Freiheitssender 904

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Freiheitssender 904 
15.May.22 14:00
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Wolfgang Lill (D)
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Wolfgang Lill

Freiheitssender 904                                                                                 Beitrag von Wolfgang Purann

„Hier spricht der einzige Sender der Bundesrepublik Deutschland, der nicht unter Regierungskontrolle steht ...“

Achtung Förster, der Hamster bohnert, das Wachs ist alle.

Wer hätte gedacht, dass zu DDR-Zeiten diese Worte aus Bestensee kamen.

Wir schreiben das Jahr 1956. Der kalte Krieg war in vollem Gange und man versuchte auf allen möglichen Wegen, die Entwicklung im jeweils anderen Teil Deutschlands zu beeinflussen. Im westlichen Teil wurde am 17. August 1956 die KPD verboten, und prompt konnte ein Großteil der Deutschen einen neuen Rundfunksender mit der o.g. Begrüßungsansage hören.

Blick auf das ehem. Müttergenesungsheim 1912, rechts das Gebäude, in dem das spätere Studio untergebracht war.

Die Einstufung der KPD als verfassungsfeindlich und das damit verbundene Verbot war vorhersehbar, und so bereitete das ZK der SED die Fortsetzung der KPD-Politik mit anderen Mitteln rechtzeitig vor. Dazu gehörte auch der „Deutsche Freiheitssender 904“

Auf einer ZK-Tagung erklärte ein Führungsmitglied:

„Vor allem haben die verschieden konspirativ arbeitenden Propagandaapparate (Lit.-Vertriebsapparat, Briefversandapparat, "DEUTSCHER FREIHEITSSENDER 904") den offen auftretenden Kommunisten Kenntnis von den Beschlüssen und Weisungen der Parteiführung zu vermitteln.“

Zur Aktivierung der KPD-orientierten Grundeinheiten schrieb dazu die Zeitschrift „Wissen und Tat“ im Juni 1964:

„Das beste Hilfsmittel für diese wichtigen Funktionäre ist das 'FREIE VOLK' und der Sender 904 sowie die 14tägigen Sendungen unserer Partei über den Deutschlandsender. In der Praxis wird es z.B. oftmals schon genügen, die politische Diskussion um einen Artikel in 'FREIES VOLK' oder eine abgehörte Sendung zu entwickeln und daraus entsprechende Aufgaben für jeden Genossen abzuleiten."

Im „Extremismus-Bericht des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen an den Landtag oder Landesbehörden“ im Jahre 1964 wurde festgestellt:

Ein wichtiges Instrument der kommunistischen Agitation ist der "Deutsche Freiheitssender 904". Er konnte seine Sendungen schon unmittelbar nach dem Verbot der KPD, nämlich am 18.8.1956, nehmen. Bereits im Jahre 1955 waren die ersten Pläne für seine Inbetriebnahme vom "Arbeitsbüro" des ZK der SED und dem damaligen Parteivorstand der KPD ausgearbeitet worden. Nach diesen Plänen sollte der Sender ursprünglich die ideologisch-politische Arbeit der Funktionäre der illegalen KPD unterstützen, Sympathisierende für eine Mitarbeit in der illegalen KPD werben und den organisatorischen Zusammenhalt der ehemaligen Mitglieder der Partei fördern. Im Laufe der Zeit entwickelte sich daraus ein Programm, das sich gliedert in

- politische Tagesinformationen,

- Kommentare und Berichte,

- Sendungen aus Betrieb und Gewerkschaft,

- Sendungen für die KPD und

- Sendungen für die Bundeswehr.

Teil der Bauzeichnungen des Landhauses 1902/1903

„Der publizistische Einsatz der Kommunisten für den Ostermarsch war in diesem Jahr besonders intensiv. Nachdem schon in der Januar-Ausgabe des KPD-Zentralorgans "Freies Volk" auf die Bedeutung der Ostermärsche hingewiesen worden war, starteten der "Deutsche Freiheitssender 904" und die gesamte offen und getarnte kommunistische Presse eine großangelegte Werbe-Kampagne.

