philips: Dimensionierung Boosterkondensator

ID: 575991
Dieser Artikel betrifft das Modell: 23TCH360A /00 (Philips - Schweiz)

? philips: Dimensionierung Boosterkondensator 
06.Jun.22 08:40
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Nicolin Salis (CH)
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Für dieses Gerät ist unklar, wie gross der Boosterkondensator sein soll. Im Gerät lag ein originalverstaubtes Schema zum Chassis "S10". Wie ich bei der Reparatur feststellte, stimmen viele Schemadetails nicht mit der Realität überein. Das tatsächlich eingebaute Chassis entspricht viel eher dem der deutschen Gerätevariante 23TD360. Was den Boosterkondensator C135 betrifft, so ist er im Schema "S10" mit 22 nF angegeben. Im Schema für den 23TD360 lautet der Wert jedoch 56 nF. Am ausgebauten Kondensator messe ich 59 nF. Bevor ich auf den Widerspruch der Schemas stiess, hatte ich den Boosterkondensator bereits gegen einen neuen mit 22 nF getauscht. Nach Inbetriebnahme war die Bildbreite war etwas zu gross, so dass ich den Bildbreiteneinsteller korrigieren musste. Das würde darauf hindeuten, dass im Original eher ein 56 nF-Kondensator drin war, oder? Generell gefragt: Wie bestimmt man den "richtigen" Wert eines Boosterkondensators? Ist er überhaupt kritisch oder kann ein allfälliger Fehlwert einfach mit dem Bildbreiteneinsteller korrigiert werden, ohne dass Nachteile auftreten?

P.S. Der "alte" Boosterkondensator hat leider keinen ablesbaren Aufdruck mehr.

Nicolin Salis 

P.S. Aufgrund des verdankenswerten Hinweises von Herrn Steinmetz korrigierte ich (siehe rote Textteile) die Kapazitätswerte in og. Text (ich hatte sie um den Faktor 10 zu gross angegeben...) und gab die Numerierung des Boosterkondensators im Schema an, damit es eindeutig ist. ns

Anlagen:

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philips: Dimensionierung Boosterkondensator 
08.Jun.22 09:34
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Andreas Steinmetz (D)
Redakteur
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Ich nutze mal kurz die Mittagspause, um einen vorbereiteten Text einzustellen, wegen der vielen Informationen in etwas strukturierter Form:

  1. Die im obigen Text genannten Kapazitätswerte sind um eine Zehnerpotenz zu groß: Die richtigen Werte liegen im zweistelligen nF-Bereich (siehe Schaltpläne) und nicht im dreistelligen!
  2. Die eigentliche Betriebsspannung der Zeilenendstufe ist die Boosterspannung. Das ist aber nur dann auf den ersten Blick ersichtlich, wenn das kalte Ende des Boosterkondensators gegen +U (oder Masse) geschaltet ist, wie das in den TV-Anfangsjahren auch meistens der Fall war. Später hat man den Kondensator dann gegen ein Ende des Ablenkkreises geschaltet, wie in den obigen Philips-Plänen zu sehen ist. Elektrisch gesehen sind beide Varianten gleichberechtigt, die Reihenfolge innerhalb der Reihenschaltung von Kondensator und den Zeilentrafo-Wicklungsteilen ist nur anders. Die letztere Variante hat den Vorteil, dass die Ablenkspulen gleichspannungsmäßig nicht auf der hohen Boosterspannung liegen, sondern auf Masse, wodurch die Isolationen weniger beansprucht werden. Nachteilig ist, dass die (messbare) Boosterspannung dann mit starkem Ripple versehen ist, weshalb sie für die weitere Verwendung extra gesiebt werden muss. Das gilt auch schon für die Messung selbst; in den Service-Anleitungen finden sich dann entsprechende Hinweise.
  3. Der Boosterkondensator soll die im Zusammenhang mit der Boosterdiode PY zurückgewonnene Energie speichern und die Boosterspannung glätten. Über eine ganze Zeilenperiode hinweg betrachtet bringt eine Kapazitätserhöhung des Boosterkondensators ab einer gewissen Grenze aber keine weitere Glättung der Boosterspannung mehr. Das ist bei etwa 0,1uF der Fall, und das ist auch der größte Wert, der mir in meiner Reparaturpraxis jemals begegnet ist.
  4. In der Praxis dimensioniert man den Kapazitätswert allerdings ganz bewusst niedriger, um der Boosterspannung eine gewisse Welligkeit zu geben. Dadurch wird der Ablenkstrom S-förmig verzerrt, und die Zeilenbreite bricht an den äußeren seitlichen Rändern etwas ein. Durch diese Korrektur wirkt man den konstruktiv bedingten Abbildungsfehlern, wie sie besonders bei den neueren 110°-Bildröhren mit einem Seitenverhältnis von 4:3 auftreten, entgegen.
  5. Meines Wissens erfolgt obige Korrektur der Zeilen-Linearität aber nur am linken (oder rechten?) Bildrand; für den anderen Rand ist die magnetisch vorgespannte "Zeilen-Linearitätsspule" zuständig. Wer mehr dazu weiß, möge das hier gerne posten.
  6. Folglich nimmt die Bildbreite bei kleinerem Boosterkondensator (etwas) ab.
  7. Zur weiteren Korrektur wählt man auch den DC-Block-Kondensator im Ablenkkreis (siehe z.B. C136 im Schema 23TD360) bewusst klein, so dass sich eine weitere S-förmige Verzerrung des Ablenkstroms, diesmal aber mit Sicherheit symmetrisch, also auf beide Bildränder wirkend, ergibt. Die zugehörige Verzerrung des Ablenkstroms bzw. Entzerrung der Abbildungsfehler heißt aufgrund der mathematischen Beschreibung "Tangens-Entzerrung", und der Kondensator wird auch "Tangens-Kondensator" genannt.
  8. Fazit: Die Kapazität von Boosterkondensatoren ist im Allgemeinen nicht besonders kritisch. Toleranzen von z.B. 10% halte ich für völlig unproblematisch. Selbst größere Abweichungen sind weder gefährlich, noch verändern sie die Bildbreite wesentlich. Die größten Auswirkungen haben sie vermutlich auf die Zeilen-Linearität, weshalb das nach meiner Einschätzung das Haupt-Kriterium bei der Bemessung des Boosterkondensators sein dürfte.
  9. Als Startwert für eigene Experimente würden sich z.B. 47nF, oder was sich gerade in der Bastelkiste befindet, anbieten. Aber Achtung: Nur verlustarme, spannungsfeste Kondensatoren verwenden; normale Kondensatoren würden sich wegen der hohen Impulsbelastung aufheizen! Früher gab es dafür extra Boosterkondensatoren, erkennbar an einer Kennzeichnung wie "Boo" und/oder an der Angabe der maximal zulässigen Frequenz wie z.B. 18kHz oder ähnlich. Heute kann man gut z.B. auf Wima FKS oder FKP zurückgreifen. 

