Eine sehr ungewöhnliche Schallplatte - wer kennt sie?
Eine sehr ungewöhnliche Schallplatte - wer kennt sie?
Liebe Leser
Ich wurde von einem Schweizerischen Staatsarchiv (durch Roman Sticher) angefragt, ob wir helfen können, die Bedeutung der hier vorgestellten Schallplatte zu erklären.
Folgendes hat man mir beschrieben:
Plattenhülle ist ein Graukarton, handschriftlich beschriftet mit "S 737 1-6, Fernmelder Felsberg".
Die Platte könne aus Kupfer sein und sei verchromt oder vernickelt, Durchmesser 25 cm.
Sie ist mit 100 nicht wie üblich schneckenförmig verlaufende Rillen, sondern in sich geschlossenen Ringen versehen. Die Rillen tragen eine übliche Seitenschrift. Diese lässt von Männern aufgesprochene dreistellige Zahlenkombinationen ertönen, wobei diese jeweils ein bis drei Mal wiederholt sind. Dabei sind alle Zahlen zwischen 800 und 300 in 5er Schritten enthalten.
Mir selbst kommt beim ersten Gedanken eine Art während längerer Zeit abgespielte Information in den Sinn - für den Zweiten Weltkrieg - z.B. für U-Boote oder weit entfernte Spione, Truppen oder Konsulate. Dabei könnte es sich entweder um einen gerade aktuellen Code handeln mit dem dann gesendete Nachrichten zu entschlüsseln sind oder eine Anzahl möglicher zum Voraus vereinbarte Befehle oder Informationen.
Der Felsberg (Velisberg) ist 514 m hoch, in Südhessen (Odenwald) und in der Umgebung gibt es nur den um ca. 3 m höheren Melibokus (Malchen, Malschen), der ihm nahe kommt. Dafür gibt es auf dem Felsberg - am höchsten Punkt - den Ohlyturm, ein 1901 aus Granit (das dort herum liegt) erbauter, 27 m hoher Aussichtsturm, der sich gut für den Standort eines Senders und guten Antennenanlagen eignet. Die Gegend war zumindest im 2. Weltkrieg wichtig als Standort für Sender und dient noch heute für Radaranlagen. Der Melibokus hatte allerdings auch einen grossen Turm, erbaut 1772, der 1945 von deutschen Truppen gesprengt wurde.
Allerdings gibt es auch eine Ortschaft 7012 Felsberg in der Schweiz, an der Albulalinie Chur-St. Moritz im Kanton Graubünden. Auch einen Ortsteil Felsenberg der Gemeinde Überherm im Saarland.
Meine Gedanken sind reine Spekulation. Wer also weiss mehr? Zuerst lasse ich den Thread im "Talk", damit alle Mitglieder antworten können, dann versorge ich ihn in ein öffentliches Board, damit auch Gäste mit dem Kontaktformular antworten können. Es ist fast zu spät, dass wir noch jemand finden, der das damals miterlebt hatte - aber vielleicht gibt es jemand, der die notwendigen Kenntnisse hatte?
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? noch mehr Fragen...
Leider kann ich mir auch keinen Reim aus diesem Unikum machen.
Ich gebe den Hinweis zu bedenken, daß die Platte keine spiralförmige Rille aufweist, sondern geschlossene Ringe.
Es stellt sich die Frage, mit welcher Umdrehungszahl die Platte abgespielt wurde.
78 UpM können es nicht sein. Wenn. wie beschrieben, dreistellige Zahlencodes, teilweise wiederholt zu hören sind, würde ein "Ring" zeitlich niemals ausreichen. Bei 78 UpM kann ein Ring kaum eine zweistellige Zahl ausgesprochen beinhalten:
Hier aber werden dreistellige Zahlen teilweise wiederholt ! Wenn es sich um Ringe handelt, steht dafür also nur EINE UMDREHUNG der Platte zur Verfügung. Die Umdrehungszahl der Platte muß dazu sehr, sehr langsam sein.
Per Stoppuhr benötige ich etwa 6 sek. um eine dreistellige Zahl dreimal sauber auszusprechen. Selbst mit der langsamsten kommerziellen Umdrehungszahl von 16 UpM wäre das nicht zu schaffen.
Damit ist es zumindest wahrscheinlich, daß die Scheibe auch nur für sehr spezielle Abspielgeräte nutzbar war.
Auch machen mir die beschriebenen 100 Ringe etwas Kopfzerbrechen. Eine normale Schellackplatte von 25cm bringt es locker auf Doppelte an "Ringen". 100 Rillen/Ringe wären ein sehr grober Schnitt.
Tut mir leid, hier eher nur noch mehr Fragen als Erklärungen beitragen zu können !
Mit besten Grüßen,
NM
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? Ansagegerät

