siemens: Electrokardiograph: Das Herz sendet

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siemens: Electrokardiograph: Das Herz sendet 
25.Jan.15 00:24
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Georg Richter (D)
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Georg Richter

Bericht in "Das Rundfunkwesen" Heft 49/VIII (04.12.1931), Seiten 988 und 989


Das Herz sendet

Von W. Salaan

Wir wissen seit langem, daß in den bewegten Muskeln des menschlichen Körpers elektrische Spannungen und Ströme auftreten, deren Größe und Verlauf mit der Art der Muskelbewegung eng zusammenhängt. Schon die Physiologen des 19. Jahrhunderts studierten diese Erscheinungen und suchten hinter ihre Gesetze zu kommen. Beispielsweise hat sich unser großer Physiker Helm- holtz intensiv mit ihnen beschäftigt. Aber jene Spannungen und Strömchen sind so unendlich gering, daß ihr Nachweis nur mit dem höchstempfindlichen Galvanometer gelang und auch dann nur bei den an der Peripherie des Körpers liegenden Muskeln, an die man mit geeigneten Elektroden unmittelbar herankonnte.

Dies Bild hat sich jedoch gründlich geändert, seitdem die Elektronenröhre und der Elektronenverstärker ihren Einzug nicht nur in die Technik, sondern auch in die Physiologie und Medizin gehalten haben. Da es mit Hilfe solcher Verstärker möglich ist, Spannungen und -Ströme millionenfach zu vergrößern, genügen sogar verhältnismäßig weniger empfindliche und entsprechend wohlfeilere und widerstandsfähigere Galvanometer, um die bei Muskelbewegungen des menschlichen Körpers entstehenden elektrischen Erscheinungen nachzuweisen und in Kurvenform auf die fotografische Platte zu bringen.

Einer der stärksten und auch am stärksten beanspruchten Muskeln unseres Organismus aber ist das Herz, dieser Motor unseres Lebens, der unablässig vom Beginn unseres Seins bis zu unserer letzten Lebenssekunde pulsieren und das Blut durch die Adern treiben muß. Alle Erkrankungen, alle Unregelmäßigkeiten des Herzmuskels bedeuten schwere Störungen der Lebensfunktionen und erregen mit Recht das besondere Interesse des Arztes. Bis vor kurzem aber stand diesem für die Herzuntersuchungen in der Hauptsache nur das Stethoskop zur Verfügung, ein Hörrohr, das gestattet, die Geräusche der in unserer Brust arbeitenden Blutpumpe konzentriert abzuhören und sich danach ein Bild von dem Funktionieren der Herzkammern und -klappen zu machen. Seit kurzem indes ist neben diese akustische Untersuchung mit Erfolg die elektrische getreten, welche die elektrischen Spannungen und Ströme des Herzmuskels über einen Verstärker aufzeichnet und die so gewonnene Kurve zum Gegenstand der ärztlichen Diagnose macht. Die Möglichkeit einer solchen Technik dürfte nach dem vorstehend Gesagten jedem Radiofreund wohl ohne weiteres einleuchten. Aber andererseits wird die Frage auftauchen, wie man denn an die im Brustinneren entstehenden Spannungen und Ströme zwecks Messung herankommen kann. Die Beantwortung dieser Frage erledigt sich praktisch recht einfach.

Wenn ein Patient, dessen Herz untersucht werden soll, ganz ruhig auf seinem Lager liegt und seine Muskeln entspannt, dann arbeiten in seinem Körper ja nur noch zwei Muskelgruppen. Einmal eben das niemals ruhende Herz und außerdem jene Muskelpartien, welche die Ausdehnung und Verengerung des Brustkorbes, d.h. die Atembewegungen bewirken. Aber auch diese zu zweit genannte Muskelbewegung läßt sich für kurze Zeit stillsetzen. In jedem Falle ist sie bei schwacher Atmung sehr viel geringer als die Arbeit des Herzmuskels, und dementsprechend sind auch die von ihr ausgehenden Spannungen und Ströme von einer niedrigeren Größenordnung als diejenige der Herzspannungen und Herzströme. So erklärt es sich, daß die vom Herzen ausgehenden Spannungen eines ruhenden und schwach atmenden Patienten sich bis zur Körperoberfläche und sogar bis in die Extremitäten hinein fortpflanzen und hier mit angelegten Metallelektroden bequem abgenommen und dem Verstärker zugeführt werden können. Es genügt beispielsweise, auf den rechten und linken Arm oder auf einen der Arme und einen Schenkel je eine Metallelektrode zu setzen, um über den Verstärker ein genaues Bild der Herzströme zu erhalten.

Der weitere Vorgang vollzieht sich wie folgt. Vom Ausgang des Verstärkers wird die vergrößerte Energie entweder einem Oszillografen oder einem besonderen möglichst trägheitslosen Galvanometer zugeführt, dessen Zeiger ein Hohlspiegelchen trägt. Der Zeiger pulsiert im Rhythmus der Herzströme. Auf dem Spiegel des Zeigers oder des Oszillografen fällt der feine Strahl einer Lampe und wird auf einen laufenden lichtempfindlichen Film reflektiert. So zeichnet sich der Verlauf der Herzspannungen und -ströme in Form einer Kurve auf, die nach der Entwicklung des Films dann in der Weise sichtbar wird, wie es beispielsweise Bild 1 zeigt.

