Kurzwellenaktion im Protektorat Böhmen und Mähren.

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ID: 601553
Kurzwellenaktion im Protektorat Böhmen und Mähren. 
21.Dec.22 14:06
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Josef Jonasek (CZ)
Redakteur
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Eine umfangreiche, Weltweit einmalige und ziemlich Aufwendige Aktion der Nazis in der ehemaligen Tschechoslowakei (mit einem fragwürdigem Ergebnis).

Die Geschichte des tschechoslowakischen Rundfunks begann am 18. Mai 1923. Zum ersten Mal meldete sich der Sender der ersten Sendegesellschaft  Radiojournal Praha im Äther. Es war der erste Sender auf unserem Kontinent, der von diesem Datum an regelmäßig jeden Tag sendete.

Am 15. 3. 1939 wurde der Rest der ehemaligen Tschechoslowakei zum Protektorat Böhmen und Mähren erklärt. Wie im Deutschen Reich wurde sofort ein Hörverbot der ausländischen Sender verhängt. Man wollte von den Tschechen zuerst alle Rundfunkempfänger abnehmen, und in einigen Fällen kam es wirklich zu Beschlagnahmen. Weil aber damit die Wirkung der Rundfunk-Propaganda negativ beeinflusst würde, hat man darauf verzichtet.

Direkter Vertreter Hitlers und damit der eigentliche Machthaber im Reichsprotektorat war der Reichsprotektor.  Nach dem Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich am 28. Mai 1942, auf dessen Folgen er starb, setzte ein unglaublicher Terror gegen die tschechische Bevölkerung ein. Sehr streng wurde auch gegen das Abhören „feindlicher“ Nachrichtensender gekämpft. Erneut war die Abnahme der Geräte im Spiel, aber die Wichtigkeit der Propagandawirkung hat wieder gewonnen.  Auch auf deren (problematische) Plombierung wurde zuerst gedacht. Schließlich wurde der Erlass des Reichsprotektors vom 10. März 1943 (Verordnung des Reichsprotektors in Böhmen und Mähren über Kurzwellenempfangseinrichtungen) veröffentlicht.

Die Besitzer von Empfangsgeräten mit KW Bereich mussten diesen durch amtlich bestimmte Gewerbetreibende entfernen lassen. Rein Kurzwellen-Apparate mussten - gegen entsprechende Bezahlung - abgegeben werden, standortfeste Einrichtungen wurden von Spezialfachkräften behandelt. Der Umfang der Ämter und weiteren, von der Verordnung nicht betroffenen Personen (z. B. Geräte einiger Wehrmachtsangehörigen usw.), wurde gesondert veröffentlicht.

Anm.: In der Slowakei, die sich von der ehemaligen Tschechoslowakei getrennt hat, mussten KW nicht entfernt werden.

Die „Entwertung“ einzelner Geräte Typen wurde durch eine prompt erschienene Anleitung zur Entfernung des Kurzwellenteiles an Rundfunkempfangsgeräten erleichtert. (Siehe die Titelseite und eine Seite davon.) Natürlich deckt das Handbuch nicht die gesamte Palette der Empfänger der tschechischen Bevölkerung ab, insbesondere der importierten. Aber auch Apparate mit KW Bereich einiger (eher kleiner) heimischer Hersteller wurden nicht aufgeführt. Eigenherstellung eines Radios mit KW war natürlich weiterhin verboten, bei einer Rückmontage des KW Bereichs drohte die Todesstrafe (es gab mehrere Nachrichten von diesem Todesurteil). 

Dazu einige Fakten:  Die Entfernung war für die  Bürger kostenlos, sie mussten aber die Apparate selbst in die Werkstatt liefern; dazu wurden sie  von der Gendarmerie aufgefordert. Die Kommunen sollten Maßnahmen ergreifen, um die Sammelstellen der Geräte nicht zu überlasten. Der „Entferner“ erhielt 30 K/Apparat, beim Apparat ohne KW 10K (das sind 3 RM/1 RM bei damaligem Kurs. 1 Kilo Schweinefleisch kostete /1945/ beim Kauf mit Lebensmittelmarken 20 K, auf dem Schwarzmarkt aber 300 - 580 K). War der Sachverständige nicht ortsansässig, musste ihm die Gemeinde eine Unterkunft zur Verfügung stellen und Rechnungen/Fahrtkosten bezahlen.

