Besprechungsstelle Jena - 1925

ID: 120248
Besprechungsstelle Jena - 1925 
04.Sep.06 10:37
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Wolfgang Eckardt (D)
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Wolfgang Eckardt

Besprechungsstelle Jena - heute würde man Studio sagen. Ich fand in der Zeitung "Die MIRAG" vom 7. August 1925 einen Bericht über eine "Fernbesprechung", also eine Life-Übertragung aus Jena nach Leipzig zum dortigen Sender der MIRAG (Mitteldeutsche Rundfunk A.G.) auf 450 m Wellenlänge im "Meßamt" (Messeamt für die Mustermessen in Leipzig im historischen Gebäude "Alte Waage" am Markt.)

 Das war also ziemlich genau ein und ein halbes Jahr nach Inbetriebnahme des Senders Leipzig am 1. März 1924. Diesen "Life-Bericht" möchte ich den interessierten "RM-Radioten" nicht vorenthalten, da er doch recht gut die Arbeit unserer Radio-Vorfahren widerspiegelt. Dass der Schreiber kein Radio-Fachmann war merkt man zwar, doch sei es ihm verziehen:

 


 

Hier Besprechungsstelle Jena!
 
Wieder einmal stehen die Koffer schwer gefüllt mit den Besprechungsapparaten bereit zu neuer Rundfahrt. Fehlt auch nichts? Ist an jede denkbare Störung gedacht, Ersatz für alle schwachen Teile vorgesehen? Es gilt, eine neue Besprechungsstelle in Betrieb zu nehmen: Jena -- und sie zu eröffnen durch einen Mann, dessen Name zu unbedingtem Gelingen verpflichtet: Professor Eucken.
Also los. Die Fabriken von Weißenfels, Naumburgs Dom, Dornburgs Schlösser erscheinen, verschwinden. Ringsum deutscher Kulturboden seit 1000 Jahren.
Und nun Jena. Wieviel Vorstellungen drängen bei diesem Namen heran, die so gar nichts mit Hochfrequenz gemein haben. Altpreußens Untergang, Symbol allen Zusammenbruchs, der Burschenschaft Erhebung und Ende, „die“ Studentenstadt neben Heidelberg; der Fuchsturm, Lichtenhainer Bier, Zeiß-Werke ...
Fahnen in allen Gassen. Welch eine bunte Fröhlichkeit. Warum? Keine Zeit zum Fragen; schon hält der Wagen vor der Optiker-Schule, in der sich die Besprechungsräume befinden.
Die Alten bauten Dome, in denen wir heute noch flüsternd staunen und etwas vom heißen Glauben jener Zeiten spüren. Die heutige Generation setzt dafür Bahnhöfe Maschinenhallen und Schulen hin, edel in der Form, lichtfroh im Innern, sinnvoll in der Gestaltung. Eigenschaften, die gleichfalls vom Göttlichen im Menschen zeugen.
Solch ein Bau ist auch die Optiker-Schule in Jena. Dem Lichte geweiht, steht er da in ruhiger, heller Schönheit. Dasselbe Lichtgefühl im Innern. Wie muß das die Arbeit von Lehrer und Hörer erleichtern.
Bänglich wird dem Kundigen bei dem Gedanken, wie in dieses Kunstwerk von Stein, Glas und Farbe die robuste Telegraphenbaukolonne wohl nachträglich die Leitungen eingefügt haben mag, die zur Weitergabe des gesprochenen Wortes nach Leipzig notwendig sind. Aber die Sorge ist umsonst. Auf einem gewaltigen Brett hängen sauber die vereinbarten Fernsprechgehäuse und Umschalter. Ein guter Geist hat seiner Zeit den rundfunkahnungslosen Baumeister bestimmt, in die Wand zum Nachbarzimmer, dem eigentlichen Besprechungsraum, zwei Isolierrohre einzusetzen. Nun hat dieser Zufall jeden Durchbruch gespart und damit wohl den Ausschlag gegeben, daß diese Räume für die Zwecke der „Mirag“ zur Verfügung gestellt wurden. Freilich, so wie in Weimar, Chemnitz oder Dresden durfte es sich der Rundfunk nicht bequem machen. Dort erhielten die kahlen Räume feste Einbauten aus Stoff und Holz zur Verbesserung der Schallwirkungen. In Jena muß der bereitgestellte Raum jederzeit binnen wenigen Stunden völlig „rundfunkfrei“ gemacht werden können. Also ist man auf die Lösung gekommen, einen beweglichen Besprechungsraum zu schaffen. Innerhalb des viereckigen Zimmers hat die „Mirag“ ein ovales Zelt aufrichten lassen, anzuschauen wie die Kriegswohnung eines Wallenstein oder Gustav Adolf.
