V113: Eine interessante Elektronen-Vierstrahlröhre

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Dieser Artikel betrifft das Bauteil: Zur Röhre/Halbleiter

V113: Eine interessante Elektronen-Vierstrahlröhre 
22.Oct.17 22:36
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Georg Richter (D)
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Georg Richter

In FUNK-TECHNIK Nr. 4/1954, 2. Februarheft 1954, schrieb H.F.WENDLING auf S.102 und 103:

Eine interessante Elektronen-Vierstrahlröhre

Bei der Untersuchung umfangreicher Schaltungen auf Phasenverschiebungen und Verzerungen an verschiedenen Meßpunkten, dem Bestimmen von Schaltzeiten und Schaltfolge von Relais, wie auch bei vielen anderen Vorgängen besteht oft die Notwendigkeit, den zeitlichen Verlauf mehrerer Meßgrößen gleichzeitig zu betrachten. Die Erkenntnis der nahezu unbegrenzten Einsatz- und Anwendungsmöglichkeiten von Oszillografen auf dem Gebiet der technischen und wissenschaftliche Meßtechnik ließ den Wunsch aufkommen, mehrere voneinander unabhängige Vorgänge auf dem Bildschirm der Elektronenstrahlröhre gleichzeitig sichtbar machen zu können. Die führte zum Einsatz elektronischer Schalter und zur Entwicklung von Zweistrahlröhren. Die bisher allgemein übliche Art, Zweistrahlröhren zu bauen, mehrere Oszillografenröhren räumlich zu kombinieren und in einem gemeinsamen Kolben mit gemeinsamem Bildschirm zu vereinigen, scheint zunächst die natürlichste Lösung zu sein. In vielen Fällen ist aber die genau phasenrichtige Anzeige von entscheidender Bedeutung, und diese bleibt bei Mehrstrahlröhren mit mehreren Strahlerzeugungssystemen im gemeinsamen Kolben von der Genauigkeit des Aufbaus und den äußeren Schaltelementen abhängig. Es ist oft ein nicht unerheblicher Aufwand nötig, um die Leuchtpunkte der einzelnen Systeme mit einer bestimmten Genauigkeit in phasenrichtige Beziehung zueinander zu bringen und die Ubereinstimmung der Ruhepunkte und Ablenkgeschwindigkeiten aller Einzelsysteme herzustellen.

Zur Vermeidung dieser Schwierigkeiten und Ausschaltung aller äußeren Ungenauigkeiten beschritt die Siemens & Halske AG neue Wege, die ihrer Besonderheit wegen hier beschrieben werden sollen.

Unter der Typenbezeichnung „V113“ wurde eine Vierstrahlröhre entwickelt, bei der das Erzeugungssystem für sämtliche Strahlen gemeinsam ist. Dadurch wurde zwangsläufig phasenrichtige Anzeige und Null-Lage erreicht. Die Ablenkungen sind durch das ebenfalls gemeinsame Zeit-Ablenksystem bei dieser Röhre von Natur aus synchron.

Der Strahlengang der Vierstrahlröhre ist in Abb.1

 

Abb,1: Strahlengang der Vierstrahlröhre

dargestellt und läßt das Grundprinzip dieser Konstruktion erkennen. Uber eine Linse wird die „punktförmige“ Elektronenquelle mit so breitem Bündel auf dem Schirm abgebildet, daß unter Einschaltung geeigneter Blenden Teilbündel hergestellt werden können, die, unabhängig voneinander, zwischen Linse und Leuchtschirm Ablenksysteme durchlaufen. Bei der „V 113" erfolgt die Bündelung der Strahlen mit einer zylindrischen Elektronenoptik, die aus zwei gekreuzten Zylinderlinsen besteht. Man kann solche Anordnungen zwar auch mit rotationssymmetrischen Linsen aufbauen, doch hat sich gezeigt, daß astigmatische Systeme mit torischen oder zylndrischen Linsen wesentlich vorteilhafter sind. Im Halse des Röhrenkolbens bilden zwei einander gegenübestehende Platten, die gegen die zylindrischen Wandbeläge schwach negativ geladen sind, die erste zylindrische Elektronenlinse (siehe Abb. 3).