In einer Sendung des "DEUTSCHEN FREIHEITSSENDERS 904" von Mitte Dezember 1964 wurde ein offener Brief eines früheren KPD-Landtagsabgeordneten aus Stuttgart verlesen, in dem dieser u.a. die Aufhebung des KPD-Verbotes fordert. Der "DFS 904" kommentierte den Brief wie folgt

Rünzel’s Waldheim, ca. 1906

"Wir haben diesen Brief verlesen, weil wir der Meinung sind, dass der Kampf um die Legalität unserer Partei um ein Vielfaches verstärkt werden kann, wenn alle bekannten Kommunisten, ehemalige Abgeordnete, Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre sich aus eigener Initiative in ähnlicher Weise an die Öffentlichkeit wenden."“

Wie gut die Informationsquellen der „Radiomacher“ waren, beweist eine Geschichte von Kurt Beierke aus Pätz, der in jener Zeit Bundeswehrangehöriger war. Er erinnert sich an eine Begebenheit aus dem Jahre 1963, in dem er im 1. Art.-Lehr-Bataillon einer streng geheimen Raketeneinheit mit Sitz in Eschweiler stationiert war. Zum Übungsschießen fuhr man nach Bergen Hohne in die Lüneburger Heide, und abends lauschte man gern dem Freiheitssender 904 wegen seiner flotten Rhythmen. Es war nicht verboten, und so hörten sowohl die Soldaten als auch Offiziere des Öfteren den Sender. Eines Tages wurde ein Bericht ausgestrahlt, in dem über diese streng geheim gehaltene Einheit und auch über das Manöver berichtet wurde. Der Höhepunkt war schließlich die Gratulation zur bevorstehenden Beförderung von Kurt Beierke, die in der Tat einige Tage später erfolgte.

Die Sendetürme des Funkamtes Burg der Deutschen Post bei Magdeburg standen nahe der westdeutschen Grenze.

Foto : Arne Wichern, vielen Dank

4 Jahre später begann von dieser Stelle auch der „Soldatensender“ mit etwas versetzter Frequenz sein Programm auszustrahlen. Gesendet wurde mit maximal 250 kW auf einer Frequenz, die bis dahin der sowjetischen Armee vorbehalten war. Produziert wurde das Programm zum Ende der Existenz des Senders aber in Bestensee. Und zwar neben dem ehem. Mütter-Genesungsheim am Seechen, das ca. 1905 erbaut und zunächst als Gaststätte „Rünzel’s Waldheim“ bekannt wurde. Per Kabel gelangte es über Königs Wusterhausen und Berlin schließlich zum Sendeort.

Obwohl fast jeder wusste, dass dieser Sender kein bundesdeutscher war, behaupteten führende DDR-Funktionäre nach wie vor beharrlich anderes. So kann ich mich beispielsweise an eine Begebenheit aus dem Jahre 1965 an der EOS Königs Wusterhausen erinnern. Der SED-Ideologe Karl-Eduard von Schnitzler agitierte vor allen versammelten Schülern und Lehrern in der Sporthalle zum Thema Klassenkampf. Als dann eine Frage zum Standort des Freiheitssenders 904 aus dem Auditorium gestellt wurde, kam die 100 %-ige Versicherung von Herrn Schnitzler, dass er auf BRD-Gebiet stehe. 

Zunächst leitete der 1915 in Hamburg geborene Rudolf Singer (1971 zum Chef des Staatlichen Rundfunkkomitees der DDR ernannt) den Sender.

Der nachfolgende Chef des Senders Heinz Priess, geb. 1915 in Hamburg, gest. 2001 in Berlin, hatte schließlich nach dem Fall der Mauer das Geheimnis dieser Station gelüftet, ebenso wie viele andere ehemalige Angestellte, die diese Epoche jetzt als Zeitgeschichte betrachten und ihre Erinnerungen preisgaben.

Im Sommer 1956 wurden Priess Einzelheiten über den Aufbau des Senders von Hermann Matern, dem Vorsitzenden der Zentralen Parteikontrollkommission beim ZK der SED, mitgeteilt. Aber niemand sollte etwas über den Standort des Senders wissen.

Es wurde bewusst der Eindruck eines westdeutschen Senders durch den Bayerischen oder Ruhrpott-Dialekt der Kommentatoren und Nachrichtensprecher hervorgerufen. Angestellt waren in der Tat viele Westdeutsche, die in der KPD aktiv waren, durch das Verbot aber in die DDR gelangten. Die Redaktion setzte sich aus Redakteuren der aufgelösten westdeutschen KPD-Zeitungen zusammen. So wurde auch der Spanien-Kämpfer Heinz Priess, einst Chefredakteur der Hamburger Volkszeitung, des KPD-Organs in der Hansestadt, Chef des Freiheitssenders 904.

