Typprüfung für elektrische Apparate (Typenprüfung, TÜV)

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Typprüfung für elektrische Apparate (Typenprüfung, TÜV) 
08.Feb.19 20:32
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Ernst Erb (CH)
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Ernst Erb

Wir können uns kaum vorstellen, wie die Anfänge der Elektrizität für den Privatgebrauch verliefen. Es geht nicht nur um die Probleme der verschiedenen elektrischen Spannungen mit Wechselstrom, z.T. verschiedener Frequenz oder Gleichstromnetze, sondern vor allem um die Sicherheit der Menschen. Man nennt das heute Produktsicherheit.

Kaum vorstellbar heute sind auch die Experimentierkästen der 1920er und 1930er-Jahre. Bei diesem Kosmos-Elektro-Baukasten z.B. steckt das Kind oder Jugendliche einen gewundenen und mit Asbest isolierten Widerstandsdraht als Leistungsnehmer in das Netz und dieses hat zwei Abgreifpunkte für die zu verwendende Niederspannung von wenigen Volt. Im Auslegebild ist dieses Gebilde rechts unten, direkt unter dem grossen roten Hufeisenmagnet zu finden.

Ein grosser Schritt war die Einführung der Schutzerdung, was aber wieder neue Probleme brachte. Ohne Benutzung der Erde als Nullleiter oder Schutzerde ist das tatsächlich relativ ungefährlich, sogar der berühmte Föhn in der Badewanne hätte keinen Rückleiter, doch heute undenkbar. Die Erde ist nun ein Rückleiter. Zudem sind sich die Menschen an eine praktisch absolute Sicherheit vor Stromschlägen gewöhnt und wissen nicht mehr wie mit Elektrizität umgehen.

Natürlich gab es auch vor der Einführung der Schutzerde Unfälle, meist lediglich ein Stromschlag, doch auch tödliche Unfälle, so dass die Staaten begannen verbindliche Sicherheitsvorschriften zu erstellen. Dies nicht nur auf dem Gebiet der Elektrizität. Anfänglich waren Schutzerdung und Betriebserdung kombiniert (Nullung, Schutzpotentialausgleich), später niederohmig oder hochohmig separat. Vorschriften durch VDE, NIN, ÖVE bzw. DIN.

Typenprüfungsstellen

Zur Überprüfung von Geräte-Modellen hat man Organisationen geschaffen wie in Deutschland der TÜV (DEKRA, Intertek etc.). Das begann dort mit dem Dampfkessel-Revisions-Verein, der ab 1866 Wirtschaftsunternehmen die Prüfungen zur Sicherheit abnahm.

Die Sicherheitsvorschriften waren zumindest zeitgleich recht unterschiedlich je nach Land. So gab es zu einem gewissen Zeitpunkt Länder, die beim Radio z.B. vorschrieben, dass bei Abnahme der Rückwand automatisch eine Netztrennung stattfinden muss, auch wenn das Chassis selbst keinen galvanischen Kontakt mit dem Netz hat.

Nach Übernahme der Firma König Apparate AG (Schweiz) bekam ich es zu spüren, dass solche Typprüfungen recht teuer und umständlich sind. Liessen wir z.B. elektrische Rechauds (Speisewärmer) in Irland herstellen, musste man dort die Produktion umstellen, denn die Vorschriften in Irland waren viel leichter zu erfüllen. Das nur als Beispiel.

Bei Radios kamen zudem die unterschiedlichen Vorschriften bezüglich Störstrahlungssicherheit etc. zum Tragen wie auch das Problem der galvanischen Trennung von Buchsen wie Antenne, NF-Eingang, LS). Bei heissen Chassis kann selbst eine zu lange Madenschraube für Knöpfe ein Problem darstellen. Auch so etwas hat man wohl pro Land unterschiedlich gesehen.

Hier ein aktueller Link "nach draussen" als Ausnahme in einem öffentlichen Board über aktuelle Prüfstellen und deren Darstellung/Beschreibung.

Prüfzeichen einiger Länder

Zusammenfassend: Prüfzeichen an einem elektrischen Netzgerät durfte und darf man erst nach einer bestandenen Typprüfung verwenden. Jedes Modell benötigt eine separate, meist teure Typprüfung. Vor einem Verkauf im eigenen Land oder (meist anders) für andere Länder muss die Prüfung bestanden sein.

