröffentlichung) konstruktive Änderungen bei den Flachvariometern, wie sie auch bei Kappelmaier dargestellt sind.

Es ist dieses "kleinste" Gerät mit einer Riesenskala, das als Pendant von Telefunken als T121 vertrieben wurde, allerdings hatte der T121 nur ein kleines Skalenfenster.

Zitat aus dem Post "Riesenskala bei Telefunken":

Folgende Typen von Siemens arbeiten nach diesem
Prinzip der gemeinsamen L- und C- Variation:
 
1929/30   Rfe 32 (später 40W/134) und Rfe 33 (später 40W/604)
1930/31   21W und 21G; 31W und 31G; 41W/134, 41W/604 und 41G - alle mit Riesenskala
1931/32   22W, 22bW und 22G; 32W35W und 35G - alle mit Riesenskala
 
  • Weiteres zur "Riesenskala" bitte dort nachlesen.
 
Die späteren Jahrgänge 32/33 hatten teilweise auch noch solche halbkreisförmigen Skalen. Diese sahen zwar (auf den ersten Blick) aus wie die Riesenskalen, aber es gab keine durchgehende Abstimmung mehr, sondern zwischen LW und MW wurde nun umgeschaltet. Ein typisches Beispiel dazu ist der Siemens 23W.  
 
MfG DR

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Die Spulenform der Fachspule 
09.Aug.16 17:34
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Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
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Dietmar Rudolph † 6.1.22

Die Spulenform der Flachspule ist aus den Bildern etwas schwer zu erkennen.

Bei diesem Bild erkennt man deren "Nieren"-Form, die auch als "Achter-Wicklung" bezeichnet wird. Besser zu erkennen ist die Form der hierbei verwendeten Flachspulen allerdings in einem Bild, das bei "Nesper, E.; Handbuch der Drahtlosen Telegraphie und Telephonie,  Bd. 2., Springer, 1921" zu finden ist.

Bei den Variometeren für die Riesenskala sind die Flachspulen entsprechend zu den beiden oben gezeigten realisiert.

(Nesper führt diese Spulen in einem anderen Zusammenhang an:
Durch die Spulenform und deren gegenseitige (Winkel-) Position zueinander wird erreicht, daß diese möglichst wenig auf einander koppeln. Das war wichtig, damit mit ungeschirmten Spulen ein damals üblicher Verstärker mit Trioden stabil zu betreiben war.)

Die Idee zu dieser Form des Variometers stammt von H. Rendahl (Telefunken).

Auch diese Figur findet man im "Nesper".

MfG DR

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