Verborgene Fertigungsfehler bei schwallgelöteten Platinen.

ID: 137571
Verborgene Fertigungsfehler bei schwallgelöteten Platinen. 
01.Apr.07 10:23
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Eike Grund (D)
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Eike Grund

Bei den Röhrenradios der 50er und 60er Jahre findet man hin und wieder verborgene Fertigungsfehler, die sich erst nach Jahrzehnten bemerkbar machen. Dazu zählen vor allem Probleme bei schwallgelöteten Platinen. Dieses Verfahren wurde bei den deutschen Radioherstellern ab ca. 1959/60 schrittweise in der Produktion eingeführt. Schrittweise auch deshalb, weil die Einführung dieser neuen Fertigungstechnik von ähnlichen Geburtswehen begleitet war, wie Jahrzehnte später bei Einführung der SMD- Technologie.

  

Dies wird im Vergleich von Bild 1 (Lötzinn unzureichend geflosssen) und Bild 2 (Lötzinn geflossen) deutlich: Beide Bilder zeigen die Lötstellen der gleichen Röhre (EABC80) zweier  identischer Geräte aus der selben Fertigung, die Seriennummern liegen dicht beieinander. Dabei muss der Platine insgesamt schon eine gute Qualität bescheinigt werden (es gibt auch schlechtere Beispiele). Bei den Bildern 1 und 2 wurde die Platine bereits mit Zahnbürste und Aceton gereinigt.
Vor einer Wiederinbetriebnahme eines solchen Radios müssen bei der üblichen Sichtkontrolle die Lötstellen besonders kontrolliert - und später bei bereits eingeschaltetem Gerät die Platine Stück für Stück abgedrückt werden. Das Ergebnis dieser Maßnahme war bei dem Gerät im Bild 1 positiv, der Ton wechselte in der Qualität zwischen 0% und 100%.  Bild 3 zeigt die nachgelötete Röhrenfassung des Bildes 1, überflüssig zu bemerken, dass das Radio anschließend nicht mehr zu bremsen war.
Das übliche Wackeln an den Baugruppen und Teilen reicht hier nicht aus, denn schmale Leiterbahnen können, unter den Lötmittelresten verborgen, Risse aufweisen. Zu den unliebsamen Folgen der Schwalllötung gehören auch mit Schmutz durchsetzte, leitend gewordene Lötmittelreste und schlechte (kalte) Lötstellen. Diese Lötstellen bestanden zunächst die Endprüfung, wurden im Laufe der Zeit durch Korrosion auffällig.

Dies führt dann zu Wackelkontakten bzw. Übergangswiderständen, die die ohnehin heißen Stifte der Röhrenfassung weiter aufheizen können. Nicht selten sind daher die Platinen bei den Lötstellen der Endröhren schwarz gefärbt, die Lötmittelreste sind verbrannt. Bei den ersten Radios mit "gedruckter Schaltung" findet man daher die Endröhre auch noch im Chassis belassen vor.
Bild 4 zeigt eine noch nicht gereinigte Lötstelle der Endröhre des Gerätes nach Bild 1. Es wird also auch deutlich, dass Qualitätsprobleme der Schwalllötung in der Regel die gesamte Platine betreffen, lag doch in einer falschen Temperatur des Lötbades eine der möglichen Ursachen.

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bleifrei 
01.Apr.07 11:50

Georg Beckmann (D)
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Georg Beckmann

Vor einiger Zeit ist die Rohs Richtlinie in Kraft getreten. Es sollen umweltgefärdende Substanzen nicht mehr verwendet werden.

Deshalb darf im Lötzinn in der Elektronik kein Blei mehr verwendet werden, außer bei Loten mit mehr als 60 % Bleianteil. ( Das verstehe, wer will. )

Wenn ich ein Blinklicht baue, welches eine Leiterplatte mit einer LED und einen 2kg schweren Bleiakku enthält, dann ist das konform, wenn auf dem Typenschild ein entsprechendes Zeichen angebracht wird und die Platine selbstverständlich bleifrei gelötet ist. ( Auch das verstehe, wer will )

Die bleifrei gelöteten Elektroniken fallen durch Mikrorisse, Wisker und andere Effekte laut Aussagen von Fachleuten häufig nach ca. 5 Jahren aus. Die Geräte werden kurzlebiger und kommen dann massenhaft in den Müll, aber was tut man nicht alles der Umwelt zuliebe.

