Sorbischer Rundfunk Studio Görlitz Heinzelstraße

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Sorbischer Rundfunk Studio Görlitz Heinzelstraße 
27.Apr.18 15:09
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Wolfgang Lill (D)
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Wolfgang Lill

Der Görlitzer Journalist, Herr Ralph Schermann, stellte mir freundlicherweise für RMOrg seinen interessanten Artikel zur Verfügung  

Im Frühsommer 1956 beschwerten sich Anwohner der Heinzelstraße über Lärm. Ein Jeep der Grenzpolizei raste immer wieder mit heulendem Motor die Straße auf und ab. Dabei konnte Fahrer Horst Gotthardt gar nichts dafür. Seine Dienststelle hatte ihn und den Kübelwagen an den Rundfunk ausgeliehen.

Der produzierte im Studio Heinzelstraße ein Hörspiel, und Grenzpolizist Gotthardt lieferte dem Mikrofon am Fenster Fahrgeräusche.
Es war die Heinzelstraße 4, die von 1953 bis 1956, aber auch noch ein paar Jahre danach dem Rundfunk diente. Dass ausgerechnet dort in Görlitz sorbisch gesprochen wurde, gehört zu den kuriosen Entscheidungen, die in Sachen Radio an der Tagesordnung waren. Während es in sorbischen Gefilden damals wenige technische Möglichkeiten gab, konnte Görlitz auf Studio-Erfahrungen für den Sender Breslau und einen funktionierenden Reichenba
cher Mittelwellensender verweisen.

Dabei ging es zuerst noch gar nicht um sorbische Elemente. 1951 bereits entschied der Mitteldeutsche Rundfunk, seinem Landessender Dresden ein Studio in Görlitz beizustellen. Platz dafür war knapp, doch gemeinsam mit der Stadtverwaltung entdeckten die Radiomacher die ehemalige Villa des Kaufhausbesitzers Theodor Otto. Während sie zu einem Sendestudio umgebaut wurde, suchten Rundfunkbeauftragte in Betrieben nach Personal.

„Mich sprachen die Radioleute 1952 im VEB Maschinenbau an“, erinnerte sich später Rosemarie Nerling. Die junge Schreibtechnikerin sagte zu und bekam eine Ausbildung zur Schnittassistentin. „Damals wurden Tonbänder noch richtig mit der Schere geschnitten, fachlich heißt das Cuttern“, erzählte sie. Jeden Versprecher, jeden Räusperer tilgte die Cutterin damals aus dem Vollspurtonband, das mit 78 cm/s an ihr vorbeizog. Diese Arbeit verlangte höchste Konzentration. Nicht selten war aus einer Stunde Bandmaterial ein Nachrichtenblock von drei Sendeminuten zu cuttern manchmal sogar knapp vor der Sendung. „Da war immer ein Hoffen und Bangen mit dabei, dass das fertige Band nicht an irgendeiner Schnittstelle reißt“, berichtete die Görlitzer Rundfunkpionierin.

Heute gibt es weder Magnettonbänder mehr bei Rundfunksendern noch Scheren. Gecuttert wird längst per Mausklick am Computer.

Schon vor dem offiziellen Senderstart war im Studio Hochbetrieb. Heinz-Florian Oertel, Eberhard Schulze und Werner Eberhardt schnitten hier ihre Berichte von der ersten Friedensfahrtetappe auf deutschem Boden. Andrzej Kaminski lieferte von hier aus Reportagen für den polnischen Rundfunk. Da ahnte 1952 auch Rosemarie Nerling nicht, dass ihre neue Berufswahl nur kurze Zeit Bestand haben sollte.

Schon im Herbst schrumpften alle Landessender zu Bezirksstudios, wurde der Rundfunk der DDR mit einem staatlichen Komitee gedeckelt. 1957 schließlich gliederte man die Studiotechnik komplett aus und gab sie in Verantwortung der Deutschen Post. Für ein kleines Lokalstudio blieb kein Platz mehr.

Dass die Heinzelstraße 4 dennoch ein paar Jahre als Radiositz blieb, war von 1953 bis 1956 nur dem sorbischen Rundfunk zu danken. Für diesen arbeitete auch Rosemarie Nerling als Tonassistentin und Sendefahrerin. Aus der Heinzelstraße wurde auch nach Berlin zugearbeitet, vor allem aber über das Verstärkeramt am Postplatz live gesendet. Im Regieraum standen drei Bandmaschinen und ein Plattenabtaster, der Sprecherraum konnte mittels Trennwand erweitert werden, was größere Produktionen ermöglichte. Hörspiele entstanden ebenso wie Musikaufnahmen.

