'Philosophisches' zum RADIOMANN

ID: 19003
'Philosophisches' zum RADIOMANN 
09.Jan.04 14:56
16214

Paul Gantner (CH)
Beiträge: 11
Anzahl Danke: 23
Paul Gantner

Ein sehr guter Kenner der 'KOSMOS-Szene' äusserte folgende zwei interessanten Gedankengänge:

1. RADIOMANN ist auch ein Kind der Radio-Begeisterung im 20. Jahrhundert und - der jugendlichen 'Emanzipation':

 

Unabhängig von Schule und 'Umgebung' waren die 1920er Jahre natürlich die Radio-'Aufbruchsjahre'.  Franckh-Kosmos hatte diesem Aspekt ja bereits durch die eigenständige 'Radiokosmos'-Initiative Rechnung getragen. Es war daher unvermeidlich, dass die Reihe der 'grossen' Kästen im Jahre 1930 um 'RADIO' ergänzt wurde.

Die pädagogische Strömung und die oben erwähnten Fakten - im Radiomann ab 1934 zusammengeführt - legten dann den Grundstein für die Legende 'RADIOMANN'.

Im Gegensatz zu  allen  übrigen Kästen (Elektro, Mechanik, Chemie, Optik usw.) kommt beim Radio(mann) noch etwas Familienpsychologie hinzu:

Der Radiomann war bis in die 1950er Jahre natürlich auch ein Werkzeug kindlich/jugendlicher Emanzipation - konnte man damit doch unabhängig Radio hören!

Die Situation, dass in der Familie:

kein  Fernsehgerät und nur

ein Radio  

existierte, kennen wohl nur Menschen im Alter von über 45 Jahren noch aus eigener Erfahrung. Bis zum Ende der 1960er Jahre musste man für täglichen Schlager/Pop-Musik-Genuss SWF, AFN, DF 904 oder Radio Luxemburg einschalten - und Vater liebte es überhaupt nicht, wenn das Radio 'verstellt' wurde.

Was brachte der Radiomann da im eigenen  Zimmer - auch nachts(!) - an Freiheitsgraden!

Darüber hinaus konnte man selbst vom kleinsten Dorf aus die 'weite Welt' belauschen ("Ganz Europa spricht zu uns") - eine Erfahrung, die - dank Sat-TV und Internet - heute schon jedes Kleinkind macht.

Gerade aufgrund dieser Aspekte wird der Radiomann weit über die kleine Zielgruppe der Funkbastler hinaus gut verkauft worden sein. Doch liegt darin auch begründet, dass mit dem Aufkommen des 'Transistor'(-Radios) - das die o.g. Vorteile vereint mit leichterer Bedienung und Portabilität bietet - der Radiomann innerhalb eines Jahrzehnts - leider - in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist.

Unterstellt man die 'Notwendigkeit' des gerade skizzierten persönlichen Erfahrungshorizonts, muss ein 'Radiomann'-Liebhaber in der Regel älter als 45 Jahre sein (Funkamateure einmal ausgenommen).

Die Kästen dürften daher noch mindestens 30 Jahre lang beliebt sein; später wird es der Raritätsaspekt sein, der die Preise hochhält...

2. Die Reise des KOSMOS-Radiomann um 1957:

Vermutlich hat es bei Franckh/Kosmos ab 1957 einen 'Kampf' darum gegeben, wohin die Reise mit dem Radiomann gehen sollte. 

Immerhin kollidierten zwei Konzepte: 

  • W. Fröhlich durfte auf die über 20-jährige Erfolgsgeschichte seines Radiomanns und die über 35-jährige Geschichte von ELEKTRO hinweisen. Auch wenn das Konzept weiterhin stimmte, konnte es mit den stark veralteten 'Werkzeugen' (Holzgrundplatten, 'historische' Radioröhre und wenig nutzerfreundliche Klemmtechnik) nicht mehr weitergehen.
  • Heinz Richter besass mit "Radio & Elektronik" das modernere modulare Konzept. Dieser Kasten war jedoch wohl primär als Nachfolger von "RADIOTECHNIK" gedacht.

Vermutlich hat der damals fast 65-jährige W. Fröhlich seinen ganzen Einfluss geltend gemacht, um  s e i n e n  Radiomann alter Bauart zu "retten". Was Heinz Richter dazu gesagt hat, kann man sich denken - immerhin war der "Transistor" (als Radio) bereits im Handel. Es ist gut vorstellbar, wie sich bei Franckh-KOSMOS verschiedene 'Fraktionen' gestritten haben ("Das können wir doch dem alten Fröhlich nicht antun ! Der ist bei uns seit 1922 als Autor tätig !").

In dieser Phase hat dann wohl irgendwer entschieden, die Einführung eines modernen Layouts für die Deckel aller Experimentierkästen nicht mehr länger zu verzögern und den alten Holz-Wabenspulen-Röhren-Empfänger auf das neue Bild zu setzen - eine kostspielige Fehlentscheidung, weil sich die "Modernisierer" dann doch mit einem Kompromiss durchgesetzt haben (nicht zuletzt auch aus Gründen der Herabsetzung der Herstellungskosten):

  • Einführung von Plastik-Grundplatten mit neuen Klemmfedern unter Erhalt der sonstigen 'alten' Bauteile.
  • Modernisierung (Vereinfachung) der alten (aber filigranen) Wabenspulen.
  • Einführung des Transistors als zentrales aktives Element, das - im Gegensatz zur Röhre - dem Kasten immer beigelegt wurde. 
  • Ersatz der DM 300 Röhre durch die moderne EF 98.
  • Weglassen - wohl von 'aussen' leider aufgezwungen - von Summersender und von Röhrensender (Meilensteine in der alten Version).