Die Redaktion hatte zunächst ihren Sitz in einem Studio in der Berliner Nalepastraße, dann in einem Ausweichstudio in Berlin-Grünau, anschließend in einem Gebäude bei Friedrichshagen/Mahlsdorf, und schließlich zog sie in ein Nachbargebäude des ehemaligen Mütter-Genesungsheims nach Bestensee. Mitarbeiter berichteten, dass sich nach dem Umzug nach Bestensee das Klima verschärfte. Die Freiräume, die man bis dahin hatte, wurden durch strenge Vorgaben ausgefüllt.

Das eigentliche Studio war in einem kleineren Gebäude untergebracht, in dem großen befanden sich Aufenthaltsräume (wegen der späten Sendetermine auch für zahlreiche Übernachtungen ausgelegt), Archive u.ä. Die Techniker im Studio waren besonders ausgewählte Mitarbeiter der Studiotechnik Rundfunk.

Ansicht des ehemaligen Studiogebäudes ca. 1932

Alles verlief streng geheim. Teilweise hörte man, dort sei ein FDGB-Heim, später war es ein Rundfunkheim, aber nichts deutete auf den Sendebetrieb hin. Die hauptsächlich in Berlin wohnenden Mitarbeiter pendelten täglich mit einem unauffälligen Kleinbus, und es war ihnen strengstens untersagt, mit den Bestenseern Kontakt aufzunehmen. Getarnt waren auch die Arbeitsverhältnisse. In den Sozialversicherungsausweisen wurden falsche Arbeitsstellen eingetragen, z.B. Deutscher Kraftverkehr. Von dort erfolgte auch die Entlohnung. 

Die ehem. Mitarbeiter Adolf und Christa Broch äußerten sich in einem vom Deutschlandradio ausgestrahlten Hörspiel dazu wie folgt:

„ Der Deutsche Kraftverkehr war ein Betriebsteil der Abteilung des Zentralkomitees – es gab zwei ... Der   eine war wirklich die Abteilung Verkehr, die praktisch den ganzen Fuhrpark des ZK unter sich hatte und das andere war die bewußte Irreführung - dat war die politische Abteilung, die Geheimabteilung, die war praktisch auch im ZK total isoliert, nur durch Nebeneingang erreichbar.

Geeignete Mitarbeiter sorgten für ausreichend Material an „heißer“ Musik, das sie via Grenzübergang Friedrichstraße in den Westberliner Schallplattengeschäften kauften, oder in westlichen Rundfunksendungen, z.B. „Schlager der Woche“, mitschnitten. 

Wer die Zeit miterlebt hat, kann sich sicherlich noch an die flotten Rhythmen und lockeren Sprüche erinnern, gespickt mit Agenteninformationen, teilweise auch mit Desinformationen. In seinem Buch „Spaniens Himmel und keine Sterne“ der edition ost schrieb Heinz Priess: "Oftmals ließen wir im Sender sogenannte Luftballons steigen. Darunter waren erfundene Nachrichten zu verstehen." So konnte man beispielsweise Ansagen wie "Achtung Förster, der Hamster bohnert, das Wachs ist alle", oder "Ab sofort darf rechts und links überholt werden, aber erst bei Sonnenuntergang" hören. Was jedoch unterblieb, waren Informationen über die Produzenten und den Standort.

Das Programm war wegen der guten Musik besonders in der DDR beliebt, speziell bei den Soldaten in der NVA. Da die Station offiziell als Westsender deklariert war, gab es disziplinarische Maßnahmen, wenn NVA-Angehörige beim Hören des Freiheitssenders 904 erwischt wurden.Der starke Anklang bei den Soldaten führte schließlich dazu, dass Priess eines Tages zum Armeegeneral Hoffmann beordert wurde, der ihm mit den Worten drohte: "Hör mal, mein Lieber, wenn du mit deinem Sender meine Soldaten weiter verrückt machst, kannst du was erleben." Auch anderen war der Sender nicht genehm. Gelegentlich bezeichnete Oskar Neumann vom KPD-Vorstand den Sender als ein Sammelbecken von "Revisionisten". Doch Folgen hatte das nicht.Süd-Villa ca. 1915

iEne Mitarbeiterin berichtete in dem Hörspiel des Deutschlandradios „Der Laubfrosch hat die Farbe gewechselt, Geheimes Radio im Kalten Krieg“ (Feature von Angelika Perl und Peter Kainz, Redakteurin Brigitte Kirilow), wie sie eines Tages enttarnt wurde:

Irgend jemand sagte im Sender: Du hast eine Schlagzeile in der Zeitung. Ich sag: Was für eine Schlagzeile, was soll der Quatsch. Dann brachten sie die Zeitung, die BILD an. Viola, die Geheimwaffe Pankows! Das war, muß ich sagen, eigentlich der stolzeste Augenblick - eine solche Schlagzeile ...

