Zum Ende des AM Rundfunks im westlichen Europa

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Zum Ende des AM Rundfunks im westlichen Europa 
14.Feb.19 12:10
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Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
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Dietmar Rudolph † 6.1.22

  • Es ist leider wahr, aber mittlerweile unumkehrbar: Der AM Rundfunk ist im westlichen Europa tot!

Für viele Sammler, speziell von Röhren-Radios, ist das eine traurige Tatsache.  Aber anscheinend hoffen manche doch noch auf ein Wunder. So jetzt auch die Initiative zur Erhaltung (wenigstens) des Sendemasts des MW Senders Wilsdruff. Man hofft, den Abriß mit Hilfe einer Petition quasi in letzter Minute doch noch verhindern zu können. Zu diesem Zweck wurde im RM.org eine in der Sache politische Diskussion gestartet, obwohl politische Äußerungen im RM.org satzungsgemäß nicht zulässig sind.

Die Gründe für das AM Sendersterben 

In der Zeit vor der "Wende", also vor 1989 waren AM Sender auf LW, MW und KW praktisch die einzige Möglichkeit, die Hörer "jenseits" von Mauer und Stacheldraht zu erreichen. Das galt im Prinzip für beide Richtungen, also von West nach Ost, aber auch von Ost nach West.

Mit der Wende hat sich die Situation schlagartig verändert. Zum Erhalt von Nachrichten und Informationen "aus der weiten Welt" war man nun nicht mehr auf (vor dem Mauerfall) stark gejammten und gestörten "Feindsender" angewiesen. Ja, es war damals sogar so, daß z.B. russische Störsender als Relaissender für die Deutsche Welle und den Deutschlandfunk vermietet wurden!  So konnte man in Moskau und St. Petersburg sogar den DLF auf UKW empfangen! Das waren interessante Zeiten.

Aber eins stand fest: Leistungstarke AM Sender waren jetzt nicht mehr notwendig. Und es gab sofort nach der Wende auch Planungen, mehr oder weniger sämtliche AM Sender damals still zu legen und dann auch zu verschrotten.

Die AM Sender der Ost-Post

Nach der Wende wurde die Ost-Post in die West-Post (DBP) eingegliedert. Das betraf logischer weise auch den Teil, der heute als "Telekom" bezeichnet wird.

Nun gab es zwischen der (alten) Bundesrepublik und der DDR betreffend der Sender einen wesentlichen Unterschied.

  • Während im Westen die meisten Sender den Landesrundfunkanstalten gehörten (Ausnahmen:  Sender des ZDF und von DLF), wurden die Sender der DDR alle von der Ost-Post betrieben und waren auch in deren Besitz. Die aus der Vereinigung entstandene Telekom hatte somit in den "Neuen Ländern" eine Sender Infrastruktur übernommen, wovon deren AM Sender schlagartig wertlos zu werden drohte.

Die Telekom hat sich damals fast nur mit "Volksaktien" beschäftigt und war im Übrigen der Meinung, daß sie künftig keine Ingenieure mehr benötigen werde. Das führte dann schließlich auch zur Schließung ihrer Fachhochschulen.

Datenübertragung auf UKW und MW & LW

Bereits im Sommer-Semester 1983 gab es Versuche zur RDS Datenübertragung über UKW Sender. (RDS ist heute ein bekannter Service von UKW Sendern.) Bei der Entwicklung des RDS Encoders bei R&S in München konnten wichtige Erkenntnisse gewonnen werden, die sich anschließend in die Entwicklung eines AM-DS Encoders einbringen ließen. Hier folgten dann Feldversuche am Langwellensender Donebach (153 kHz) und am MW Sender RIAS 1 (990 kHz). 

Das Konzept: Digitale Übertagung auf AM: "DRM"

Um die AM Senderstruktur in der ex. DDR zu retten, wurde ein Konzept (von der Vorläufereinrichtung der heutigen "Media Broadcast") entwickelt, wie über (vorhandene und ggf. neue) AM Sender künfig das Audio-Signal zusammen mit einem Informations-Kanal digital zu übertragen werden kann. Dieses Konzept wurde dann auch bei der ITU (Internationale Telekommunication Union) in Genf unter Beteiligung internationaler Vertreter von Rundfukanstalten weiter entwickelt und schließlich als "DRM" (Digital Radio Mondial) Standard verabschiedet.

Leider hat die Verabschiedung des DRM-Standards zu lange Zeit in Anspruch genommen, denn inzwischen gab es praktisch keine europäischen Radio-Fabriken mehr, die entsprechende Empfänger hätten produzieren können. Vielleicht lag es auch mit daran, daß zu dieser Zeit viele glaubten, Radios mit Plastik-Gehäusen aus Fernost seinen den heimischen Geräten überlegen.
Und in anderen Gegenden der Welt hatte man keine solchen "Wohlstands-Sorgen", wie den Ersatz der AM Sender.

  • Kurz und knapp: DRM konnte sich nicht mehr etablieren.

Und dabei hat es zu nächst doch so vielversprechend angefangen. Nach der Wende wurden alle AM Sender (zumindest in Deutschland) erneuert. Man ersetzte die alten Röhren-Sender (mit geringerem Wirkungsgrad) durch moderne DRM-fähige Halbleiter-Sender (mit Wirkungsgraden bis zu 95%). Das betraf sämtliche AM Sender der ARD und die AM Sender von DeutschlandRadio und RIAS Berlin. Aber auch Kurzwellen-Sender wurden DRM-tauglich gemacht, wie z.B. die damals (von Telekom) neu beschafften Sender der KW Station Nauen mit den großen Richtantennen.

