Styli für 78er Schallplatten

ID: 394507
? Styli für 78er Schallplatten 
01.Mar.16 20:16
43

Mark Hippenstiel (D)
Beiträge: 1251
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Mark Hippenstiel

Guten Abend,

eine Frage an die Spezialisten: abgesehen vom Shure N78S (64 microns) scheint es kaum Ersatznadeln zu geben, die einen größeren Durchmesser haben - so wie ich verstanden habe, essentiell für die Wiedergabe insbesondere von relativ müden Schellackplatten oder Pathé Tiefenschrift-Platten erforderlich.

Es gab einmal die britische Firma "Expert Stylus Company" die hier und da erwähnt wird, aber die Webseite ist mittlerweile nicht mehr aktuell. Preise für derartige Spezialanfertigungen sind wohl auch recht hoch.

Meine Frage(n): welche Erfahrungen habt ihr mit Nadeln für moderne Plattenspieler? Wo beschaffen? Welche verwenden? Wie sieht es mit der Nadel-Kompatibilität mit verschiedenen Systemen aus? Wird ein neues System passend für die Nadel fällig?

Über hoffentlich zahlreiche Beiträge wüde ich mich freuen.

Beste Grüsse
Mark Hippenstiel

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Expert Stylus 
01.Mar.16 23:15
43 from 4886

Claus Peter Gallenmiller (D)
Beiträge: 39
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Die Firma Expert Stylus gibt es immer noch und liefert hervorragende Diamantnadeln in unterschiedlichsten Schliffen und Dimensionen. Dort sind sowohl spezielle Schliffe für Tiefenschriftplatten wie Pathé oder Edison, wie auch spärische oder elliptische Schliffe in 25/28/30/32/35/40/...mil erhältlich. Leider existiert keine Web-Seite, aber eine Liste der lieferbaren Styli kann über folgende Adresse angefordert werden:

Expert Stylus Company
Omega house
50 Harriotts Lane
Ashtead
Surrey
KT21 2QB
United Kingdom
 
Tel:  +44 (0) 1372 276604
Fax: +44 (0) 1372 276147
Email: info@expertstylus.co.uk

Ich habe dort bereits mehrfach eingekauft und war immer sehr zufrieden.

 

Mit freundlichen Sammlergrüßen

Claus Peter Gallenmiller

 

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Aktuelle Nadeln für Schellackplatten 
14.Mar.16 22:16
392 from 4886

Georg Richter (D)
Beiträge: 916
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Georg Richter

"Müde" Schellackplatten sind mir bisher noch nicht untergekommen.

-/-

Beschränkt man sich auf gängige Tonabnehmersysteme für die es preiswerte Originalnadeln (keine Nachbauten) für Schellackplatten gibt ist der Markt sehr übersichtlich.

Shure M78S wurde schon angesprochen:

 

Bild © Gebrüder Shure

 

Für die Wiedergabe von akustischen Schellackplatten mit dickem überstehenden Rand eigentlich nicht geeignet weil der (über-)breite Nadeleinschub aufsitzt.

Dieses Problem hatte teils auch die (längst abkekündigte) Nadel Shure N44-3 für die Systeme M44 und M55 (siehe unten).

Aus diesem Grund verwende ich seit Jahren den Stylus 78 welcher sowohl für alle Otofon-Systeme OM, OMB und OMB-Super passt,

als auch zu allen Ortofon  Concorde und Pro Systemen:

Gegenüberstellung  Shure N44-3 (links) und Ortofon Stylus 78 (rechts),

besonders angenehm das präzise aufsetzen bei Platten mit Randausbruch bis zum Rillenanfang. Bestens bewährt bei bisher ca. 4500 überspielten und bearbeiteten Plattenseiten..