Sie würde für sich allein die punktförmige Elektronenquelle auf dem Leuchtschirm als vertikalen Strich abbilden. Dieses fächerförmige Strahlenbündel wird durch das Meßablenksystem in vier einzelne Bündel aufgelöst, so daß vier übereinander stehende Striche erscheinen würden. Auf jedes dieser Teilbündel wirkt eine weitere (zur ersten gekreuzte) astigmatische Elektronenlinse so, daß die Striche zu Punkten zusammengezogen werden und die Elektronenquelle über jedes Bündel (also viermal) als Leuchtpunkt auf dem Bildschirm abgebildet wird. Die vier Elektronenlinsen entstehen in der Umgebung der schirmseitigen Öffnungen des Meßablenkkästchens im Zusammenwirken mit der Nachbeschleunigungselektrode (Wandbelag) am Kolben der Röhre. Normalerweise müssen bei der Nachbeschleunigung astigmatische Einflüsse sorgfältig vermieden werden; hier wird das Nachbeschleunigungsfeld bewußt als Zylinderlinse verwendet. Würde man bei einer derartigen Konstruktion nur eine, für alle Teilbündel gemeinsame zweite Zylinderlinse verwenden, so würden die Bildpunkte in der Ruhelage sämtlich zusammenfallen, und erhebliche Abbildungsschwierigkeiten wären die Folge.

Besondere Anforderungen werden an die Meßablenksysteme gestellt. Sie weichen deshalb ebenfalls von der sonst üblichen Bauart ab. Die gegenseitige Beeinflussung benachbarter Strahlen muß vermieden werden; ferner dürfen keine Empfindlichkeitsänderungen der Meßplatten (y-Richtung) in Abhängigkeit von der Zeitablenkung (x-Richtung), keine Verdrehungen der Richtung des Ausschlages und keine Schärfenänderungen auftreten. Gerade beim Mehrstrahloszillografen, der genauen Vergleichsmessungen dienen soll, ist die Erfüllung dieser Bedingungen besonders wichtig. Als ausreichend unabhängig können die Einzelstrahlen gelten, wenn ein Strahl bei Vollausschlag des benachbarten Strahles um weniger als eine Fleckbreite abgelenkt wird. Diese Unabhängigkeit der Systeme wird durch eine möglichst vollkommene elektrostatische Abschirmung gegeneinander erreicht. Wichtig ist jedoch hierbei, daß weder der Ausschlag begrenzt, noch die Kapazität unzulässig vergrößert wird. Durch kurze Verbindungen und andere Maßnahmen ist es gelungen, die gegenseitigen Kapazitäten zwischen den verschiedenen Systemen auf etwa 0,1 pF herabzusetzen. Die vorwiegende Ursache der anderen angeführten möglichen Fehler sind Randstörungen durch die Begrenzungen der Ablenkplatten senkrecht zur Strahlrichtung.

Da es aus praktischen Gründen nicht möglich ist, die Platten so breit zu machen, daß derartige Störungen vermieden werden, wurde eine Randkorrektur entwickelt. Sie besteht darin, daß die Platten an den Rändern umgebogen und gleichmäßig ineinander verzahnt worden sind (Abb. 2).

Abb.2: Ablenksystem mit Randkorrektur

An die Meßplatten werden unsymmetrische Spannungen gelegt. Die gemeinsame Zeitablenkung für alle vier Strahlen, erfolgt durch zwei Zeitplatten, die vor dem Meßablenksystem liegen und für symmetrische Ablenkspannungen ausgebildet sind. Die Null-Lagen befinden sich in Abständen von je 20 mm übereinander, die Schärfebereiche sind jedoch so bemessen, daß benachbarte Strahlen mittels Vorspannungen zur Deckung gebracht werden können.

Die Aussteuerbarkeit der Strahlen ist (bei einem Schirmdurchmesser von 130 mm) in der x-Richtung etwa ± 45 mm und in der y-Richtung etwa ± 20 mm.