Grützi Herr Erb,
sicher kennen Sie noch die 'Sprechende Uhr' von Radio Beromünster. für so ein Gerät
würde diese Platte Sinn machen. Auch für Telefonansagen wurde so etwas verwendet.
Die Bedenken von Herrn Mühlbrandt hinsichtlich der Dauer einer Rille wären dann auch geklärt.
Es sind dann eben icht dreistellige Zahlen auf einer Rille, sondern nur kurze Fragmente, welche dann winkelsynchron geschaltet werden. Lange Worte können sogar auf 2 Rillen verteilt werden.
Also Rillen für die 1-einer Zahlen, für die Zehner - Zahlen, hunderter Zahlen. Verbindungsworte 'und', 'Komma' u.s.w.
Eigentlich ist vereinbart, hier nicht zu spekulieren und Vermutungen zu äussern, jetzt habe ich das doch getan, vielleicht ist es trotzdem interessant.
Gruß
Georg Beckmann
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? Pseudo Chiffrierte Nachrichten

Es war noch bis zum Mauerfall nicht unüblich, daß z.B. über KW Zahlenkolonnen verlesen wurden, die als Chiffres für Auslandsagenten dienten.
Geheimdienste suchten die Codes natürlich zu knacken.
Wenn nun zu dieser seltsamen Platte ein Mechanismus gehörte, der den Tonarm zufällig in irgend welche Rillen setzte, konnte man die Codeknacker beliebig beschäftigen und so von der Aufnahme relevanten Informationen ablenken.
Auch das ist natürlich nur Spekulation.
MfG DR
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Zusatzangaben und Präzisierungen
Bei "Audio" habe ich jetzt diese Aufnahme hinterlegt. Es handelt sich aber um mehrere Umdrehungen auf der gleichen Rille pro gleiche Zahl, abgenommen mit 33 1/3 Touren. Das kann im Einsatz aber mit einer ganz anderen Tourenzahl abgespielt worden sein.
Geprägte Bezeichnung wie auf Kartonhülle, darunter erste Spuren, dann Masstab
Herr Sticher hat dazu weitere Informationen geliefert:
Auf jeder der 100 Rillen ist je einmal eine 3stellige Kombination gesprochen. Zum Beispiel die äusserste Rille enthält den Text „Acht Null Null“. Die nächste Rille gegen das Zentrum enthält „Acht fünfundneunzig“ usw… bis zur innersten Rille mit „Drei Null Null“. Die Platte ist nur einseitig bespielt.
Das Mittelloch misst ca. 7,2 mm (Toleranz 0,3mm). Die Platte sitzt damit recht genau auf dem für LP üblichen Dorn. Ich habe im Moment für eine exakte Messung keine Schublehre zur Hand. Das liefere ich Ihnen noch exakt nach. Etwas ungewöhnlich ist die „Korrosion“ resp. der z.T zentrisch verlaufende Abrieb um das Mittelloch. Das könnte ev. von einer „Kontermutter“ stammen. Siehe Detailfoto.
Mittelloch und Massstab
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Sprachkennungsgeber

Der Schallbandspieler von Tefi ist ein sehr naher Verwandter der Schallplatte. Die Wiedergabe von Tönen basiert auf dem selben Prinzip.
Im Buch "Das Tefifon" von Herbert Jüttemann findet sich folgender Abschnitt:
[Zitat]
Sprachkennungsgeber
Als Rückflug-Orientierung der Flugzeuge der deutschen Luftwaffe dienten zunächst Pilot-Morsezeichen des rundstrahlenden Funkfeuers. Sie konnten aber leicht vom Feind nachgeahmt und die Flugzeuge in eine falsche Richtung gelenkt werden. Die Firma (Anm. Tefi) entwickelte daher den Sprachkennungsgeber, bei dem an die Stelle der Morsezeichen das gesprchene Wort einer bekannten deutschen Schauspielerin trat.
[Zitat Ende]
Das könnte eine mögliche Erklärung für die ominöse Schallplatte sein – aber nichts Genaues weiss man nicht.
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Vermutung: Messwert an Telefon