Und als das nun da stand, dass ich Helga Jacoby heiße und Rundfunksprecherin war und dass mein Vater auf dem Viehhof arbeitete und was die alles rausgefunden hatten und ein alter Kommunist ist, da haben sie gedacht, als ob ich das alles dem Gegner gesagt hätte. Da wurde ich überwacht. Die Stasi war an mir dran, mit nach Hause fahren und wieder abgeholt werden. Kein Privatleben mehr.“

Nach mehreren Jahren der Abschottung gab man 1967 erstmals eine Kontaktadresse in Österreich an und einen Monat später konnte man auf 128 Briefe und Karten, davon 40 aus der Bundesrepublik, 6 aus Westberlin, 20 aus dem Ausland und 62 aus der DDR verweisen. Diese Zuschriften wurden eingehend ausgewertet und teilweise dazu benutzt, um Agenten anzuwerben. 

So ist beispielsweise vom parallel arbeitenden Soldatensender bekannt, dass auch Preise für westliche Zuhörer ausgelost wurden, wie zum Beispiel eine Reise nach Prag. Dort kam man dann „zufällig“ in Kontakt mit netten Leuten aus der DDR, die eine spätere Mitarbeit für das MfS ausloteten.

Mit Bildung der sozial-liberalen Koalition 1969 in Bonn stellte die SED Propagandaaktionen ein. Das betraf 1971 oder 1972 den Freiheitssender 904 und kurze Zeit später auch den Deutschen Soldatensender, den die DDR zur Beeinflussung der Bundeswehr geschaffen hatte. Auch sämtliche Störsender verschwanden. Die Wirksamkeit des Deutschen Freiheitssenders 904 bezeichnet Priess als gleich Null. "Nichts wurde da in Bewegung gebracht, nur die Musik kam an."

Gerhard Damm recherchierte in alten Bauakten die Entwicklung des Areals am Seechen und schrieb dazu im „Heimatkalender KWh und Dahmeland 2003“:

1902 erwarb der Berliner Unternehmer Julius Rünzel das Gelände von der damaligen Gemeinde Groß-Besten. Er betrieb in Berlin ein Sanitäts-Kranken-Transport-Geschäft mit Niederlassungen in SO36 und W30. Die Bebauung begann nach der Genehmigungserteilung durch den damaligen Gemeindevorsteher von Groß-Besten Dommisch, durch die Baufirma Karl Purann im Oktober 1902.

Im Mai 1907 erhielt Rünzel durch den Kreisausschussvorsitzenden die Genehmigung zur Ansiedlung in Groß-Besten.

Ab 1909 erfolgten weitere Baumaßnahmen durch die Baufirma Rudolf Schulze aus Königs Wusterhausen. Errichtet wurden eine Gartenlaube, ein Restaurant und eine Kegelbahn an der Ostgrenze des Grundstückes zur Ziegeltransportbahn der Firma Krause. Die Baumaßnahmen bewilligte der damalige Amtsvorsteher von Groß-Besten, Oberstleutnant a.D. Herbst. Der Zufahrtsweg zum Grundstück, ehemals Kirchweg genannt, trug fortan den Namen Rünzelstraße.

1910 wurden am 1902 errichteten sogenannten Landhaus zusätzliche Anbauten in Form eines Speisesaales und einer Veranda vorgenommen.

Das Objekt trug nun den Namen ‚Genesungsheim der Wilmersdorfer gemeinsamen Krankenkassen und Umgebung’. Ab 1913 taucht die Bezeichnung ‚Genesungsheim Groß-Besten’ auf. Es erfolgte der Bau eines Treibhauses für die Garteneigenprodukte.

Zwischen 1914 und 1920 wurden Stallgebäude für Kühe und Pferde errichtet.

1929 erfolgte der Bau eines weiteren Wohngebäudes hinter dem Landhaus als Hauptgebäude.

Nunmehr befanden sich auf dem Grundstück folgende massive Gebäude:

Das Landhaus als Hauptgebäude, das Wohnhaus rechts gegenüber dem Landhaus (heute hinter den Heizhäusern), Küche und Speisesaal vor dem Hauptgebäude, Veranda vor dem Speisesaal und das Wohnhaus hinter dem Landhaus.

