Belgien - Das 2 Standard Fernsehen

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Belgien - Das 2 Standard Fernsehen  
04.Feb.07 18:57
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Wolfgang Scheida (A)
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Belgien – Das 2 Standard Fernsehen 

Update: 6.12.2009  Das Belgische zwei Standard Fernsehen

Dieser Beitrag versucht die komplexe Ausgangssituation wie auch die Anpassungen der belgischen Fernsehnormen von den 1950er Jahren bis Ende der 1980er Jahre zu beleuchten.

Inhalt:

  1. Einführung - Ein Vergleich
  2. Die Verbreitung des Fernsehens in Belgien
  3. Was war die Schwierigkeit in Belgien?
  4. Der fernsehtechnische Einfluss der Nachbarländer
  5. Das belgische Inlandsendernetz
  6. Evolution
  7. Quellen
  8. Offene Fragen

Einführung - Ein Vergleich:  

Der Zugang zum neuen Medium Fernsehen hat sich für den interessierten Fernsehteilnehmer in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich gestaltet.

An den beiden Enden der Skala finden wir einerseits eine klare Transparenz hinsichtlich einer Zukunftssicherheit und der erfolgreichen Vermittlung des Gefühls in etwas ausgereiftes zu investieren in den USA und Groß Britannien, und einem undurchsichtigen Normenchaos in Westeuropa aus dem u.a. Belgien als zweifelhafter Sieger hervorging.

USA:

Man stelle sich den wirtschaftlichen Vorteil eines Produktes vor, welches Mitte der 1940er Jahre entwickelt und das von Kuba bis Alaska mit einer einheitlichen ~115 Volt Netzspannung, 525 Zeilen/60Halbbildern und 12 definierten VHF Kanälen später mit UHF insgesamt 83 Kanälen arbeitet und gut an die 250 Millionen oder mehr Personen bedienen kann und zumindest theoretisch auch heute 2007 in seiner Grundfunktion noch arbeiten würde.

Groß Britannien:

England hatte ähnliche Vorteile hinsichtlich einer klaren Vorgabe der TV Norm sowie einer einheitlichen Netzspannung(sbandbreite 200-250V) jedoch einen ungleich kleineren Markt ohne unmittelbare Exportmöglichkeiten. Zum Unterschied zu den USA jedoch erweiterte sich der Frequenzbereich nur schrittweise von einem zuerst einzelnen VHF Band I Kanal über weitere Restsseitenband Kanäle im Band I über die Aufnahme des Band III Bereiches bis hin zu UHF in den späten 1960er Jahren wobei von ~ 1937 bis ~1985 eine Kompatibilität und Systemsicherheit hinsichtlich der Nutzung durch den Endverbraucher bei der 405 Zeilen Norm im VHF Band gegeben war.

Belgien:

Die Königsklasse für den Bau eines Fernsehgerätes jedoch stellte von Mitte der 1950er bis in die 1980er Jahre der belgische Markt dar, zu dem auch die unmittelbar angrenzenden Staaten wie Luxemburg aber auch etwa Monaco gezählt werden dürfen.

Die sonst übliche Forderung nach Wirtschaftlichkeit und einheitlicher Standardisierung wurde hier durch politisches? Kalkül sowie der tatsächlich schwierigen topografischen Einbettung innerhalb einer divergenten Normenlandschaft durchbrochen, und mit dem erklärten Ziel die heimische Geräteindustrie (u.a. BARCO, WEVO, Anex) vor ausländischen Importen zu schützen gegenteilig auf die Spitze getrieben.

Das sich angesichts der daraus ergebenden Komplexität im Laufe der Zeit ein gewisser Pragmatismus eingestellt hat spricht letzten Endes für den gesunden Menschenverstand oder einer Resignation vor der selbst geschaffenen Normenhydra.

Da der geneigte belgische Fernsehteilnehmer und sein Zeitgenosse im Grenzland besonders tief in die Tasche greifen musste um sich ein Fernsehgerät anschaffen zu können würde man der Meinung sein, dass dieser Umstand die Verbreitung des Fernsehens etwas gebremst haben müsste.

Ob dem tatsächlich so war wird im folgenden Beitrag analysiert.

Das Vorhaben geschützte Märkte zu schaffen war aber schon von Anbeginn zum Scheitern verurteilt. 

