Siemens LS81 ('Hantel')

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Siemens LS81 ('Hantel') 
21.Jun.15 18:43
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Achim Dassow (CH)
Redakteur
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Liebe Mitglieder und Besucher,

obwohl Röhren nicht direkt im Fokus meiner Recherchen liegen, achte ich dennoch immer darauf, bisher nicht bekannte Typen ans RM weiterzureichen, nicht zuletzt, weil ich schon oft erfahren musste wie schwierig es sein kann, bestimmte geschichtliche Entwicklungen zu rekonstruieren.
In diesem Fall geht es nicht nur um die Röhre allein (Siemens LS81) sondern auch um deren Einsatzzweck, der seinerseits als ein relativ verschütteter Teil eines Kapitels der Elektronik-Geschichte bezeichnet werden kann (Radartechnik).
Verschüttet deshalb, weil über die Deteils der Radartechnik der Alliierten sehr viel geschrieben wurde, weit weniger jedoch über die des Kriegsverlierers.
Nachfolgend ein Auszug aus einem Artikel der "Frequenz", Ausgabe 1955, der speziell bezug auf die Siemens LS81 nimmt.
Leider enthält der Artikel keine näheren technischen Angaben zu der Röhre.

2. B o r d - F u n k m e s s g e r ä t e:

Die Anwendung von Funkmessgeräten an Bord von Flugzeugen führte in erster Linie zu einem Gerätetyp, den man als W a r n - M e s s- oder Z i e I g e r ä t bezeichnen kann, je nachdem für welchen Zweck das Gerät benutzt wurde.
Die von Siemens nach Vorarbeiten des Flugfunk-Forschungsinstituts Oberpfaffenhofen entwickelte Ausführung war das FuG 218/219.
Es ermöglichte im sog. "Vorwärtsbetrieb" von Bord des Flugzeuges aus andere Flugzeuge, die sich im Strahlungsbereich der an der Rumpfnase angebrachten Antennen befanden, zu erkennen, nach Seite und Höhe zu bestimmen und ihren Abstand zu messen.
Im "Rückwartsbetrieb" diente das Gerat als Warngerät gegen von hinten sich nähernde Flugzeuge, wobei eine Richtungsbestimmung nicht vorgesehen war, sondern nur die Entfernung gemessen wurde.
Es konnte ferner eine dritte Betriebsart, der sog. "Halbe-Betrieb" eingestellt werden, wobei mit dem Gerat Störsender auf feindlichen Flugzeugen innerhalb des eingestellten Frequenzbereiches festgestellt werden konnten.
Die Entfernung liess sich dabei nur grob schätzen, dagegen konnte die Richtung bestimmt werden. Den prinzipiellen Aufbau des Gerätes zeigt Bild 18.
Die vier am Bug angebrachten Antennen wurden über Antennenrelais durch eine motorisch getriebene Nockensteuerung laufend eingeschaltet und lieferten bei "Gleichtakt" die Seitenpeilung, bei "Gegentakt" die Höhenpeilung.


Bild 19 zeigt den Aufbau des Senders; die Impulsdauer betrug etwa 1.1usec. Die Pulswiederkehr-Frequenz betrug 1500Hz und konnte im FaIle von Störungen durch benachbarte Flugzeuge urn etwa ± 60 Hz von Hand geändert werden.
Besonders vorbereitete Festfrequenzen konnten parallel mit der des Empfängers wahlweise durch Fernsteuerung eingestellt werden. Der Frequenzbereich war ursprünglich urn 2,4 m, wurde aber später zu 1,6 bis 1,8m gewählt.
Der Empfänger zeichnete sich durch eine hohe Empfindlichkeit mit einer Rauschzahl von etwa 4 aus. Durch eine besondere Schaltungsmassnahme konnten starke Bodenechos, die in ihrer Gesamtheit ein bei tieferen Frequenzen liegendes Frequenz-spektrum haben, unwirksam gemacht werden.
Dadurch gelangte an die Gitter der Röhren in den NF-Stufen nur der Differentialquotient der Bodenzeichen, wodurch der Empfänger seine volle Empfindlichkeit für die eigentlichen Zielzeichen behielt.
Diese haben ein bis zu hohen Frequenzen reichendes Frequenzspektrum, so dass es durch die Schaltung nicht mehr differenz
iert wurde, sondern ohne Formänderung wirksam war.
Zur verbesserten Nahauflösung war der Empfän
ger in der Zwischenfrequenzstufe mit einem sogenannten E i n t a s t g e r ä t (Bild 21) ausgestattet. Dieser Eintastimpuls sperrte bereits vor Eintreffen des direkten hochfrequenten Senderimpulses den Empänger soweit, dass der Senderimpuls nicht in störendem Masse den Empfanger übersteuern konnte.
Auf diese Weise wurde es möglich, bis zu etwa 150 m Entfernungsmessung eine sichere Nahauflösung zu erzielen.


 

 

Bild 20 zeigt die Sender-Empfängerweiche, die seinerzeit als S i m u l t a n g e r ä t bezeichnet wurde und aus der Zusammenschaltung zweier als "Nulloden" bezeichneter Gas-Endladungsstrecken bestand, die über eine λ/4-Umwegleitung miteinander verbunden waren.

