Radiogeschichte Frankreich - Französische Radiotechnik:

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Radiogeschichte Frankreich - Französische Radiotechnik: 
06.May.10 22:10
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Jacob Roschy (D)
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Jacob Roschy

 Die französische Rundfunk- Industrie war nicht wie die deutsche auf wenige bekannte große Marken konzentriert.

Es gab mehr oder weniger bekannte Marken wie Celard- Ergos, Coradel, Desmet, Ducretet- Thomson, Fornett, General, Hermes, Lafayette, Le Regional, LMT, Marquett, Minerva (Filiale der österr. Marke), Ondia, Pathe, Philips, Radiola, Radiomuse, Ralsa, Reela, RTA, Schneider Freres, Socradel, Sonora, SNR, SREB, Unic, Vox und noch eine Reihe mehr.

Daneben gab es auch sehr viele Klein- und Kleinstfirmen, die Radios herstellten. 
Günstig wirkte sich auf die Existenz solcher Kleinstfirmen aus, dass es in Frankreich leistungsfähige Komponentenhersteller gab, welche Transformatoren, Lautsprecher, Skalen + Drehkoeinheiten, Wellenschalter- Einheiten (Tuner) und Bandfilter lieferten.
 

Es konnte sich praktisch jeder Rundfunktechniker von einem Möbelschreiner Gehäuse anfertigen lassen und mit den gekauften Komponenten Radios zusammenbauen. Man braucht sich daher nicht darüber zu wundern, Geräte mit gleichen Skalen, aber sonst völlig unterschiedlicher Bauweise zu finden. 

Die Radios sind fast immer nach bewährten Standardschaltungen ausgeführt, so wie sie von den Röhren- oder Komponentenherstellern empfohlen wurden.
 

Der Marktanteil dieser Geräte aus "fabrication artisanale" (Werkstattherstellung) ist relativ hoch, es gab wohl in vielen kleinen und mittleren Städten in Frankreich solche Werkstätten, die ihre Geräte nur im eigenen Geschäft oder in ihrer näheren Umgebung verkauften.

Diese Geräte wurden oft völlig anonym anboten, ohne Herstellerangabe und Typenschild oder technischer Angaben. Die Chancen, von solchen Radios Schaltungsunterlagen oder Informationen über den Hersteller zu finden, sind meistens verschwindend gering. 
 

Diese enorme Vielfalt von Herstellern hat zu einer ebenso enormen Vielfalt an Gehäusedesigns geführt, wie man sie in Deutschland nicht kennt. Man findet die unterschiedlichsten Ausführungen von ganz schlicht bis hin zu enorm aufwändig, mit Intarsien, Ornamenten, mit "Ohren" und Spiegelskalen.
 

Schon in der Frühzeit des Rundfunks entwickelte sich in Frankreich die Belegung des Frequenzspektrums mit dicht benachbarten Sendern, so dass trennscharfe Empfänger erforderlich wurden. Daher konzentrierte man sich frühzeitig voll auf die Superhet- Empfangstechnik, auch in den unteren Preisklassen.

Ein- und Zweikreis- Empfänger mit geringer Selektivität, wie sie in Deutschland weit verbreitet waren, (besonders Volksempfänger), sind in Frankreich schon ab den frühen 1930er Jahre praktisch nicht mehr anzutreffen.
 

In Frankreich waren bis in die 1950er Jahre 110 V- Spannungsnetze weit verbreitet. Passend dazu waren billigere Kleinradios oft ausschließlich nur für diese Spannung ausgelegt.

Es handelte sich um Allstromgeräte ohne Transformator, wobei der Heizstrom der Röhren über einen verlustbringenden Vorwiderstand zugeführt wurde.
 

Sollte ein solches Radio trotzdem an 220 V betrieben werden, so geschah dies meistens über einem weiteren Vorwiderstand, der zwischen Radio- Stecker und Steckdose gesteckt wurde und der nochmals die gleiche Leistung wie das Radio selbst, teuer und nutzlos in Wärme verwandelte. Dadurch konnte solch ein billig- Kleinempfänger leicht auf einen Verbrauch von über 100 W kommen.