Zum Beispiel hatte hier das Grenzland-Tanzorchester ebenso seinen ersten Studioauftritt wie das Manfred-Ludwig-Sextett. Im Hof stand der Ü-21, ein aus einem alten Horch- Bus umgebauter Übertragungswagen. Mit dem ging es zum Beispiel auch auf Tour zur Stadthalle für Veranstaltungsübertragungen. Meist aber fuhr Ü-21 zu Reportagen hinaus in die gesamte Lausitz.

Seit Gründung der DDR gab es ein Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung. Doch im Radio war nur sporadisch sorbisch zu hören. Die Domowina als Sorben-Interessenvertretung drängte auf mehr. Die in Görlitz begonnene Studio- Gestaltung bot sich als Kompromiss an.

Leiter des Studios wurde Klaus Hemmo. Diese Wahl wiederum war simpel: Außer ihm, den geborenen Krauschwitzer, gab es in der DDR keinen ausgebildeten Rundfunkmann, der sorbisch sprach. Erst Schritt für Schritt wurden weitere Mitarbeiter ausgebildet. Am 22. März 1953 erklang aus Görlitz erstmals „Mit junger Kraft“ als Pausenzeichen, entnommen dem „Lied der sorbi- schen Jugend“. Begonnen wurde mit wöchentlich 70 Minuten Sendezeit in obersorbischer Sprache über die Reichenbacher Antennen, bis später ein tägliches Sendefenster gefüllt werden konnte. Der Musikredakteur Jan Bulank setzte den Ü-21 gern für Musikaufnahmen ein, bis 1957 wurden über hundert Titel in sorbischer Sprache eingespielt. Reporter Ben Budar kam noch als Student zum Görlitzer Studio und füllte unzählige Archivbänder mit Gesprächen „einfacher Leute“, hielt vor allem sorbische Sagen und Bräuche als Originaltöne fest.

Insgesamt zählte das kleine Studio in der Anfangsphase rund 20 Mitarbeiter vom Betriebsschutz rund um die Uhr bis zum Studioleiter Klaus Hemmo, der übrigens später als einer der Auslandskorrespondenten des DDR-Fernsehens bekannt wurde.

1957 war es mit dem Provisorium vorbei. Der Rundfunk rückte nun näher an das tatsächliche sorbische Siedlungsgebiet heran, Radio DDR und eine Weile auch noch Berliner Rundfunk richteten die sorbische Redaktion in Cottbus ein, die Sendezeit wurde weiter ausgebaut, es gab fortan Programme in ober- und auch in niedersorbischer Sprache.

Seit 1991 widmen sich sowohl der MDR als auch der RBB solchen Rundfunkangeboten.

Nach dem Wegzug des sorbischen Rundfunks blieb die Villa in der Görlitzer Südstadt noch bis 15. September 1962 dem Hörfunk erhalten – als Außenstelle für reisende Reporter sowie als Schulungsobjekt. Rosemarie Nerling, mittlerweile Wandelt heißende verheiratete Mutter, blieb als einzige Angestellte vor Ort.

Hier erlebte sie, wie Heinz Quermann junge Talente entdeckte, Hans-Joachim Wolfram den legen- dären Fips- Fleischer- Schlagzeuger „Bimbo“ beim Tanzorchester „Schwarz-Weiß“ interviewte und zum Rundfunk holte, Hans- Georg Ponesky seine berühmt- berüchtigten Überraschungen ausheckte und sich MDR-Altsprecher Werner Lindner seine ersten Sporen verdiente.

Als 1964 ein Kindergarten in die Villa zog, war die Görlitzer Rundfunkära vorbei. Zwar gab es weiterhin Korrespondenten und auch eine Außenstelle der Hörerforschung, doch es sollte bis nach der Wende dauern, ehe wieder ein Sendestudio in Görlitz Einzug hielt. Als das nach dem politischen Wechsel leer stehende Haus zum Wohnsitz eines Arztes umgebaut wurde, fanden Handwerker unter Putz verborgen eine alte Glasflasche mit einem originellen Inhalt – ein paar Zentimeter Magnettonband aus der alten Rundfunkzeit....

Heinzelstraße 4  Ansicht im Sommer 2015, inzwischen ein privat genutztes Wohngebäude

Hier war der Musiksaal des Studios eingerichtet , auch heute sind diese hohen Räume erhalten-

Fotos Wolfgang Lill

 

...aber nochmal zurück zur Geschichte des Studios:

Nach entsprechender Suche wurde man fündig, auf Vorschlag des Oberbürgermeisters der Stadt wurde das Gebäude auf der Heinzelstraße 4 , ehemals Besitz von Theodor Otto, dafür bereitgestellt.

Baubeginn war der 7.9.1951. Bereits am 25.Oktober des Jahres konnte der Rohbau des Sendesaales abgeschlossen werden. Um den Strom sicher zu haben, mussten noch etwa 450 m Erdkabel zur nächstgelegenen Trafostation verlegt werden. 

