siemens: 1236W; Spitzensuper 54; Situationsbericht

8
ID: 387187
siemens: 1236W; Spitzensuper 54; Situationsbericht 
01.Nov.15 10:03
2203
8

Hans-Dieter Haase † 5.2.18 (D)
Beiträge: 582
Anzahl Danke: 7
Hans-Dieter Haase † 5.2.18

Ein Situationsbericht

Meine erste Reaktion war: " N E I N !!!!!, nicht noch so ein Riesenteil, und dann noch dazu ein Gebißradio".
Einige Tage später: " Aber als ehemaliger Siemensianer (und immer noch Siemens-Fan) sollte man doch wenigstens eins von diesen Spitzengeräten im Wohnzimmer haben. Und dann noch diese Lautsprecher !!!!".
Da das Gerät halbwegs passabel aussah, wurde es gekauft. Es soll nach erfolgter Restaurierung seinen Platz im Wohnzimmer haben.

Bevor mit irgendwelchen Arbeiten begonnen wurde, war erst einmal Quellenstudium angesagt, um sich mit der Technik des Gerätes vertraut zu machen. Das war insofern leicht, da sich mehrere gute Beiträge im RM mit dem Gerät befassen und auch die Siemens-Service-Unterlagen vorhanden sind.
Nach Entfernen der Rückwand und der Bodenabdeckung zeigte sich ein mäßig trockenverstaubtes Gerät. In der Elektrik waren keine Bastel-/Reparaturspuren zu finden. Lediglich der Y-Kondensator auf der Netzseite zeigte Auflösungserscheinungen. Alle anderen Kondensatoren machten optisch einen guten Eindruck. Die Bandfilter waren noch original verklebt. Es wurde noch kein Funktionstest vorgenommen, sondern erst einmal das Chassis zur Reinigung ausgebaut.

Das Tütchen mit den Reserveabgleichhalmen fehlte natürlich und irgendjemand hatte am Skalenantrieb herumgefummelt. Die Kupplungsscheibe war über eine Pappe mit der Schwungscheibe zusammengeklebt, so dass AM- und FM- Abstimmung zusammen betätigt wurden. Nach dem Entfernen der Pappe zeigte sich auch der Grund, die AM-Abstimmung rutschte.

Das nächste Problem war, dass das Reparaturgestell an seine Grenzen stieß. Es hat dann aber doch noch gerade so gepasst. Und auch die Original-Lautsprecher solten angeschlossen sein, denn der kleine Werkstattlautsprecher war hier wohl etwas überfordert. Ein Platzproblem für kleine Arbeitsplätze, wenn Chassis und Gehäuse nebeneinander aufgestellt werden sollen.


Nach dem Austausch der netzseitigen Entstörkondensatoren konnte ein erster Funktionstest erfolgen. Die Netzspannung wurde langsam hochgefahren. Die Anodenspannung stieg im gleichen Maß an und lag dann ca. 10V unter Nennwert. Die Empfangsleistung war aber enttäuschend. Es wurden nur wenige Sender leise gehört. Nach einigen Minuten fing der erste Teerkondensator an, sich mit Rauchwolken und einem Zischen zu verabschieden.

Zuerst hatte ich gehofft, dass die Kondensatoren hätten bleiben können. Aber jetzt musste das neu überdacht werden. Für ein wohnzimmertaugliches betriebssicheres Gerät waren die Kondensatoren nicht mehr akzeptabel. Der Isolationswiderstand betrug bei allen um die 20 MOhm. Also wurden alle ausgewechselt. Eine Siemens-Besonderheit der damaligen Zeit ist, dass die Kondensatoren auf dem Chassis festgeklebt sind. Das hatte sicherlich bei der Montage Vorteile, jetzt ist es eher hinderlich. Da die Bauform relativ  klein ist, kommt auch kein Ausschmelzen und Neubefüllen in Frage, zumal durch das Festkleben die Papierbanderolen beim Herauslösen beschädigt werden. Nun kann man zwar die Kondensatoranschlüsse abzwicken und den neuen Kondensator darüberlöten. Im Chassis oberhalb der Original-Verdrahtung ist genügend Platz, aber die Optik leidet darunter. Da dies ein relativ modernes Gerät ist, kann man meiner Meinung nach durchaus modernere Kondensatoren einsetzen, sofern sie an die ursprünglichen Stellen gesetzt werden. Das ist allerdings mit erheblicher Fummelei verbunden. Aber dank meiner neuen Brille konnte das bewältigt werden. Einen Eindruck vermittelt folgendes Bild. Lediglich an wenigen Stellen musste ich etwas schummeln.


Das Austauschen der Kondensatoren habe ich in mehreren Schritten vorgenommen. Es sind immerhin fast 30 Stück.  Zwischendrin immer wieder eine Funktionsprüfung, um eventuell gemachte Fehler sofort zu bemerken. Nach jedem Schritt wurde die Empfangsleistung besser. Zum Schluss ein brüllendes Inferno (das Lautstärkepoti war noch voll aufgedreht), so dass man um die Lautsprechermembranen fürchten musste. Zusammenbau war aber noch nicht angesagt. Es sollte noch ein längerer Probebetrieb mit verschiedenen Messungen erfolgen.

Und dann geschah es. Ich schaltete auf MW um. Schlagartig wich der Ton einem lauten Brummen, die Stromaufnahme aus dem Netz stieg auf das Dreifache. Ein Zurückschalten zu UKW brachte keine Änderung. Wegen der hohen Stromaufnahme wurde erst einmal ausgeschaltet.
Nach erneutem Einschalten war die Stromaufnahme wieder normal, nur die Lautstärke war wesentlich geringer. Die Anodenspannung hatte nahezu Nennwert. Zufällig fiel mein Blick auf die beiden Endröhren. Bei einer Röhre konnte man kein Glühen des Heizfadens erkennen. Also Röhre ausgewechselt und alles war wieder normal.

Die Überraschung: das RPG4/3 zeigte keinen Heizfadenbruch, aber auch keinen Anodenstrom. Widerstandsmessung des kalten Fadens ergab  ca. 3 Ohm, also normal. Mit dem RPG ließ sich die Röhre heizen (wurde warm und Fadenwiderstand stieg auf ca. 30 Ohm, es war aber kein Leuchten zu erkennen). Weiter wurde das Phänomän nicht untersucht. Die EL84 ist schließlich ein Verschleißteil und es lohnt den Zeitaufwand nicht. Aber es gibt ja für alles eine Erklärung. Am nächsten Tag zeigte sich, dass sich der Getterspiegel anfing, sich weiß zu verfärben, das war beim Auftreten des Fehlers noch nicht der Fall. Also hatte die Röhre Luft gezogen. Das erklärte alles und dass der Fehler beim Umschalten auf MW auftrat, war wohl reiner Zufall, u.U. durch die Erschütterung beim Schalten ausgelöst.

Das Thema Vakuum wurde dann später auch in diesem Thread besprochen.

Bislang plane ich keinen kompletten Neuabgleich, schon allein wegen der Halmproblematik der Bandfilter und der Tatsache, dass die Spulen noch alle unberührt sind. Allerdings scheint die AM-Empfindlichkeit relativ niedrig zu sein. Bei manchen Philettas bin ich Besseres gewohnt. Aber noch ist der Probebetrieb nicht beendet.

Sollte sich noch etwas Gravierendes ergeben, wird natürlich hier darüber berichtet.

HDH

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.