Meine Vermutung: Mit einer solchen Platte könnte man automatisch Messwerte akustisch an einer Telefonleitung ausgeben. Die 300 bis 800 könnten zum Beispiel der Wasserstand eines Flusses oder kleinen Stausees in Zentimetern sein. (Stichwort Anrufpegel)
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Zum Thema 'Zahlensender'...

...gibt es im Internet eine Menge an Informationen zu finden, unter anderem eine interessante Sammlung im Conet Project auf archive.org .
Simon Mason (hier sein Webauftritt) ist eine der bekannteren Persönlichkeiten, die sich mit dem Thema beschäftigt. Ihn habe ich kontaktiert und um seine Meinung gebeten.
Sinngemäß lautete seine Antwort:
"Ich bin nicht sicher, daß das vorgestellte Material irgend etwas mit Zahlensendern zu tun hat - alle Stationen, die ich kenne, nutzen Ziffern von 1 bis 0 in Gruppen von vier oder fünf, nicht in Gruppen von drei Ziffern. Auch werden die Zahlen immer einzeln vorgelesen, nicht wie im Beispiel -sieben fünfunffünfzig- sondern -sieben fünf fünf-."
Seine Vermutung geht in Richtung Vorlagen für Telegraphen-Nachrichten.
Gruß
Mark Hippenstiel
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Codezahlen

Ich kann mich noch gut an die Zeit so um 1950-1960 erinnern, wo ich mich mit nächtlichem Wellenabsuchen beschäftigt habe. Dabei sind mir auf verschiedenen Frequenzen Sender aufgefallen, wo stundenweise nichts anderes als Codezahlen durchgegeben wurden. Dies müssen entweder Schlüsselcodes oder vorabgesprochene codierte Mitteilungen an Agenten, Auslandvertretungen etc. gewesen sein. Im Falle von Schlüsseln wäre die zufällige Auswahl einer von 100 Rillen eine Möglichkeit. Was mich aber irritiert, ist die Tatsache, dass auf dieser Platte nur Männerstimmen zu hören sind, wobei ich mir sicher bin, dass besagte Sender immer eine Frauenstimme benützten. Diese sprach dann mit sonorer Stimme diese Zahlenkombinationen. Aufgefallen ist mir dabei, dass offenbar wegen der Verständlichkeit gewisse Zahlen eigenartig ausgesprochen wurden. Zum Beispiel statt "Neun" wurde "Neuner" gesagt. Ich habe mir bis jetzt die Aufnahme von Herrn Erb noch nicht angehört, aber eine Analyse der Zahlenfolgen und deren Sprechweise könnte ev. einen Hinweis ergeben, ob wir es mit geheimem Nachrichtendienst oder doch eher mit einer "sprechenden Uhr" oder so ähnlich zu tun haben.
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Zahlen-/Codesender

