Dezimeter Versuchsstrecke Berlin - Dresden
Dezimeter Versuchsstrecke Berlin - Dresden

Zur Vorgeschichte:
Im Sachsenwerk in Radeberg bei Dresden waren nach Kriegsende im Mai 1945 nicht zerstörte Gebäude vorhanden sowie auch noch Material.
Nach dem Einmarsch der "Roten Armee" am Morgen des 8.Mai 1945 begann diese unverzüglich Material, Produkte, Maschinen und Anlagen als Kriegsbeute sicherzustellen.
In dem Radeberger Betrieb wurden u.a. die Kurzwellenempfänger "Köln" gefertigt. Mit noch vorhandenen Materialbeständen und Arbeitskräften konnten noch 30 solcher Kurzwellenempfänger für die Sowjetunion produziert werden.
Ab August 1945 erfolgte jedoch die vollständige Demontage der Werksanlagen und die Übernahme des Werkes in sowjetische Verwaltung.
Im F-Gebäude begann 1946 noch unter dem Namen "G. Lorenz AG" mit Material, was mit Waggons aus Falkenstein angeliefert wurde, die Produktion von Meßgeräten. 1947 waren es bereits 29 Typen.
Am 30.April 1947 wurde das F-Gebäude mit Rotarmisten umstellt . Alle vorhandenen technischen Geräte wurden in den nächsten Tagen verpackt zum Abtransport in die UdSSR.
Neben den Meßgeräten beschäftigte man sich mit Richtfunktechnik. Einige Spezialisten waren in Radeberg unter der Leitung von Herrn Vieweger eingetroffen und und dank seines Verhandlungsgeschickes mit dem sowjetischen Generaldirektor Fomin wurde auf der Basis des Lorenz-Gerätes "Stuttgart" in Radeberg das Richtfunkverbindungsgerät "RVG 901" entwickelt und gefertigt..
Mit der RVG901 konnten acht Kanäle übertragen werden.
Am 07.September 1949 kommt es zu einer Besprechung zur Errichtung einer Dezimeter-Versuchsstrecke Berlin- Dresden.
Aus dem Besprechungsprotokoll:
In dieser Besprechung wurde festgelegt, daß diese Stecke aus 6 Teilstrecken ( 2 Endstellen und 5 Relaisstrecken ) bestehen sollte.
Für die Überbrückung der geforderten Entfernung hätten schon 4 Teilstrecken (2 Endstellen und 3 Relaisstellen) genügt, aber es sollten mit einer größeren Anzahl von Relaisstrecken Betriebserfahrungen gesammelt werden.
Vor dem Einsatz der Dezimeter-Richtverbindungsgeräte RVG-902A , der Trägerfrequenzgeräte ME8 und der FT-3 Geräte für den Fernschreibbetrieb auf den beabsichtigten Endstellen und der Dezimeter-Richtverbindungsgeräte RVG902A
RVG 902A ( Werksfoto)
RVG902A, die Antenne (Werksfoto) Im Sprachgebrauch der "Sachsenwerker" wurde diese Antenne "Linsenantenne" genannt. Sie war damals für alle Richtfunksysteme die einzigst zur Verfügung stehende Antenne mit dem höchsten Gewinn.
Wechselstrom-Telegrafie-Gerät Type FT3 (Werksfoto)
auf den Relaisstellen wurden die einzelnen Teilabschnitte der Gesamtstrecke mit dem Dezimeter-Telefon DT911 auf ihre Verwendungsmöglichkeit für Dezimeterwellen untersucht. Diese Streckenerprobung (Prüfung der Teilabschnitte auf quasioptische Sicht) und die Festlegung der Aufbauplätze der End- und Relaisstellen wurde in der Zeit vom 12.9. bis 25.9.1949 durchgeführt.
Am 30.9.1949 wurde der Auftrag zum Bau der Stecke endgültig erteilt und mit den Arbeiten wurde am gleichen Tage begonnen (vergleiche Streckenplan).
Eine Kommission , bestehend aus den Herren Ingenieur-Oberstleutnant Semjonow, Herrn Ingenieur-Oberst Wanjeew und Herrn Oberstleutnant Bogdanow wünschte, die Teilstrecken Dresden - Oschatz -Steinberg - Valtenberg - Dresden zuerst vorgeführt zu bekommen.
