stassfurt: Imperial Junior W: Audion mit Ug2 = 0V

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stassfurt: Imperial Junior W: Audion mit Ug2 = 0V 
10.Oct.15 19:52
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Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
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Dietmar Rudolph † 6.1.22

Das Prospektblatt bezeichnet das Audion als  "Kraftaudion in Richtverstärker-Schaltung".

Als Audion-Röhre dient eine RENS1204, die auf dem Chassis unter einem kupfernen Schirmbecher verborgen ist.

Hier nun ein Ausschnitt aus dem "Regelin" Schaltplan, der diese "Kraft-Audion-Stufe" zeigt (rot eingerahmt).

Ebenfalls farbig markiert sind die beiden Schaltkontakte in Stellung "MW" bzw. "LW". Für "Schalldose" sind sie offen.

Nun kommt man aber ins Grübeln: Ein Tetroden-Audion mit Schirmgitterspannung Null (0V) soll funktionieren?

Das könnte schließlich genau so gut ein Fehler im Schaltplan sein, wie die RES964 als Endröhre. Schließlich gibt das Prospektblatt eindeutig RE604 an. Allerdings steht im Plan von Chassis "RE604 oder Penthode". Aber die RES964 kann es nicht gewesen sein, weil es die 1931 noch nicht gegeben hat.

Ist die Schirmgitterspannung 0V für ein "Kraft-Audion" nun richtig oder nicht?

Zwei Sammler-Kollegen, die ein solches Gerät haben, haben freundlicherweise ihre Geräte überprüft und tatsächlich festgestellt, daß der Schaltplan an dieser Stelle korrekt ist. Vielen herzlichen Dank für die Mühen!

Wenn der Schaltplan also hier stimmt, ja dann muß doch tatsächlich ein (wenn auch geringer) Anodenstrom für Ug1 = Ug2 = 0V meßbar sein. (Entgegen der landläufigen Theorie, wonach für Ug2 = 0V kein Anodenstrom mehr fließen kann.)

Für UA = 120V und Ug1 = Ug2 = 0V ergaben sich mit einem Versuchsaufbau folgende Anodenströme (natürlich abhängig vom Aufbau und vom "Allgemeinzustand" der jeweiligen Röhre):

  • RENS1204: 30µA, 70µA, 230µA, 280µA
  • RENS1214: 3µA, 130µA
  • RENS1264: 100µA
  • RENS1284: 70µA, 90µA, 250µA
  • RENS1294: 180µA, 270µA
  • E446:           150µA
  • AS/SG:         90µA, 210µA, 290µA
  • 4p1l:             360µA (mit Sockeladapter als RENS1284 Ersatz.)
  • PF86:           2µA (diese Röhre ist neu.)

Angenommen, der Anodenstom sei 100µA, dann gibt das an 1MΩ Außenwiderstand immerhin 100V Spannungsfall. Bei angenommenen 50µA überlagertem Wechselstrom gibt das immer noch gut 25V Wechselspanung am Gitter der Endröhre. (Der Widerstand für Wechselstrom ist etwas größer als 500kΩ, wie man überschlägig sofort sieht.)

Also, die Schaltung funktioniert, auch wenn es zunächst wenig glaubhaft erscheint.

Der Nachteil dieser Schaltung ist aus den Meßwerten offensichtlich:

  • Der Arbeitspunkt der sich einstellt, ist sehr stark von den (sich ändernden) Eigenschaften des Exemplars der verwendeten Audion-Röhre abhängig.

Eine gleichartige "Kraft-Audion" Stufe findet sich auch im Stassfurt Imperial 6W.

Was an dieser Schaltung mit "Kraft" bezeichnet wird, ist nicht ganz klar, aber "Kraft" klingt gut und ist werbewirksam. Jedenfalls ist die Stufe äußerst hochohmig und deshalb Brumm-empfindlich, weshalb sie unter einem Kupfer-Becher versteckt werden muß.

MfG DR

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.

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Zur Geometrie der RENS1204 
11.Oct.15 16:23
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Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
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Dietmar Rudolph † 6.1.22

Der Grund, weshalb bei diesen "alten Röhren" trotzdem ein (geringer) Anodenstrom fließt, wenn die Schrimgitter-Spannung Ug2 = 0 V ist, ist durch deren Aufbau bedingt. Die Anode ist hier ca. doppelt so weit von der Kathode entfernt wie das Schirmgitter.


Hier ist links neben einer defekten RENS1204 ein System einer RENS1204 zu sehen. Der Anodenzylinder hat einen Durchmesser von 15mm, während der Durchmesser des Schirmgitters 7mm beträgt. Das Schirmgitter ist hierbei an dem U-förmigen Schirm-Blech befestigt und hat den Durchmesser des hier sichtbaren Lochs. Es kommt noch hinzu, daß das Schirmgitter relativ "grobmaschig" gewickelt ist, damit der Strom Ig2 nicht zu groß wird im Verhältnis zum Anodenstrom.

Die Anode hat somit einen relativ großen Durchgriff in diesem Fall auf beide Gitter.

Im Prinzip sind daher die geometrischen Verhältnisse in der RENS 1204 nicht wesentlich anders als bei der (links abgebildeten) REN704d.

Die REN704d ist eine speziell für Mischer entwickelte Röhre aus der Anfangszeit der Superhets. Und sie ist keine Tetrode im eigentlichen Sinne, wenn sie als Mischer eingesetzt wird. Vielmehr sind hier beide Gitter auf Nullpotential wie der Schaltplan Bild 423 zeigt.

Man hat also auch hier eine Röhre mit 2 hinter einander angeordneten Gittern, die auf Nullpotential liegen und trotzdem fließt ein Anodenstrom.

Da beim Stassfurt Imperial Junior eine REN704d als Mischer zum Einsatz kommt, war es für die Entwickler bei Stassfurt vermutlich nahe liegend, eine RENS1204 im "Kraft-Audion" des Imperial Junior mit Ug2 = 0V zu betreiben, weil andernfalls die Gesamtverstärkung zu groß wäre.

13.10.15 Noch eine Konstruktionszeichnung des Systems der RENS1204 gefunden in: Funk-Bastler, Juli 1928, Heft 34: Schwandt, E.; Kunze, F.: "Die modernen Empfänger- und Verstärkerröhren", S.529

Die gezeichneten Größenverhältnisse stimmen mit dem oben abgebildeten System überein. Ausnahme: der Anodenzylinder ist etwas länger und reicht bis auf je 1mm an das Schirmblech heran.

MfG DR

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.