Die Straße an der Eisenbahn erhielt die Bezeichnung ‚Straße 35’ und die Zufahrt im Grundstück ‚Straße 36’. Ebenfalls 1929 zog der ‚Verein zum Schutz der Kinder vor Ausbeutung und Misshandlung e. V. Berlin C2’ ein.

1932 fungierte die Anlage als Wochenendhaus für schulentlassene Kinder des Kinderheimes und wurde 1937 geschlossen.

Harry Schäffer schreibt in seiner Chronik dazu weiter: „Am Ende der 20er Jahre nutzten auch viele jüdische Frauen aus Berlin diese Genesungs- und Erholungsstätte. Ab 1933 wurde dann dieses Heim ‚arisch gesäubert’, und zum nationalsozialistischen deutschen Mütterheim umfunktioniert.“

Ein Nachfahre des Erbauers Julius Rünzel erzählte mir, wie in den Anfangsjahren die Beleuchtung im Hause bis zum Anschluss an das elektrische Netz erfolgte. 

Dazu gab es im Keller einen speziellen Raum mit einem Gefäß, das mit Wasser gefüllt war. Eine Apparatur führte dem Wasser Karbid zu, so dass brennbares Gas entstand, das durch ein ausgeklügeltes Rohrleitungssystem durch das gesamte Gebäude bis in die Zimmer zu Gasbrennern geleitet wurde. Wurde der Gasdruck und damit die Flamme kleiner, musste Karbid wieder in das Wasser nachgeführt werden. 

 

Lageplan der Gebäude der Landesparteischule "Friedrich Endels" , 1950 

Wie im ersten diente auch im und nach dem zweiten Weltkrieg das Gebäude als Lazarett. Nach 1945 dort verstorbene verwundete russische Soldaten wurden unter provisorischen Holzkreuzen auf dem Gelände beerdigt, bis sie schließlich auf einen zentralen russischen Friedhof überführt wurden.

Gerhard Damm schreibt im „Heimatkalender 2003“ weiter: 

1947 wurde die Anlage in Volkseigentum überführt.

Ab 1950 führte das Unternehmen ‚Berliner Volksbau GmbH’ aus Berlin W8 zahlreiche Umbauten zum ‚Erholungsheim Kurstraße, Bestensee’ durch. Die Veranda wurde völlig erneuert.

Im Januar 1950 fungierte dann die Anlage als ‚Erholungsheim der SED’ und ab Februar 1950 als ‚Landesparteischule Friedrich Engels - Erholungsheim Bestensee’ ".

Dort wurden neben DDR-Führungskräften auch westdeutsche Funktionäre, zumeist KPD-Mitglieder, ausgebildet. 1955 erfolgte der Ausbau zur "Schulungseinrichtung Bestensee" in Form einer Hörsaalerweiterung mit einem Kostenaufwand von 41.000 DDR-Mark.

Sogar ein Kinovorführraum wurde integriert.

Anschließend begannen die Vorbereitungen zur Errichtung der Studios für den „Freiheitssender 904“. 

I

Ansicht des ehem. Hörsaalgebäudes 1955 nach dem Umbau, später Studio-Gebäude

In diese Zeit, ca. 1963-65, fiel die Abänderung des Verlaufs des Verbindungsgrabens vom Klein Bestener See zum Seechen durch das Gelände. Außerdem wurde der Graben durch Rohre unterirdisch verlegt, und ein Arbeiter erinnert sich noch daran, dass beim Betreten des Geländes die Ausweise abgegeben werden mussten und dass sie während der Arbeiten ständig von Posten mit Hunden bewacht wurden.

Herr Damm recherchierte weiter: „lm Oktober 1970 übernahm das ‚Staatliche Komitee für Rundfunk beim Ministerrat der DDR’ die Anlage und betrieb sie nach Rekonstruktion und Anbau als ‚Naherholungsheim Bestensee’. 1974 erfolgte eine weitere Umgestaltung. Das ehemalige ‚Redaktionsgebäude’ wurde in ein Bettenhaus mit 21 Zimmern umfunktioniert.

Damit war die Funktion als Rundfunkstudio aber nicht beendet. Das Staatliche Rundfunkkomitee ließ durch das Rundfunk- und Fernsehtechnische Zentralamt (RFZ) in Berlin-Adlershof, die festen Studioeinrichtungen der drei Regie- und Sprecherräume weiterhin pflegen und 1978 neu ausrüsten.

