STERN-RADIO-ROCHLITZ

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STERN-RADIO-ROCHLITZ 
13.Jun.06 09:48
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Mario Spitzer (D)
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STERN-RADIO-ROCHLITZ  Entwicklungen und Perspektiven

via OCR aus Radio und Fernsehen 1959


In dem alten Städtchen Rochlitz mit seinen gotischen Kirchen und seinem Renaissanceschloß, in den letzten Ausläufern des Erzgebirges gelegen, schließt um 9 Uhr abends zum Schrecken des Ankömmlings aus Berlin das Hotel, dafür wird dieser um 5 Uhr früh durch ein Leben auf dem Marktplatz geweckt, von dem sich der "Alex" um diese frühe Zeit eine Scheibe abschneiden könnte! Rochlitz ist ein typisches deutsches Landstädtchen, in dem die Bauern der umliegenden Dörfer ihre Produkte zu Markt bringen und Industriewaren einkaufen und in dem eins der wichtigsten Werke der Rundfunkgeräteindustrie unserer Republik steht. "Juwel", "Stradivari", "Stern 1" und vorher "Paganini" und "Beethoven".

 

Diese Geräte haben den Namen "Stern-Radio Rochlitz" zu einem Begriff gemacht. Sucht man heute das Werk mit seinen rund 1500 Belegschaftsmitgliedern, mit seinen neuen Hallen und seinem modernen Bandtransport auf, fragt man sich unwillkürlich: wie hat das hier 1945 ausgesehen, wie hat es hier angefangen ?

 

Der heutige Stern-Radio Rochlitz ist aus einem Teilbetrieb der früheren Firma Graetz AG, Berlin, der Anfang 1944 nach Lunzenau/ Mulde verlagert wurde, hervorgegangen. Gleich nachdem der Ort Lunzenau durch die amerikanischen Truppen besetzt wurde, fanden sich etwa 182 Personen im Betrieb zusammen, die entschlossen waren, mit den vorhandenen Maschinen sowie den aus der Kriegsfertigung übrig gebliebenen Materialien eine neue Friedensfertigung aufzubauen. Da keine Produktionsunterlagen, Werkzeuge oder Vorrichtungen vorhanden waren und man nicht kostbares Material für überflüssige Artikel verschwenden wollte, wurden zunächst in aller Eile Konstruktionen fertig gestellt, für welche die Möglichkeit bestand, aus den vorhandenen Lagerbeständen eine Fertigung aufzuziehen. So wurden Tauchsieder, Wärmeplatten, Heizkissen und - Feuerzeuge hergestellt. Die damalige Belegschaft verrichtete etwa acht Wochen lang ihre Arbeit, obwohl die Konten für diesen Betriebsteil zunächst gesperrt waren. Man muss es den Arbeitern hoch anrechnen, dass sie nicht vor den Schwierigkeiten kapitulierten - ihre Arbeit aufnahmen, ohne zu wissen, wann der erste Lohn gezahlt werden konnte.

 

Unter Leitung des damaligen Direktors Rudolf Vogt und des Chefkonstrukteurs Dr. Frühauf, heute Nationalpreisträger und Professor an der TH Dresden, wurde im Kollektiv der Techniker und Ingenieure der erste Nachkriegsempfänger "L 56 W" entwickelt. Schon Ende Juni 1945 konnte mit der serienmäßigen Fertigung begonnen werden, wobei man die Röhre RV 12 P 2000 verwendete. Die gefertigten Geräte wurden später von den zuständigen Stellen der Sowjet-Armee geprüft und für so gut befunden, dass der Betrieb, wohl als einer der ersten, noch im Jahre 1945 zu Reparationslieferungen herangezogen wurde. So wurde der Grundstein für die nachfolgende Entwicklung des Rundfunkgerätebaues gelegt.

 

Zu der Sorge, eine neue Friedensfertigung aufzubauen, kam eine zweite, eine eigene Fabrikationsstätte zu schaffen. Die größte Unterstützung gaben die sowjetischen Wirtschaftsoffiziere beim

 

Finden einer neuen Produktionsstätte in dem 20 km entfernten Rochlitz. Eine früher der Kriegsfertigung dienende Halle der Mechanik GmbH wurde mietweise übernommen. Im Frühjahr 1946 erfolgte dann der Umzug mit einer Belegschaftsstärke von 268.

