Nutube – eine neue Röhre für die Gitarrenelektronik
Nutube – eine neue Röhre für die Gitarrenelektronik
Nutube – eine neue Röhre für die Gitarrenelektronik
VFDs (Vakuum-Fluoreszenz-Displays) sind Anzeigendisplays, die seit Ende der 60er Jahren zu Anzeige von Ziffern und Texten Massenweise in elektronischen Geräten wie Taschenrechner, Tischrechner, Radiogeräte usw. verwendet wurden [5]. Anfänglich aus Einzelröhren zeilenweise zusammengestellt, entsprechend der gewünschten Menge von Anzeigestellen, später zu komplexen Anzeigeeinheiten mit allen gewünschten Anzeigeelementen in einer Anzeigenröhre integriert.
Den prinzipiellen inneren Aufbau einer Anzeigenstelle zeigt das folgende Bild:
Bild 1: Prinzipieller Aufbau eines VFD-Displays
Schon ab 2008 haben einzelne Hobby Elektroniker darauf hingewiesen, dass man diesen inneren Aufbau auch als Verstärkerröhre verwenden kann. Dazu haben sie alle Segmente der Anzeige zusammengeschaltet zur gemeinsamen Anode, das Gitter als Steuergitter verwendet und der/die Heizer als Katode [Beispiel: 2, S. 67].
Weiterentwicklung der VFD-Displaytechnik zu einer Verstärkerröhre
Das japanische Unternehmen „Korg“, ein führender Hersteller von Elektro-Pianos, Synthesizer Geräten usw. für die Musik-Branche, hat im Februar 2015 auf der sogenannten „NAMM-Show“ in Anaheim, Kalifornien ein neuartiges Röhrenbauelement mit der Bezeichnung „Nutube – 6P1“ vorgestellt. Die NAMM-Show (N=National, A=Association, M=Musik, M=Merchant) ist eine wichtige internationale Messe für Hersteller und Vertrieb von Musikinstrumenten und deren Zubehör wie Verstärker, Lautsprecher, Mikrofone etc.
Die Firma Korg ist der Initiator der Nutube und Noritake-Itron Co. Ltd der Entwickler und Hersteller. Korg und Noritake haben zur Nutube mehrere Patente in asiatischen Ländern und USA angemeldet [1].
Für mich war die Kernfrage, warum ein so großes und etabliertes Unternehmen wie Korg, deren Hauptgeschäftsfeld elektronische Musikgeräte wie elektronische Pianos, Synthesizer usw. ist, eine Verstärkeröhre entwickeln lässt auf Basis der VFD-Anzeigentechnik.
Was will Korg mit neuen Röhren, zumal in diesen Geschäftsfeldern keine Röhrentechnik eingesetzt wird. Nach genauerem Hinsehen und nach Hinterfragen der Gründe, wurde dann klarer, was Korg mit der Nutube vorhat.
Bei der Nutube handelt es sich um eine Duo-Triode in bisher in Verstärkerröhren nicht verwendeter Aufbautechnik, wie sie in Vakuum-Fluoreszenz-Displays (VFD) seit den 60er Jahren in riesigen Stückzahlen für Anzeigedisplays verwendet wird. Einer der großen Hersteller dieser VFDs weltweit ist die Firma Noritake-Itron.