  • Hieraus ist erkennbar, daß die "Broadcaster" sehr wohl an DRM interessiert waren! Aber für wen sollten sie DRM senden, wenn es praktisch keine Empfänger zu kaufen gab? 

So kam es, wie es kommen mußte: es wurde die "Reißleine" gezogen. Alle AM Sender in Deutschland wurden still gelegt.

  • Die Aussicht auf den digitalen DRM Betrieb der AM Sender hat jedoch dazu geführt, daß das Ende der AM Sender um ca. 20 Jahre hinaus geschoben wurde.
  • Hätte man kurz nach der Wende die AM Sender verschrottet, wäre das heute längst vergessen und es hätte sich damals auch praktisch niemand daran gestört.

Audio-Codierverfahren und DAB+/DAB++

Die für DRM bei der FHG (Fraunhofer Gesellschaft) entwickelten Audio-Codierverfahren mit der Randbedingung einer möglichst kleinen Datenrate, damit die DRM Digital-Übertragung in die (in Region 2: Europa) übliche Kanalbandbreite der AM-Kanäle von 9 kHz paßt, hat zwischenzeitlich eine breite Anwendung im Internet, bei Smartphones und (nicht zuletzt) bei DAB+ (Digital Audio Broadcast).
Bei DAB+ hat das sogar dazu geführt, daß das aktuell verwendete Audio-Codierverfahren nicht mehr auf dem aktuellen technischen Stand ist - und eigentlich ersetzt werden müßte.
(Die damit verbundenen Schwierigkeiten bei der Akzeptanz z.B. eines DAB++ Systems kann man sich leicht vorstellen, zumal dann alle bisherigen DAB+ Empfänger nur noch "Museumswert" hätten.)

AM Sendersterben nur im "Westen"

Es ist auffällig, daß die (rigorose) Abschaltung der AM Sender nur in den (westlichen) Ländern erfolgte, die eine hervorragende Rundfunkversorgung auf UKW FM hatten. Hier waren die Hörer praktisch schon seit längerem vom (klanglich dumpfen) AM Empfang entwöhnt. Viele der Hörer wußten da noch nicht einmal so richtig, wie man ein anderes Rundfunkband einstellt. Zumal in den AM Bereichen mit allen möglichen Störgeräuschen zu rechnen ist, die von UKW her völlig unbekannt sind. Kein Wunder, daß es nicht auffiel, als dann die AM Sender einer nach dem anderen schließlich abgeschaltet wurden.

Speziell in den (ehemaligen) Ostblock-Staaten waren die Verhältnisse völlig anders. Der damalige OIRT Standard für UKW einschließlich des OIRT Frequenzbereichs wurden nach der Wende zu Gunsten des (westlichen) CCIR Standards und Frequenzbereichs verlassen. Das hatte zur Folge, daß alle diejenigen, die sich nicht sofort dann ein neues Radio (meist aus Fernost) leisten konnten oder wollten, auf den "bewährten" AM Empfang auf MW angewiesen waren. Daher findet man noch heute z.B. in Tschechien, Ungarn usw. ein aktives MW Sendernetz. "Radiosammler" können da nur mit Wehmut darauf blicken, wenn sie ihren AM Empfängern Töne entlocken wollen. 

Förderverein zur Erhaltung des Masts

  • Jeder, der zum Erhalt eines "toten" MW Funkmasts, wie dem Mast des ehemaligen Senders in Wilsdruff, aufruft, sollte auch bereit sein, dafür in die "eigene Tasche" zu greifen und im Dauerauftrag einen Betrag zur Erhaltung des Masts zu überweisen.

Wenn z.B. 1000 Personen zusammenkämen, von denen jeder monatlich 100€ zu spenden bereit wäre, könnte ein solcher Mast wohl erhalten bleiben! Also, nicht nur fordern, sondern auch selbst etwas dafür tun!

Aber bitte auch daran denken, daß ein solcher Mast ausreichend gesichert werden muß, z.B. gegen die Besteigung von Übermütigen oder Angebern, wie das ja bei den Masten in Donebach oder in Cremlingen geschehen ist. Nicht auszudenken, was dann passieren würde, falls so ein Mast-Kletterer abstürzte! Wer haftet dann dafür?

Eine Petition zum Erhalt eines "toten" Masts ist kontraproduktiv!

Einfach nur eine Erhaltung eines solchen Masts zu fordern, ohne selbt etwas dafür tun zu wollen, ist kontraproduktiv, weil man sich dadurch unglaubwürdig macht.

  • Bei einer sicher für viele Radiohörer viel wichtigeren und auch akzeptableren Petition für den Erhalt des UKW Rundfunks könnten die Befürworter von DAB+ und der Abschaltung von UKW FM ansonsten argumentieren, daß man derartige Petitionen sowieso nicht ernst nehmen müsse, weil ja für manche Leute für alles mögliche eine Petition veranstalten, auch wenn das betreffende Anliegen wirklich sonst niemand interessiert.

 

MfG DR

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