Röhrenbau und Empfängerentwicklung

ID: 806
Röhrenbau und Empfängerentwicklung 
23.Apr.03 20:30
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Michael Grzonka (D)
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Der folgende Bericht "Röhrenbau und Empfängerentwicklung", der von mir aus Gründen der Übersichtlichkeit in sechs Teile gegliedert worden ist, ist ein Auszug eines Artikels aus dem Buch "Fortschritte der Hochfrequenztechnik, Band 1" auf den Seiten 313 ff. Autor des dort abgedruckten Artikels "Die moderne Empfängertechnik" ist R. Moebes, Berlin-Tempelhof. Das Buch wurde 1941 in Leipzig vom Verlag "Akademische Verlagsgesellschaft Becker & Erler Kom-Ges." herausgegeben.

1 Rückblick / Allgemeines
"Die Fortschritte im Röhrenbau haben die Empfängerentwicklung maßgebend beeinflußt und waren zum großen Teil Voraussetzung für die Vervollkommnung der Geräte. Die Entwicklung der Röhre zu ihrem heutigen Stande ist im Laufe der letzten 10 Jahre zum Teil sprunghaft über sehr viele Zwischenstufen geführt worden, die sich nicht nur in ihren elektrischen Eigenschaften voneinander unterscheiden, sondern auch in dem äußeren Aufbau, in der Sockelschaltung und in der Sockelform teilweise erheblich voneinander abweichen. Auf diese Weise ist in beinahe jährlicher Ablösung eine unerfreulich große Zahl verschiedener Röhrentypen entstanden.
Der Rundfunkempfängerbau hat in seinem Streben Neuigkeiten zu bringen[,] neu herausgebrachte Röhren meist sofort aufgegriffen und zur Grundlage neuer Empfängerausführungen gemacht. Abgesehen von dem letzten Jahre ist außer den Gemeinschaftsgeräten selten eine Empfängerausführung länger als ein Jahr in der Herstellung beibehalten worden. Im kommerziellen Empfängerbau ist man den Anregungen der Röhrentechnik keineswegs so schnell und restlos gefolgt; neuere Ausführungen kommerzieller Empfänger verwenden heute noch alte Batterieröhren wie die RES094, die RE134 usw., die im Rundfunkempfängerbau schon seit einer ganzen Reihe von Jahren nicht mehr benutzt werden."

2 Röhrensockel
"Als Folge der jährlichen Ablösung des gesamten Fabrikationsprogramms sämtlicher Rundfunkfirmen bieten die in den Händen der Rundfunkteilnehmer befindlichen Empfänger in ihrer Ausführung und Bestückung ein recht buntes Bild, zumal wie die Feststellungen beim Rundfunkteilnehmer zeigen, in Anbetracht der bisherigen Höhe der Anschaffungskosten mit einer Beibehaltung des gleichen Empfängers auf 5-10 Jahre gerechnet werden muß. So sind z. B. in den heute im Betrieb befindlichen Empfängern noch sämtliche drei Sockelarten zu finden, die die Entwicklung durchlaufen hat (Abb. 1):



Der Stiftsockel, von dem es wiederum je nach der Zahl der Stifte 3-, 4-, 5-, 6- und 7polige Ausführungen gibt, der Außenkontaktsockel mit 5 und 8 Kontakten und schließlich der neue 8polige Stiftsockel, mit dem die Röhren der harmonischen Serie ausgerüstet sind und der in Zukunft als Einheitssockel bei allen Röhren Verwendung finden soll.
Diese Verhältnisse erschweren heute die Ersatzherstellung und Lagerung der benötigten Röhren sowie die Instandsetzung von defekten Geräten. Die angestrebte und notwendige Typenbereinigung in der Röhrenherstellung wird als Folge der bisherigen Entwicklung erst in einer Reihe von Jahren durchführbar sein oder bei schnellerer Durchführung dazu führen, daß an und für sich noch betriebsfähige Empfänger wegen des Fehlens von Ersatzröhren nicht mehr verwendet werden können."


3 Indirekte Heizung
"Einen bedeutsamen Abschnitt in der Empfängerentwicklung leitet die Schaffung der indirekt geheizten Röhre ein. Sie bildet die Voraussetzung für den Übergang zum Vollnetzanschlußempfänger. Abb. 2 zeigt die Entwicklungsstufen der indirekt geheizten Kathode [Haarnadelkathode, Bifilarkathode, Schnellheizkathode]. Die bifilare Wicklung des Heizdrahtes dient zur weiteren Unterdrückung der Brummstörungen und der Fortfall des Isolierröhrchens bei der Schnellheizkathode zur Verringerung der Anzeizzeit."