Bild 2: Aufbautechnik der VFD-Displays Bild 3: abgewandelt zur Nutube Verstärkerröhre
Die Funktion einer Triode in Aufbautechnik der VFD-Displays zu realisieren ist prinzipiell leicht zu verstehen. In Bild 2 ist der Aufbau einer VFD-Anzeige vereinfacht dargestellt. Der Heizfaden liefert die Elektronen, damit die grünen Leuchtsegmente leuchten können. Welche Leuchtsegmente einer Siebensegment-Anzeige an Anodenspannung gelegt werden, entscheidet die Ziffer, die dargestellt werden soll. Die dazu notwendige Verbindungstechnik ist im Bild nicht dargestellt. Die Segmente, die bei Darstellung der Ziffer drei an Anodenspannung liegen müssen, zeigen die grün eingefärbten Segmente. Ob die Segmente dieser Ziffer leuchten sollen, entscheidet die Spannung, die am Gitter liegt. Liegt das Gitter auf 0 Volt, leuchtet kein Segment, die Ziffer bleibt dunkel. Die Leuchtsegmente der Ziffer leuchten dann, wenn das Gitter eine positive Spannung von z.B. +5 Volt hat. Wenn dieser Aufbau als Elektronenröhre funktionieren soll, besteht die Anode aus einer leitenden Fläche, wie in Bild 3 dargestellt ist. Bei der Nutube hat diese Fläche zusätzlich noch eine durchgehende Leuchtschicht, damit man mit einer leuchtenden Anode anzeigen kann, das die Röhre in Funktion ist. Die Spannung am Gitter entscheidet darüber, wieviel Elektronen vom Heizfaden zur Anode gelangen. Die Spannung am Gitter hat somit die steuernde Wirkung auf den Elektronenstrom zwischen Heizfaden (Katode) und Anode. Anders wie bei einer Elektronenröhre fließt kein Strom, wenn das Gitter eine Spannung von 0 Volt hat. Es fließt erst ein Strom zwischen Heizfaden und Anode, wenn die Gitterspannung positiv wird. Dann allerdings fließt auch ein Gitterstrom. Dadurch hat die Eingangsimpedanz bei dieser Röhrenbauart kleine Werte gegenüber einer Röhre herkömmlicher Bauart. Die hat bei einer Gitterspannung von 0 Volt einen relativen hohen Anodenstromwert und der Anodenstrom wird gesteuert, wenn die Gitterspannung nach negativen Spannungswerten gesteuert wird. In dieser Betriebsart fließt kein Gitterstrom und die Eingangsimpedanz hat bei einer normalen Elektronenröhre hohe Werte, also einen hohen Eingangswiderstand.
Der Gesamtaufbau der Röhre ähnelt mehr einem integrierten Schaltkreis als einer Vakuumröhre. Die folgenden Bilder zeigen den Aufbau der Nutube.
Bild 4: aus Patent JP16134299, überarbeitet mit deutschem Text
Bild 5: Nutube in 3D-Darstellung Bild 6: Nutube Aufbau - Vakuumdicht
zwischen zwei Glasplatten
Bild 7: Nutube Vorderseite Bild 8: Nutube Rückseite
Bild 9: Detail eines Röhrensystems
Anschluss und Betrieb einer Nutube
Zunächst das Bauelement Nutube, seine technische Daten und seine Schaltungstechnik:
Bild 10: Nutube Anschlußbild
Die folgenden Schaltbeispiele haben alle eine Betriebsspannung von 30V. Deshalb wird ein Impedanzwandler (Emitterfolger) vor dem niederohmigen Eingang der Röhre geschaltet, um den Eingangswiderstand deutlich zu erhöhen und auch ein Impedanzwandler (Emitterfolger) wird am Ausgang der Röhre geschaltet, um die nachfolgenden Schaltungen niederohmig betreiben zu können.
Die folgende Schaltung wurde versuchsweise ohne Impedanzwandler an den Eingängen und Ausgängen aufgebaut, um die sich ergebenden Nachteile zu verstehen.
Bild 11: zweistufige Schaltung ohne Impedanzwandler
Bild 12: Frequenzgang obiger Schaltung
Die Gesamtverstärkung dieser zweistufigen Schaltung ist gering, 8 fach, und die Frequenz ist über 1 kHz stark abfallend. Wegen dieses Abfalls der höheren Tonfrequenzen ist die Nutube für Hi-Fi-Verstärker nicht zu empfehlen.
Der Frequenzgang der Nutube verbessert sich deutlich bei Verwendung von Impedanzwandlern (Transistor, FET). Die Mittenfrequenz von Gitarrenfiltern liegt zwischen 300 und 500 Hz. Beim „Overdrive“ Sound sind höherfrequente Töne meist nicht angebracht, weil dadurch der Klang schrill wird. Das Absenken der höheren Frequenzen gibt beim „Overdrive“ dem Gitarrenklang einen angenehmen, singenden Sound (Weiches Klangbild).
