"Wobbes Radio ohne Röhren", ein Zeitungsinterview von 1948

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"Wobbes Radio ohne Röhren", ein Zeitungsinterview von 1948 
29.Apr.24 20:06
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Harald Giese (D)
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Harald Giese

Kürzlich fiel mir dieser interessante Zeitungssausschnitt aus dem Jahr 1948 in die Hände, der über ein Interview mit Herrn Bernhard Wobbe berichtete, Mitinhaber der 1947 von ihm selbst und Dr. Kurt Heinrich in Winsen/Luhe gegründeten Firma Wobbe-Radio. Hier der Artikel:

 

Alle Bilder können durch Anklicken vergrößert werden!


 


Um den Text für Stichwort - Recherchen im Internet auffindbar zu machen, habe ich ihn  abgeschrieben und mit persönlichen Anmerkungen und Bildern versehen:



Wobbes Radio ohne Röhren

Ein rocktaschengroßes Gerät - Sorgen um den deutschen Patentschutz

     Schlaflose Nächte haben die Radioindustriellen der Welt, seit sie den Namen Wobbe hören. "Der Mann ist eine Goldmine", hatte ein Argentinier auf der letzten Exportmesse in Hannover ausgerufen, und spontan dem Deutschen, wie fünf andere Firmenbesitzer seines Landes, eine eigene Fabrik zur Serienproduktion seiner Erfindung angeboten. Amerikaner, Engländer, Kanadier, Australier, Schweizer, Inder, ja die führenden Radionisten aller Länder der Erde, außer denen in Spanien und den osteuropäischen Staaten, lockten mit märchenhaften Versprechungen. Eine internationale Handelskompanie drückte die Konkurrenz an die Wand und suchte Wobbe mit 250 000 $ zu kaufen. Ebenfalls ohne Erfolg.

     Warum biß er nicht an? rätselraten nun zwischen fast allen Breitengraden die Experten, und nicht wenige sinnieren sorgenvoll: "Was nun, wenn Wobbe zum großen Start ansetzt?" Allein eine Massenproduktion seinen rocktaschengroßen Radios , ein einmaliges Wunderwerk, kann ihren Geschäften gefährlich werden. Seine neuseste Erfindung jedoch, ein Apparat ohne Röhren, ebenso ein Gerät, dessen "Eingeweide" nicht mehr hineingespritzt, sondern mit einer neuen Masse ausgepreßt werden und noch ein sorgsam gehütetes Patent könnten, in Massen hergestellt, sämtliche Anodenfabriken ruinieren, und manche Finanzgrößen der Radiowelt aus bisher sicherer Höhe stürzen.

     So wundert es nicht, daß um Wobbe ein "Kleinkrieg" geführt wird. Doch der Deutsche, ehemals Schlosser, Lokomotivführer, Taxifahrer und Bordmonteur, lehnt die Dollarkredite ab, mit denen er mehr als seine Stadt kaufen könnte, ernährt sich weiter von Reparaturen an veralteten Modellen und verschleißt seinen einzigen Anzug und seine ausgetretenen Schuhe.

     "Das schmeckt mir verdammt sauer", erklärte er mir in seiner Zwei-Kleinst-Zimmer-Wohnung in Winsen, einer Kleinstadt zwischen Hamburg und Celle (Anm. H.G.:heute Winsen / Luhe). "Ich bin leidenschaftlicher Autofahrer und Skatspieler"; esse gern Beefsteak  und rauche hundertmal lieber amerikanischen Tabak als diesen - riechen sie mal - selbstgezüchteten. Aber", sagt er und sekundenlang pressen sich seine schmalen Lippen zusammen, daß die vielen Runen in seinem von rastloser Arbeit und Entbehrungen gezeichneten Gesicht noch schärfer hervortreten, "aber was soll aus Deutschland werden, wenn alle die, die ihm wieder auf die Beine helfen können, exportiert werden oder sich exportieren lassen?"

 

 

Er wendet sich zu dem Tisch, auf dem der vielbegehrte WOBBE I steht, das zu vollendeter Formschönheit entwickelte Kleinstradio. Mit seiner 11,6 x 6,5 Zentimeter Figur wirkt es in Gesellschaft der mammutartig anmutenden Philips, Blaupunkt, Telefunken und anderer Geräte wie ein Liliputaner. jedoch größer als das amerikanische Batteriegerät (8 x 12 x 3 cm) und der in Italien entwickelte Lautsprecher, dessen Durchmesser 7 Zentimeter ist. "Durch eine deutsche Illustrierte wurde ich Anfang 1947 zum erstenmal auf den amerikanischen Kleinstbatterieempfänger aufmerksam und merkte, daß dieses Gerät wegen zu hoher Resonanz nur für den Sprachverkehr, nicht aber für Musikempfang geeignet ist. Auf dem europäischen Markt wird es übrigens mit einer Zwischensteckschnur  für 220 und 110 V verkauft. Der Apparat muß jedoch ans Ohr geführt werden, da der Lautsprecher ohne Vorverstärker gebaut ist."

     Für Wobbe war es ein Ansporn, aus dem ungefähr gleichgroßen amerikanischen Batterieempfänger ein Universalgerät zu etwickeln. Er schaffte es. Ausgestattet mit zwei Rören (Anm. H.G.: 2x RV12P2000 bzw 2 x RV12 P2001) und einem Selengleichrichter besitzt seine Erfindung zwei Wellenbereiche: kurze Welle 15 bis 50 Meter und Mittelwelle185 bis 800 Meter; dazu eine Vollsichtskala mit Beleuchtung.