Noch war es völlig leer. Aber der Herr Geheimrat soll es doch beim Vortrag bequem haben. Dazu gehört zunächst ein einsichtsvoller Hausmeister. 10 Minuten dauerte es nur, da stand inmitten des Zeltes ein großer Tisch, leuchtend weiß gedeckt, besetzt mit einer famosen Leselampe; davor ein bequemer Sessel. Schon ist auch der Aufnahmeapparat zurecht gestellt und angeschlossen; nun geht’s ins Nachbarzimmer. Auch hier steht auf einmal ein Tisch, dessen Platte kaum noch zu sehen ist unter all den Apparaten, Schaltern und Instrumenten. Die Zeit vergeht, die Zeiger drängen. Fertig stehen die Batterien, die Verstärkerröhre leuchtet. Arbeitet alles? Überlaut kommt die Stimme im Nachbarzimmer wieder aus den Geräten heraus. Das klappt also. Nun die Verbindung mit dem Postamt. Auch hier hatte umsichtige und hilfsbereite Mitarbeit dafür gesorgt, daß keine Stockung eintrat. Nach wenigen Minuten meldeten sich das Fernsprechamt in Leipzig, dann der Zentralumschalter für die Fernleitungen, dieser verband weiter zur Rundfunk-übertragungsstelle im Telegraphenamt, und schließlich meldete sich die Rundfunkstelle im Meßamt. Es müssen ja ungeahnt viel Hände und Sinne an solch einer Fernbesprechung hinter dem Mikrophon  mitwirken.
„Auf Anhieb“ ist nun eine solche Fernbesprechung noch niemals gelungen. Auch diesmal hatten Vorproben ergeben, daß die vorgesehene Leitung Leipzig - Jena durch Telegraphie-betrieb in Nachbardrähten störend beeinflußt wurde. Mühsam hatte der fremde Betrieb festgestellt und durch Schutzschaltungen unschädlich gemacht werden müssen, ein Verfahren, daß leider nicht immer rasch gelingt.
Diese letzte Vorprobe fiel aber befriedigend aus. Noch fehlte viel Zeit bis zum Beginn des Vortrages - oder sie fehlte auch nicht, denn es sollte gleichzeitig den Zweiflern vorgeführt werden, daß man in Jena die Darbietungen des Senders in Leipzig sehr gut mit billigen Einröhrenapparaten aufnehmen kann.
Eine Freiantenne stand im gleichen Gebäude zur Verfügung. Empfänger hatten die Firmen „Sachsenfunk“ und „Radio-Industrie“ in Leipzig zur Verfügung gestellt. Gleich die ersten Versuche zeigten, daß die Apparate hielten, was von ihnen versprochen worden war.
Noch 20 Minuten. Aber schon meldet aufgeregt der Hausmeister „Der Herr Geheimrat kommt!“
Da steht er auch bereits. Klein die Gestalt, aber welch ein Kopf. Immer und immer möchte man dieses Gesicht anschauen. Und doch wird auch dieser Geist vom Mikrophonfieber erfaßt; gewohnt vor Hunderten zu sprechen, hemmt doch die kleine braune Scheibe in dem stillen, leeren Raume, die volle Freiheit des redegewandten Mundes. Aber es ist ja noch soviel Zeit zum Eingewöhnen. Außerdem wird die sorglich bemühte Gattin an der Seite wachen, daß das Tempo nicht zu schnell, die Stimme nicht zu laut werde.
Probesprechen. Ja, Leipzig ist mit Lautstärke und Klangreinheit zufrieden. Die Uhren werden verglichen, noch 3 Minuten. Sie verstreichen mit Begrüßungen, mit Erklärungen an die begleitenden Herren, an die Vertreter der Presse.
„Bitte anfangen!“. - Der letzte Umschalter schleift, die ersten Worte des Vorstandes der „Mirag“ eilen von der neuen Besprechungsstelle Jena hinüber nach Leipzig und Dresden und hinweg über ganz  Mitteldeutschland.
Und dann spricht Eucken selbst. Ruhig, fast zu gemessen klingen die Worte aus den Kontrollhörern. Was sagen Leipzig, Dresden? Eine kleine Änderung an der Mikrophonaufstellung ist doch noch notwendig. Behutsam wird sie ausgeführt. Und dann ist ringsum nur Lauschen; Lauschen, Flüstern und leiser, leiser Tritt. Vier Zimmer weiter sitzen die Herren der Presse mit den Hörern vor dem Empfangsapparat und schreiben die gesamte Rede Wort für Wort mit, die in dem kleinen Gerät ihren großen Kreislauf durch die Luft beendet.
Die Minuten schleichen. Wird nichts passieren? An den Verstärkerröhren, den Batterien, den Leitungen? Aber ungestört verklingt das letzte Wort. Alles atmet auf. Kribbelndes Leben ringsum. Durchruf nach Leipzig: „ Wir bauen ab!“; schon sind die Drähte abgeklemmt, die leeren Koffer werden voll und voller; nichts vergessen? Marsch hinab, unten surrt der Wagen, fort geht’s mit sausender Fahrt hinein in den klaren Abend, während in Leipzigs Senderäumen der Geist Schillers aus Wort und Lied aufsteigt, fähig, zu hunderttausend Sinnen zu dringen und sie auf eine Stunde vom Werktag loszulösen. - Deutsche Rundfunkkultur.
 
OCR-Abschrift (Fraktur) aus „Die MIRAG“, 7. August 1925
 


Größtes Problem war die OCR-Umwandlung des Textes in der alten Fraktur-Schrift.
Gleichzeitig freue ich mich aber auch, einen Gruß aus meiner Heimatstadt Jena hier im  Radiomuseum - etwas verspätet zwar - zu veröffentlichen.
 
Wolfgang Eckardt 
 
Editiert:Schriftart

 

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