Nicht zuletzt durch diese Höhenbegrenzung in der Frequenzcharakteristik der Nutube ist sie für die Erzeugung eines Röhrensounds verwendbar.
Bild 13: Zweistufige Schaltung einer Nutube mit entsprechenden Impedanzwandlern
Bild 14: Frequenzgang der zweistufigen Schaltung mit Nutube und Impedanzwandler
Zur zweistufigen Verstärkerschaltung sind folgende Informationen von Interesse. Die Schaltung lässt sich grundsätzlich für Betriebsspannungen von 10 bis 80 Volt verwenden. Folgendes ist dabei zu beachten: Die BIAS Spannung für die beiden Gitter sollte so eingestellt werden, dass sich bei der gewählten Betriebsspannung für die Schaltung die Spannungen an den Anoden jeweils die halbe Betriebsspannung hat. Bei 30V Betriebsspannung wäre das 15V. Dadurch kann der Verstärker maximal ausgesteuert werden. Im obigen Schaltbeispiel wird die BIAS Spannung aus der Spannung für die Heizung der Röhre abgeleitet.
Die Gesamtverstärkung beim obigen Schaltbeispiel und der verwendeten Nutube betrug 40 fach. Die Gesamtverstärkung der verwendeten Schaltung verändert sich mit der Betriebsspannung und der jeweils angepassten Einstellung der BIAS Spannung auf die halbe Betriebsspannung an den Anoden. Bei z.B. 80V der Betriebsspannung betrug die Gesamtverstärkung 80 fach und bei 10V Betriebsspannung 15 fach.
Die nachfolgenden Bilder zeigen einige elektrische Kennwerte einer Nutube:
Bild 15: gemessene Emission einer Nutube Röhrenstufe
Die maximale Emission der Nutube liegt unter 1000 Mikroampere.
Bis 30V Anodenspannung kann erst ein Anodenstrom fließen, wenn die Gitterspannung positive Werte hat. Je höher man die Anodenspannung wählt, um so mehr kann die Steuerung des Anodenstroms mit negativer Gitterspannung erfolgen. Bei einer Anodenspannung von 80 Volt kann die Steuerung, bei entsprechender Auslegung der Schaltung, ausschließlich mit negativer Gitterspannung erfolgen.
Eine Verwendung der Nutube in Bodeneffektgeräten erfolgt mit Batteriebetrieb, normalerweise mit einer 9V Blockbatterie.
Die Verwendung in Gitarrenverstärkern kann mit höheren Anodenspannungen erfolgen bis zur maximalen Anodenspannung von 80 Volt.
Das folgende Bild zeigt typische Kennlinien einer Nutube. Deutlich kann man die Bereiche erkennen, bei denen eine leistungslose Steuerung mit negativen Gitterspannungen möglich ist.
Bild 16: Nutube – gemessene typische Kennlinien
Verwendung der Nutube in verschiedenen Geräten der Musikbranche
Firma Korg hat den Vertrieb des britischen Herstellers Vox, der Geräte für die Musikelektronik herstellt, übernommen und damit seinen Einfluss auf die Musikgeräte-Branche wesentlich erweitert. Weltbekannte britische Popgruppen haben mit dem unverwechselbaren britischen Musik-Sound mit Röhren die Vox Verstärker weltweit bekannt gemacht.
Mit der Nutube lebt in dieser Branche vielleicht der Nimbus des Röhrensounds weiter. Ein aktiver Musiker, der für seine Ausübung seiner Musik auf den Röhrensound nicht verzichten möchte, wird sich auch für diese neue Röhre interessieren und Geräte berücksichtigen, die jeweils eine Nutube im Gerät verwenden, um einen Röhrensound dem Verwender zu bieten.
Es sind eine Vielfalt von Geräten auf den Musikmarkt gebracht worden, die seit 1914 mit einer oder mehreren Nutube Röhren ausgestattet sind. Dies bestätigt der Firma Korg einen Erfolg, die Nutube zu verwenden, um in einem sonst nur mit Halbleitern im Verstärkungsweg ausgestatteten Gitarrenverstärker einen Röhrensound zu geben.