Die Erklärungen zu Zahlen- und Codesender die bis weit in die 90er Jahre sehr aktiv waren, halte ich in diesem Zusammenhang für nicht zutreffend.
Hier handelt es sich um abgestufte Angaben im Bereich von 300 bis 800 die voll ausgesprochen werden! Eine Schallplatte macht nur Sinn wenn jeweils eine Zahl über einen längeren Zeitraum ausgestrahlt wird und mehr als einen Empfänger erreichen soll.
Die Angabe einer Richtung oder Position (sicherlich auch codiert) ist wahrscheinlicher, zumal der exponierte Standort Felsberg (wenn die Angabe auf dem Karton sich tatsächlich auf den von Ernst vermuteten Berg bezieht) sich für Funkfeuer besonders eignet.
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Können Gäste das Rätsel lösen?
Nachdem wir während acht Tagen nur herumrätseln konnten, stelle ich die Frage nun der Öffentlichkeit, indem ich vom "Talk" ins "Allgemein" verschiebe. Damit können nur Redakteure antworten und die weiteren Mitglieder und Gäste aber das Kontaktformular verwenden.
Es kann sein, dass diese sehr ungewöhnliche Schallplatte nie zu klären ist - oder nicht innerhalb kurzer Zeit - obwohl doch ein erheblicher Aufwand bei Herstellung und Herstellung spezieller Apparaturen getrieben werden musste.
Zumindest erfahren wir vielleicht mehr darüber, was während des Zweiten Weltkrieges auf oder um den Felsberg so alles geschehen ist bezüglich Fernmelder.
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Antworten von Gästen in anderen Foren - meine Nachforschung
Unser Mitglied, Stefan Heimers, hat die Frage an die Usenet_Newsgroup de.sci.electronics weitergeleitet und uns mitgeteilt, dass dort eine interessante Antwort erschienen sei.
Eine Theorie befasst sich mit einer Messstelle in Felsberg in der Schweiz wo man die Höhe des Rhein Grundwassers ab 1975 bis 2005 gemessen hat. Das habe ich ein wenig geklärt: Da ist der Maximumwert 566.29, der Mittelwert 564.21 und das Minimum 562.39 gewesen. Wenn man die letzten drei Stellen nimmt, dann fällt das deutlich unter 300. Zudem werden im PDF-Dokument Einerstellen angegeben. Die Darstellungen (schönes PDF) findet man mit hydrodaten.admin.ch. Noch ein Punkt spricht hier dagegen: Würde man 1975 so ein Verfahren starten, wo es doch viel einfachere und bessere Methoden gibt? Dennoch lohnt es sich, der Sache nachzugehen, falls keine konkrete Antwort kommen sollte.
Nachtrag 28.1.10:
Ein ehemaliger Gemeindeschreiber, jetzt 83 Jahre alt, weiss von nichts. Auch der Brunnenmeister kennt das nicht, der Vorgänger ist gestorben, ein weiterer Vorgänger ist überzeugt, dass das nichts mit der Gemeinde zu tun haben konnte, was mir auch ein ex Gemeindepräsident bestätigte.
Es hat wohl auch nichts mit dem Stollen für eine Ölleitung zu tun (Italien, Calanda-Massiv), die seit Jahren still gelegt ist. Eher aber mit ETH-Studien, weil sich das Rheinbett nach dem Felssturz von 1843 um 5 bis 7 Meter gesenkt hat. Nach der umstrittenen Ausbaggerung ist der vorher bedrohliche Grundwasserspiegel zu tief (für die Bauern) gesunken. Felsberg musste das Dorf umsiedeln. Aber auch Bodenbewegungen sind sicher gemessen worden ... Ich werde später versuchen, der Sache nachzugehen.
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Klärungsversuche bei ETH Zürich und beim BAFU
Ich versuche weiter zu klären. Das sowohl bei der ETH (z.B. VAW) wie auch beim BAFU (Bundesamt für Umwelt). Beim Bundesamt für Wasser und Geologie (BWG) betreibt man das Projekt NABESS und gemeinsam mit dem BUWAL auch NAQUA. NABESS ist aber erst seit 1976 entstanden und damit eher zu neu für diese Technik.
Ein Professor an der ETH Zürich hat das Folgende mitgeteilt:
Vielleicht haben die Datenträger etwas mit der Abflussprognose für den
Rhein in Rheinfelden und weiter flussabwärts zu tun, die wir seit den
1950er Jahren regelmässig herausgaben. Dabei wurden - und das wohl erst
ab den 1970er Jahren - verschiedene Abflussmessstationen im
Rheineinzugsgebiet und ganz sicher auch Rhein-Felsberg von hier aus
automatisch über das Telefon abgefragt. Allerdings kommt mir vor, dass
die Werte jeweils in einem Code (Sequenzen von Pfiffen für m, dm, cm
Pegelstand) übertragen wurden. In den 1980er-Jahren ging dieser
Prognosedienst dann an die (heutige) Abteilung für Hydrologie des BAFU über.
Noch wahrscheinlicher ist es, dass die Datenträger zur Messtation
gehörten und von der Abteilung Hydrologie dort installiert und auch
selber verwendet wurden.
Dazu hat er mir eine Adresse eines emeritierten Professors gegeben, der noch etwas wissen könnte.
Es geht also noch weiter ...
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