'eisenloser' HiFi-Verstärker

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'eisenloser' HiFi-Verstärker 
15.Mar.07 18:07
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Konrad Birkner † 12.08.2014 (D)
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Konrad Birkner † 12.08.2014

Die Schaltung ist nun 50 Jahre alt. Sie wurde seinerzeit bei Rohde & Schwarz entwickelt, fand aber meines Wissens dort keine Anwendung. Ich erhielt sie von einem ehemaligen Kommilitonen, der auch bei R&S arbeitete.

Damals kamen die sog. eisenlosen oder transformatorlosen Endstufen auf. Sie hatten durchaus Vorteile, erforderten aber hochohmige Lautsprecher mit einer Schwingspulenimpedanz um die 800 Ohm. Ausserdem waren die Möglichkeiten noch lange nicht ausgereizt. Der Entwicklerehrgeiz führte auch zum Erfolg.

Das wichtigste neue Bauteil war eine Doppeldrossel mit 2 exakt gleichen Wicklungen, die gegensinnig stromdurchflossen werden. Damit hebt sich die Magnetisierung (weitgehendst) auf, und es lassen sich 2x6000 Wdg auf einem M42 (Hyperm 36) ohne Luftspalt unterbringen. Die Schwierigkeit besteht im wickeln von 0,08 mm Draht.

Bei entsprechender Ansteuerung machten diese Verstärker (ich baute 6 Stück und Kollegen auch etliche) einen Klirr <0,2% (bei 50 Hz, 1 kHz, 5 kHz und 15 kHz). Allerdings verwendeten wir einen aufwendigen Ausgangstrafo mit 9 verschachtelten Wicklungen. Der Frequenzgang ging von 10Hz (-2,3 dB, der Generator SBF konnte nicht tiefer) bis mindestens 70 kHz,  meist aber über 100 kHz!

Der zweite Trick liegt in der Ansteuerung der oberen Stufe. Sie braucht am Gitter die Steuerspannung plus der Wechselspannung an der Katode (auf Masse bezogen). Das wird dadurch erreicht, dass die Anodenspannung ihrer eigenen Vorröhre vom Schirmgitter der oberen Endröhre genommen wird. Die Ansteuerung dieser Vorröhre erfolgt in Gitterbasisschaltung. Eigentlich ist es zusammen mit der Treiberstufe der unteren Endrähre die sogenannte Katodynschaltung.

Die Anwendung eines Ausgangstrafos wurde deshalb gewählt, weil sich damit alle wirklich guten Lautsprecher verwenden liessen und nicht nur die (nicht schlechten, aber doch nicht überragenden und trotzdem teuren)  Philipstypen. Ein Wigo spezial Kinotieftöner z.B., 40 cm Ø, mit 16 Hz Einspannresonanz...; auch ein Cabasse konnte, oder ein Kelly Hochtonbändchen. Sehr schön auch der Isophon Orchester. Da konnte der Trafo nichts verderben. Er musste nur 10 Watt über einen M102b Kern verkraften...
Und bei den hohen Wirkungsgraden damaliger Lautsprecher konnte man mit 10 W die Fensterscheiben beängstigend zum Klirren bringen !
Leider hat kaum eines dieser Exemplare überlebt. Vor 50 Jahren gebaut, längst ausrangiert. Hätte man damals gewusst !

 

Thomas Günzel hat freundlicherweise die Aufarbeitung der Unterlagen übernommen.
Herzlichen Dank, Thomas!

Falls jemand nachbauen möchte: Die Einstellung erfolgt so, dass zunächst das 1 Megohm Pot auf Mitte gestellt wird. Mit dem 100 Ohm Pot stellt man etwa 12,5 V zwischen Minus und Masse ein. Dann wird die Spannung gemessen zwischen Anode der oberen Röhre und Masse (nicht Minus!).

Mit dem 1 Megohm Pot wird dann die Spannung zwischen Katode und Anode der unteren Röhre eingeregelt. Kontrolle: Zwischen Anode und Katode der oberen Röhre muss jetzt der gleiche Wert zu messen sein. Eventuell durch Nachregeln ausgleichen (durch Messgeräteabweichung könnte die gemessene Halbspannung evtl.nicht ganz dem berechneten Halbwert entsprechen).
Eine Verbesserung  im Störabstand brachte später noch die Anwendung von Gleichstromheizung (stabilisiert, damals mit Ge-Transistoren).

Anlagen:

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Fast ein OP 
16.Mar.07 22:12

Georg Beckmann (D)
Redakteur
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Georg Beckmann

Hallo Herr Birkner,

mit der Differenzstufe ECC81 und der Gegenkopplung hätte das doch fast ein OP werden können.

Schade, dass es keine "PNP Röhren" mit Positronen gibt. :-)

 

Gruß

Georg Beckmann

 

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