Im Folgenden sind einige Geräte aufgeführt, die mit Nutube-Röhren ausgestattet sind und auf dem Markt für Musikalien erhältlich sind.
Anwendungsbeispiel einer Nutube im Ibanez Tube Screamer Bodeneffektgerät für Gitarren.
Bild 17: Ibanez Tube Screamer Bild 18: Detailansicht der Nutube mit Leuchtanoden
Bild 19: Die Nutube im Ibanez Tube Screamer Bodeneffektgerät – Blockschaltbild [4]
Bild 20: Schaltungsprinzip zur Nutube im Overdrive Signalweg
Im Ibanez Bodeneffektgerät „Nutube Screamer“ wird die Nutube als zweistufiger Röhrenverstärker verwendet, um den sogenannten „Overdrive Sound“ mit dem typischen Röhrensound zu erzeugen. Ibanez hat den Nutube Screamer derzeit nicht mehr im Produktprogramm.
Beispiel Vox Ukulele Verstärker
Das folgende Beispiel wurde vom Verstärker für Ukulelen aus dem Anwenderhandbuch entnommen. Leider gibt es keine Detail-Schaltbilder, wie die Nutube in den Signalweg eingefügt ist. Hier wird mit der Nutube ein Röhrensound ohne „Overdrive Effekt“ erzeugt.
Bild 21: Blockschaltbild vom Vox Ukulele Verstärker Typ Ukulele 50
Beispiel Vox Gitarrenverstärker Cambridge 50
Das folgende Beispiel wurde von einem Verstärker dargestellt, der mit einem sogenanntem „Modeling“ Effekt ausgestattet ist. Hier wird die Nutube dazu verwendet, um einen Röhrensound von zehn älteren echten Röhrenverstärkern nachzubilden – sozusagen zu Modellieren. Zusätzlich gibt es eine Einstellung für unverzerrtem Röhrenklang (Clean) und eine Einstellung für stark verzerrten Röhrenklang (Overdrive). Auch hier gibt es vom Hersteller Vox keine detaillierten Schaltpläne darüber, wie die Nutube in den Signalweg des Verstärkers verwendet wird.
Bild 22: Blockschaltbild vom Vox Gitarrenverstärker Typ Cambridge50 – Modeling Guitar Amplifier
Weitere Beispiele in einer zeitlich gestaffelten Übersicht
Bild 23: Übersicht über Produktbeispiele mit der Nutube für die Musikelektronik [3]
Das Verstärkerkonzept, bei der im Signalweg Halbleiterbauelemente verwendet werden und die Endstufe für den Lautsprecherbetrieb mit Klasse D-Verstärkern realisiert werden und in denen eine Nutube zusätzlich verwendet wird, hat seinen Markt gefunden. Es sind wahrscheinlich nicht die Musikprofis, die diese neuen Gitarrenverstärker verwenden, sondern wegen der günstigen Preise, gegenüber Vollverstärkern mit Röhren, sind es die Einsteiger in die Gitarrenmusik und die Hobby-Musiker, die sich so ihr Hobby finanziell leisten können.
Anders sieht es bei den Bodeneffektgeräten aus. Hier geht es nicht um eine Preisreduzierung, sondern um den Röhrensound, den man in ein Bodeneffektgerät integrieren kann. So kann man vielleicht einem reinen Halbleiterverstärker durch Verwendung eines Bodeneffektgeräts mit Röhrensound im Gesamt-Klangbild noch einen Röhrencharakter geben.
Literaturhinweise
[1] Patent JP16134299, Vacuum Pipe, 20.1.2015, Noritake Itron Corp.
[2] Alte Technik in neuen Röhren, P. von Bechen, Funkgeschichte Heft 238, 2018
[3] voxamps.com/de/type/nutube-de/ - Mai 1925
[4] Ibanez Nu Tubescreamer, Owner‘s Manual
[5] What’s up front counts, Electronics 29. May, 1967, p. 212-213
Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.