Heisst: Man hat sich gut überlegt, wie man das Grundgerät ausrüstet, um für verschiedene Länder fit zu sein. Radios: Für gewisse Länder hat man besonderen Aufwand treiben müssen, für jedes Land war eine separate Prüfung nötig. Gemeinsame Prüfungen gab es erst später. Der Einbau einer anderen Skala pro Land genügte also bei weitem nicht.

Das bedeutet, dass man es sich gut überlegen musste ob man eine genügende Stückzahl für ein bestimmtes Land erwarten durfte, um die Prüfkosten zu rechtfertigen - oder nicht.

Das Prüfzeichen eines Landes oder für mehrere Länder auf einem Gerät bedeutet, dass genau dieses Modell in einer ansehnlichen Anzahl in dieses Land exportiert oder dort gefertigt wurde. Es bedeutet aber nicht, dass das Gerät nicht auch in andere Länder exportiert oder dort gefertigt wurde. Gewisse Prüfanstalten bekamen (mit der Zeit) die Ermächtigung für mehrere Länder zu prüfen. Siehe z.B. unten für Nordic Marks für Skandinavien. In gewissen Zeiten gab es wohl auch (eher kleine oder exotische) Länder, die Gerätetypen von einer bestimmten Prüfstelle eines anderen Landes akzeptierten.

Von Philips hat mir Wolfgang Bauer einige Muster für verschiedene Länder zugestellt. Zu beachten ist, dass viele dieser Modelle Exportgeräte aus Holland oder Belgien waren. Das kann auch zutreffen, wenn im Zielland eine Fabrik stand.

Sammler interessiert es oft weniger wo man ein Gerät herstellte, sondern vor allem in welchen Märkten es zum Verkauf kam. Zudem sollte ein Sammler unterschiedlich bezeichnete (z.B. anderer Suffix) Modelle mit gleichem Aussehen sammeln und auf seiner Sammlungsseite zeigen können.

Geräte mit solchen Prüfzeichen dürfen/sollen bei uns auch im entsprechenden Land oder Länder angelegt sein. Zudem kann man sie im Herstellerland anlegen, wenn eindeutig bekannt. Im Fall von zwei oder mehr Geräten des genau gleichen Typs (inkl. Suffix) sollen wir zumindest mit dem Modell im Herstellerland (und zurück) verlinken. Nur so kann man beim Herstellerland (Holland oder Belgien für Philips) mehr und mehr erkennen, in welche Länder Philips das Modell exportierte. Philips ist sowieso ein Spezialfall, weil die Firma früh mit Aufkauf oder Gründung von Produktionsstätten in zahlreichen Ländern begann.

Wir müssen auch wissen, dass der hart umkämpfte Markt es verlangte, dass man an jeder Stelle sparte. Es ging bei der Kalkulation um Pfenninge, wie uns mal Herr Hans M. Knoll (ex Grundig) erklärte. So hat man z.B. kaum eine ganze Serie mit automatischer Unterbrechung der Stromzufuhr bei Abnahme der Rückwand hergestellt, wenn das nur gewisse Länder damals verlangt hatten. Erstaunlicherweise wissen wir (Februar 2019) noch nicht (oder selten), was die Suffixe bei Philips bedeuten. Doch mit systematischem Vorgehen und genügend Bildern von Skalen, Rückwänden und Typenschildern etc. können wir das mit der Zeit leisten.

Beispiele von Prüfzeichen

Beispiele solcher Philips-Modelle aus der Saison 1949/50

BX290U-04 mit Nummer E87056 aus Eindhoven NL ist mit den Typprüfzeichen N und D eindeutig zumindest für Norwegen und Dänemark Typgeprüft. Die Sendernamen für Schweden und Finnland hingegen sprechen nicht unbedingt für einen Export auch in diese Länder, ausser die Typprüfung durch NEMKO/SEMKO galt zu dem Zeitpunkt auch für ganz Skandinavien.