Stellvertretend für die ausländische Industrie zeigt dieses Bild wer fernsehtechnisch gesehen der wahre Herr im Haus war. Typenschild Philips Import 1956

Philips NL - 4standard 14TX113A 1956

 

Die Verbreitung des Fernsehens in Belgien:

Die Anschaffungskosten eines Fernsehapparates werden mit durchschnittlichen acht Monatsgehältern angegeben. (Mitte 1950)

Es lässt sich ein Trend der Verbreitung des Fernsehens in ausgesuchten Ländern herauslesen wonach Belgien deutlich vor Frankreich mit seinem Einheits- 819 Zeilen Fernsehstandard steht – jedoch auch deutlich nach Deutschland aber nur knapp hinter Holland gelistet ist!

Im Vergleich dazu ist das Radio weitgehend homogen verbreitet.

Einerseits gilt allgemein:

Je einfacher der Standard und je größer die Systemsicherheit für den Teilnehmer war/ist desto größer die Akzeptanz des Mediums. (Das war 1950 genauso wie heute – siehe HDTV etc.)

Die Ausnahme von der Regel im Fall Belgien könnte lauten:

Je größer die Auswahl und Vielfalt (an Programmen) desto größer ist die Bereitschaft in eine neue Anschaffung zu Investieren im Gefühl mit einem „Mehrstandard/Multistandardgerät“ in jedem Fall auf der sicheren Seite zu sein.

TV Beginn Land Bevölkerung Radio Verhält./Bev TV Verhält./Bev
             
~1946 USA 177.300.000 161.000.000 1,1 52.000.000 3,4
~1937/47 GB 50.383.000 15.168.383 3,3 10.817.048 4,7
~1952 D 55.352.400 15.730.292 3,5 4.288.008 12,9
~1953 NL 11300000 3.100.000 3,6 750.000 15,1
~1953 B 9.000.000 2.560.000 3,5 520.000 17,3
~1952 DDR 17.298.165 6.082.579 2,8 843.600 20,5
~1950 F 42.777.174 10.827.293 4,0 1.732.855 24,7
~1955 Austria 6.900.000 2.040.809 3,4 163.175 42,3
~1950 UdSSR 205.000.000 8.400.000 24,4 4.000.000 51,3
             
Quelle: World Radio and TV Handbook 1961  (Auszug)      

Hinweis zur Lesbarkeit obenstehender Zahlen:

A: Glaube keiner Statistik die Du nicht selbst gefälscht hast und

B: Stelle die offiziellen Zahlenangaben der Behörden in Frage

Was war die besondere Herausforderung in Belgien?

Die Ausgangsbasis:

Quelle für Bevölkerungsdaten: Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Belgien

„Im Vielvölkerstaat Belgien leben niederländisch sprechende Flamen (63 % der Bevölkerung), französischsprachige Wallonen (36 %) und deutschsprechende Rheinländer (ca. 1 %) zusammen.“ (Gesamtbevölkerung: ~9,0 - 9,8 Mio, Mitte 1955 bis Mitte 1975)

Obige Karte zeigt uns daher schön wie die sprachliche Orientierung sowohl von der topografischen Orientierung zu den Nachbarstaaten wie auch von der geforderten Fernsehversorgung aus dem Inland her aufgebaut sein musste.

Vereinfacht ausgedrückt orientierte sich jede Sprachgruppe am benachbarten Anrainerstaat und dessen gewählter Fernsehnorm.

Der Fernsehtechnische Einfluss der Nachbarländer:

Sendekarte aus NL Philips 1956 Gerätekatalog:

Zu erkennen, dass das 819 Zeilen Programm RTF vom Sender Lille im Süden, Holländisches 625 CCIR von Norden und Deutsches CCIR 625 vom Osten zu empfangen war.

Sendenormtechnisch bedeutete dies für Anfang der 1950er Jahre:

Frankreich

Videonorm: 819 Zeilen, positiv Modulation, AM Ton, 5:3 Bildbreitenverhältnis

HF Norm (CCIR E auch 819F genannt): 10,14MHz Bild/Tonträger Abstand, 13,5 MHz Kanalbandbreite mit 2 Kanälen in Paris und Lille auf BT ~ 175 MHz.

Gerätetechnisch bedeutete dies auszugsweise: Parallelton Verfahren, komplexerer Bild ZF Verstärker. (Die zusätzlich alternierende Belegung des unteren Seitenbandes samt Tonträger bei allen geraden VHF Kanälen und umgekehrt bei allen ungeraden VHF Kanälen dürfte technisch beim Superhetempfänger bedeutungslos sein.)

Deutschland und Niederlande

Videonorm: Standard CCIR 625 Zeilen, negativ Modulation, FM Ton, 4:3 Bildbreitenverhältnis

HF Norm (CCIR B): 5,5 MHz Bild/Tonträger Abstand 7 MHz Kanalbandbreite.

