Die "Höcker" beim Zweikreis-Bandfilter

12
ID: 396145
Die "Höcker" beim Zweikreis-Bandfilter 
21.Mar.16 11:15
8206
12

Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
Beiträge: 2492
Anzahl Danke: 24
Dietmar Rudolph † 6.1.22

Physikalische Betrachtungen

Aus Theorie und Praxis ist bekannt, daß die Durchlaßkurven (Resonanz-Kurven, Übertragungsfunktion) eines Zweikreis-Bandfilters "Höcker" bekommen, wenn die Kopplung zwischen Primär- und Sekundär-Kreis zu stark wird. (Bild aus "Philips: Lehrbriefe" Bd.1 [späte Auflagen] oder Bd. 2 [frühe Auflagen])

Die Kopplung wird dann als "überkritisch" bezeichnet.

Landläufig wird die Entstehung dieser "Höcker" gerne damit erklärt, daß sich die Resonanzfrequenzen der beiden Kreise gegenseitig beeinflussen und dadurch sich die Resonazfrequenz eines Kreises nach oben "verschiebt" und die andere nach unten.

Die theoretischen Formeln ergeben dies so, aber ist das auch physikalisch so?

Woher weiß welcher der beiden Kreise, wohin er seine Resonanzfrequenz "verschieben" soll? Und was passiert, wenn die beiden sich nicht einig werden, wer von beiden sich wohin "verschieben" soll? Gehört der tieferfrequente Höcker zum Primär-Kreis oder zum Sekundärkreis? 

Auf solche (zugegebener Maßen hintergründige) Fragen geben die formelmäßigen Herleitungen der Durchlaßkurven für Zweikreis-Bandfilter leider keine Erkärungen. Und wenn man es nicht verstehen kann, dann muß man es eben glauben? Schließlich kann man diese Kurven ja auch messen!

Durch Zufall ist nun ein Artikel aus der "Telefunken Zeitung" von 1934 bekannt geworden, der die "Tonverwerfung und Springen eines Schwingaudions beim Durchstimmen des Vorkreises" zum Thema hat. Darin wird auch auf ein Zweikreis-Bandfilter Bezug genommen und ein Ersatzschaltbild für dessen Eingangs-Impedanz angegeben. In diesem Artikel ist das Zweikreis-Bandfilter allerdings nur ein Nebenaspekt. In (Bild 35 sind zwei Zeichenfehler gegenüber dem Original-Artikel korrigiert.) 

Verglichen mit den sonst in der Literatur gezeigten Ersatzschaltbildern für eine magnetische Kopplung, wie sie beim Zweikreis-Bandfilter üblich ist, ist in Bild 35 b) der Sekundärkreis als "Serien-Schwingkreis" dargestellt. Das ist hier deshalb so, weil es in dem TFK-Papier ja um die Eingangs-Impedanz des Zweikreis-Bandfilters geht und damit um die Rückwirkung des Sekundär-Kreises auf diese Eingangs-Impedanz.

Nun gibt es bekanntlich Leute, die in der Lage sind, "zwischen den Zeilen zu lesen". Und von da kam die Rückmeldung: "Jetzt verstehe ich das mit den zwei Höckern beim Bandfilter!"

Nun der Reihe nach.

Als erstes ein "Abschweif" zum Grid-Dip-Meter. Hier wird ein Oszillator mit seiner Spule einem Schwingkreis genähert, dessen Frequenz bestimmt werden soll. Stimmt die Frequenz dann überein, ergibt sich ein "Dip" in der Anzeige für den Schwingstrom. Der zu testende Schwingkreis entzieht dabei dem Oszillator Energie. So arbeitet der Grid-Dipper bekannter Maßen.

Der zu testende Schwingkreis ist i.d.R. ein Parallel-Kreis. Der Widerstand R2 in Bild 35 ist der Verlustwiderstand i.w. der Spule L2 des Sekundärkreises des Bandfilters. Ein Parallel-Kreis kann aber in der Ersatzschaltung immer auch auf einen äquvalenten Serien-Kreis umgerechnet werden. Und dann kann die Konfiguration von Oszillator des Grid-Dippers und zu testender Schwingkreis genau gemäß dem Schaltbild 35 b) dargestellt werden.

Das Schaltbild in Bild 35 b) erinnert zudem sehr an eine Schaltung mit einem "Trap", also an einen "Saug-Kreis" wie er z.B. in ZF Verstärkern gerne verwendet wird, um eine Spektral-Komponente gezielt zu unterdrücken , wie z.B. eine 9kHz Sperre (Träger-Interferenz-Sperre). Auch auf diese Weise kann man das Ersatzschaltbild physikalisch interpretieren. 

Bei einem Zweikreis-Bandfilter werden sowohl der Primär-Kreis als auch der Sekundär-Kreis auf die gleiche Mittenfrequenz abgeglichen. (Meßtechnisch geschieht das dann so, daß man den jeweiligen anderen Kreis entweder kurz schließt oder ihn so weit verstimmt, daß er jedem Fall nicht mehr in der Lage ist, dem abzugleichenden Kreis Energie zu entziehen.) Folglich ist auch der Serien-Kreis in Bild 35 b) auf die gleiche Mittenfrequenz abgeglichen. Damit heben sich die Wirkungen seiner beiden Blindelemente gegenseitig auf, wodurch der transformierte Widerstand R2*L12/M2 genau auf der Mittenfrequenz den primären Schwingkreis maximal belasten kann. Abseits der exakten Mittenfrequenz kommt die Belastung durch diesen transformierten Widerstand nicht mehr voll zum Tragen. 

