Daisy Graetz - Gold ab, aber fit

ID: 617215
Dieser Artikel betrifft das Modell: Daisy 1032 (Graetz, Altena (Westfalen))

Daisy Graetz - Gold ab, aber fit 
27.Mar.23 10:15
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Bruce Cohen (NL)
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Bruce Cohen

Wer sich mit dubiosen Männern einlässt, kann leicht in einem Hobby-Keller enden, Maler-Gehilfe werden, oder sogar auf dem Dachboden landen

So geschehen mit der hübschen Daisy Graetz, geboren irgendwann um 1960. Sogar das genaue Alter weiss keiner mehr – und das ist hier bestimmt keine Absicht.

Wir haben unsere erste Verabredung in einer Garage, die auch Gartenhäuschen und Hobbyraum ist. Sie kommt gleich mit mir mit, gegen ein kleines Entgelt allerdings nur. Sie wird von mir auf Händen getragen. Schon zwischen den ersten Bäumen des Wäldchens bespiele ich sie mit zitternden Händen, und schon singt sie: ‚hollandse smartlappen‘, ‚batteries included‘. Man sieht, Daisy ist im Laufe der Jahre international geworden. Später redet sie Englisch mit mir, denn die Mittelwelle und die Langwelle funktionieren. Dann und wann verstummt sie mir plötzlich, das Bespielen der Tasten bringt Musik und Sprache schnell zurück. Nur auf UKW will Daisy gar nichts zu mir sagen.

Daisy ist urschmutzig. Fette! Farbspritzer! Staub! Spinnengewebe! – Das muss alles zuerst geputzt und geschniegelt werden. Nein, nein, das Gold unter dem Lausprecher ist schon lange ab gewesen; es ist nicht meiner Putzerei zum Opfer gefallen.

Nach der Grobreinigung kommt mir Daisy auf den Operationstisch. Das Chassis ziert sich etwas, wird dann aber doch erfolgreich ausgebaut. Zuerst werden die Tasten untersucht. Eine Kontaktfahne am der UKW-Taste ist verbogen und verkeilt sich mit den Schaltflächen. Sie wird zurechtgebogen, soweit es geht. Kontakt macht sie nimmermehr, aber die Fahne auf der anderen Seite zum Glück schon.

Der UKW-Eingangsteil ist zum Glück leicht zugänglich. Die OC171 sind Zinnfaser-anfällig. Zwei kleine Schnitte, einen Knall auf die Birne, schon läuft UKW. – Läuft UKW wirklich? – Nur Verzerrungen sind zu hören, wo Sprache und Musik erschallen sollten. Ausserdem sind diese Transistoren wie Schalter: Knall auf die Birne: an. Erneuter Knall: aus. Sie werden ersetzt, es kommen AF125 an ihren Ort.  Ohne zu dieser Prozedur vorbereitete Unterlagen läuft bei mir nichts mehr: Wenn ich mir vorstelle, wo all diese Beine – von oben gesehen, von unten gesehen, und übers Kreuz! – hin müssen, gibt es Kurzschluss in meinem Kopf. Daher die Unterlagen hier, damit gelingt es!

Gut jetzt, alles ist stabil: das heisst, die Verzerrungen sind stabil. Denn einen Fehler gefunden, das bedeutet keineswegs, alles gefunden… Kontrollieren allüberall: die UKW-Platine selber? die Anschlüsse zur UKW-Platine? der Demodulator? – Schau, ein Wackler. Ein Anschluss des Demodulator-Filters ist nicht in Ordnung. Zu sehen ist keine Abweichung, aber den Punkt nachgelötet: der UKW-Empfang wird laut und deutlich: Verzerrungen ade!

Etwas schwach auf der Brust ist der Gesang aber schon. Die kleinen Elektrolyten also. Mit meiner Verdoppel-Methode habe ich keinen Erfolg am Kondensator beim Potentiometer. – Also nachschauen mit der Lampe unter dem Lautsprecher, wo… Was ist das! Ein Rosthaufen! – Ist das ein Kondensator gewesen? So etwas habe ich ja wirklich noch nie gesehen.

Die vier Schrauben herausgedreht, den Lautsprecher abgehoben: das Ding, das ist kein ausgelaufener Kondensator. Was es aber ist,  bestimmt erkennen die eifrigen Leser dieses Teil.

Da das Teil trotz der fortgeschrittenen Oxydation gut funktioniert, entscheidet der eifrige Gerätemechaniker, es fröhlich weiterspielen zu lassen…

Die Schwäche auf der Brust? – Sie rührt vom zweiten Winzig-Elektrolyten um den Potentiometer her, versteckt neben einem mächtigen C. Er ist hinüber. Ihn überbrücken, und Daisy spricht doppelt und dreifach so laut.

Einiges ist aus dem Leim gegangen. Ja, die Jahre zählen eben doch. Von den Aufhängungen ist eine ganz, eine fraglich und eine kaputt. Der Vorbesitzer hat sie aber sorgsam verkehrt herum am Chassis festgeschraubt, sodass ich sie wieder korrekt montieren kann. Hier, und an den Halterungen des Gehäusedeckels, da hilft Meister Zweikomponentenleim. Daisys Gehäuse nämlich ist geformt aus ganz, ganz dünnem Holz, die Schräublein werden von Fantasie und gutem Willen gehalten. Jetzt wird die zerbrochene Konstruktion neu aufgebaut, damit die drei Punkte am Schluss das Chassis wirklich halten, und damit der Deckel wie vorgeschrieben montiert werden kann – die rohe Hilfsschraube des Voreigners verschwindet in der Radiohölle.  

Daisy spielt, auf Langwelle, auf Mittelwelle und auf UKW. Daisy ist sauber. Daisy ist sauber zusammen. Sogar die Antennenreste sind wieder eins geworden, wobei der Reparateur gepfuscht hat; er hätte sich durchaus mehr Mühe geben können, wie es sich eigentlich gehört.

Das Resultat der Arbeiten an der sechzig-jährigen Dame: ganz herausgeputzt ist sie, wunderbar anzuschauen sie, herrlich ihr zuzuhören ist es. Zwar, ach! das Gold der ersten Jugend, es kommt nimmer zurück. Doch die alte Dame Daisy Graetz ist wieder fit, fit für die nächsten sechzig Jahre…

 

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.