Karlsbad: Mittelwellensender Altrohlau

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Karlsbad: Mittelwellensender Altrohlau 
25.Jul.21 15:31
1862

Wolfgang Lill (D)
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Wolfgang Lill

Er ist noch in Betrieb, der Mittelwellensender auf 954 kHz. Sein Versorgungsgebiet mit dem Programm "Dvojka" des tschechischen Rundfunks Prag umfasst das Westböhmische  Areal, aber er kann auch in Sachsen und in Oberfranken noch gut gehört werden.

Er sendet auf Gleichwelle mit Dobrochov (der Mittelpunkt Mährens) und České Budějovice. Auch hier soll am 31.12.2021 der Programmbetrieb eingestellt werden. 

Ich war am 23.07.21 zu Besuch in dem Ortsteil "Alt Rohlau" und fand mit freundlicher Einweisung durch die Ortspolizei den Standort des Senders sofort .

Der Standort befindet sich an der Svobodova Nr. 536.  Bild google earth                                                                          Eigentlich wollte ich mal eine Drohne einsetzen, aber es gibt hier ein Verbot. Ein solches Schild habe ich nun erstmalig gesehen, es verbietet auch im Umkreis von 100 m von der Einzäunung das fliegen solcher Drohnen. Also Vorsicht, zumal das Objekt auch videoüberwacht ist. 

Ich habe deshalb die Einzelobjekte auf dem 'google' Bild gekennzeichnet.

1 Hauptsendemast 107 m hoch                                                                                                                            2 Reservesendemast ca 40 m hoch                                                                                                                     3 ehemaliger Standort eines 60 m hohen Mastes                                                                                         4 Gebäudekomplex technische Anlagen und Unterkunftsräume

5 ehemaliges Kontroll ( Pförtner-) gebäude links im Bild. 6   Mehrfamilienhaus, ehemals gebaut für Mitarbeiter, heute ausgegliedert ( kein Foto).

7   Dieselhaus / Notstromaggregat

 Ich erfuhr vor Ort von einem älteren Kollegen, daß zeitweilig die gesamte Sendeleistung von 2 SRV 30 (hier ein Prospektbild von Tesla Abmessungen Länge 4800, Tiefe 3500 mm und Höhe 2200 mm )

sowie von 1 SRV 7,

 

also zusammen 67 kW, zusammengeschaltet werden konnte.

Dann sendete aus München ab 1.Mai 1951 der Sender  "Radio FREIES EUROPA"  in tschechischer Sprache. Seitens der Tschechoslowakei wurde das  Störsenderprojekt „Akce R-405“ gestartet und so dem Münchener Sender zumindestens im Großraum Karlsbad der garaus gemacht  bzw. dann später nur noch bei bestimmten Nachrichtensendungen. 

       "Die erste unabhängige Nachrichtensendung aus Karlovy Vary wurde  Ende 1957, ausgestrahlt, aus dem provisorischen Studio  in Karlovy Vary auf Mittelwelle 1520 kHz"  

1960 – Mit der Verfassungsänderung wird der Staatsname umgeändert in CSSR und die Zahl der Bezirke reduziert.

Der Bezirks Karlsbad und der Bezirk Pilsen werden zusammengelegt zum Westböhmischen Bezirk mit der Hauptstadt Pilsen.

Das Studio in Karlsbad verliert seine Eigenständigkeit und wird zum Außenstudio von Pilsen. Es liefert den westböhmischen Regionalsendungen aus Pilsen nur noch zu oder eben den Zentralprogrammen aus Prag.

Aus dem Buch „Z antény rozhlasu a televize“ lesen wir Die Station Pilsen

sendet auf der Welle 314,7 m – 953 kc/s wöchentlich ungefähr 990 Min. Bezirkssendungen (Regionalsendungen für den eigenen Bezirk – Anmerkung). Sie widmet sich vor allem den Betrieben der Schwerindustrie, den westböhmischen Braunkohlegruben und den Problemen der Grenzgebiete im Pilsner und Karlsbader Bezirk, hier vorrangig der Besiedlung des Grenzlandes und der typischen ortsansässigen Industrie. Für das zentrale Programm arbeiten die Musikredaktion, die Literaturredaktion und die Jugendredaktion. Die Station hat ein 40köpfiges Orchester und arbeitet extern mit dem Volkschor „Böhmisches Lied“ zusammen. Der Sender Karlsbad sendet täglich auf 197 m – 1520 kc/s die Bezirkssendungen aus Pilsen. Ende des Jahres 1957 hat man begonnen aus einem eigenen provisorischen Studio Bezirkssendungen für Karlsbad auszustrahlen.

Offenbar wurde der Sender um den 15.März 1950 eingeschaltet. Denn da ist der Kopenhagener Wellenplan in Kraft getreten…

In den Zeiten seines größten Ruhms wurde auf drei Frequenzen über drei Masten gesendet.

Der höchste von ihnen, 107 Meter hoch, strahlt als einziger bis heute auf der Frequenz 954 kHz das Programm „CRo 2“ („Praha“ – heute „Dvojka“ – Anm.) mit einem TELEFUNKEN- Sender TRAM25.

Darüber hinaus ist gegenwärtig das Senderzentrum auch ein Richtfunkpunkt für Kunden in Karlsbad.         Ich begann die Einzäunung entlang zu laufen und hatte meinen PKW direkt in der Einfahrt zum Sender vor das verschlossene Tor gestellt. Plötzlich Hupkonzert! Ein Kollege, der den Sender betreut, wollte in das Grundstück einfahren. Also noch schnell ein Foto machen und dann ab nach Hause !