Edit AS: Zum besseren Verständnis einige Funktionshinweise, Fazit und Bauteilehinweis ergänzt.

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philips: Dimensionierung Boosterkondensator 
10.Jun.22 09:55
366 from 1185

Nicolin Salis (CH)
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Sehr geehrter Herr Steinmetz

Danke für die erhellenden Erläuterungen.

Ich wechselte gestern den 22 nF gegen einen 56 nF. Letzteren findet man leider nirgends in Axialaufführung (der Wert 56 nF scheint bei impulsfesten Axialkondensatoren mit genügender Spannungsfestigkeit ausser Mode gekommen zu sein), so dass ich eine Printversion nehmen musste. Zuerst montierte ich den Kondensator so, dass die Anschlussbeinchen gegen den Betrachter zeigten. Bei der Wiederinbetriebnahme kam kein Bild mehr. Bei der anschliessenden Untersuchung sah ich, dass die Kappe der DY einen permanenten Funken zum einen Kondensatorbein zog! Ich musste den Kondensator mit der flachen Seite auf die Hochspannungskäfig-Rückwand montieren. Nun läuft der TV einwandfrei. Die Bildbreite änderte sich nach dem Wechseln des Kondensators nicht merklich, jedoch schien mir die Horizontallinearität etwas schlechter (links etwas mehr gestaucht) als vorher zu sein. Der absolute Wert des Boosterkondensators ist für das grundsätzliche Funktionieren also tatsächlich relativ nebensächlich, aber Ihr Verdacht, dass die Horizontal-Linearität beeinflusst werden könnte, scheint zu stimmen. Das nächste Mal würde ich, wie bereits von Ihnen geraten, bedenkenlos an Stelle des 56-nF-Kondensators einen mit 47 nF einsetzen, den gibt es nämlich als Axialversion (z.B. Kemet C4C Serie mit 1200, 2000 oder 3000 VDC). 

Ich habe übrigens ein Zeilentrafo-Datenblatt von Philips gefunden, welches die Schaltungsvarianten für die beiden Boosterkondensator-Varianten 22 nF vs. 56 nF aufzeigt. Siehe Anhang.

Nicolin Salis

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philips: Dimensionierung Boosterkondensator 
10.Jun.22 21:45
437 from 1185

Andreas Steinmetz (D)
Redakteur
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Herr Salis,

es freut mich, dass ich ein wenig Licht in die Angelegenheit bringen konnte und dass die Reparatur erfolgreich war.

Das von Ihnen attachte Datenblatt des Philips Zeilentrafos AT2025 ist ausgesprochen interessant und wohl auch selten! Jedenfalls habe ich so etwas noch nie gesehen. Dort steht geschrieben, dass der Boosterkondenator in Fig. 1 mit nur 22nF erheblich kleiner (und damit kostengünstiger) sein kann als in Fig. 1a (56nF). Würde es Ihnen etwas ausmachen, uns den S10-Plan noch einmal mit etwas größerem Ausschnitt rund um den Zeilentrafo zur Verfügung zu stellen? Oder geben Sie uns einen Link, bei welchem Modell im RMorg der Plan hinterlegt ist. Mein Ziel ist es, dass man die derzeit noch abgeschnittenen drei Oszillogramme rechts neben dem Zeilentrafo und auch die genaue Schaltung des Ablenkkreises erkennen kann. Ich habe zwar jetzt schon eine Überlegung im Sinn, mit der man die unterschiedlichen Kapazitäten der Boosterkondensatoren begründen könnte (Stichwort: Einwirkung der Parabelspannung vom Tangenskondensator auf die Boosterspannung; dabei kommt es auf die Polarität der Parabelspannung an), würde mich aber anhand des Schaltplans lieber erst vergewissern, ob ich auf dem richtigen Weg bin.

 

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philips: Dimensionierung Boosterkondensator 
15.Jun.22 10:31
575 from 1185

Andreas Steinmetz (D)
Redakteur
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Mittlerweile ist geklärt, dass der Boosterkondensator tatsächlich die Linearität am linken Bildrand beeinflusst (und nicht am rechten), vgl. #2, Punkt 5.

Danke an Herrn Salis, der mich inzwischen mit interessanten Dokumenten versorgt hat. Im Hintergrund arbeite ich an einer vergleichenden Darstellung unterschiedlicher Schaltungsvarianten der Röhren-Horizontal-Endstufe unter Berücksichtigung der Auswirkung auf die erforderliche Kapazität des Boosterkondensators. Bitte noch etwas Geduld!

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