Ersatz irreparabler Wellenschalter durch Diodenmatrix

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Ersatz irreparabler Wellenschalter durch Diodenmatrix 
21.Nov.20 11:32
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Ralph Oppelt † 3.4.24 (D)
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Ralph Oppelt † 3.4.24

Die meisten alten Radiogeräte kann man, elektrisch gesehen, voll sanieren. Doch bei der Mechanik stößt man oft an die Grenzen. Freilich ist z.B. ein gerissenes Skalenseil mit etwas Geduld ersetzbar, doch es gibt auch hartnäckige Fälle, z.B. zerbröselte Zahnräder (Stichwort „Zinkpest“), im Inneren völlig unzugängliche aber ausgeleierte und oxidierte Kontaktsätze usw. Nun gibt es drei Alternativen:

  1. Das Gerät ist eben nicht mehr oder zumindest nicht mehr zuverlässig spielbar
  2. Man investiert immens viel Zeit und Geld für eine möglichst originalgetreue Restauration
  3. Man stellt unter Verzicht auf Originaltreue mit vertretbarem Aufwand die Funktionalität wieder her

Gerade der letzte Punkt bietet sich bei Radiogeräten an, die ohnehin schon viel gelitten haben, da frühere „Meisterreparateure“ irreversible Schäden hinterließen. Doch wäre man schon froh, wenn sie wieder wenigstens ohne Wackelkontakt (v.a. nach Bereichswechsel) spielen würden. Ich hatte neulich so einen Fall in Reparatur, das Flaggschiff 11W79 von Blaupunkt. Es fehlte der Motor für die ferngesteuerte Abstimmung, ein Lautsprecher war nicht mehr original, es war kreuz und quer drin herum gelötet worden, Teile der schwenkbaren Skalenmechanik fehlten – kurzum: Man könnte das Gerät kaum mehr verschlimmern. Doch der gebrochene Lagerbock des Wellenschalters, die Kegelzahnräder mit Zahnausfall usw. ermöglichten trotz elektrischer Totalsanierung keinen zuverlässigen Empfang mehr. Somit entschloss ich mich, die Wellenschalterkontakte (alles 1 x um) durch Mikrorelais zu ersetzen, welche über eine Diodenmatrix adressiert werden. Als Relais eignet sich z.B. die Type FTR-B4CA hervorragend. Es hat nominell 4,5 V Spulenspannung (31 mA), ist trotz 2 x UM-Kontaktsatz nur 5,7 mm breit, 9 mm hoch und 10,6 mm lang und kann bei DC 220 V und bei AC 250 V schalten. Wegen der sehr geringen Breite kann man, wie später noch im Bild zu sehen, die Relais meist immer direkt an die jeweilige Schaltzunge setzen, so dass man nur sehr kurze Verdrahtungswege hat, was HF-technisch günstig ist. Auch die anderen Relaisdaten sollten in den allermeisten Fällen passen und selbst wenn bei einer Bereichswahl z.B. 8 Relais gleichzeitig anziehen müssten – die dann erforderlichen 250 mA sollten noch aus einem vorhandenen 4 V oder 6,3 V Heizkreis nach Gleichrichtung zu holen sein. Andernfalls (z.B. auch bei U-Röhrenradios) muss man eben noch einen Mini-Netztrafo spendieren. Das sollte die Hobbykasse noch hergeben, denn die Relais kosten tatsächlich nur wenig mehr als 1 € pro Stück! Als Bedienorgan genügt ein einfacher 1 x W-Drehschalter, wobei W die Anzahl der Wellenbereiche (ggfs. inklusive Phono-Eingang) ist. Das folgende Bild zeigt als Beispiel die Kontaktmatrix für den 11W79, entnommen aus dem von Bernhard Nagel hochgeladenen Schaltplan:

Bild 1: Wellenschalter-Kontaktmatrix des Blaupunkt 11W79 (weiß = Arbeitskontakt). Zu „Mittelstellung X“ vgl. meinen anderen Forumsbeiträge zum 11W79

Man erkennt folgendes (römische Zahlen hier in übliche Schreibweise umgesetzt):

  1. Die Stellungen 1, 6, 13 und 16 haben ein identisches Muster. Somit kann man diese Relais spulenseitig parallel schalten.
  2. Bei o.g. 1, 6, 13 und 16 aber auch bei 2, 12, 15 und 17 wird innerhalb der 4 Bereiche immer nur ein Kontakt geschlossen. Somit kann in der Diodenmatrix an diesen Stellen die Diode entfallen und durch eine Drahtbrücke ersetzt werden.