Wer ein Shure M75 hat findet bei Williamthakker die Nadel N75-120 mit 120µ, leider nur mit Saphirstift. (Preis EUR 35,50).  Dort gibt es auch Nachbaunadeln für verschiedene weniger gebräuchliche Tonabnehmersysteme diverser Hersteller,

Gut situierte Plattensammler können sich bei Ortofon nach den Moving-Coil Mono-Systemen umschauen - stattdessen kann man aber einige Stylus 78 verbrauchen, und zur Digitalisierung sind Mono-Systeme definitiv ungeeignet.

Für Tiefenschrift-Platten braucht man nicht zwingend eine Spezialnadel. Statt 65µ kann man es auch bis herab zu 18µ versuchen, besonder stabil ist die Ortofon-Nadel "Scratch S". Wer einige damit und mit Stylus 78 abgespielten Tiefenschriftplatten hören möchte besuche bei Youtube den Kanal n78de.

Ein paar Anregungen gibt es auch auf meiner Web-Seite n78.de (siehe Profil).

Fazit: Auch wenn Profis die Nase rümpfen, für "nur Wiedergabe" reicht eine Standard-Nadel, es sei denn man ist mehr mit dem aussuchen der Spezialnadeln beschäftigt als mit "Platten abspielen".

Beste Grüsse,

GR

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Gut gebrüllt! 
15.Mar.16 22:33
506 from 4886

Steffen Thies (A)
Redakteur
Beiträge: 278
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Herr Richter, Sie haben recht! Gar so genau geht es oft nicht.

Ich habe mir vor langer Zeit schon so geholfen, daß ich in irgendeinem älter wirkenden Geschäft eine beliebige billige 78er Nadel gekauft habe, dort den Saphir herausgeprokelt und in einen verschlissenen Nadelträger für Mikrorillen gedrückt habe. Noch mit etwas Sekundenkleber gesichert, und fertig. Das System ist ein M75 von Shure. Da die Einsätze am heißen Ende kugelrund sind, ist ein kleiner Winkelfehler kein Problem, und drehen darf man ihn sowieso. Geht ja nicht um "Hoch-Ende"...

Im Vergleich mit einer Mikronadel konnte ich selten einen Unterschied hören, habe das allerdings auch nicht besonders erforscht. Die Vorgeschichte scheint immerhin einen Einfluß zu haben. Bei ganz alten ist die Kracherei mit der 78er Nadel etwas geringer. Insofern muß ich widersprechen: Müde Scheiben gibt es doch!

Immerhin kann ich mir nicht vorstellen, daß Schellacks von Mikronadeln angegriffen werden. Die Auflagekraft liegt ja nur noch bei 1/100 des vorgesehenen Werts. Wichtiger erscheint es mir, die Vinylplatten nicht mit einer durch 78er angegriffenen Nadel zu behandeln. Deshalb würde ich auch dann separate Nadeln verwenden, wenn beide den gleichen Radius haben.

Herzliche Grüße,

Steffen Thies

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Nochmals 
16.Mar.16 00:03
518 from 4886

Georg Richter (D)
Beiträge: 916
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Georg Richter

Sehr geehrter Herr Thies,

bisher hat in diesem Thread niemand (wissentlich) ."gebrüllt".

Zum Thema: Von Mikrorillennadeln für Schellackplatten war nie die Rede - das betraf die Tiefenschriftplatten von Pathé und Edison wegen der "mikroskopischen Ondulationen":

"Vor langer Zeit" gab es noch die Shure Nadel N75-3 für Ihr Tonabnehmersystem, und selbst mit einem Nachbau (der Händler ist oben genannt) mit Diamant sind Sie sicher besser bedient als mit einem aufgepfropften Saphir.

Ich wünsche allerseits (und mir) stets wache Schellackplatten (mit nicht ermüdenden Darbietungen)

Beste Grüsse,

GR

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Weitere Möglichkeit... 
16.Mar.16 08:22
537 from 4886

Adalbert Gebhart (CH)
Beiträge: 157
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Um für Reparaturarbeiten gelegentlich in Schellackplatten reinhören zu können, ohne sie auf einem alten Schellackspieler weiter abzuraspeln, habe ich für meinen Dual 1009 (ausgerüstet mit einem SP1 TA-System, für das es meines Wissens keine Schellacknadel gibt) im ebay ein Dual CDS660 erworben und es auf eine zweite Headshell montiert:

 

Dieses Tonabnehmersystem habe ich dann mit der Nadel DN83 ausgerüstet, die (angeblich) auf einer Seite einen Diamanten mit 17u für Normalrille und auf der anderen einen Saphir mit 65u für Schellack hat.