   


Immer wieder wurde von den Besitzern der Firma Graetz AG der Versuch unternommen, Einfluss auf den Betrieb zu bekommen und sogar Vermögensteile abzuziehen. Durch den Volksentscheid am 30. Juni 1946 in Sachsen wurde das Werk in die Hände des Volkes gelegt. Damit hatte der Betrieb endlich eine feste Basis. Parallel zur laufenden Fertigung der ersten Konstruktion wurde sofort die Herstellung eines neuen Empfängers vorgenommen. Es war wohl der erste dem technischen Stand der Vorkriegszeit entsprechende 6-Kreis-Super, der in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone nach Kriegsende gefertigt wurde. Der Betrieb, der bis Ende 1946 immer noch unter dem alten Namen Graetz AG bzw. Graetz Radio lief, hatte sich nunmehr zu einer leistungsfähigen anerkannten Rundfunkfabrik entwickelt, so dass man sich mit der Frage beschäftigte, die Fabrikate unter einem neuen Namen auf den Markt zu bringen.

 

Am 10. Mai 1947 wurde der Betrieb auf Vorschlag seiner Werktätigen in Stern-Radio Rochlitz umbenannt.

Der weitere Ausbau in Rochlitz und die Auflage größerer Serien ermöglichten es, die Belegschaft von rund 350 Beschäftigen im Jahre 1947 auf über 800 zu Beginn des ersten Fünfjahrplanes im Jahre 1951 zu erhöhen. Vorher war der Zweijahrplan der Jahre 1949/1950 mit 124% erfüllt worden. Im Zuge der Erweiterung der Produktion, vor allem zur Zusammenstellung von Baueinheiten und Montage von Einzelteilen, wurde die Errichtung eines Zweigwerkes in Geringswalde erforderlich. Die ständige Qualitätsverbesserung und die zahlreichen Entwicklungen neuer erfolgreicher Gerätetypen führten dazu, dass hohe Abschlüsse mit dem Ausland getätigt werden konnten, so dass der Bedarf des Binnenmarktes seinerzeit kaum gedeckt wurde. Darum musste im Jahre 1955 ein zweiter RFT-Betrieb zur Produktion der "Paganini"-Geräte hinzugezogen werden.

 

Mit den Empfängern "Juwel" und "Beethoven" hatte die Entwicklung eine gewisse, der derzeitigen Technik entsprechende Vollkommenheit erreicht. In den folgenden Jahren wurden dann die Geräte ,,Juwel 2", "Beethoven 2", "Stradivari 2" und "Stern 1" entwickelt und gefertigt.

 

Das Ansteigen der Produktion machte es erforderlich, innerhalb des Werkgeländes eine neue Produktionsstätte zu errichten. So wurde im Jahre 1957 mit dem Bau der neuen Halle begonnen, die nach modernen technologischen Gesichtspunkten eingerichtet ist. In dieser Halle befinden sich die Bänder für die Geräte "Stradivari", "Juwel" sowie "Stern 1". Diese Transportbänder sind besonders beachtenswert. Sie durchlaufen in einem Zuge von der Chassismontage über Prüffeld, Gehäusemontage, Endkontrolle, Poliererei bis zum Fertiglager die neue Werkhalle.

 

Zwischen den einzelnen Abteilungen musste man, um dem Gefahrenschutz zu entsprechen, Bandunterbrechungen einführen. Teilweise löste man dieses Problem, indem man das Band als "Transportbrücke" ausführte.




Große Aufmerksamkeit gilt seitens des Betriebes der Ausbildung von Nachwuchskräften. Bereits 1947 begann in einer Lehrecke die Ausbildung von Werkzeugmachern.

 

Ein Jahr später wurden die ersten Mechanikerlehrlinge eingestellt, die in der Betriebsberufsschule ihren fachtheoretischen und allgemein bildenden Unterricht erhielten. Diese wurde allerdings 1953 wegen Raummangel wieder aufgelöst. Die Entwicklung des Werkes bedingte aber eine größere Anzahl von Nachwuchskräften. So wurde 1949 eine frühere Reithalle zur Lehrwerkstatt ausgebaut. Im Laufe der nächsten Jahre entstanden hier vorbildlich eingerichtete Kabinette für die praktische Berufsausbildung. Von Jahr zu Jahr wurden mehr Jugendliche in den Lehrprozess überführt. Fortschrittliche und pädagogisch erfahrene Menschen stehen zur Verfügung, um den Erfolg der Ausbildung zu sichern.

