Philips AM21 – einen Bausatz machen

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Philips AM21 – einen Bausatz machen 
05.Jul.25 13:50
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Bruce Cohen (NL)
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Bruce Cohen

Wer dieses kleine Radio das erste Mal sieht, ist verblüfft. Es sieht aus wie ein typisches Kleinradio mit Röhren, aus dem Anfang der Sechziger Jahre. Es ist tatsächlich ein Kleinradio aus den Sechziger Jahren, aber es ist ,all transistor‘. Es ist noch mehr als nur ein etwas ungewöhnliches Transistorradio zur Zeit des Übergangs, es ist auch ein Bausatz.

Das Radio ist herumgeworfen worden, das Gehäuse ist beim Vorbesitzer in Stücken eingegangen. Das Gehäuse ist Bruch über Bruch, die Ferritantenne in Stücken, sogar das Metall des Chassis selber ist verbogen! – Die Original-Rückwand fehlt. Der Batterieeinschub fehlt. Vielleicht hat es einen Schriftzug gegeben am Lautsprechergitter – der fehlt auf jeden Fall auch, aber es sind Löcher dafür vorhanden. – Alle groben Kleisterarbeiten an Gehäuse und Ferritstab hat der Vorbesitzer verrichtet.

Auf der selbstgemachten Papp-Rückwand steht Philips AM21. – Philips, das will man erst gar nicht glauben, da die Typennummer doch nun wirklich nicht ‚philipsisch‘ anmutet. Langsam kommt man dahinter, dass es tatsächlich einen Philips AM21 gibt – eben den Bausatz!  Es gibt das Gerät auch als belgischen Bausatz, mit Unterlagen auf lustige Weise zweisprachig; dort heisst er 7905/2 und ist laut den Unterlagen von MBLE auf den Markt gebracht worden. Im Internetz sind Fotos zu sehen von einigen von diesen Radios, zum Teil mit einem Schriftzug. Lesen kann man den zwar auf den Fotos nicht, dafür ist der Schreibstil zu ‚schwungvoll‘. Man sagt aber im Internetz, es heisse wohl Apel, ein Elektronik-Verkäufer aus Liège.

Wenn ein Radio nicht richtig funktioniert, ist es gut, wenn man über ausreichende Dokumentation verfügt. Das ist bei diesem Bausatz der Fall. Zum Philips AM21 gibt es eine genaue Beschreibung, wie man das Gerät Schritt für Schritt zusammenbaut. Das ist gut. Was kann nun die Ursache sein, dass es nicht sauber funktioniert?

* Es hat nie richtig funktioniert, wegen einem Fehler beim Aufbau.

* Es hat richtig funktioniert, aber es ist ein Defekt aufgetreten.

* Es würde richtig funktionieren, wenn es richtig eingeregelt worden wäre…

Der Meister wird es herausfinden, auf die übliche chaotische Weise natürlich…

Im HF-Teil ist der erste Wurm. Ein Spulenende ist bestimmt am falschen Ort. Es wird umgelötet. Leider ergibt das noch kein Wunder. Es finden sich ein paar Signale auf MW, man meint auch einmal auf LW etwas gehört zu haben, aber richtig funktionieren tut nichts. Nur der Verstärker tut etwas, aber von einem sauberen Brumm ist auch keine Rede. Die Skala ist in Metern. Das macht, dass man erst spät begreift, dass das total verzerrte MW-Signal von 698KHz am falschen Ende der Skala auftritt. Wenn man es endlich merkt, verdreht man den Kern der Oszillator-Spule. Dabei kann man beobachten, wie der Sender langsam an den richtigen Ort wandert, und bei jeder Drehung das Radio empfindlicher und lauter wird. Schliesslich steht das Signal auf der Skala, wo es stehen soll, das Radio empfängt offensichtlich laut – und ebenso offensichtlich ist alles unbrauchbar verzerrt.

Man stellt fest, dass die Verzerrungen von der NF-Verstärkerstufe um T4 herum kommen. Aha, Transistor kaputt, schnell ersetzen. Doch zu dumm: der neue Transistor bringt das Wunder ebenfalls nicht: Verzerrungen, wie gehabt. Die Elektrolyten werden ausgetauscht. Es bringt Lautstärkegewinn, einen tollen Brumm am Finger! sonst aber: Verzerrungen wie gehabt.

Man prüft alle Teile um T4. Alles, was man beschaut, ist völlig in Ordnung. Ein Widerstand weicht etwas ab, man hofft, ersetzt ihn: Verzerrungen wie gehabt. Jetzt kommt der Holzhammer: die Stufe wird umgangen, wie hier unten gezeichnet ist. Damit ist die Wiedergabe zum ersten Mal sauber, aber die Lautstärke ist leider doch etwas sehr knapp.

Wer aber erst ans Pfuschen gegangen ist, der kann ruhig weiterpfuschen. Also kommt er mit dieser Lösung, hier unten abgebildet.

Die Wiedergabe ist sauber, die Lautstärke genügend, genau wie die Unterlangen des Bausatzes im Jahre 1960 in bunten Farben versprochen haben:

  • Gute Tonwiedergabe
  • Genügend Ausgangsleistung für volle Zimmerlautstärke

Damit erreicht der Nach-Bastler die Note ‚genügend bis gut‘. – Was meinen die echten Sachverständigen hier? - Sie sagen ⭐⭐⭐⭐

Was ist das Radio zu guter Letzt denn nun? – Ist es wirklich ein Philips? – Ist es ein MBLE? – Ein Apel? – Oder am Ende noch etwas anderes, denn die Löcher für den Schriftzug weisen eigentlich von der Lage her nicht auf den ‚Apel‘ hin…

Kann man mit meinem Bausatz denn nun Radio hören in Zimmerlautstärke? – Gewiss kann man das. Dank der britischen ‚Lokalsender‘ gibt es hier in Amsterdam noch viel zu belauschen… Der AM21 macht seine Arbeit dabei hervorragend.

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.

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Philips AM21 – einen Bausatz machen 
07.Jul.25 13:42
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Georg Beckmann (D)
Redakteur
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Georg Beckmann

Ein kleines Detail ist vielleicht bemerkenswert, bei diesen Transistorgegentakt- Endstufen mit

Germanium Transistoren:

Der Mittelpunkt des Treiber -Trafos liegt auf einer kleinen Spannung, die in der Endstufe für einen Ruhestrom sorgt, damit die Übertragung linear wird. ( Es wird keine Gleichspannungs-Gegenkopplung verwendet, wie in modernen Schaltungen )

Germaniumtransistoren haben eine große Temperaturabhängigkeit, die Basisspannung muss zwingend mit der Temperatur angepasst werden, dafür ist der NTC vorhanden, der in der Regel auf dem Kühlblech montiert ist. Sonst würde sich mit der Temperatur der Ruhestrom erhöhen, damit steigt die Temperatur und der Ruhestrom steigt noch mehr, bis der Transistor defekt ist ( dead -lock ).

 

Georg Beckmann

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