Diese Maßnahme diente dazu, um im Fall eines E-Falles den Rundfunkbetrieb aus dem Funkhaus in der Nalepastraße, Berlin-Oberschöneweide, das nicht zu ‚schützen’ war, operativ u.a. nach Bestensee zu verlagern.“

Heute droht dem Gebäude am Seechen der Verfall. Ein Zugang des der AOK gehörenden Geländes ist für die Öffentlichkeit nicht mehr möglich. 

 

Quellen:

- Heinz Priess, Spaniens Himmel und keine Sterne, edition ost

- Der Laubfrosch hat die Farbe gewechselt, Geheimes Radio im Kalten Krieg. Feature von Angelika Perl und Peter Kainz, Hörspiel im Deutschlandradio, Redakteurin Brigitte Kirilow

- Gerhard Damm, 15711 Zeesen, Von der Villa zum Geheimobjekt, Heimatkalender 2003

- Extremismus-Bericht des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen an den Landtag oder Landesbehörden, 1964

Ein herzliches Dankeschön an den Ortschronisten von Bestensee  Herrn Wolfgang Purann für die Übernahmemöglichkeit seines spannenden Artikels aus dem Jahre 2006.

 

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Freiheitssender 904 Redaktionsstandorte 
16.May.22 17:24
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Wolfgang Lill (D)
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Wolfgang Lill

Die Kommunistische Partei in der BRD wurde am 17.August 1956 durch das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft. Die Partei wurde damit verboten und das Parteivermögen zu gemeinnützigen Zwecken eingezogen. 

Es galt ab diesem Zeitpunkt der Grundsatz "Weitermachen in der Illegalität und mittels konspirativer Arbeit". 

Hier tauchte schon an diesem Tage ein starker Mittelwellendsender auf. Die Stimme der KPD auf Mittelwelle 904 KHz.

Das war nicht gerade die glücklichste Frequenz. Auf 908 KHz sendete die BBC mit 140 kW und auf 899 KHz der  Sender Milano mit 150 kW. Interferenzpfeifen trat in den Abendstunden häufig auf , aber tolle Musik tolerierte damals diese Störungen.

Die 250 kW von Burg konnten in den Morgen bzw Abendstunden deutschlandweit und darüber hinaus gehört werden... die KPD hatte eines ihrer Sprachrohre dank der guten Vorbereitung  der ostdeutschen Genossen pünktlich erhalten.

Aber nicht nur in der BRD musste nun konspirativ gearbeitet werden, sondern auch in der Redaktion und in dessen Umfeld durfte es niemand erfahren...Für den Start war die Redaktion in Berlin Nalepastraße untergekommen.Foto: Wolfgang Lill

Die Abteilung war regelrecht abgeschottet, aber es sprach sich herum. Bereits nach 3 Monaten, im September des Jahres 1956 zog die Redaktion in das idyllisch gelegene Berlin Grünau. Foto: Kai Ludwig

Dort in unmittelbarer Nachbarschaft hatte sich auch die Redaktion des Deutschen Soldatensenders    MW 935 Khz niedergelassen.

Auch hier blieben die Studios nicht lange unentdeckt und schon nach drei Jahren wechselte das Studio in die internatiionale Journalistenschule nach Berlin Friedrichshagen.

Foto: Jürgen Lindert, Wikipedia 

Mitte der 60iger Jahre heißt es wieder umziehen. Dies ist nun der letzte Standort in Bestensee direkt am Seechen. Hier in dieser idyllischen Lage,direkt am Wasser , im eingezäunten und bewachten Gelände 

Foto: Wolfgang Lill

arbeitete die Redaktion bis zur Einstellung der Sendungen am 30.September 1971. und wir bleiben noch in Bestensee, vor der ehemaligen FDGB-Schule später das Studiogebäude vom 904.

Damals war dort fotografieren streng verboten. Foto: unbekannt

Das ebenfalls für die Redaktion hauptsächlich zur Unterkunft der Mitarbeiter des DFS904 genutzte ehemalige Genesungsheim . Foto vom 24.April 2002 und ein undatiertes Foto von Wolfgang Purann

Bade- und Bootsanlegeplatz  im Seechen Foto vom 04.05.2022 Wolfgang Lill

Das ehemalige Genesungsheim wurde sehr schön modernisiert und als Wohnhaus hergerichtet.

Das eigentliche Studiogebäude darf wegen Einsturzgefahr nicht mehr betreten werden, es ist im fortgeschrittenem Verfall. 