Bild 2 zeigt nun, wie man das umsetzen kann. Alle zu sehenden Leuchtdioden dienen bei der praktischen Realisierung nur der leichteren Kontrolle, sie sind nicht zwingend erforderlich. Man sieht aber damit sofort welches Relais bestromt und welcher Wellenbereich angewählt ist. Da bei dem 11W79 auch die per Drehscheibe signalisierte Wellenbereichsanzeige defekt war, habe ich die vier LEDs gleich hinter die Skalenscheibe als Anzeige gesetzt. Wer möchte, kann auch die Diodenmatrix mit LEDs aufbauen und die o.g. eingesparten Dioden nicht einsparen: Dann muss sich ein Leuchtmuster wie in Bild 1 ergeben, d.h. wo ein weißer Kreis ist leuchtet die LED.

Bild 2: Ersatz eines defekten Wellenschalters mit Diodenmatrix und Relais am Beispiel des 11W79

Beim 11W79 ist der Wellenschalter räumlich in drei Abschnitte unterteilt: 5 Kontakte für den Vorkreis, 5 Kontakte für den Zwischenkreis und 7 Kontakte für den Oszillatorkreis und Phono. Es empfiehlt sich daher drei Untermatrizen der Größe 4 x 5, 4 x 5 und 4 x 7 anzufertigen, so dass man auch die Verdrahtung zu den Relaisspulen recht kompakt ausführen kann. Im folgenden Bild 3 ist so eine 4 x 5 Untermatrix gezeigt. Es gibt fertige Lochrasterplatten mit Cu-Streifenmuster zu kaufen, welche für diesen Zweck bestens geeignet sind: Man ordnet das Streifenmuster zweier solcher Plattenzuschnitte orthogonal zueinander an und packt die Dioden hochkant dazwischen. Aber aufgepasst: Eine einmal falsch gesetzte oder vergessene Diode kann man nicht mehr so leicht korrigieren! Dann am besten alles neu machen, die Kosten von 1 Cent/Diode sollten verschmerzbar sein.

Bild 3: Eine 4 x 5 Untermatrix mit zwischen den Platten hochkant angeordneten Dioden 1N4148 (die LEDs sind optional zur Bestromungsanzeige)

Das abschließende Bild 4 zeigt nun das Endergebnis im 11W79: Die drei Untermatrizen samt Relais sind direkt vor Ort angebracht. Man erkennt die vertikal verlaufenden Cu-Streifen der oberen braunen Lochrasterplatten. Die gemeinsame untere braune Platte hat demgemäß auf der Unterseite horizontal verlaufende Leiterstreifen. Die noch tiefer liegende Lochrasterplatte dient nur zu mechanischen Halterung. An die Zungen der Wellenschalterkontakte ist ein grüner wire-wrap-Draht geführt, welcher an die Wurzel des Umschaltkontaktes des entsprechenden Relais geht. Lötstelle und Kontaktzunge sind mit Schrumpfschlauch überzogen, damit die undefiniert liegende Zunge keine unerwünschten Kontakte bildet. Da die Relais 2 x UM können aber nur 1 x UM benötigt wird, habe ich die beiden Umschaltkontakte aus Redundanzgründen parallel geschaltet. Schaltkapazitäten spielen hier kaum eine Rolle. Wie man sieht konnte die ganze Verdrahtung sehr kompakt gehalten werden.

Bild 4: Der defekte Wellenschalter ist nun mit Diodenmatrizen und Relaisbänken repariert

Zugegeben: Ein bisschen Aufwand ist es schon. Aber der anfängliche mechanische Reparaturversuch des Wellenschalters brachte nicht den gewünschten Erfolg. Immer wieder gab es Ausfälle, bei Bereichswechsel musste man ewig hin und her wackeln bis vielleicht alle Kontakte endlich mal geschlossen waren – oder auch nicht... Und jetzt? Am 1 x 4 Drehschalter gedreht und der neue Wellenbereich ist sofort ohne Wackler, ohne Knistern oder Kratzen angewählt. Das ist doch eine tolle Belohnung für die Mühe!

 

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