Übrigens soll die Quote der Bleieinsparung durch diese Maßnahme bei ca. 1,5% liegen, die Kosten in der Wirtschaft sicher im 2 stelligen Milliardenbereich. Ein Ausdruck einer bei uns um sich greifenden Dekadenz, dass man den Ast, auf welchem wir sitzen, absägen.

( Ich hatte mir vorgenommen, hier nicht zu politisieren, aber irgendwie konnt ichs grad nicht lassen )

Schönen Sonntag an Alle

Georg Beckmann

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Endröhren auf Leiterplatte 
01.Apr.07 17:03

Rolf Nickel (D)
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Rolf Nickel

Liebe Sammlerkollegen,

zum Ende der "Röhren-Farbfernseher-Ära" hatte man auch für das Problem übermäßiger lokaler Erwärmung eine pfiffige Lösung erdacht: Die Herausführung der Kontakt-Verbindungsdrähte im Bogen auf einen größeren Teilkreis-Durchmesser.



Vorteile:
1. Verstärkte Abkühlung der Verbindung zwischen Fassungskontakt und Leiterplatte durch größere Länge (Pfeil), die einzelne Lötstelle wurde so weniger warm
2.größerer Abstand der Lötstellen voneinander, dadurch Verringerung der Wärmebelastung pro Flächeneinheit

Gruß
R. N.

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Lötfehler bei "gedruckten" Schaltungen 
04.Apr.07 21:46

Rolf Nickel (D)
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Rolf Nickel

Liebe Leser,
als ich vor mehr als 20 Jahren als Fertigungsplaner im Unternehmen des "Urvaters des Fax-Geräts und des Scanners" die zweite Station in meinem Arbeitsleben begann, war das Wellenlöten schon lange Stand der Technik. Noch wurden keine SMD (Surface Mounted - oberflächenmontierte) Bauelemente (Device) eingesetzt, sondern ausschließlich "bedrahtete". Die fertig bestückten Leiterplatten wurden in so genannte Lötrahmen eingesetzt, von der Lötseite her mit Flußmittel eingeschäumt und über die Lötwelle gefahren. Anschließend erfolgte das Waschen der Lötseite der nun zur Flachbaugruppe (FBG - bestückte und gelötete Leiterplatte) gewordenen Einheit mit einem flüssigen Fluorchlorkohlenwasserstoff-Gemisch (FCKW).
Es ging damals noch nicht um die Schädigung der Ozonschicht, sondern es sollten Kosten gespart werden, z. B. durch Wegfall des Arbeitsgangs "Waschen". Nun muss man sich vergegenwärtigen, dass das Waschen nicht aus ästhetischen Gründen, sondern deswegen nötig war, damit die Testnadeln des zur elektrischen Prüfung der FBG verwendeten halbautomatischen "In-Circuit-Testers" (ICT) einwandfreien Kontakt zu den ausgesuchten Lötpunkten auf der FBG-Unterseite hatten.
War die getrocknete Flußmittel-Schicht zu stark, so konnten die Nadeln sie nicht durchstoßen, und die Prüfung der FBG war nicht möglich.

Was also tun ? Versuchsweise wurde das Flußmittel mehr und mehr verdünnt. Dadurch wurde auch die störende Schichtdicke geringer, und irgendwann funktionierte auch der Incircuittest wieder – ohne Waschen. Aber – es gibt immer ein "aber" bei solchen Einsparungen – irgendwann war die Flußmittelschicht so gering geworden, dass keine einwandfreien Lötstellen mehr erzielt werden konnten.

Fazit : Ich muss allen, die Geräte als vollständige oder mit teilweise "gedruckte/r Schaltung (= FBG)" instandsetzen oder reparieren müssen, dringend raten, die Lötseite genau (z. B. mit Lupe und Halogenlicht) anzusehen und auf kalte Lötstellen und Leiterbahnrisse zu achten, wie Herr Grund es in seinen Fotos anschaulich dargestellt hat. Das bedeutet, auch die gelötete Leiterplatte ist für sich alleine als möglicherweise defektes Bauteil zu betrachten.

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