Am 1.Mai 1952 wurde das Studio offiziell eröffnet. Der Sendesaal mit 370 m2 Rauminhalt , siehe Bild oben, darin inbegriffen ein abtrennbarer Sprecherraum, ein Regieraum mit Z 30 und drei Z 9a, ein Cutterraum, ein Lagerraum sowie ein weiterer Raum, in dem Reparaturen, Messungen und Büroarbeiten erledigt werden konnten.

Eine der wichtigsten Arbeiten im Studio, damals die Schnittassistentin, Frau Rosemarie Nerling.

Hier mal ein Programmausschnitt vom Nov. 1953

Das Foto zeigt 1952 den Technischen Leiter des Görlitzer Studios, Herbert Kubach (rechts) und den Hausmeister Alfred Meißner (links). Der Herr in der Mitte ist nicht bekannt. Die Umbauarbeiten bis zur Inbetriebnahme hatten damals 48860 DM  ( DDR Geld hieß damals auch Deutsche Mark )   gekostet.

In der Mitte der 50iger Jahre, natürlich dürfen damals Losungen nicht fehlen:

Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen ! so steht es am Balkon... 

und darunter in deutsch und sorbisch; So wie wir heute arbeiten werden wir morgen leben.

Ü21 , so hieß der Übertragungswagen, ein umgebauter Horchbus, der häufig am Tage 200 Km und mehr zurücklegen musste.

Reporter im Aussendienst, mit einem kleinen Reportagewagen. An der Frontscheibe das Schild "staatliches Rundfunkkomitee".

Die Ausstrahlung der hier produzierten sorbischen Sendungen erfolgte hauptsächlich über den Mittelwellensender Reichenbach bei Görlitz ( hier in der Karte wie auch auf mehreren Radioskalen als Sender Görlitz angegeben). 

Bild Deziplan (Karte vgl. Artikel, Repro aus "Unser Rundfunk")

Anfang 1958 wurden die Produktionen in diesem Funkhaus so gut wie eingestellt. 

In der weiteren Folge diente das Haus als Ferienheim des staatlichen Rundfunkkomitees und später als Rundfunkschule für Redakteure, die hier sechswöchige Lehrgänge absolvierten

Die studiotechnischen Anlagen wurden zu anderen Standorten umgesetzt. 1962 war dann endgültig Schluß.

Seit 1964 wurde das Haus als Kindergarten genutzt.

 So sah das Haus im Jahre 2003 vor dem privaten Umbau aus .
Foto: Ralph Schermann

...und damit endet die Geschichte vom Sorbischen Rundfunkstudio in Görlitz

alle Repros: Sammlung Ralph Schermann , Görlitz

 

Herr Wolfhard Besser aus Berlin hat mir noch einige Ergänzungen geschrieben, die ich gerne noch veröffentliche:

Etwa 1961 wurde das Studio dem Sender Dresden von Radio DDR angegliedert als regionale Außenstelle. Einziger Redakteur wurde Günter Rathaj, der bis dato Leiter des Betriebsfunks des VEB EKM Görlitzer Maschinenbau war. Er hat das Regionalprogramm des Senders Dresden mit vielfachen Informationen und Berichten aus dem östlichen Sachsen bereichert. Leider wurde er ernstlich krank, so dass er diese Tätigkeit nicht mehr weiter ausführen konnte. In diesen Jahren habe ich ihn auch im Studio besucht und später aus dem Studio mehrmals Berichte an meine Berliner Jugendfunkredaktion für das Programm überspielt. Das war in den Jahren 1962/63. Erst danach wurde das Studio aufgelöst. Übrigens: Die Leiterin des sorb. Studio Cottbus war 2013 Marion Stensel. Aktuelle Info dazu: Sie ist es auch noch im Jahre 2018.


Mit der Übernahme des Studios 1961 war am Eingang ein Firmenschild mit folgenden Angaben angebracht:

Emblem von Radio DDR -Radio DDR - Sender Dresden-  Studio Görlitz.


Nachdem Koll. Rathaj erkrankt war, wurde das Studio wochenweise von Dresdener Kollegen betreut. Aber weil dies zu umständlich war, entschied die Leitung, das Haus zu schließen. 
Es bestand zudem eine ungünstige Sachlage: Radio DDR I konnte nur über MW Dresden 1043 kHz bzw. UKW Dresden im Görlitzer Raum empfangen (schlechter Empfang) werden. Der auf der Landeskrone installierte UKW-Sender übertrug das Cottbuser Regionalprogramm bzw. das Programm von Radio DDR II. MW Reichenbach strahlte den Berliner Rundfunk ab. Der ostsächsische Raum war also radiomäßig und auch sonst, stark vernachlässigt.

 

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.