Fotos oben und darunter vom 04.05.2022 Wolfgang LillIm Jahre 2006 hatte der Ortschronist Wolfgang Purann die Möglichkeit noch einmal die Studioräume zu betreten. Hier einige seiner Fotos:

Blick in den Speisesaal des Genesungsheimes , nach den optischen Elementen dürfte es sich um die Einrichtung der 70iger Jahre handeln.

Hier arbeiteten die Moderatoren und Schnittmeister vom DFS904 bis zur Einstellung des Sendebetriebes am 30.09.1971. Die Sendungen wurden frühmorgens ausgestrahlt, man begann mit der erste Sendung bereits 4,30 Uhr bis 6,00  Uhr die erste Abendsendung lief von 19,00 Uhr bis 19,30 Uhr. Es folgten um 21,00 uhr und 22,30 noch zwei halbstündliche Sendungen.

Die Sendezeiten haben sich im Laufe der Jahre geändert. Es waren durchschnittlich 22 Arbeitskräfte in der Redaktion beschäftigt, die DDR finanzierte mit jährlich über 2 Millionen Mark den Studio- und Sendebetrieb.

                         

 

Die Sendeleistung hätte auf maximal 1 MW gesteigert werden können, aber Beweise dafür habe ich bisher nicht gefunden, auch daß der Sender von 904 auf 908 KHz verlegt wurde  und damit mit der BBC auf Gleichwelle arbeitete

Es behaupteten einige Kollegen wie der Chef vom Schwarzen Kanal K.E. von Schnitzler und andere Ideologieexperten, daß der Sender auf einem LKW durch das Bundesgebiet fährt also mobil ist, und so der Kontrolle der Funkortung sich erfolgreich entzieht.

Dazu ein Gegenbeweis, welchen mir freundlicherweise Dr. Senne überlassen hat. Es ist ein Auszug aus dem Betriebstagebuch des Burger Senders.In diesem falle wurde der Sender Wolga von 782 KHz auf 904 KHz umgestimmt.

So erhielten es die Journalisten über das Presseamt.

Ich bedanke mich nochmals bei Wolfgang Purann, dem Ortschronisten von Bestensee, sehr herzlich für seine wunderbare Unterstützung.

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06.Jun.22 09:52
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Jacob Roschy (D)
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Jacob Roschy

Ab den frühen 1960er Jahren, da war ich noch sehr jung, hörte ich ab und zu den „Deutschen Freiheitssender 904“ auf Mittelwelle 904 kHz.

Diese Frequenz war zwischen die Frequenzen von Milano auf damals 899 kHz und BBC auf 908 kHz gequetscht, wodurch schrille Überlagerungspfeiftöne entstanden.

Ich werde nie verstehen, warum man diese Frequenz wählte, denn sowohl Milano wie auch BBC brachten starke Signale, wodurch der 904- Empfang besonders bei Fading stark gestört wurde.

Wenn man sich schon dazu entschloss, wegen des damals überfüllten Mittelwellenbandes sich zwischen zwei Frequenzkanäle zu quetschen, dann hätte man wahrscheinlich auch weniger stark belegte Frequenzen gefunden.

Es wäre auch zweckmäßig gewesen, eine Frequenz genau in der Mitte zwischen den Nachbarkanälen zu wählen, um nach beiden Seiten den gleichen Abstand zu haben. In diesem Fall wäre es 903,5 kHz gewesen mit jeweils 4,5 kHz Abstand zu 899 und 908 kHz. Bei genau 904 kHz Sendefrequenz war dann der Abstand zur BBC- Frequenz aber nur 4 kHz, wodurch die Selektivität noch weiter verschlechtert wurde.

Einen plausiblen Grund zur Wahl dieser Frequenz ist bisher unbekannt. Es scheint so, dass diese Frequenz willkürlich gewählt wurde, weil vielleicht jemand an der Zahl 904 besonderen Gefallen fand. Manche Leute glauben wohl, man könnte eine Sendefrequenz ganz beliebig nach persönlichem Geschmack aussuchen.

Es stellt sich auch die Frage, warum nicht auf Kurzwelle gesendet wurde. Statt mit 250 kW wäre mit einem Bruchteil dieser Leistung, z. B. mit 20 – 50 kW, ganztägig eine deutschlandweite Versorgung möglich gewesen. Der Betrieb auf Kurzwelle hätte das Image als Untergrundsender sogar besonders gefördert. Nebenbei hätte man auch leichter eine störungsfreie Frequenz gefunden.

