“Gematchte Röhren“ ohne gematchte Röhren

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ID: 539555
“Gematchte Röhren“ ohne gematchte Röhren 
16.May.20 13:22
1874
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Achim Dassow (CH)
Redakteur
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Liebe Forumsmitglieder, Besucher,

Jeder kennt das Problem: In einer symmetrischen Differenzverstärkerstufe mit einer Doppeltriode wie z.B. ECC83, ECC81, ECC82 oder 12AX7, 12AT7, 12AU7 und vielen anderen wünscht man sich gleich grosse Ausgangsspannungen an den beiden Anoden. Einerseits sollte dafür der gemeinsame Kathodenwiderstand möglichst gross sein, damit der durch ihn hindurch fliessende Strom möglichst konstant ist. In der Praxis erreicht man das durch eine negative Betriebsspannung (-Vee) für das negative Ende des Kathodenwiderstands oder den Einsatz einer Konstantstromquelle (Gen1) als Kathodenwiderstand. Anderererseits ist da noch die Forderung nach möglichst gleich grosser Verstärkung der beiden Hälften der Doppeltriode bei möglichst gleich grosser Ruhespannung.

Da in der Praxis nicht selektierte Röhren selten gleich grosse Verstärkungsfaktoren der beiden Teilsysteme aufweisen, behilft man sich mit verschiedenen Tricks um die Ausgangsspannung sowohl statisch als auch dynamisch auf möglichst gleiche Werte zu bringen [5].


 

Als Beispiel hierfür möge die Abbildung aus [5] oben gelten. Dort sind zwei mögliche Wege gezeigt, um das Ziel zu erreichen. Einerseits mit dem Poti P1 zwischen den beiden Kathoden der beiden Röhren V1 und V2, alternativ als veränderlicher Anodenwiderstand P2, wie links oben im Bild gezeigt. Beide Methoden können jedoch nicht die Steilheit der beiden Röhren aufeinander abgleichen, weswegen entweder die statische oder die dynamisch Balance hergestellt werden kann, aber nicht beide zu 100% gleichzeitig. Ein sehr ausführlicher Bericht über Wege zur Kompensation von Einflüssen der Betriebsspannungsvariationen auf die statische und/oder dynamische Balance wurde bereits 1953 in [7] veröffentlicht.

Es geht aber auch anders:

In der Zeitschrift “Electronic Engineering“ wurde im Mai 1955 [1] eine alternative Methode zum Ausgleich von unterschiedlichen Röhrenparametern in Differenzverstärkerstufen beschrieben.

Damit ist der Einsatz wenig oder gar nicht “gematchter“ Röhren möglich. In diesem Beitrag wird gezeigt, dass Unterschiede von bis zu 1 : 1.4 in der Steilheit zweier Hälften einer Doppeltriode mit einer nur um 5% veränderten Heizspannung ausgeglichen werden können.

Dazu muss lediglich der gemeinsame Heizungsanschluss (Pin 9 bei einer ECC83/12AX7) an den einen Pol der Heizspannung angeschlossen werden (siehe Bild rechts) und ein niederohmiges Poti zwischen die beiden freien Enden (Pin 4 + 5) der Heizung gelegt und der Poti-Schleifer an den anderen Pol der Heizspannung gelegt werden.

Dann reicht der einfache Abgleich auf gleich grosse statische Anodenströme um auch die Steilheit beider Röhren auf den richtigen Wert zu bringen.
Der Artikel stellt ausdrücklich klar, dass bei einem Abgleich auf gleich grosse Anodenströme sich auch die anderen Parameter automatisch auf den richtigen Wert einstellen. Da die Austrittsarbeit der beiden Kathoden durch die Veränderung des Heizstroms und damit auch der Temperatur aneinander angeglichen wird, werden auch die Drift minimiert und der Klirrfaktor beider Triodensysteme gleicher.

Im Falle einer ECC83 mit 0.3A bei 6.3V reicht ein Poti mit 1Ω bis 1,5Ω um die erforderliche Variation des Heizstroms von mindestens 5% zu erzeugen, bei bewusst höher gewählter Ausgangsspannung des Heiztrafos bzw. der Heizwicklung von z.B. 6.5 Volt bzw. 7 Volt kann man auch mit Trimmerwerten von 2.2Ω bzw. 4.7Ω bzw. mit Werten >0 von Rser (weiter unten) arbeiten.
Heizspannungs-Variationen von 5% sind z.B. bei Telefunken zulässig [2], bei Philips sind sogar Heiz- spannungs-Toleranzen von +/-7% erlaubt [3], ähnliches gilt auch bei Mullard [4], hier gilt für die Heizspannung +/-7% und für den Heizstrom bis zu +/-5%.

Das gilt ebenso bei Brimar [6]. Obenstehende Tabelle aus [1] zeigt sehr schön was man mit der oben beschriebenen Methode ohne viel Aufwand erreichen kann.

In der Tabelle sind 6 aus insgesamt 50 getesteten Doppeltrioden aufgeführt, einmal ohne Abgleich, d.h. mit Standard Heizstrom und einmal mit Heizspannungs-(Netzspannungs-)-Abweichungen von +5% oder -5% NACH dem Abgleich nach der genannten Methode.
Röhre Nummer 6 enthielt bereits ein gematchtes System zum Vergleich, daher war keine Kompensation nötig.
Es ist zu erkennen, dass nach einem guten Abgleich selbst die Drift oder Heizspannungs-(Netz-)schwankungen nur noch minimalen Einfluss auf die Gleichheit der Parameter ausüben.

