Die Spannungsfestigkeit von Röhren

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Die Spannungsfestigkeit von Röhren 
15.Mar.16 15:27
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Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
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Dietmar Rudolph † 6.1.22

Bei der Betrachtung wird vorausgesetzt, daß die Röhre gutes Vakuum hat.

In den Datenblättern der Röhren sind außer den Arbeitsspannungen auch die maximal zulässigen Spannungen angegeben.

Als Beispiel wird die PC88 betrachtet.

Als Grenzwert für die zulässige Anodenspannung sind hier Ua = 175V im Betrieb und Ua = 550V kalt angegeben.

Das System der PC88 ist links im Schnittbild dargestellt im Vergleich zur PC86 rechts.

Die Gitterstege der PC88 sind 1mm im Durchmesser. Daraus läßt sich abschätzen, daß der Abstand zum Gitter nur Bruchteile eines Millimeters beträgt.

Aber offensichtlich ist dieser geringe Abstand zwischen Anode und Gitter völlig ausreichend um im kalten Zustand 550 Volt zu widerstehen. Der Grenzwert von 175 V bei geheizter Kathode ist augenscheinlich durch die (thermische) Belastbarkeit der Anode gegeben, denn 160V*12,5mA = 2W als Dauerbelastbarkeit.

Woher kommt der Grenzwert von 550V im kalten Zustand? Es gibt folgende Möglichkeiten:

  • Spannungsfestigkeit im Röhrensockel
  • Spannungs-Überschläge zwischen Gitter und Anode

Feld-Emission

Es ist bekannt, daß bei entsprechend hoher Feldstärke im Vakuum die "Feld-Emission" auftritt. Hierbei werden bereits aus der kalten Kathode Elektronen ausgelöst und bilden einen "Feldemissions-Strom". Man findet hierzu Informationen im Ardenne und im Knoll-Eichmeier.

Aus dieser Grafik kann man entnehmen, daß z.B für Stromdichten von 1μA/cm2 bei einer Barium-Kathode Feldstärken von fast 10 MV/cm erforderlich werden. Schätzt man den Abstand zwischen Gitter und Anode zu 0,1mm, so ergibt sich für 550V eine Feldstärke von 55 kV/cm (5,5*104 V/cm). Der Feldemissionsstrom ist dann um viele Zehnerpotenzen kleiner und somit vernachlässigbar. 

Im Energiemodell sieht man die physikalische Begründung dafür, weshalb die Stromdichte-Kurven so steil ansteigen, nämlich im Tunnel-Effekt, der sich einstellt, wenn das äußere Feld den Potentialverlauf entsprechend "verbiegt".

Aus diesen Zusammenhängen kann man sehen, daß die maximal zulässige Anoden-Spannung für eine Röhre nicht durch "Überschläge" begrenzt ist, die vom Feldemissionsstrom abhängen.

Als weiteres Beispiel sei auf die PL36 als Horizontal-Endstufe in TV Geräten verwiesen, wo z.B. eine Anoden-Spitzenspannung von 7kV bei einer Gitterspitzenspannung von -1,5kV zulässig ist, während bei den Meßwerten nur 100V für die Anodenspannung angenommen ist.

Die Sorge vor einem interenen Spannungs-Überschlag in einer Röhre ist offensichtlich unbegründet. Überschläge treten allerdings ggf. durch "Spratzen" auf, wenn sich Teile der Kathodenschicht ablösen, aber dieser Effekt entsteht, wenn bereits ein großer Anodenstrom fließt, bevor die Kathode ihre Arbeitstemperatur erreicht hat. Ansonsten wird ein Spannungs-Überschlag in aller Regel außerhalb der Röhre stattfinden.

Außerhalb der Röhre gibt es Vorschriften darüber, wie groß Mindestabstände (z.B. bei gedruckten Schaltungen) sein müssen, damit sich keine "Kriechstrecken" bilden können, die sich zu Kurzschluß-Brücken entwickeln könnten. Diese Mindestabstände sind nicht nur von der angelegten Spannung und dem Material abhängig, sondern auch noch davon, wie hoch die Verschmutzung ist, die dort (z.B. durch Staub) entsteht.

Aus der Tabelle entnimmt man, daß bei mittlerem Verschmutzungsgrad z.B. für 250V hier Abstände ausreichend sind, wie sie auch in älteren Rundfunk-Röhren auftreten. Das ist als weiterer Hinweis darauf zu verstehen, daß ein Spannungsüberschlag in einer (evakuierten) Röhre bei "normalen" Spannungen nicht vorkommt. Wenn ein Spannungs-Überschlag entsteht, dann außerhalb der Röhre in deren Sockel, in der Fassung bzw. allgemein gesprochen in der "Verdrahtung".

MfG DR

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