Jetzt war guter Rat teuer, denn das Deckelbild passte nicht mehr! Bis ein entsprechend neues festgelegt und auf die Kartons gedruckt werden konnte, musste man ja (gleiche Situation wie 3 Jahre zuvor) lieferfähig bleiben und hat die roten 'Überkleber' auf den nun unpassenden Deckeln verwendet. 

Faktisch war die "Ära Fröhlich" um 1960 - kosmos-intern - beendet! Andere aus der zweiten Reihe übernahmen die Produktsteuerung. Man denke daran, dass die Zusatzkästen NF und HF von Ing. Peter Schöne stammen, der bei KOSMOS u.a. Optikus und auch den "Ausbildungslehrgang Radio und Fernsehen" betreut hat !

Damit muss die 12. Auflage von 1958 als letzter "echter" (Fröhlich-) Radiomann angesehen werden.

Die Erneuerung des Radiomann und die Entwicklung der Zusatzkästen NF und HF wurde offensichtlich von Ing. Peter Schöne übernommen, der bei KOSMOS u.a. Optikus und auch den "Ausbildungslehrgang Radio und Fernsehen" betreute.

Wer sich für die "Feinheiten" interessiert sollte die Angaben in den Copyright-Vermerken (auf der 2. Seite unterhalb der Vorstellung des Kasteninhaltes) sorgfältig lesen! Dort findet sich spätestens ab der 17. Auflage (1964) der Hinweis:

"Konstruktion: KOSMOS-Entwicklungslabor"

Insoweit beginnt mir der 13. Auflage 1960 ein neues von P. Schöne gestaltetes Kapitel der Radiomann-Geschichte, das etwas mehr als ein Jahrzehnt andauern und zugleich das letzte bleiben sollte.

Heinz Richter war offenbar klug genug, sich Ende der 1950er Jahre aus den Vorgängen herauszuhalten. Wilhelm Fröhlich war über 30 Jahre lang mit pädagogischer Begeisterung und dem Ansatz eines naturwissenschaftlichen Generalisten an seine vielen Projekte (Radio, Elektro, Chemie, Mechanik, Optik, Ackerbau, Luftfahrt usw.) herangegangen und hatte die Frühzeit der Radiotechnik (als es noch "Radiomechaniker" gab) miterlebt.

Heinz Richter verfolgte dagegen die professionelle Linie des ausgebildeten Fachspezialisten. In "Radiopraxis für Alle" (5. Auflage von 1958) wird der RADIOMANN nicht erwähnt, wohl aber für "Radio + Elektronik" Werbung gemacht.

Erst im Laufe der 1960er Jahre finden sich Stellungnahmen von H. Richter; in seinem in der Franckh'schen(!) Verlagshandlung erschienenen Buch Radiopraxis für Alle (5. Auflage 1967) wird der Radiomann mit ziemlich klaren Worten vorgestellt:

"Als Beispiel möchten wir ... den "Radiomann" ... anführen, der bereits viele Jahrzehnte auf dem Markt ist, jetzt aber in einer völlig modernisierten und der Neuzeit angepassten Form (nach Ing. P. Schöne) geliefert wird."

Die Qualität des Anleitungsheftes, das auch in den 1960er Jahren weiterhin die Texte von W. Fröhlich enthielt, kommentierte H. Richter so:

"Die in dem Anleitungsbuch enthaltenen Vergleiche (teilweise auf mechanischer Basis) sind einleuchtend und im allgemeinen sachlich recht einwandfrei ...".

Eine Annäherung der Produktlinien kann darin gesehen werden, dass Richter ab 1962 den Zusatzkasten "D" (Fernsteuerung und Elektronenröhre) - mit der EF98 ! - in das Programm aufnahm. In späteren Auflagen von "Radiopraxis für Alle" wird der Radiomann mit seinen Zusatzkästen nicht nur erwähnt, sondern z. B. auch das Gehäuse aus dem Zusatz NF verwendet, für das u. a. speziell angefertigte Grundplatten aus Aluminium von einem Drittanbieter verkauft wurden. um 1967 für die Radiomann-Reihe Werbung gemacht und auch das Radiomann-Gehäuse verwendet, für das speziell angefertigte Grundplatten aus Aluminium von einem Dritt-Anbieter verkauft wurden.

Zurück zu W. Fröhlich:

er hat sich 1964 im Alter von über 70 Jahren mit "Kinderlabor" und "Elektrofilius", die er seinen Kindern Cornelia und Rainer gewidmet hat, endgültig von der Bühne verabschiedet.  

Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit des 'Autors' mit einem fachkundigen Freund alter KOSMOS-Baukästen.

Ergänzungen nimmt der 'Autor' dankbar entgegen.

Weitere Beiträge zum Thema 'KOSMOS-Radiomann':

Zu den einzelnen Auflagen von 'KOSMOS-Radiomann': Artikel über die Zeit vor Radiomann (bis 1934), Beitrag für Radiomann von 1934 bis 1940 und für Radiomann von 1942 bis 1959.

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.