BX290U-05: Von der Skala her scheint das Modell mit Apparatenummer L23092 mit diesem Suffix -05 in Leuven, Belgien für ein oder mehrere Länder in Skandinavien gebaut worden sein. Allerdings fehlen Typprüfzeichen (z.B. N und D auf dem Typenschild) und es gibt (Feb. 2019) keine weiteren Hinweise über den Zielmarkt. Vielleicht verraten uns mal weitere Detailbilder mehr, vor allem Detailbilder weiterer Apparate BX290U-05, denn so ist das Modell nicht mit Sicherheit einem Zielmarkt zuzuweisen. Einen späteren Tausch von entweder Skala oder Chassis können wir jetzt nicht ausschliessen!

BX290U-19 ist eindeutig ein Exportgerät für Schweden - wie auf dem Typenschild bei Nr. E52157 aus Eindhoven erkennbar (Typenschild Nr. A3 624 81). Evtl. auch für Skandinavien. Das lässt sich erst mit einer Anzahl von Geräten klären, ob Suffix -19 nur für Schweden geprüft ist oder für Skandinavien. Jedenfalls sind Warnhinweis und das Prüfzeichen für Geräte-Nr. E52157 in Schwedisch (SEMKO).

BX290U-32-452: Zumindest Chassis-Nummer E134622 aus Eindhoven NL beweist mit dem speziellen N und D die Typprüfung für Norwegen und Dänemark durch NEMKO/DEMKO, was auch die Skala für Skandinavien anzeigt. Der nur gestempelte zusätzliche Suffix -452 steht mutmasslich für die Zwischenfrequenz (ZF), was für weitere Version(en) spricht. Typenschild mit der Kodenummer A1 871 99.0 (rechts unten).

Viel gewinnen könnten wir, wenn Sammler auch die Skala und das Typenschild separat und mit 1400 Pixel Breite hochladen. Mit dem Namen des Hochladers kann man in den meisten Fällen das Modell zusammenhalten. Erst danach können wir hoffentlich definitive Schlüsse ziehen. Gäste können Bilder via "Kontakt" im Fusslink senden - bitte mit der Information, was sie als Bildlegende wünschen.

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Kriegszeit und Abweichungen von der Regel 
12.Feb.19 18:55
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Ernst Erb (CH)
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Ernst Erb

Gidi Verheijen hat mir als guter Kenner von Philips Ausnahmen von der Regel gesandt, die ich gerne hier anfüge:

"Die frühen Ausführungen 208U-10, -47 und -48 (aus 1943) mit Beschriftung N/D wurden jedenfalls nicht nach Norwegen exportiert. Im September 1941 haben alle Norweger nämlich, im Auftrag des Besatzers, ihre Rundfunkgeräte abliefern müssen und war ab dann der Besitz eines Gerätes verboten."

"Von 1942 bis 1945  hat es deshalb auch keine Export von Philips-Geräten nach Norwegen gegeben. Dänemark ist in diesem Hinsicht ein anderes Thema, in Dänemark wurden keine Rundfunkgeräte beschlagnahmt. Aber auch nach Dänemark wurden dann keine Philips-Geräte exportiert. Nur Finnland und Schweden waren damals Zielländer.

Siehe hier unten den Ausschnitt aus der Liste mit den in der Periode 1936-1948 in Norwegen importierten Philips-Rundfunkgeräten. In dieser Liste fehlen Importe in der Periode von 1942 bis 1945 (weil es diese nicht gegeben hat)."

 "Die aus 1941 stammenden Modelle 203U und 204U wurden im 1941 wohl noch nach Norwegen exportiert (bevor der Besitz von Rundfunkgeräten verboten wurde). Das aus 1943 stammende Modell 208U wurde jedoch erst nach dem Krieg nach Norwegen exportiert. Dabei handelte es sich nur um den späteren Ausführungen des 208U (208U-32, 208U-42 und 208U-43, Ausführungen für das Zielland Norwegen)."

Er hat netterweise auch eine Liste mit dem Titel "Fortegnelse over Philips mottakere." gesandt. Das ist Norwegisch und bedeutet "Liste der Philips Empfänger" und darunter sinngemäss: in den Jahren 1936-1948 (nach Norwegen) ausgeliefert.

Zum Thema hat Gidi die folgenden Typenschilder gesammelt und mir das Bild zugestellt. Danke.

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