Auf diesen Teilstrecken wurden am 10.10.1949 auf Wunsch und im Beisein der Kommission folgende Messungen durchgeführt:
1. Messung 8 Kanäle über 4 Teilstrecken Ergebnis : auf allen 8 Kanälen 5 Np Störabstand
2. Messung 16 Kanäle über 8 Teilstrecken Ergebnis : im Durchschnitt 3,8 Np Störabstand
3. Messung 8 Kanäle über 8 Teilstrecken Ergebnis : im Durchschnitt 4,5 Np Störabstand
4. Messung 8 Kanäle über 12 Teilstrecken Ergebnis : im Durchschnitt 3,9 Np Störabstand
5. Messung Messen des Übersprechens bei keiner der 4 Varianten Übersprechprobleme
Am 17.10.1949 wurde auf Wunsch und im Beisein der Kommission die gesamte Stecke Berlin- Dresden über 5 Relaisstrecken vorgeführt. Bei allen Versuchen wurde kein Übersprechen gehör- und auch meßmäßig festgestellt.
Eine weitere Aufgabe war die Herstellung der Verbindungen zu den Vermittlungen der Endstellen. Ergebnis: Die Sprechverbindung auf den einzelnen Kanälen der auf den Endstellen eingesetzten MM 8-Trägerfrequenz-Gestelle über die gesamte Dezi-Verbindung Berlin- Dresden ohne Anschluß von Vermittlungs- Zuleitungen war vollkommen einwandfrei. Wurden jedoch die Vermittlungs-Zuleitungen angeschlossen, dann verschlechterte sich die Sprachqualität.
Die Sprachqualität wurde ausschließlich durch Postleitungen herabgesetzt, die von der Vermittlung der SMA Dresden nach Hellerau ( Kaserne Festspielhaus ) zum Anschluß der Trägerfrequenz-Gestelle an das Postnetz durchgeschaltet wurden. Diese Postleitungen lagen in ihren Dämpfungsleitungen sehr schlecht und beeinträchtigten die Gesamtverbindung.
Stationsraum der Endstelle Berlin-Lichtenberg (Werksfoto)
Antenne der Endstelle in Berlin(Werksfoto)
Die erste Teilstrecke war 15 km lang. Im Streckenschnitt zwischen der Antenne in Lichtenberg und Müggelberg sehen wir keine natürlichen und auch keine künstlichen ( wie Hochhäuser, Antennenanlagen) Hindernisse.
Dieses tolle Ausflugsziel existiert leider nicht mehr, aber mehr dazu erfahren Sie über den Müggelturm hier, klicken Sie bitte !
Wir werfen einen Blick in die Relaisstelle Müggelturm, wo rund um die Uhr, wie auch bei allen anderen Stellen, ein Team von 5 Kollegen Dienst tat. (Werksfoto)
Unsere Richtfunkstrecke geht weiter. 48 km sind es bis zur nächsten Relaisstelle auf dem Golmberg (178 m NN) bei Stülpe. Der Golmberg ist die höchste Erhebung im Höhenzug Niederer Flämming. Vom Müggelberg ca. 115 m NN bis zum Golmberg haben wir freie Sicht !
Hier ein Blick in die Relaisstelle "Stülpe" auf dem Golmberg. Der Kollege scheint doch in bester Stimmung zu sein, wer hat schon 1949 so einen tollen Arbeitsplatz und konnte dazu noch ohne Wartezeiten telefonieren ? (Werksfoto)
Trotzdem stand draußen ein hoher Gittermast. Dieser war noch aus den 30iger Jahren und war damals wohl für Fernsehversuche genutzt worden.
Relaisstelle Stülpe , Antenne rechts oben ca 15 m hoch (Werksfoto)
Der untere Teil des Gittermastes, welcher zu DDR - Zeiten 2x zurückgebaut wurde, zuletzt war es NVA-Gelände. Heute sollen noch Mobilfunkanbieter und Richtfunk am Mast sein.
aktuelles Foto vom 27.09.2025 Foto Arndt ( vielen Dank)
Die nächste Relaisstation war auf dem Collmberg (313 m NN) bei Oschatz. Bis dahin waren 82 km (Luftlinie) zu überbrücken.