     Was keinem auf der Welt gelang, glückte Wobbe nach sieben Versuchen: einen permanent dynamischen Lautsprecher und einen idealen Wärmeableiter zu konstruieren. "Damit war das schwierigste Problem meines Gerätes gelöst." Während Wobbe dies sagt, "haucht" er seinem Liliputaner Leben ein. Über 40 Sender holt dies kleine Radiowunder heran, glasklar, trennscharf und mit guter Resonanz. Vier Meter Drahtantenne garantieren den einwandfreien Fernempfang.

     "In knapp zehn Monaten war mir alles gelungen." Als Lohn dafür wurde mir die Meisterprüfung geschenkt, sagt der 43jährige "Self-made-man". Im  übrigen seien dies die Früchte seiner 29jährigen Bastlertätigkeit. Schon 1927 habe er sich in der Radiotechnik einen Vorsprung von über zehn Jahren erkämpft. Aber damals sei er, wie bei manch anderer Erfindung, um die entsprechende Anerkennung gekommen. 

     "Nutzen Sie deshalb jetzt Ihre Chance", werfe ich ein. Schenken Sie der Welt Ihr Wunderwerk."

     "Das will ich auch", entgegnet Bernhard Wobbe ernst. "Aber Deutschland muß es zugute kommen." - "Dankt mans Ihnen?" frage ich ihn und füge hinzu, daß es bekannt sei, daß die Hamburger Wohnungsbürokratie kein Verständnis für seine Ideen gezeigt und ihm keinen Zuzug gewährt habe.

     Es klopft. Der Postbote kommt (Wobbe scheint froh darüber zu sein, nun nicht antworten zu müssen) und bringt einen Stapel Luftpostbriefe aus zahlreichen Ländern der Welt. Auch ein Päckchen aus Portugal. Tabak ist darin und die Bitte, daß sich der Erfinder bei der Produktion seines Kleinstradios an den Absender erinnern möge.

     Später stellt Wobbe die Frage, deren Antwort viele deutsche Erfinder vorsichtig durch Mittelsmänner immer wieder wissen möchten. "Wer garantiert für den Schutz deutscher Patente? Seit Jahren gibt es keinen Patentschutz mehr in Deutschland. Es wird höchste zeit, so scheint mir, ihn wieder einzuführen!"

     So scheitern alle Versuche, von Wobbe auch nur die geringsten Angaben über sein neu entwickeltes Gerät ohne Röhren zu hören, sowie über die schon bekannt gewordenen Äußerungen, daß er sich mit umwälzenden radiotechnischen Erfindungen befasse.   "Schreiben Sie, daß ich mich zur Zeit nur mit der Entwicklung von Kraftverstärkern für Schwerhörige und mit dem Einbau von Geräten in Volkswagen beschäftige", sagt er.   " Und daß ich leider noch zu viel Zeit für die täglichen Nahrungssuchen aufwenden muß."

     "Und wann kommt WOBBE I auf den Weltmarkt?" möchte ich wissen. "Vielleicht Ende des Jahres", (Anm. H.G. gemeint ist Ende 1948) lächelt er spitzbübisch. Um schneller vorwärts zu kommen, habe er einer bekannten deutschen Firma sein Kleinstradio für den Serienbau übergeben. Durch die Währungsreform habe man die Produktion jedoch einstellen müssen. 

(Anm. H.G.: Mit dem Inkrafttreten der Währungsreform am 20.6.1948 erhielt jeder Bürger in den Westlichen Besatzungszonen 40 DM, sogenanntes „Kopfgeld“. Einen Tag später, am 21.6.1948, wurde die DM zum alleinigen Zahlungsmittel deklariert. Gesparte Guthaben in Reichsmark (RM) wurden im Verhältnis 100 RM : 6,5 DM umgetauscht.)      

      "Wer macht jetzt das Rennen?", frage ich. "Amerika, Kanada oder die Schweizer Firma, die Ihnen die Fabriken in Winsen bauen will?"

     Wobbe weicht aus: "Lassen Sie sich überraschen. Auch von meinen neuartigen Methoden, die allen Radiofreunden große Freude und manchen Finanzgrößen der Industrie weiter schlaflose Nächte bringen."

gezeichnet: khf.    

 


Soweit also der Originaltext des Zeitungsartikels. Hier eine Liste der 35 im RM gelisteten Wobbe - Modelle.

 

Leider ist das in der Überschrift des Artikels genannte "Radio ohne Röhren" nicht dabei.  Es erblickte wohl nie das Licht der Welt. Die Produktion von WOBBE Radios lief noch bis 1952, die Firmenauflösung erfolgte 1953. Hätte die Firma noch länger existiert, hätte es ja vielleicht wirklich einmal ein Wobbe (Transistor) - Radio ohne Röhren gegeben. 

Harald Giese


Nachtrag:

Gerade teilt mir der Kollege Karl-Heinz Kornath mit, dass das Thema des "Radios ohne Röhren" schon einmal vor vielen Jahren im RM diskutiert wurde. Für Interessierte hier noch einmal der Thread.

Herr Wobbe war also nicht der einzige, der sich mit diesem wundersamen Thema beschäftigte. Ob auch er versuchte, mit Hilfe eines Aluminium Zylinders als aktivem Element die Radiowellen einzufangen ist mir nicht gegenwärtig. Immerhin hat Wobbe ja auch sehr schöne Radios gebaut - er war also noch nicht total der elektronischen Alchemie verfallen.

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.