Der Abstand zwischen je zwei senkrechten Strichen auf diesem Film entspricht der Zeit von je 1/20 Sekunde und wird durch eine andere von einem Uhrwerk getriebene Vorrichtung auf den Film gezeichnet. Jeder einzelne Herzschlag ist durch eine besonders stark nach oben verlaufende Kurvenspitze gekennzeichnet. Aus dem Bild läßt sich ersehen, daß zwei Herzschläge immer um ungefähr 17 Teilstriche, d.h. 17/2o Sekunden auseinander liegen. Es handelt sich hier also um die Aufnahme eines Herzens, das in der Minute 71 Schläge macht. Der flachere Verlauf der Kurve zwischen zwei derartigen Spitzen verrät zunächst einmal durch seine Stärke, daß die Galvanometer-Nadel hier äußerst schnell, wenigstens mehrere tausendmal in der Sekunde hin- und herschwingt, daß der arbeitende Herzmuskel also dauernd einen Wechselstrom recht hoher Frequenz erzeugt. Weiterhin aber zeigt diese Kurve noch mehrere bei jedem Herzschlag recht genau wiederkehrende Ausweichungen, die den Bewegungen der einzelnen Herzkammern und -klappen entsprechen.

Die in Bild 1 gezeigte Kurve stammt von einem gesunden Herzen. Sie stellt also gewissermaßen die Norm dar. Kranke Herzen zeigen ganz typische Abweichungen der Kurve, aus denen der erfahrene Arzt sofort die Art der Erkrankung und deren Sitz ersehen kann. Ohne hier näher auf die Einzelheiten einzugehen, mag nur gesagt werden, daß es z. B. ein recht bedenkliches Zeichen ist, wenn die kleine Zacke nach unten, welche sich in der Kurve jedesmal an die große Zacke nach oben anschließt, wesentlich über die hier gezeigte Größe hinausgeht. Jedenfalls bedeutet dies neue Elektroverfahren eine Erweiterung der älteren rein akustischen Diagnose und dürfte sich in der Praxis um so schneller einbürgern, als die Industrie dafür Geräte hergestellt hat, welche die Untersuchung und die Aufnahme der Herzkurven ohne besondere Umstände, und auch ohne daß irgendwelcher Stromanschluß vorhanden sein müßte, in jeder Privatwohnung an irgendeinem Krankenbett gestatten. Das zweite Bild zeigt eine für diesen Zweck entwickelte Apparatur, die der Arzt bequem im Wagen mitnehmen kann. Der Kasten rechts ist der Verstärker, der Kasten links enthält das Galvanometer, den laufenden Film und die optische Einrichtung für die Aufzeichnung der Kurven auf den Film. Alle erforderlichen Stromquellen sind in der Apparatur selbst enthalten.

Bei den bisher besprochenen Erscheinungen handelte es sich um elektrische Muskelströme. Dabei zeigte die oszillografische Aufnahme der Herzkurve, daß dabei zu erheblichem Teil Wechselströme von einer recht hohen Frequenz auftreten. Interessant dürfte aber die Tatsache sein, daß arbeitende Muskeln des menschlichen Körpers auch elektrische Wellen in den umgebenden Raum ausstrahlen, also im Prinzip durchaus wie elektrische Sender wirken. Der Nachweis dieser merkwürdigen Erscheinung gelang dem bekannten Rundfunktechniker M. v. Ardenne, wie vielleicht erinnerlich, bereits vor einigen Jahren. Seine Versuchsanordnung bestand damals aus einem aperiodischen, sehr kräftigen Verstärker, dessen Eingang an eine Blatt-Antenne in Gestalt einer Metallplatte von etwa Aktenbogengröße geschaltet war, während der Ausgang hinter der Gleichrichterstufe an einem hochempfindlichen Galvanometer lag. Es genügte, daß eine Versuchsperson mehrere Meter von der Blatt-Antenne entfernt die Arm- oder Schenkelmuskeln verkrampfte, um sofort einen recht erheblichen Ausschlag am Galvanometer zu erzeugen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß auch das arbeitende Herz solche Wellen aussendet. Vermutlich werden sie aber durch die das Herz umgebenden Körperpartien stark absorbiert, und vorläufig wenigstens ist ihr objektiver Nachweis noch nicht gelungen, während der Beweis für die Wellenausstrahlungen der in den Extremitäten vorhandenen Muskeln einwandfrei erbracht wurde. Nach wie vor aber bleibt dieses ganze große Gebiet der elektrischen Körperströme und -Strahlungen hochinteressant und seine weitere Durchforschung dürfte vielleicht noch manche Überraschungen bringen.


Anmerkung:

Der Autor hat Bild 2 falsch interpretiert: Galvanometer und Filmaufzeichnung sind in dem rechten Kasten enthalten (siehe Modellbilder). Der linke Kasten könnte die Stromversorgung (Batterien) und und ein Fach für die Elektroden enthalten.

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EEG und Baron Manfred von Ardenne 
25.Jan.15 16:09
122 from 1990

Wolfgang Scheida (A)
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Dazu schreibt auszugsweise Baron Manfred von Adrenne in seiner Autobiographie "Ein glückliches Leben für Technik und Forschung" Verlag der Nation Berlin DDR 1973 auf Seite 78ff:

"Für diese Erscheinungen (Nebenprodukte des {vergelblichen} Versuches elektrische Gedankenübertragung meßtechnisch zu erfassen) interessierte ich mich aber ... nicht weiter - leider. Denn ich stand hier wohl unmittelbar vor der Entdeckung der Elektroenzephalogramms (EEG)...." 

 

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