 

Nachprüfen kann ich das nicht, aber die folgenden Mikroskopaufnahmen zeigen, dass die Radienverhältnisse ungefähr stimmen könnten:

Das funktioniert soweit problemlos.

Zu einem Hörgenuss werden die Schellackplatten aber trotzdem nicht.

Grüsse

Adalbert Gebhart

 

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Der Weg zum Genuss 
20.Mar.16 02:21
648 from 4886

Georg Richter (D)
Beiträge: 916
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Georg Richter

Das keramische Dual CDS 660 ist nicht unkritisch. Der Verstärker muss eine Eingangsimpedanz von mindestens 1MΩ aufweisen damit der spezifizierte Frequenzgang (besonders der tiefen Töne) erreicht wird:

Die Absenkung ab 1 kHz könnte als "Nadelgeräuschfilter" durchgehen, was aber durch den Anstieg ab 10 kHz zunichte gemacht wird. Zudem wurden Schellackplatten vor RIAA-Zeiten überwiegend ohne Höhenanhebung geschnitten, sodass der Bereich ab 1 kHz  zur korrekten Wiedergabe deutlich ansteigen müsste. Mit dem üblichen Diskant-Regler wird man das nicht erreichen, ein Equalizer ist anzuraten.

Mit einer Auflagekraft von 4 bis 5 Pond wird der Saphirnadel bei (abgenutzten) Schellackplatten keine lange Lebensdauer beschieden sein.

Seit (ab Anfang 1925) bei Victor mit Kondensatormikrophon aufgenommen und elektrisch geschnitten wurde ("Orthophonic Recording") bzw. früher "VE" (Victor Electric) auf dem Label, und auch andere Firmen die Apparaturen von Western Electric genutzt und lizensiert haben, sind gut erhaltene Schellackplatten durchaus ein Genuss erster Güte wenn die individuelle Entzerrung stimmt und keine Pressfehler (die gab es durchaus auch bei bei namhaften Firmen) ärgern.

Wird man bei "nur Wiedergabe" auf Mono schalten um den psychedlischen Effekt "Kratzer linker Kanal und rechter Kanal unterschiedlich, Nutzsignal in der Mitte" zu vermeiden, ist bei Nachbearbeitung stereo ein Muss!

Ausschnitt aus "Saxophone Fantasie", von Rudy Wiedoeft im März 1921 auf Brunswick 2071B gespielt:

Der markietrte Bereich ist ein übles Pfeifen auf einem Kanal. Wird diese Störung durch die entsprechende Partie aus dem anderen Kanal ersetzt ist man dem Genuss auch bei einer mechanischen Aufnahme deutlich näher.

Mit "etwas" Geduld sind auch Platten bei denen man "Ohrgeruch" bekommt durchaus passabel hinzubekommen. Beispiel "Traffic Jam" von "Joe Ward's Swanee Club Orchestra" aus 1928, auf meiner Web-Seite N78.DE im "Schallarchiv", Rubrik "Verkehr".

Auch die Übungen von Ago Glucker in der Rubrik "Gymnastik" (Download-Rekord!) waren so ein Fall.

Beste Grüsse,

GR

Nachtrag:

Gerade fertig als besonderen Genuss: "Rain", gespielt von Jaques Renard and Hs Cocoanut Grove Orchestra mit den Sängern Scrappy Lambert und Billy Hillpot auf Victor 21107A,, "Orthophonic Recording" am 07.11.1927 in New York. Zu hören in der Rubrik "Wetter".

Die B-Seite "Joy Bells" ist in der Rubrik "Hochzeit".

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