Entfernungsformulare müssen  in 3 Kopien ausgefüllt werden (Eigentümer, Radiotechniker, Gemeindeverwaltung). Wöchentlich wird über den Fortgang der Aktion berichtet. Schwarzhörer, die während dieser Aktion sein Gerät anmelden, sind nicht strafbar! Auch wenn das Radio keine KW hatte, bekam man dafür entsprechende Bestätigung. (Siehe Bestätigung der Entfernung und Bestätigung, dass keine KW vorhanden sind.)

Hier noch weitere Details aus einem Bericht des Rundfunk-Intendanten Thürmer (Verwaltungs Rundschau 15.7. 1943). Ende der Aktion wird hier zwar schon gemeldet, in Wirklichkeit  wurden die letzten Geräte erst im November 1943 „unschädlich gemacht“)

Pro „Reparateur“ wurden 50 Geräte/Woche vorausgesetzt. Für jeden Bezirk wurde der fähigste Expert als Vertrauensperson ausgewählt, der in Prag ausgebildet wurde. Andere Fachkräfte wurden offiziell kaum geschult.

Es gab etwa 1 050 000 Empfänger (auf 7,4 mil. Einwohner im J. 1939) im Protektorat, über 200 Typen. Davon könnten etwa 350.000 Apparate in Praha, Brno und Ostrava „warten“, weil diese Städte von damals eingesetzten Störsendern „gut bedient“ waren. Es wurde erwartet, in einem Monat etwa 120.000 Empfänger zu behandeln, aber durch den Einsatz von insgesamt 1.036 Fachkräften zwischen dem 5. und 30. April gelang es, insgesamt 287.000  Geräte in 2.304 Gemeinden „reparieren“. Nach Prag mit 300 000 Empfängern wurden später etwa 160 Fachkräfte vom Land versetzt.

Um die Bevölkerung nicht zu verärgern, sollte die Aktion maximal 4 Monate dauern (dennoch kam es zu relativ vielen Verzögerungen, oft weil die Bürger trotz hoher Strafen die Apparate nur ungern „ausschlachten“ ließen, manchmal war auch der Transport des Empfängers recht schwierig). Ausfälle der Geräte – während des Transports, der Reinigung oder des Eingriffs selbst wurden um etwa 5 % erwartet, die Realität lag nur bei ca. 1%.

Die Fachzeitschrift Radioobchod/Rundfunkhandel (zweisprachig) fordert die Werkstätten auf, alle Wellenschalterpositionen zu überprüfen, da es angeblich vorgekommen ist, dass KW auch auf einige ursprünglich nicht Kurzwellenbandpositionen nachgerüstet wurden (eigentlich eine gute konspirative Idee).

Laut meinem 90-jährigen Informanten haben einige Mechaniker absichtlich und wissentlich nicht die, manchmal auch kompliziertere, Verfahren gemäß der Anleitung angewendet, sondern vielleicht nur eine Spule kurzgeschlossen. Bei einer Routinekontrolle funktionierten die KW wirklich nicht, aber die sachkundigeren Besitzer konnten bei Bedarf den Kurzschluss beseitigen, London/Moskau hören, und dann das Radio wieder „abwerten“.

Thürmer spricht auch von Problemen, weil auch nach dem vorgeschriebenen Eingriff einige alarmierte Bürger berichteten, dass mit einer guten Antenne der KW Empfang noch möglich sei! Sicherheitsdient befürchtet, dass die Ausbauanleitungen bei einigen /genannten/ Typen unzureichend sind. In einem Schreiben an Thürmer vom 17.09.1943 begründen dies die mit der Inspektion betrauten Techniker mit Konstruktionsabweichungen der Empfänger. Sie haben auch bewiesen, dass z. B. der Empfänger Iron Prince selbst im MW-Teil um die Wellenlänge 200 m auch starke KW-Signale empfangen kann, also ist es kein Fehler des Handbuchs. Sie stellten auch fest, dass ein Fachmann „aufgrund des Arbeitsaufwands und der schlechten Sichtbarkeit des KW-Teils" einen Fehler gemacht hat, und sprechen auch über die (natürlich strafbare) Wiedermontage der Spulen.

Die Tschechen verzichteten nur  ungern auf die Möglichkeit, KW zu hören, und präsentierten taktisch einen älteren Empfänger ohne KW, während sie einen anderen mit KW zu Hause versteckt hatten. Glücklicherweise wurde der Gerätetyp in der Konzessionsurkunde nicht erwähnt.