Hier erklärt es sich auch, warum das Dezimeter-Vorhaben so schnell realisiert werden konnte, man nutzte vorhandene Bauwerke (Werksfoto)
Stationsraum der Relaisstelle Oschatz ( Werksfoto)
Der nächste Standort war der Steinberg bei Pulsnitz, (420m NN) im 3.Reich als Horchposten ausgebaut und als Nudelfabrik getarnt , lesen Sie mehr dazu...in dem Artikel 70 Kilometer trennten die beiden Relaisstationen.
Hier wurde ein Teleskopmast aufgebaut.
Teleskopmast der Relaisstelle Steinberg ( Werksfoto)
Stationsraum der Relaisstelle Steinberg ( Werksfoto)
Relaisstelle Steinberg (Werksfoto)
Ein Original-Antennenanhänger Sd.Kfz.127 des „Stuttgart“ und ein stationärer 30m-Teleskopmast wurden aufgebaut. Beide mit je einer Linsenantenne.
Im Hintergrund rechts das Dieselaggregat für die Stromversorgung.
Die nächste Relaisstelle ist nur 24 km entfernt. Zum Gipfel des Valtenberges (587 m NN) hat man Direktsicht.
Wenn man das Foto von dem Steinturm stark vergrößert, sieht man die Antennen (Werksfoto)
Zu diesem Berg können sie sich noch detaillierter informieren.
Stationsraum der Relaisstelle Valtenberg (2 Werksfotos)
Der letzte Abschnitt ist 36 km lang und führt zur Kopfstelle in Dresden-Hellerau . Auch hier ist eine Direktsicht möglich.
Stationsraum der Endstelle in Dresden-Hellerau (Werksfoto)
Mast der Relais- und Endstelle Dresden (Werksfoto)
In Zusammenarbeit mit der Postdirektion Dresden wurden einzelne Anschlußleitungen entzerrt und die Sprachqualität hierdurch stark verbessert. Für diese Leitungs-Entzerrung mußten zunächst die Meßgeräte der Postdirektion Dresden in Ordnung gebracht werden.Die Durchschaltung der Zuleitungen in der Vermittlung in Berlin bereitete keine Schwierigkeiten, da sie nur einige Meter lang waren.
Es konnten daher bei der Durchschaltung die fest eingestellten Entzerrungsglieder der ME 8-Gestelle benutzt werden.
Aufgetretene Störungen:
Stromsperren an den End- und Relaisstellen störten sehr oft den Streckenbetrieb. Während der ganzen Betriebszeit fiel insgesamt 27 Stunden auf den einzelnen Fundstellen der Strom aus.
Da an Träger-Frequenzgestellen leider nur die seit 3 Jahren vom Sachsenwerk benutzten ME 8-Gestelle zur Verfügung standen, konnte der einwandfreie Betrieb erst nach Behebung einer Reihe von Fehlern an diesen Gestellen aufgenommen werden. Der Betrieb wurde einmal 8 Stunden lang unterbrochen, da durch Unachtsamkeit bei der Montage der Antennenkabel bei einem starken Regen Wasser in ein Kabel eindrang. Nach Einsetzen der "vergessenen" Gummidichtung war diese Störung behoben, An den geräten RVG 902A zeigten sich praktisch keine Störungen durch Ausfall von Geräteteilen. Lediglich Röhren mußten mehrfach ersetzt werden, welche in ihrer Emission nachgelassen hatten.
Prüfung des FT 3-Gerätes (Fernschreib-Betrieb mit ersten Baumustern):
In der Zeit vom 9.11. bis 11.11.1949 wurden an den beiden Endstellen Berlin- Lichtenberg und in Dresden-Hellerau die ersten Baumuster des FT 3-Gerätes eingesetzt. Der Fernschreibbetrieb mit den FT 3-Geräten wurde über 4 Teilstrecken (Geländeabschnitt 1, 2, 3 und 7 ) durchgeführt. Da genügend Fernschreibmaschinen auf den beiden Endstellen vorhanden waren, wurden nach Erprobung der Baumuster im Labor die Fernschreiben 6 mal über die Strecke Dresden- Berlin hin und zurück , also insgesamt über 24 Teilstrecken, und 6 mal über die Trägerfrequenz-Geräte ME 8 in Berlin und Dresden geschickt.