Hier sehen wir im Hintergrund den Reservesender und ganz links der Hauptmast.

Also schnell in das Auto gesetzt und raus aus der Einfahrt. Der Kollege winkt... ich fasse Mut und gehe einfach hinein. Nun weiß ich nicht, ob die Herren von der Polizei Bescheid gesagt hatten oder ob es purer Zufall war? Ich konnte nun durch das offene Tor spazieren und dem Kollegen die Hand reichen. Der Sender läuft automatisch und signalisiert Fehlermeldungen, der Kollege hat sicher viele Jahre bei der Radiokomunikace gearbeitet und betreut jetzt den Sender  noch.

Das typische Gebäude von so einem tschechischen Mittelwellensender im Baustil Ende der 40iger Jahre. und ich darf nun einen Blick hineinwerfen....

Der Kollege erzählt, die Sendertechnik befindet sich in diesem Gebäude. Als es noch die Röhrensender waren, wurde die Endstufe mit Wasser gekühlt. Das warme Wasser war damals aus-reichend zur Beheizung des Gebäudes und ein angrenzendes dreistöckiges Mehrfamilienhaus , wo (ehemalige) Mitarbeiter auch noch heute wohnen.

Das Original Dispatcherpult aus den 50iger Jahren ist noch vorhanden, hier gab es damals auch eine Direktleitung zur Státní bezpečnost (StB) Staatssicherheit .

Anfangs waren um das Gelände, was auf etwa 4 Km rundum eingezäunt ist, Wachhäuschen aufgebaut, wo Tag und Nacht Posten stationiert waren.    

Als der Rundfunkbetrieb aufgenommen wurde hatte der Sender pro Technikerschicht je 12 Stunden immer sechs Kollegen im Einsatz. Arbeit gab es damals genug, es stand auch eine Technikwerkstatt zur Verfügung. Dort waren neben einer Drehmaschine  auch Schweißgerät, Bohrmaschine , Handwerkzeuge und Elektromeßgeräte vorhanden. 

Am 06.Oktober 1986 wurde Abschied von der Röhrentechnik "gefeiert". Transistorsender ersetzten die alte Technik. Damit war auch die vorteilhafte Abwärmeheizung zu ersetzen. 

Aber schauen wir uns doch etwas näher im Sendergebäude um

Ein TRAM 25 ist in Betrieb , Reservesender ist ein TRAM 5

Mit der Umstellung auf Transistortechnik wurde pro Schicht nur noch 1 Techniker beschäftigt. Etwa 1997 erfolgte die Umstellung auf eine automatische Steuerung . Für den Hausmeister stand in diesem Gebäude eine 3 Zimmer Wohnung zur Verfügung.

Oben; MAM21 AM-Modulator , darunter Ton-Generator NFG21  unten MNZ21 Verstärker.

Draußen geht es weiter mit der Besichtigungstour.

Die Trafos sind im Sendergebäude. 

Es gibt hier auch einen geheimen Ort. Unter diesem Gebäude war ein betriebsbereiter Flakbunker mit allen erforderlichen Ausrüstungen eingerichtet. Leider wohl schon 1990 ausgeräumt, jetzt nur noch Keller.

Hier ist das Notstromdieselaggregat untergebracht.  Bei diesem Objekt sind, wie früher üblich, zwei Einspeisungen vorhanden. Also im Extremfall 3 Möglichkeiten der Stromversorgung. Diese eine Trafostation ist ca 1 Km entfernt. Übertragung mit Erdkabel.

Schauen wir von hier zum Senderstandort, so sind beide Masten gut zu erkennen.

Stolz ragt die 107 m hohe abgespannte Stahlrohrkonstruktion in den Himmel. 

Inzwischen ist auch die Rationalisierung weiter fortgeschritten. das Rasenmähen hat eine Herde Schafe übernommen ( wie sinnvoll ...hi ), bei meiner Wanderung um das Gelände sah ich auch eine größere Herde Ziegen und viele gut tragende Äpfelbäume. Eine richtige Idylle !

Der 107 m hohe Sendemast steht auf einem Keramikisolator, der Mast wirkt  wie eine vom Boden isolierte aktive Antenne. 

Ich empfehle bei dieser Gelegenheit nochmal den Artikel über AM- Sender in der Tschechoslowakei. einfach hier klicken  

Blick über das Betriebsgebäude.

Sendemast des Reservesenders SRV7 , 4O m hoch.

Ein schöner Tag geht zu Ende, vielleicht geschieht doch ein Wunder und die MW- Sender bleiben noch länger in Betrieb. Selbst bei Unwetter immer einsatzfähig, was man von anderen Medien nicht sagen kann....Vielen Dank an den Kollegen für die spontane kleine Führung. 

Anmerkung: 

Cesky rozhlas Studio Karlovy Vary Der Böhmische Rundfunk Studio Karlsbad sendet wieder , allerdings nicht mehr auf der Mittelwelle. Frau Matysová vom Studio KV schreibt mir dazu folgendes; 

"Die erste unabhängige Nachrichtensendung aus Karlovy Vary wurde am Mittwoch, 15. November 2007, ausgestrahlt, als das Redaktionsgebäude des Tschechischen Rundfunks Pilsen in Karlovy Vary feierlich eröffnet wurde. Die Sendefrequenz für Karlovy Vary beträgt 91,0 MHz."

 

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