Es ist verständlich, dass die Tschechen, mit der Bestätigung der offiziellen Beseitigung der Kurzwellen in der Hand, einen anderen Weg suchten, an die verbotenen Informationen zu gelangen.

Erfahrene Amateure haben die Möglichkeit entdeckt, wie mit Hilfe einer einfachen Spule den KW-Empfang zu ermöglichen. Die Spulen ließen sich sehr leicht montieren und demontieren, so dass man auch bei einer plötzlichen Kontrolle  schnell handeln konnte. Dazu waren sie meistens sehr unauffällig (als Füllfeder, Netzstecker) ausgeführt und natürlich auch versteckt. Weil damit der Empfang der britischen Sender (mit den Reden von W. Churchill) möglich war, wurden  diese Spulen Churchillky (čerčilky) genannt. Dieses Empfangsverfahren wurde im vorigen Jahr von einem Kollegen mit Erfolg nachgeahmt. Wahrscheinlich ist aber keine originelle Spule bis heute erhalten geblieben.

In den Sammlungen findet man aber relativ häufig Empfänger mit den Kurzwellenteilen im Originalzustand. Wieso? Die ersten zwei Gründe dafür wurden schon erwähnt (Zweitgerät, die Zurückhaltung und manchmal auch gefährliche Faulheit der Bürger, besonders in abgelegenen Siedlungen, Empfänger zur ungewollten „Reparatur“ zu bringen, trotz der immer drohenden Kontrollen). Einige Empfänger verblieben in der Tschechoslowakei von jenen deutschen Organisationen/Personen, die eine Ausnahme von der Verordnung hatten. Andere wurden während des Rückzugs deutscher Truppen durch tschechisches Gebiet zurückgelassen oder erbeutet, ähnlich wie nach der Abschiebung der deutschen Bevölkerung nach dem Krieg, meistens aus den Sudetengebieten, wo die KW-Aktion nicht stattfand. Es existieren auch mehrere Typen, deren Produktion nach dem Krieg fortgesetzt wurde (vielleicht auch Geräte, die während des Krieges nicht komplettiert wurden), die dann also mit originellen KW verkauft wurden. Es sind natürlich nur „neue“ Typen.

Weiter verweise ich zum Beispiel auf die Erinnerung eines alten Radiomechanikers. Er hat mir gesagt, dass er von seinem deutschen Arbeitgeber, dem Besitzer der Reparaturwerkstatt, angewiesen wurde, die Kurzwellen aus den Geräten einiger prominenter Personen nicht zu entfernen.

Quellen: Dies ist ein gekürzter Auszug aus meinem Artikel in der Zeitschrift Radiojournal (Herausgeber Historický klub československý), Nr. 104 – 106/2021-22 (Rozhlas, radiopřijímače a rozhlasové koncese v Protektorátu Čechy a Morava – Rundfunk, Empfänger und Rundfunk-Konzessionen im Protektorat B. u M.), wo alle Quellen ausführlich angegeben sind. Die meisten Fakten in diesem Auszug stammen aus den Webseiten vom Nationalarchiv in Praha, wo man in dem Archiv des Staatsekretärs bei dem Reichsprotektor suchen kann.

 

Anlagen:

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Kurzwellenaktion im Protektorat Böhmen und Mähren. 
21.Dec.22 17:16
76 de 1373

Helmut Weigl (D)
Redakteur
Beiträge: 172

In meinem Besitz befindet sich ein Tschechisches Radio, bei welchem die Kurzwellenspule fehlte (ob weitere Teile fehlen habe ich nicht geprüft).

Link zum Modell

 

Nun weiß ich die Hintergründe. Vielen Dank Herr Jonasek für den informativen Beitrag.

 

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Kurzwellenaktion im Protektorat Böhmen und Mähren. 
22.Dec.22 06:59
193 de 1373

Wolfgang Lill (D)
Redakteur
Beiträge: 1178
Wolfgang Lill

Im Protektorat wurde das mit Androhung drastischer Strafen bis hin zur Todesstrafe knallhart durchgezogen.


 Die Tschechischen Regierungsbeamten mussten das machen, was die Deutschen befahlen. 

Interessant ist der Text einer Ansprache, die  der Tschechische Präsident Hacha schon nicht mehr selbst verlesen konnte, weil er schwer krank war. 

Die letzte Tyden Rozhlasu ( Rundfunk Woche ) erschien planmäßig am 5.Mai 1945 mit dem Titelbild des "bis zum letzten Atemzug gekämpften" Adolf Hitler ,

Die nächste Ausgabe ( übrigens derselbe Verlag) mit dem Konterfei von Dr. Benes und Stalins  erschien am 19.Mai 1945 und auch gleich mit den Möglichkeiten wie man Alliierte Sender empfangen kann.