In den letzten Jahren seines Bestehens wechselte der DFS 904 auf die Frequenz 908 kHz, wobei die Zahl 904 im Sendername beibehalten wurde. Damit arbeitete er auf der gleichen Frequenz wie die BBC. Während der Empfang auf 904 kHz hier in der Nähe von Saarbrücken, zwar begleitet von schrillen Überlagerungspfeiftönen, noch einigermaßen brauchbar war, entstand nach dem Wechsel auf 908 kHz nur noch ein chaotisches Gemisch von DFS und BBC, wodurch der Empfang des DFS praktisch unmöglich wurde.

Die Musikauswahl war für die damaligen Verhältnisse pfiffig und schmissig, dagegen war selbst Radio Luxemburg langweilig. Die Berichte und Kommentare waren zwar Propaganda und teilweise Desinformation, man konnte sie aber auch als Satire ansehen. Letztendlich war es jedoch nützlich, eine Gegenstimme zur westlichen Darstellung zu haben. Es ist nie gut, wenn es ein Monopol der Sichtweise von nur einer Seite gibt.

Auch konnte ich den „Deutschen Soldatensender“ auf 935 kHz hören. Wegen starker Gleichkanalstörungen, insbesondere durch AFN Berlin, war der Empfang jedoch meistens unbrauchbar.

M. f. G.
J. R.

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Freiheitssender 904 Redaktionsstandorte 
07.Aug.22 15:50
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Wolfgang Lill (D)
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Wolfgang Lill

Heute kann ich noch zwei Fragen von Lesern beantworten

 

Die erste Frage, wo war diese Internationale Journalistenschule?

Die Internationale Journalistenschule, wo die Redaktion des DFS für einige Monate vor dem Umzug nach Bestensee untergebracht war, befand sich an der Mühlenstraße 2 in Ravenstein ( heute Berlin Hoppegarten). 

Eine Zeitzeugin hat mir ihre Erinnerungen geschrieben und es wurden auch aktuelle Bilder beigefügt.

"Das ist die Journalistenschule an der Erpe in Ravenstein. Wenn man an der Erpe entlang spaziert von Friedrichshagen aus kommend bis zur Mühlenstraße ist das rechts das Gelände. Man sah damals Personen in den Wohnbereichen von der Erpe aus. Für mich persönlich hatte das Gelände/ die Einrichtung etwas merkwürdiges an sich, wirkte nach außen abgegrenzt und geschlossen.“

„Viel mehr wusste sie, die Dame, auch nicht. Allerdings weiss sie, dass es dort ausländische ‚Schüler‘ gab. Ihre Begleitung und sie kamen damals mit einem Schüler der Journalistenschule, der aus einem afrikanischen Land kam, in einer Gaststätte ins Gespräch. Das Gespräch führte aber eher ihre Begleitung, da teilweise in Englisch, an Einzelheiten kann sie sich nicht mehr erinnern. Es war ein netter Nachmittag sagte sie.

Anders als ich dachte, hatten die Schüler Kontakt nach außen.“

Diese internationale Journalistenschule wurde am 25.November 1963 eröffnet und existierte bis  November 1989 . In der Magisterarbeit von Marc Castillon von 2010  werden zwar technische Anlagen erwähnt, aber einen Bezug auf den DFS habe ich nicht gefunden.

Hier noch zwei aktuelle Fotos aus dem Jahre 2022, Fotos privat, heute sind es Privatwohnungen. Vielen Dank an Astrid Brand für diese Informationen.

Noch einmal zurück zum Senderstandort Burg. Hier gab es auch eine Frage zur Frequenz und zur Leistung des Senders.

Herr Hajo Böhme hat mir einige Fotos von diesem Standort geschickt ( vielen Dank). 

oben Eingangsbereich und unten Sendegebäude 2 x 250 KW im Herbst 2004

Ausgestrahlt wurde über den einen 250 kW-Sender wechselseitig das Programm DFS 904, welcher dann tatsächlich auf 908 KHz betrieben wurde. Der Name DFS 904 wurde jedoch nicht geändert.

Dann gab es eine kurze Zeit von etwa 10 min zum Umstimmen auf den Deutschen Soldatensender 935 kHz.  

Der zweite 250 kW-Sender strahlte das Programm des Deutschlandsenders auf 782 kHz  ab. 

 

Ein 1 MW Sender wurde gebaut, als Radio Wolga, Радиостанция Волга​, ab 1968 vom Standort Burg auf Langwelle 261 kHz betrieben. Das ist aber ein Thema für einen gesonderten Beitrag.

 

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