Abb. 4

zeigt den sehr einfachen und übersichtlichen Aufbau der Röhre. Das ganze System ist eine kompakte Einheit. Sämtliche Teile sind auf 4 Keramikstäben befestigt. Die Ablenkplatten wurden mit Rücksicht auf Anwendbarkeit auch bei höheren Frequenzen nicht am Sockel der Röhre, sondern an seitlichen Kappen angeschlossen. Links oben im Bild kann man zwischen zwei Kohle-Wandbelägen die gemeinsame erste Zylinderlinse erkennen; in der Mitte rechts sieht man zunächst die Zeitablenkung und das Kästchen mit den Meßablenkplatten, das zugleich die eine Elektrode der Mehrfachlinse bildet. Gegenelektrode dazu ist der Wandbelag im konischen Teil des Kolbens; er ist ebenfalls mit einer eigenen eingeschmolzenen Zuführung versehen.

Die Annahme, daß Mehrstrahlröhren mit gemeinsamer Katode gegenüber Röhren, die aus normalen Einstrahlsystemen kombiniert sind, in der erreichbaren Helligkeit wesentlich zurückbleiben, trifft nicht zu. In dem primären Bündel der Vierstrählröhre werden Teile ausgenützt, die in Einstrahlsystemen zwar auch erzeugt, durch die Aperturblende aber wieder ausgeblendet werden. Die Helligkeit der Leuchtflecke ist die gleiche wie bei Einstrahlröhren und kann wie üblich mit der Spannung des Wehneltzylinders geregelt werden. Der Strahlengang der beschriebenen Vierstrahlröhre „V 113“ verlangt die verhältnismäßig große Baulänge von 570 mm. Bei Versuchsausführungen mit elektrischen und magnetischen Linsen sind durchaus befriedigende Ergebnisse mit „umgekehrt teleskopischen“ Strahlengängen erreicht worden, bei denen vom Katodenteil ein weit geöffnetes Bündel ausgeht, das nach Durchlaufen von zwei torischen Linsen nahezu parallel in den Ablenkteil eintritt. Bei der «V113“ ist jedoch zugunsten eines einfachen und preiswürdigen Aufbaus auf eine verkürzte Baulänge verzichtet worden.

Die wichtigsten technischen Daten der Röhre gehen aus der Tabelle hervor.

Bei der Auswahl einer Type zur Produktion ist naturgemäß eine Beschränkung auf die Eigenschaften notwendig, die voraussichtlich am meisten verlangt werden. Es bleibt daher abzuwarten, ob neben dieser (in der Zwischenzeit bereits bewährten) noch andere Ausführungen eine technische und wirtschaftliche Begründung erfahren. Wie angegeben wird, ist es durchaus möglich, mit Hilfe der beschriebenen Randverzahnungen im Meßablenksystem z.B. auch mehrere für die x-Richtung voneinander unabhängige Ablenksysteme abzugrenzen.

Die vielseitige und vorteilhafte Verwertbarkeit dieser neuartigen Siemens-Röhre geht auch aus den in Abb. 5 und 6 wiedergegebenen Oszillogrammen hervor.

Abb. 5:Verschiedene Sinusspannungen,mit
Vierstrahloszillograf und einer Kamera aufgenommen

 

Abb.6: Vierstrahloszillogramm (aufgenommen bei gleichzeitiger
Abtastung von vier Meßpunkten in einem industriellen Fernsehempfänger)

Eine ebenfalls mit nur einem Erzeugungssystem arbeitende Zweistrahlröhre wurde in England von Cossor bereits im Jahre 1939 entwickelt, kam aber erst nach dem Kriege auf den Markt. Es ist die sogenannte Spaltstrahl-Röhre (split-beam-tube). Bei dieser Röhre wird, der Name deutet es an, der Elektronenstrahl nach Verlassen des Erzeugungssystems und Durchlaufen des Zeitablenksystems durch eine entsprechend eingebaute Elektrode, die „Spalteranode“, in zwei Hälften gespalten. Die ganze Konstruktion, besonders die Maßnahmen, die bei dieser Röhre ergriffen wurden, um die gegenseitige Unabhängigkeit der beiden Strahlhälften zu erreichen, ist an sich ebenfalls sehr interessant. Für den praktischen Gebrauch aber hat diese Röhre einen Nachteil: Die Ruhepunkte der beiden Strahlen fallen zusammen und liegen in der Mitte des Bildschirmes. Erst beim Anlegen von Meßspannungen wird die Trennung des Strahles in zwei Hälften sichtbar.

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