 

Hier nochmal der Link

 

Das war natürlich nur ganz wenigen Bürgern möglich. Aber es gab nicht nur Werkstätten sondern auch Bestler welche die entfernten Teile wieder einsetzten oder die Kurzschluß- Schaltungen zurückbauten.

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Kurzwellenaktion im Protektorat Böhmen und Mähren. 
25.Dec.22 14:07
404 de 1373

Josef Jonasek (CZ)
Redakteur
Beiträge: 37

Weiter habe ich hier auch einen Ausschnitt der Skala eines Empfängers jener Zeit mit zwei „neuen“ Sendern hochgeladen. Der erste heißt Böhmen (Reichssender Böhmen in Mělník, ursprünglich der damals ziemlich „frischer“ tschechischer Sender Mělník,  Sendestart  im März 1938). 

Der zweite ist der Sender Donau (Europa Sender Donau in Dobrochov bei Prostějov). Dessen Bau begann noch der Čs. Rozhlas. Gleich ab März 1939 versuchten die Nazis, die Fertigstellung möglichst zu beschleunigen, selbst auf Kosten von Überstunden, zusätzlichen Kosten und offenbar auch Bestechungsgeldern, so dass die (deutschsprachigen) Sendungen schon im Mai 1940 beginnen könnten.  (mehr über diese Sender in deutscher Sprache können sie z. B. im Radiomuseum in den Beiträgen vom Kollegen Lill erfahren)

Diese Zwei Namen können uns oft bei der genaueren Datierung damaliger Empfänger helfen, oder wenigstens beweisen, ob die Skala Original ist oder nicht (später benutzte Nachdrücke mit den Nachkriegs-Sendern).

Ich füge auch eine Übersicht der Bestätigungen über die Zahlung der Radiogebühr aus der Zeit des Protektorats bei.

Anlagen:

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Kurzwellenaktion im Protektorat Böhmen und Mähren. 
28.Dec.22 11:40
553 de 1373

Josef Jonasek (CZ)
Redakteur
Beiträge: 37
Anzahl Danke: 2

Ich bekam eine Frage, wie kompliziert eigentlich die Entfernung und dann die Rückmontage des KW-Teils sein könnten. Bei meinem früheren „Beichten“ einiger Zeitzeugen habe ich leider danach nicht gefragt, jetzt sind schon auch die Zeitgenossen der Wiedermontage nach dem Krieg ziemlich alt und rar.

Ich habe also /wieder/ in die Broschüre geschaut, und noch drei neue Beispiele kopiert, siehe unten. Die KW-Entfernung musste sehr gründlich / dabei möglichst nicht leicht rückgängig machbar/ sein, ein Kurzschluss der Spulen war unzureichend, konkrete Spule musste komplett beseitigt (abgebrochen, herausgenommen) werden oder alle Windungen abgewickelt, durchgeschnitten und weggeworfen oder anders vernichtet werden. Man sieht, dass auch  die Lötstellen abgerissen (Ph 938) oder abgebohrt, Spulenenden in die Trommeln „nicht auffindbar“ gesteckt werden sollten.  Betroffen waren alle für den KW Empfang  notwendige Spulen, also in den Superhets auch die Oscillatorspulen. Natürlich gibt es Schaltungen, wo die Entfernung der KW Spule zum Verstimmen führt und diese muss bleiben. Alles sollte dabei nicht extra kompliziert sein (ein Radiomechaniker 50 Apparate/Woche!), und jedes Radio musste natürlich nach dem Eingriff einwandfrei auf MW und LW funktionieren. Man sieht, dass besonders bei einfachen Einkreis-Geräten die Entfernung /meistens/ einfach war, im den Superhets dagegen etwas schwieriger.

Die KW Rückmontage wurde also absichtlich erschwert, dass natürlich auch nach dem Krieg eine Komplikation war. Nach den Spuren in den Empfängern wurden die KW verschiedenartig montiert, und hie und da war die Arbeit auch sehr „unschön“ (wenn auch manchmal gut funktionierend). Oft wurden die KW aber gar nicht neu montiert (kompliziert und teuer), weil nach 1945 der KW Empfang nicht dringend notwendig, nach dem Putsch 1948 sogar nicht erwünscht war.

Anlagen:

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