Restauriert, nicht mehr original

ID: 55038
Restauriert, nicht mehr original 
14.Jun.05 17:35
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Gerhard Heigl (A)
Redakteur
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Gerhard Heigl

In meiner Sammlung befindet sich eine Philips Colette (Röhrenkoffer) an der einige Teile fehlen. Zur Komplettierung habe ich auf ebay ein Colette-Wrack ersteigert, nach dem Motto aus zwei mach eins. Dieses Radio war wirklich in einem schlimmen Zustand: das Gehäuse mehrfach gebrochen, ein Stück von ca. 4 cm² hat gefehlt. Der grüne Bezugsstoff in Fetzen, die beiden Antennen und der zugehörige Rahmen haben gefehlt, ebenso die beiden Griffabdeckungen. Der eingebaute DEAC-Akku komplett verrostet und auch löchrig, die vor langer Zeit ausgetretene Lauge hat im unteren Bereich des Radios ganze Arbeit geleistet. Das Chassis war in relativ gutem Zustand, aber nicht funktionsfähig.
Trotz dem miserablen Zustand des Radios habe ich es dann doch nicht übers Herz gebracht, die Colette (10 Röhren und Gegentaktendstufe und eingebautes Netzteil) als Teilespender zu verwenden. Das Radio sollte gerettet werden!
Zuerst wurde das Chassis auf seine Tauglichkeit untersucht, eine der Endröhren war defekt und eine grössere Anzahl von Kondensatoren mit Hilfe des ISOTEST rasch als Fehlerquelle entlarvt. Auch einige Elkos waren tot. Das Tastenaggregat mit Hilfe von Kontaktspray wieder auf Vordermann gebracht. Siehe da, die Colette gab wieder Töne von sich. Damit war die Restauration beschlossene Sache. Eines war mir jedoch klar: in den Originalzustand kann ich dieses Radio auf Grund fehlender Materialien nicht mehr bringen. Aber ein ansehnlicher und herzeigbarer Zustand sollte zu erreichen sein.
Als Erstes wurde das Gerät komplett zerlegt, das Gehäuse besteht aus 3 Teilen, Frontseite, Mittelteil und hinterer Deckel. Das Lautsprechergitter, der Skalenrahmen und das Philipsschild abmontiert und so gut es ging von Dellen und Verbiegungen befreit. Ein Teil der Befestigungsklammern haben gefehlt und wurden durch dickeren Kupferdraht ersetzt (gelötet). Danach wurden diese Messingteile mit Lackentferner (Beize) behandelt, anschliessend gründlich gereinigt und entfettet (Aceton) und dann mit einem guten Chromglanzlack aus der Spraydose gespritzt. Die Farbe (Chrom) hat mir meine Frau empfohlen, weil es am besten zum gewählten Gehäuseüberzug passt. Die beiden Gehäuseteile - Front und Deckel wurden vom zerschlissenen Überzug befreit und gereinigt. Der fehlende Gehäuseteil, eine runde untere Ecke musste reproduziert werden. Von einer unbeschädigten Ecke wurde ein Gipsabdruck gemacht, dieser kam dann auf die beschädigte Ecke und das fehlende Material wurde mit einer knetbaren Masse von Pattex (Pattex Repair Express Power-Knete) ersetzt. Die Gehäusesprünge wurden mit Sekundenkleber repariert. Dieser Kleber eignet sich sehr gut bei Bakelit. Der mittlere Gehäuseteil war kaum beschädigt. Der Überzug wurde gründlich gereinigt (Cif) und aus der Spraydose schwarz lackiert, ebenso der ursprünglich helle Rahmen rund um die Skala. Der zerschlissene helle Lautsprecherstoff wurde entfernt und durch einen dünnen schwarzen Stoff ersetzt.
Der gereinigte DEAC-Akku wird mit einer am PC erzeugten Hüllenreplik beklebt, bleibt jedoch funktionslos.


Nun zu der Arbeit vor der ich grössten Respekt habe: Aufbringen der Kunststofffolie auf die Gehäuseschalen. Als Kleber verwende ich einen leider nicht mehr erhältlichen Fussbodenkleber, der Fachhändler nannte ihn Fixierkleber. Dieser wasserlösliche Kleber wird mit dem Pinsel dünn auf das Gehäuse aufgetragen und muss anschliessend komplett trocknen. Der Kleber haftet dann ähnlich eines Etikettenklebers. Dann wurde die zugeschnittene Kunststofffolie, zur Verfügung stand mir eine dünne weiche Folie in Schlangenlederdesign, ohne Spannung auf das Gehäuse geklebt. Angeblich könnte man diese Folie unter Wärmeeinwirkung beliebig dehnen und so die unvermeidliche Faltenbildung an den Ecken vermeiden. Dies birgt jedoch die Gefahr, dass die Folie im Alter einzieht und eventuell sogar reisst, wie es bei den alten Kofferradios öfters vorkommt. Um dieses Risiko zu vermeiden, habe ich das überschüssige Material in den Ecken weggeschnitten und die Schnittkanten leicht überlappend angeklebt. Ist nicht sehr professionell aber sicherer. Anschliessend wurden mit einem scharfen Skalpell die nötigen Ausschnitte (Lautsprechergitter, Skalenfenster usw.) gemacht und die Zierteile (Lautsprechergitter, Skalenrahmen und Philipsschild) montiert. Der Originalgriff mit zwei silberfarbenen, moderneren Abdeckhauben wurde ebenfalls montiert.
Jetzt gab es noch das Problem mit den fehlenden Antennen und deren Kunststoffabdeckrahmen. Zwei gleichartige, jedoch dickere Antennenstäbe standen zur Verfügung. Die Isolierrohre (Pertinax) der Originalantennen wurden entfernt und die Erstzantennen an deren Stelle montiert. Als Gehäuseabdeckung wurde schwarzes Kunststoffmaterial gewählt, das mit der Heissluftpistole in die richtige Form gebracht wurde.


Der versenkbare Skalendeckel wurde mit schwarzer DC-Fix-Folie beklebt und der messingfarbene Griff "versilbert". Eine Beschriftung mit dem Colette-Schriftzug ist misslungen und wurde wieder entfernt.


Ich kann nur jedem Sammler empfehlen so eine "aussichtslose" Sache in Angriff zu nehmen. Ein misslingen ist praktisch ausgeschlossen, weil als Teilespender vorgesehen und dafür steht es, sollte die Restauration nicht gelingen, noch immer zur Verfügung.

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Restauriert, nicht mehr original 
15.Jun.05 10:21

Karl Günther Goldsteiner (A)
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Hallo Herr Heigl,

Wenn ich die Bilder ansehe und die Arbeitsbeschreibung dazu lese, kann ich nur sagen eine Meisterleistung. Dieses Radio sieht super aus.
Bitte weiter so.
Mit freundlichen Grüßen
K.G.Goldsteiner

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Restaurieren, ein Geduldspiel was Freude macht. 
15.Jun.05 22:13

Herbert Odermatt † 26.Nov.05 (CH)
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Herbert Odermatt † 26.Nov.05

Hallo Herr Heigl

Bravo! Ich gratuliere Ihnen zu dem nun sehr schönen und gelungenen "Stück". Ich freue mich immer wieder, wenn ich bei Sammerkollegen sowas sehe. Ich weiss (wir alle wissen) es aus eigener Erfahrung, was es braucht, einem Wrack wieder "Leben einzuhauchen". Der Spass daran und hinterher die grosse Freude nach gelungener Vollendung des "Werkes",  ist wie die feine Schokolade einer Sachertorte ;-)
Herzlich grüsst, Herbert Odermatt

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