4 Mehrgitterröhren
"Weiterhin ist die Empfängerentwicklung, vor allem die des Rundfunkempfängers maßgebend beeinflußt worden von der Einführung der Mehrgitterröhre, die heute in Form der Pentode die übliche Bestückungsröhre des Rundfunkempfängers bildet. In der Hochfrequenzstufe wird durch die Pentode die Verstärkung so gesteigert, daß sie je nach der Güte der Abstimmkreise eine 150-300fache Verstärkung ermöglicht. Dabei kann infolge des hohen Innenwiderstandes der Röhre[,] Bandfilter oder Sperrkreis direkt in den Anodenkreis geschaltet werden. Die kleine Kapazität Gitter-Anode macht eine Neutralisierung unnötig und überholte damit die sogenannte Neutrodynschaltung beim Geradeausempfänger. In der Hochfrequenz-Gleichrichterstufe liefert die Pentode ebenfalls eine wesentlich höhere Gleichrichterverstärkung als die Eingitterröhre. Bei der Endpentode tritt bei der üblichen Anpassung eine bevorzugte Verstärkung der höheren Frequenzen ein, durch die deren stärkere Dämpfung in den Abstimmkreisen etwas ausgeglichen wird. Andererseits sind die bei der Pentode auftretenden Verzerrungen größer und erfordern die Anwendung der Gegenkopplung, um die Wiedergabe zu verbessern."

5 Regelröhren
"Besondere Bedeutung für den Empfängerbau hat die Ausgestaltung der Mehrgitterröhren als sogenannte Regelröhren, bei denen sich die Steilheit in Abhängigkeit von der Gittervorspannung längs der Kennlinie dauernd ändert (Abb. 3). Diese Röhren bilden die Voraussetzung für die selbsttätige Schwund- und Lautstärkeregelung in der heute im Empfängerbau üblichen Form. Die Verstärkung in solchen Röhren mit gekrümmter Kennlinie bedeutet in gewissem Umfang ein Verlassen des Grundsatzes einer linearen Verstärkung und birgt die Gefahr von Hochfrequenzverzerrungen in sich. Die Begriffe Modulationsverzerrung, Kreuzmodelung, Brumm-Modelung und Oberwellenbildung kennzeichnen die möglichen Störungen. Sie hängen von dem Verhältnis der Ableitung f´´´ : f´ bzw. f´´ : f´ der Ia/Ug-Kennlinie in dem jeweiligen Arbeitspunkt ab. Bei rein exponentialem Zusammenhang zwischen Ia und Ug würden diese Verhältnisse längs der ganzen Kennlinie konstant bleiben, die ist jedoch praktisch nicht zu erreichen. Mit Hilfe einer gleitenden Schirmgitterspannung läßt sich jedoch erzielen, daß die Regelkurve unter Vermeidung eines Kennlinienknickes einen flachen Verlauf erhält und das Verhältnis nur langsam und stetig ansteigt (Abb. 4). Damit die genannten Störerscheinungen keine unzulässige Größe annehmen, darf die hochfrequente Eingangsspannung eine bestimmte und je nach dem Kennlinienverlauf verschiedene Größe nicht überschreiten. Die zulässige Grenze liegt verhältnismäßig tief bei Überlagerungsempfängern, wenn die Oberwellenbildung unmittelbar (ZF/2) oder durch Überlagerung mit der Überlagerungsfrequenz die Zwischenfrequenzbildung ermöglicht. Im allgemeinen gewinnen diese Störerscheinungen aber nur in der Nähe starker Sender praktische Bedeutung.


Durch die Entwicklung der Mischhexode wurden vor allem verbesserte Verhältnisse für die Mischstufe des Überlagerungsempfängers geschaffen. In den letzten Baujahren, insbesondere bei der harmonischen Serie, sind die einzelnen Röhren vielfach als Verbundröhren ausgebildet, sie enthalten ähnlich wie die Mischhexode neben dem Mehrgittersystem oder neben der Diode noch ein besonderes Triodensystem; das bedeutet für den Empfängerbau bei gleicher Stufenzahl eine verringerte Röhrenzahl und damit eine Vereinfachung im Aufbau der Schaltung."

6 Ausblick
"In der Durchbildung der harmonischen Röhrenserie, deren Röhren nicht nur nach röhrentechnischen Gesichtspunkten, sondern für die Verwendung in Verbindung mit anderen Röhren und in bestimmter Schaltung durchgebildet sind, tritt der zunehmende Einfluß des Röhrenbauers auf den gesamten Empfängerbau deutlicher in Erscheinung. Bei der einheitlichen Belieferung des deutschen Marktes mit Röhren zeichnet sich damit auch bei den Markenempfängern eine weitgehende Gleichmäßigkeit in Bestückung und Schaltungsaufbau ab, die in Verbindung mit einer Normung der übrigen Bauelemente gute Voraussetzungen für eine umfangreiche Typenbeschränkung und einheitliche Fabrikation in sich trägt.
Sie tritt bereits bei den Rundfunkempfängern des Baujahres 1939/40 stark in Erscheinung, wo man bei den Überlagerungsempfängern in der Bestückung ECH11, EBF11, ECL11 und AZ11 von einer Normalbestückung sprechen kann.
Die Durchbildung rauscharmer Verstärkerröhren ist für die Begrenzung der Empfangsmöglichkeit besonders im Kurzwellenbereich von Bedeutung."


Die Bilder sind aus o. g. Quelle entnommen.

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