In manchen Geräten war dieser Vorwiderstand eingebaut, so dass die kleinen Gehäuse kochend heiß wurden, und, wenn es Holzgehäuse waren, diese an den entsprechenden Stellen verkohlten.
 

Die meisten älteren französischen Geräte, die man heute noch findet, stammen aus den späteren 30er Jahren oder aus der Nachkriegszeit.

 

Röhren in Frankreich

Der Großteil aller Radios war mit Standard- Röhrensätzen ausgerüstet, Abweichungen davon gab es nur wenige.

In Frankreich war seit den 30er Jahren der Röhrenmarkt aufgeteilt auf Röhren amerikanischer und europäischer Herkunft, wobei letztere zum größten Teil unter Philips- Einfluss standen, zu einem kleineren Teil auch noch unter Tungsram- Einfluss.

Philips war sowohl als eigene Marke wie auch noch mindestens unter den Tarn- Marken Mazda, Neotron, Dario / RT = Radio Technique, vertreten (früher "Dario - RT" gestempelt, später wahlweise "Miniwatt-Dario" oder "RT") 

Größte selbstständige französische Marke war Visseaux, die jedoch nur Röhren unter Lizenz herstellte, meistens amerikanische Röhren, z. T. aber auch Philips. Dazu gab es noch Tungsram und mit kleinem Marktanteil noch Radiofotos- Grammont, wobei nicht klar ist, ob diese auch wirklich selbst Röhren herstellte.

Amerikanische Röhren wurden vor dem Krieg sowohl importiert wie auch in Frankreich selbst unter Lizenz hergestellt, manche Firmen stellten fast ausschließlich solche Typen her. Nach 1945 waren nur noch Eigenproduktionen anzutreffen.

Die Röhrenbestückung teilt sich auf in solche nach amerikanischem Vorbild, (zuerst USA- 4 - 7- Stift, danach Octalröhren), sowie in die von Philips beeinflusste Technik, zuerst Europa- Röhren 4 - 6- Stift, danach mit Außenkontaktsockel, dort Transcontinental-, oder kurz Transco- Serie genannt. .

Nach 1945 standen an Röhren eine Octal- Serie und die rote Außenkontakt- Philips- Serie zur Verfügung. Neuere Entwicklungen gab es nicht, weder die Allglas- 21-er Serie oder gar Miniatur, auch noch nicht einmal Octal-GT- Röhren waren zu haben. Diese erschien erst später, dann hauptsächlich noch zur Ersatzbestückung.

Von 1948 - 1950 erfolgte allmählich der Übergang von Octal- auf 7-Stift- Miniaturröhren (Pico 7) sowie von Außenkontakt- auf Rimlockröhren.

Kriegs- und Nachkriegszeit:

trotz Krieg und Besatzung blieb die französische Rundfunk- Industrie weitgehend funktionsfähig. Möglicherweise wurde sie von den deutschen Besatzern als kriegsuntauglich angesehen, denn sie wurde nicht merklich in die Kriegsrüstung einbezogen, wie dies mit der deutschen Rundfunk- Industrie praktisch vollständig geschah. 

Stattdessen mussten französische Firmen sogenannte „Besatzungsradios" herstellen, d. h. Empfänger mit Firmennamen deutscher Rundfunkhersteller, welche dann als angebliche deutsche Exportgeräte in Drittländer verkauft wurden. - Damit blieb die französische Rundfunk- Industrie natürlich erst recht funktionsfähig.

Nach 1945 gab es daher weder an Röhren noch an sonstigen Bauteilen Notzustände wie in Deutschland. 
 Der UKW- Rundfunk entwickelte sich nur in Deutschland ab 1950 so erfolgreich.
In Frankreich, wie in fast allen anderen Ländern, spielte UKW in den 1950er Jahren praktisch überhaupt keine Rolle, auch danach entwickelte sich UKW- FM nur sehr zögerlich. Daher findet man französische Radios aus den 1950er Jahren fast ausnahmslos ohne UKW !

(Sh. auch Ernst Erb: Radios von Gestern, S. 91; 223;)


 

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