 

Viel Mühe kostete auch der Aufbau und die Inbetriebnahme der ersten Küche. Unter der Leitung von Frau Tamm, heute Leiterin des Betriebsarchivs, entstanden bereits im Frühjahr 1947 die ersten Anfänge. In der Küche konnte, als dann der Befehl 234 der SMA vom Oktober 1947 herauskam, für die etwa 350 Mann starke Belegschaft ein der damaligen Zeit entsprechendes Essen bereitet werden. Bereits 1956 war die Küche soweit erweitert, dass rund 1000 Essen täglich ausgegeben werden konnten. Heute sind es 1200 Essen täglich bei einem Preis von -,60 DM. Wie wir uns selbst überzeugen konnten, gibt es ein ausreichendes, schmackhaftes und abwechslungsreiches Essen.

 

Nicht vergessen darf man die vorbildliche Betreuung der Kinder der Werkangehörigen. Im Jahre 1950 wurden die ersten bescheidenen Anfänge zur Gründung eines Kindergartens gemacht. Etwa 25 Kinder wurden hier untergebracht. Heute sind es bereits 170, wovon sich im Hort 85 befinden. Die Schulpflichtigen werden nachmittags in den entsprechenden Gruppenräumen zusammengefasst und bei den Schularbeiten beaufsichtigt. Neben den freundlichen Aufenthaltsräumen gibt es außerdem zwei Duschräume.

 

Daneben gibt es eine Betriebssanitätsstelle, die etwa seit dem Bestehen des Betriebes in Rochlitz existiert. Zur Zeit befinden sich dort ständig zwei Schwestern, die außer den täglichen Arztsprechstunden die Werkangehörigen betreuen. So finden u. a. einmal wöchentlich Reihenuntersuchungen sowie Betriebsbegehungen statt. Obwohl die Schwestern lediglich Erste Hilfe zu leisten hätten, führen sie, um dem Betrieb Arbeitsausfälle zu ersparen, alle Arten von Bestrahlungen durch und machen daneben auch, falls notwendig, die erforderlichen Blutuntersuchungen usw.

 

Auch in Rochlitz gibt es ein ernsthaftes Wohnraumproblem. Aus diesem Grunde erfolgte im Jahre 1955 auf Anregung einiger Kollegen und mit tatkräftiger Unterstützung des Betriebes die Gründung einer Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft. Sie steht unter der Rechtsträgerschaft des Betriebes und führt den Namen "Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft Stern-Radio Rochlitz".

 

Die Genossenschaft nahm sofort mit großer Intensität ihre Arbeit auf und baute bis Juni 1959 mehrere große Wohnblocks unweit des Bahnhofs Rochlitz auf. Bisher konnten 69 Wohnungen verschiedener Größenordnungen davon 2/3 von Betriebsangehörigen, bezogen.

 

Reparaturplatz am Band Stern 1. Im Werk werden chinesische Studenten der TH Dresden, die hier ihr Praktikum durchführen, mit allen vorkommenden Arbeiten vertraut gemacht.

Zur Endkontrolle werden die Geräte in entsprechend eingerichteten Kabinen nochmals auf ihre Funktions-fähigkeit überprüft.
 

Unterweisung der Lehrlinge des zweiten Lehrjahres durch Meister Guilke. Anfertigen eines 50-W-Verstärkers.
 



 - wird fortgesetzt......


Mario Spitzer via OCR für

 

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Ergänzung Umbenennung in Stern-Radio 
30.Sep.12 10:09
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Uwe Ronneberger (D)
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Uwe Ronneberger

Meldungen aus Elektro- und Radiowirtschaft (Funktechnik Nr.17/1947)

Sowjetische Zone

Stern-Radio
Die Firma Graetz AG, Abt.Rochlitz, landeseigener Betrieb, wurde anläßlich des zweijährigen Bestehens im Rahmen einer Betriebsfeier in Anwesenheit des Herrn Wirtschaftsminister Selbmann in Stern-Radio umbenannt. Der Firma wurde der Betrieb der Mechanik G.m.b.H.Rochlitz, der ebenfalls landeseigen geworden ist, einschließlich der Betriebsgebäude und dem dazugehörigen Gelände übergeben.

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