Literaturnachweise:
[1] R. E. Aitchison, "A New Circuit for Balancing the Characteristics of Pairs of Valves", Electronic Engineering, May 1955, pp. 224-226

[2] “Verstärker Röhren für Elektronik“, Telefunken, 1961/62

[3] “Electron Tube Manual“, Volume 1, Philips, 1964, Abschnitt “Applications Directions“ bzw. “Anwendungsrichtlinien“

[4] “Technical Handbook, Book 2, Valves and Tubes, Part 1“, Mullard Limited, Sept. 1969

[5] Burkhard Vogel, “How to Gain Gain“ (Balanced differential Gain Stage), Springer 2008, pp. 223

[6] “tubes and components“, BRIMAR and STC (an ITT Associate)

[7] C. M. Verhagen, “A Survey of the Limits In DC Amplification“, Proceedings of the I.R.E. 1953, pp. 615-630

Anhang:

Mit der nachfolgenden kleinen Simulationsschaltung lässt sich der Einfluss von Heizsspannung und Potentiometer-Wert in verschiedenen Poti-Schleiferstellungen auf die resultierende Heizspannung simulieren. R1 ist dabei der Innenwiderstand der (heissen) linken Hälfte, R2 der Innenwiderstand der (heissen) rechten Hälfte der Doppeltrioden-Heizung. Als Parameter für den Poti-Widerstand (Rtrim) wurde 1.5Ω eingesetzt, Rser ist zunächst nur 1Milliohm, also kurzgeschlossen.

Durch Änderung der Parameter für Heizspannung (V_heater) und -Strom (I_heater) können auch die richtigen Poti-Werte für andere zu “matchende“ Röhren ermittelt werden. Im Falle der ECC83 Heizung sieht das Ergebnis wie folgt aus:

Circuit: * C:\Programme\LTC\SwCADIII\AD\Heater_Voltage_Calculation.asc


.step pos=0.99

Direct Newton iteration for .op point succeeded.

.step pos=0.75

.step pos=0.5

.step pos=0.25

.step pos=0.01

 

Measurement: i_left

step RMS(i(r1)) FROM TO

0 0.280173 0 0.1

1 0.284732 0 0.1

2 0.289641 0 0.1

3 0.294722 0 0.1

4 0.29977 0 0.1

 

Measurement: i_right

step RMS(i(r2)) FROM TO

0 0.29977 0 0.1

1 0.294722 0 0.1

2 0.289641 0 0.1

3 0.284732 0 0.1

4 0.280173 0 0.1

 

Measurement: i_left%

step (i_left/i_heater*100)-100

0 -6.6089

1 -5.08939

2 -3.45307

3 -1.75934

4 -0.0765014

 

Measurement: i_right%

step (i_right/i_heater*100)-100

0 -0.0765014

1 -1.75934

2 -3.45307

3 -5.08939

4 -6.6089

 

Measurement: heatervoltage

step RMS(v(heater)) FROM TO

0 6.29998 0 0.1

1 6.29998 0 0.1

2 6.29998 0 0.1

3 6.29998 0 0.1

4 6.29998 0 0.1

 

Measurement: r_heater

step v_heater/i_heater

0 21

1 21

2 21

3 21

4 21


Die Messwerte i_left% und i_right% zeigen jetzt die möglichen Änderungen der Heizspannung und damit den Heizstrom durch R1 bzw. R2. Ändere ich jetzt Vh_supply auf 6.5 Volt, dann ergibt sich eine Variation des Heizsstroms an den beiden Röhrenhälften wie folgt:

Measurement: i_left%

step (i_left/i_heater*100)-100

0 -3.6441

1 -2.07635

2 -0.388089

3 1.35941

4 3.09567

 

Measurement: i_right%

step (i_right/i_heater*100)-100

0 3.09567

1 1.35941

2 -0.388089

3 -2.07635

4 -3.6441

Der Regelbereich hat sich jetzt von 0% bis -6% auf +3% bis -3% (ebenfalls zulässig) geändert, jeweils umgekehrt von Seite zu Seite. Wenn die Maximalwerte des Heizstroms bei höheren Heizspannungen Vh_supply überschritten werden, empfiehlt sich der Einsatz der beiden Extra-Widerstände Rser (siehe Abbildung oben).
Die Simulation berücksichtigt nicht die Nichtlinearität der Innenwiderstände der beiden Heizungen, was in dem schmalen Einstellbereich von +/-5% allerdings nur zu kleinen Abweichungen von obigen Ergebnissen führen dürfte.

Achtung: ohne die drei folgenden Anweisungen für LTspice kommt es zu sehr ungenauen Ergebnissen:

.options plotwinsize=0

.options numdgt=15

.options maxstep=10u

Übrigens hilft ein Vorwiderstand an der Heizung einer Röhre generell. Weil der Kaltwiderstand einer Röhrenheizung grundsätzlich deutlich niedriger ist als der heisse Widerstand (bei einer Telefunken ECC83 z.B. pro Heizfaden drei mal kleiner, also nur 7Ω statt 21Ω, was nicht im Datenblatt zu finden ist) hilft ein Vorwiderstand, den Einschaltstrom zu begrenzen, was die Lebensdauer des Heizfadens verlängern kann.
Die Belastbarkeit des Vorwiderstands bzw. des Potis ist auf den erhöhten Einschaltstrom natürlich anzupassen.

Ich hoffe das oben gezeigte kann dazu beitragen, so manches Ungleichheits-Problem an Doppeltrioden zu lösen.

Viele Grüße

Achim

 

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.