Hierbei waren sämtliche 3 Kanäle, d.h. sämtliche 12 Relais der FT 3-Geräte in Betrieb. Trotzdem die Verbindung sich über 1200 km erstreckte und die Fernschreibmaschinen mit Hilfe eines Dauerschreibhebels möglichst schnell beschrieben wurden, war die Verbindung absolut fehlerfrei.
Bei dem nächsten Versuch wurde zwischen den beiden Endstellen auf jedem Kanal einzeln die Verbindung geprüft und sowohl Simplex - als auch Duplex - Betrieb fehlerfrei aufgenommen.
Beim Beschreiben sämtlicher Maschinen auf allen 3 Kanälen in beiden Richtungen mit Höchstgeschwindigkeit und Durchschreiben der kritischen Buchstaben Y und R traten keinerlei Fehler oder Verstümmelungen auf. Gegenseitige Störungen der FT 3-Kanäle wurden nicht festgestellt. Ebenso konnten auf den anderen Kanälen des ME 8-Systemes keine Übersprechstörungen wahrgenommen werden.
Von der Qualität der Wechselstrom-Telegrafie-Geräte FT 3 über die Strecke Berlin- Dresden konnte sich Herr Oberstleutnant Moldewanow , Herr Major Morosow und Herr Kapitän Petrow von der Feldposteinheit 61 963 im Verlaufe des Versuche auf der Endstelle in Dresden-Hellerau überzeugen.
Betriebsstunden:
Bis auf den Ausfall durch Stromsperren waren auf der Funkrelais-Linie Berlin- Dresden bis zum Ausschalten am 14.11.1949 um 12,00 Uhr folgende Betriebsstunden aufgelaufen:
1. Endstelle Hellerau und Relaisstelle Oschatz: 926 Stunden
Diese beiden Stellen waren schon in der Linie Dresden - Oschatz - Steinberg - Valtenberg - Dresden in Betrieb und wurden nach Beendigung der dort gewünschten Messungen nach einer Betriebspause von nur 3 Stunden in die Linie Berlin - Dresden übernommen.
2. Endstelle Berlin, Relaisstelle Müggelturm und Relaisstelle Stülpe : 774 Stunden.
Zusammenfassung :
Nach dem Abbau der Linie wurden die Stations-Geräte im Prüffeld auf ihren Zustand hin untersucht. Es wurde hierbei festgestellt, daß sämtliche Stationen gerätemäßig weiterhin als neuwertig anzusehen waren. Es mußten lediglich auf Grund der Betriebsdauer von fast 1000 Stunden einzelne Röhren , deren Emission nachgelassen hatte, durch neue ersetzt werden. Weiterhin mußte der Lacküberzug der Geräte teilweise erneuert werden.
Der Betrieb der gesamten Linie stellte an das aus mehreren Abteilungen zusammengesetzte Bedienungspersonal große Anforderungen, da diese Techniker und Ingenieure aus den Labors, aus der Montageabteilung sowie aus der Technischen Abteilung sich bisher nur mit Einzelproblemen der Station vertraut machen konnten. Wegen der weiterlaufenden Produktion konnten die Prüffeld-Ingenieure, die allein die gesamte Station beherrschten, nicht für die Linie abgestellt werden. Das Zusamenarbeiten und die Disziplin der einzelnen Relaisstellen-Besatzungen besserte sich im Laufe des Betriebes wesentlich.
Nach einem Streckcnbetrieb von 6 - 7 Tagen war es nicht mehr nötig, daß die Relaisstellen-Besatzungen dauernd die Station überwachten. Es wäre gewissermaßen ein halbautomatischer Betrieb zustande gekommen, wenn nicht das Bedienungspersonal der Relaisstellen desöfteren Streckenmessungen und die Neueingegelung der Strecke durchführen mußte, die notwendig waren, um Betriebserfahrungen auf der Strecke zu sammeln.
Es kann abschließend festgestellt werden, daß in der Verfügung stehenden kurzen Zeitspanne die Linie trotzdem sorgfältig aufgebaut und in Betrieb genommen wurde, so daß außer den bereits aufgeführten Störungen eine dauernde Fernsprech- Möglichkeit vorhanden war.
Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.