Resultierend wird also von der Resonanz-Kurve des Primär-Kreises die (schmalere) Resonanz-Kurve des transformierten Sekundär-Kreises subtrahiert. Und dadurch ergeben sich dann diese "Höcker", nämlich als Differenzkurve zweier unterschiedlich breiter Schwingkreise auf der gleichen Mittenfrequenz, wenn man das Problem physikalisch betrachtet.

  • Physikalisch gesehen wird also keine Resonanzkurve irgend wo hin "verschoben"!

Berechnete Bandfilterkurven

Berechnete Bandfilterkurven, einschließlich des Rechnungsgangs (incl. diverser Normierungen), findet man zahlreich in der Literatur. Hier zunächst aus "Kammerloher, J.: Hochfrequenztechnik, Teil 1"

Das oben gezeigte Ersatzschaltbild 35 b) bezieht sich auf die Resonanzkurven der Primärseite Bild 29.7, hier als Kurven für den Strom dargestellt. Die Durchlaßkurven, entsprechend zu Bild 10.33 aus den Philips Lehrbriefen, sind in Bild 29.8 (wiederum als Strom-Kurven) dargestellt. Es sind dies die normalerweise am Meisten interessierenden Resonanzkurven.

In einigen Darstellungen findet man diese Kurven auch in perspektivischer Darstellung (als "Gebirge") mit der Größe der Kopplung als Parameter, z.B. in "Frühauf, H., Trzeba, E.: Synthese und Analyse linearer Hochfrequenzschaltungen, VAG, 1964".  Links jeweils die Primärseite bzw. die Eingangs-Impedanz und rechts die Sekundärseite bzw. die üblicher Weise betrachtete "Durchlaß-Kurve" des Zweikreis-Bandfilters. Die sekundären "Höcker" haben alle die gleiche Höhe (normiert 0,5), während die Höhe der primären mit zunehmendem Kopplungsfaktor abnimmt.

Die Werte, die sich jeweils exakt auf der Resonanz-(Mitten-)Frequenz ergeben, sind in den nächsten Bildern gezeigt. (x12 < 1: unterkritische Kopplung, x12 > 1: überkritische Kopplung)

Hier auch nochmal die Grafik aus "Terman, F. E.: Radio Engineering", der auch praktische Werte für die Größe der Koppelkoeffizienten entnommen werden können.

Als Fig. 41 findet man im "Terman" weitere interessante Kurven zum Thema "Höcker".

Links ist dargestellt, wie sich die Kreisgüte auf die Höhe der Höcker auswirkt, wobei hier die Kopplung konstant ist.

Rechts wird dagegen die Kopplung passend zur Kreisgüte jeweils so geändert, daß eine möglichst große Bandbreite bei geringer (prozentualer) Welligkeit entsteht.
Eine Anwendung dazu sind z.B. ZF-Kreise für Fernseh-Ton (auf 11 MHz => Hub-Verdopplung !), wo zu diesem Zweck Messing-Drähte statt Kupfer-Drähte zur Anwendung kamen. (Alternativ zu Messing-Draht kann auch ein geeignet bemessener Widerstand für Rp und Rs gewählt werden.)

Die praktische Abgleichvorschrift für Zweikreis-Bandfilter fordert, den jeweils anderen Kreis so weit zu verstimmen (oder ihn kurz zu schließen), daß er keine Energie mehr entziehen kann. Aber in der Auswirkung auf die Größe der Induktivität der gerade abzugleichenden Spule wirkt das erniedrigend, entsprechend zu der Wirkung z.B. eines Schirmbechers. Die Auswirkung des Effektes eines leichten Fehlabgleichs der Mittenfrequenzen von Primär- und Sekundär-Kreis ist abhängig sowohl von der Größe des Fehlabgleichs als auch vom Koppelfaktor. Hierzu findet man bei Terman folgende Diagramme.

Während danach sich primärseitig eine Verschiebung der Resonanzkurven ergibt, bleibt der (sekundär gemessene) Frequenzgang symmetrisch. In der Wirkung ergibt ein leichter Fehlabgleich damit Frequenzgänge für das Zweikreis-Bandfilter, wie sie sich durch eine entsprechende Erhöhung des Koppelfaktors ergeben hätte.

Bei einem praktischen Abgleich ist somit der (geringe) Effekt durch die Änderung der Induktivitäten nicht zu bemerken und spielt daher keine Rolle.


Da solche Bandfilter vorzugsweise in der ZF von Supern Verwendung finden und diese Geräte i.a. einen sehr wirksamen Schwundausgleich haben, ist für eine korrekte Abstimmung eine optische Anzeige erforderlich. Nur nach Gehör abzustimmen, ist für den "normalen Hörer" nur sehr schwer möglich. 

MfG DR

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.