(Anm.: mehr über Nulloden erfährt man im Ende des Beitrags genannten Artikel über das FuG202 / FuG220 "Lichtenstein")

 

Die Anordnung der Antennen am Flugzeug gibt Bild 22 wieder.
Bis zum Ende des Krieges waren von dieser Ausführung etwa 150 Geräte zum Einsatz gekommen, die bei einer Impulsleistung von etwa 1,5kW eine praktische Zielreichweite von max. 5 km lieferten. Die absolute Messreichweite betrug etwa 20 km.
Urn die Reichweiten insgesamt etwa zu verdoppeln, wurde die Senderendstufe mit einer zusätzlichen Hochleistungsröhre versehen (FuG 219). Das Bild dieser im Siemens-Röhrenwerk entwickelten LS 81 zeigt Bild 23. Diese Röhre gestattete eine Impulsspitze von über 100 kW, was jedoch besondere Sicherheitsmassnahmen zur Voraussetzung hatte.
Zu diesem Zwecke wurde die gesamte Sendeeinheit in ein Stahlblechgehäuse (Rohr von etwa 30 cm Durchmesser) druckdicht eingebaut. Hierzu musste die Bedienung des Senders völlig auf Fernsteuerung umgestellt werden. Das Tast- und Anodenspannungsgerät (über 10kV) wurde ebenfalls in ein Gehäuse gesetzt, das zum Sprühschutz mit Öl gefüllt war.
Zu diesem Bordfunkmessgerät wurden noch weitere Zusätze entwickelt. Das eine war ein V i s i e r z u s a t z, mit dessen Hilfe man ein beliebiges Echo aus einer Mehrzahl auswählen und in Form eines Zielkreises darstellen konnte ("Gnom"). Dieser Zielkreis wurde aus der Speicherung der erhaltenen vier Raumwerte des Echos gewonnen.
Ein weiteres Gerät war ein auf der Abstandsbestimmung aufgebautes A u s l ö s e g e r a t ("Elfe"); seine Aufgabe bestand darin, die aus dem Funkmessgerät gewonnenen Werte des Abstandes in mechanische Regelwerte umzusetzen.
Diese Aufgabe ist im allgemeinen in zwei Schritten zu lösen, indem man z. B. die Laufzeit in einen ihr proportionalen Strom umwandelt und diesen Strom in einen mechanischen Befehl mit Hilfe eines Potentiometers mit Nachdreheinrichtung umsetzt.
Der erhebliche Aufwand für den zweiten Schritt ist notwendig, weil die Stellwinkel von der Belastung durch die zu betätigenden Einstellwerte unabhängig sein müssen.
In der nachfolgend beschriebenen Ausführung wurde die Auswahlschaltung mit einer gewissen Freizügigkeit in der Zielauswahl ausgeführt. Der Sendeimpuls wurde mit dem Echo des anzumessenden Zieles durch Phasenverschiebung gekoppelt.
Durch eine elektrische Differenzmessung wurde jeweils der Sendeimpuls in die beliebige Lage des Echoimpulses verschoben.
Der zeitliche Abstand des Echoimpulses vom eigentlichen Sendeimpuls wurde in eine Potentiometerstellung umgesetzt. Die Potentiometerwelle war mit einer vorwählbaren Kontakteinstellung versehen und löste bei einem bestimmten Entfernungswert, z. B. 1,5km, einen Raketensatz aus und gab gleichzeitig dem Flugzeugführer ein Hupensignal abzudrehen.
In Bild 24 ist das Verfahren schematisch dargestellt.

Das Gerät selbst konnte, wie Bild 25 zeigt, in einer kleinen und gewichtsmässig nicht belastenden Grösse hergestellt werden.

Quelle:
Beiträge der Firma Siemens zur Flugsicherungstechnik und Luftfahrt-Elektronik in den Jahren 1930 bis 1945
(überarbeiteter und erweiterter Text eines Vortrages, der auf dem Kongress der Association pour l'Encouragement à la Recherche Aèronautique (AERA) am 1.7.1953 in Paris gehalten wurde)
Verfasser: H.J.Zetzmann
FREQUENZ 1955, Bd. 9, Nr.10

Anmerkung: Wegen der fehlenden Möglichkeit, die Antennen zu schwenken, wurde beim FuG 218/219 "Neptun" das Funkecho noch im zuerst entwickelten Zeitdiagrammformat angezeigt, obwohl mit dem "Sternschreiber" für das FuMG404 "Jagdschloss" etwa zur selben Zeit bereits eine Rundsicht-Anzeige möglich war.
Im Wikipedia findet sich ebenfalls ein Artikel über das FuG218, der auf andere Details eingeht, nicht jedoch über das FuG219.
Möglich wäre, dass das stattdessen erwähnte FuG 218 G/R gleichbedeutend mit dem FuG219 ist, da dort ebenfalls die höhere Leistung erwähnt wird und weil dieses ebenfalls einen Vorwärts/Rückwärtsbetrieb ermöglichte.

Weitere Hinweise auf die deutsche Funkortungstechnik kann man unter "Lichtenstein Radar" oder FuG202/FuG220 finden, darunter sogar Schaltungen dieser Radargeräte. Der in Englisch verfasste Bericht erwähnt ein mit Funkortungstechnik ausgerüstetes Flugzeug der deutschen Luftwaffe, das 1944 unbeschadet in der Schweiz notgelandet wurde.

Freundliche Grüsse
Achim

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