Gerätetechnisch bedeutet dies: Intercarrier Verfahren, einfacherer Bild ZF Verstärker.

Das 2 Normenergebnis für Belgien:

Der Theorie nach hätte also ein „einfacher“ zwei Normen Empfänger die belgischen Belange befriedigen können. Aber eben nur in der Theorie!

Die Praxis forderte bedingt nach dem gewünschten Programmaustausch mit Frankreich eine Kopplung an den 819 Zeilen Standard, dem man jedoch aus frequenzökonomischen Gründen nicht ebenso eine 13,5 MHz Kanalbandbreite zuteilen konnte, weshalb man 819 Zeilen in einen 7 MHz Kanal zwängte. (=verringerte Horizontalauflösung)

Videonorm: 819 Zeilen, positiv Modulation, AM Ton,

HF Norm CCIR F auch 819B genannt: 5,5 MHz Bild/Tonträger Abstand 7 MHz Kanalbandbreite.

Doch damit nicht genug! –

Für die flämische Bevölkerung war nur die 625 Zeilen Norm die nachvollziehbare Bezugsgröße. Um es „kompliziert“ zu machen mischte man etwas von der CCIR Norm E mit der Norm B, und heraus kam die

Videonorm: Standard CCIR 625 Zeilen, positiv Modulation, AM Ton,

HF CCIR Norm C auch 625B genannt: 5,5 MHz Bild/Tonträger Abstand, 7 MHz Kanalbandbreite.

Gerätetechnisch bedeutet dies: Parallelton Verfahren, einfacherer Bild ZF Verstärker.

Für eine reine Inlandsversorgung der Bevölkerung hatte dies tatsächlich Vorteile sowohl von der Geräteseite wie auch von der möglichen Programmbeeinflussung:

  • Programmaustausch seitens der Programmanbieter mit den jeweilig bedeutenden Nachbarländern in der original Zeilenzahl ohne Konvertierung möglich – 625/819
  • Ein 2 Normen Inlandsfernseher benötigt nur eine „leichte“ Modifikation in der Ablenkschaltung (15.625Hz zu 20.475Hz) sowie in der Durchlassbreite des ZF Verstärkers. – Die Videopolarität ist bei beiden Standards gleich – ebenso der AM Ton der die Anwendung des Paralleltonverfahrens beansprucht, allerdings mit unterschiedlichen ZF Frequenzen – 10,14 zu 5,5MHz, theoretisch einfache Synchronisierung ohne Phasenvergleich möglich.

Fazit:

Wer aber „alles“ sehen wollte benötigte ein 4 Normen Fernsehgerät.

Dazu kam auszugsweise die notwendige:

  • Umschaltung der Videopolarität
  • Der FM Ton im Intercarrier-/Zwischenträgerverfahren

Die exemplarische Gerätebeschreibung einer solchen „Eierlegendenwollmilchsau“ finden Sie im Artikel Der Philips 17TX 170A ein Zeitzeuge für das fernsehtechnisch geteilte Westeuropa der 1950er Jahre“: Philips TX170 - Zeitzeuge eines geteilten Europa

Das belgische Inlandsendernetz:

Bildrechte: http://www.birth-of-tv.org Alain Goossens

Auf dem Bild sehen Sie den Justizpalast in Brüssel von 1953 mit dem Antennenaufbau für zwei Programme.

Mit 31.Oktober 1953, dem Beginn des Belgischen Fernsehens RTBf waren lediglich 40km² um Brüssel fernsehtechnisch erschlossen.

Ein wesentlicher Ausbau des Sendernetzes erfolge 1956/58 in Wavre, Ruysbroek and Liège, der die Fernsehversorgung von ganz Belgien zum Anlass der Weltausstellung 1958 (Atomium) ermöglichte.

Zur Verbreitung des Fernsehen in Belgien besagt das „World Radio und TV Handbook 1961“:

Beide Programme von „Radiodiffusion-Television Belge“ RTBf 819 u. „Belgische Radio en Televisie“ BRT 625 arbeiten mit je 2 Hauptsendern sowie diversen Füllsendern.

Evolution:

Später in den 1960/70er Jahren kam noch UHF dazu, was zumindest die einheitlichen 625 Zeilen und 8 MHz Kanalbandbreite gebracht hat.

Für Belgien bedeutete dies eine pragmatisch modifizierte Übernahme des CCIR G Standards im UHF Bereich = CCIR H mit breiterem Restseitenband, wie es ein Sony TV 112UM Transistor Gerätemanual um 1970 zu erkennen gibt:

Bei der Farbe um etwa 1970 blieb es geteilt:

PAL für die Belgischen Inlandssender wie deutsch/flämischen Sender, SECAM für die französischsprachigen Sender die man aus jenseits der Gernze heranholt – beide jeweils im 625 Standard.

Dazu kam noch die zumindest Anfangs geforderte Kompatibilität mit den alten VHF 819/625er Standards.

Was in Summe die Verarbeitung der CCIR Standards:

B,C,(G),H, E, F, L notwendig machte. (noch zu Prüfen!)

Also PAL/(SECAM), 5,5 und 6,5MHz AM und FM Ton, 625/819 Zeilen, Standard ZF/Breitband ZF und Tuner, Video Invertiert/Positiv.

Für 1987 gibt Peter Zastrov in „Fernseh Empfangstechnik“ nur mehr den CCIR Standard C-VHF/H-UHF jeweils in PAL für Belgien aus.

Für 1991 gibt das Grundig Technische Jahrbuch nur mehr den CCIR Standard B/H jeweils in PAL für Belgien aus.

Quellen auszugsweise: 

Offene Fragen:

  • Gab es SECAM auch im belgischen Inlandsfernsehen RTBf, oder war es nur für Nachbarlandempfang (Luxemburg/Frankreich) erforderlich – jeweils in der Norm L?

Zwischenzeitliche Antwort: Wohl nur letzteres da Belgien nur PAL arbeitete

  • Was hat es mit der Norm L’ (sprich L Strich) im Unterschied zur Norm L auf sich?

Zwischenzeitliche Antwort: L´ Tonträger 6,5 MHz unterhalb des Bildträgers bei L2, L3, L4  im Band I. (gespiegelt)

 

© 2/ 2007  - by W. Scheida zu www.scheida.at/scheida/televisionen.htm gehörend

 

Nachtrag:

Als "Mann vor Ort" berichtet RM.org Mitglied F. Born über die erreichbare Bildqualität in der Praxis:

Was die Erinnerungen an die unterschiedliche Empfangs-Qualität der Normen angeht, kann ich nicht allzu viel sagen. In den Jahren bis 1959 hatten wir in der Werkstatt weder Signalgeber dafür noch war in der Innenstadt an einen Fernempfang aus Belgien zu denken. Bei Reparaturen mit der Notwendigkeit dazu, mussten wir recht und schlecht in den Kasernen der Umgebung arbeiten. Bei unserem Umzug in ein neues Niederlassungsgebäude haben wir eine Band 1 Antenne für Kanal 3 (Lüttich) erhalten. Jetzt war es  möglich Testsendungen und Schulfernsehen zu empfangen. Da es sich aber um ein verrauschtes Signal handelte waren Feinheiten nicht zu erkennen. Auffällig waren jedoch sowohl die prasselnden Störgeräusche im Ton und die vielen weißen Störpunkte im Bild beim flämischen Programm.

Im Vergleich zum Fernempfang mit CCIR Kanal 6 ( Koblenz) war dies schon auffallend schlechter.

Der direkte Empfang eines französischen Senders war uns in Köln nicht möglich,  so konnten wir keine Vergleiche mit den wallonischen Qualitäten anstellen.

Danke für den Beitrag

(Anmerkung: Band 1 Empfang ist generell kritischer hinsichtlich Fremdstörungen)

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.

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Grundig 4 N mot Geräteserie 
29.Dec.07 20:00

Wolfgang Scheida (A)
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In Ergänzung zum Beitrag über Belgien bietet sich die Erwähnung des Artikels

"4 N Mot" aus der Funk-Technik 1. Jännerheft Nr. 1/1957 Seite 9 an.

Es wird die motorisch angetriebene Schalt Automatik für erhöhten Bedienkomfort für Betreiber einer neuen Serie an (Grundig) Mehrnormenfernsehgeräten erläutert.

Kernaussage: Pro manuel anwählbaren Kanal kann eine von 4 (+1 Res.) Normen fest zugeordnet werden, deren jeweilig erforderliche Schaltprogrammierung per Motor angewählt wird. - Das damals sicher lästige Normen umstellen entfiel damit - siehe Beitrag

Kuriosum: Wenn im Falle einer Eurovisionssendungen im Belgischen 625 Zeilen Kanal ausnahmsweise eine 819 Zeilen Sendung direkt aus Frankreich übernommen wird kann der Zuseher mit einem manuell bedienbaren Kippschalter die Ablenkung auf 819 Zeilen umstellen. 

Es bleibt das Fazit, dass für den Techniker die Belgischen Geräte das komplexeste waren und sind was die Fernsehgerätehistorie zu bieten hat.

  

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.