Funkbetriebsstelle Rhinow

ID: 662893
Funkbetriebsstelle Rhinow 
14.Jul.24 14:06
2422

Wolfgang Lill (D)
Redakteur
Beiträge: 1253
Anzahl Danke: 24
Wolfgang Lill

            

Foto privat

Die Hügelkette auf welcher der "Fernsehturm" zu sehen ist  soll in der letzten Eiszeit entstanden sein. 

Berühmt wurde eine dieser Erhebungen Ende des 19. Jahrhunderts. Otto Lilienthal verlegte seinen Hauptübungplatz nach den Rhinower Bergen . Damals war diese Hügelkette nur mit Gras und Heidekraut bewachsen. Nach allen Richtungen  neigen sich die Abhänge bis zu 60 m.

Es wurde das ideale Übungsgelände vom "Pionier der Luftschiffahrt" Otto Lilienthal. Hier erprobte er seine Flugapparate.

Normalsegelapparat auf dem Flug am Gollenberg. 

Mit diesem Flugzeug will er 350 m oder gar mehr fliegen, aber es kommt anders, er gerät in eine Böe und das Flugzeug stürzt aus etwa 15 m Höhe ab. Am 9.August 1896. Lilienthal hat schwere Verletzungen, wird noch in das Krankenhaus "Bergmannsche Klinik" nach Berlin Ziegelstraße geschafft wo der Bruch der Wirbelsäule diagnostiziert wird und er stirbt am 10.August gegen 17,30 Uhr.

An Otto Lilienthal erinnern ein Gedenkstein und eine Gedenktafel  sowie auch ein Denkmal in russischer Sprache ( der Berg war von 1961 bis 1994 Sperrgebiet der Sowjets wegen Luftaufklärung, Im Foto ist oben eine sowjetische Ionosphären-Richtfunkanlage zu sehen...

und auch der Flugsportverein "Otto Lilienthal" Stölln/Rhinow e.V.

Freundlicherweise hat mir der Verein , vertreten durch Vereinsvorsitzenden Herrn Pascal Gischke ein Luftbild von der Funkbetriebsstelle, aktuell aufgenommen im Mai 2024, zu Veröffentlichung übergeben.

Aber dazu später.

Es gibt ja in Rhinow noch eine Sensation. Am 23.Oktober 1989 landete auf dem Flugplatz Stölln/Rhinow  eine IL62 (vierstrahliges sowjetisches Verkehrsflugzeug aus dem Bestand der Fluggesellschaft INTERFLUG ). Die Graspiste, eigentlich für Segelflieger gedacht ,war nur 900 m lang. Die erforderliche Landepiste muß laut Vorschrift 3000 m Länge haben. Der Flugkapitän Heinz-Dieter Kallbach riskierte alles und schaffte es, das Flugzeug sicher zu landen. Hier ist nun eine Gedenkstätte für  die Geschichte des Flugwesens "Otto Lilienthal" und auch ein sehr  beliebter Ort für Hochzeiten in dem Flugzeug und es ist ein kultureller Treffpunkt für Einwohner und Gäste. 

Nun aber zurück zum  Fernsehturm, anfangs auch von vielen auch als "Raketenabschußrampe" bezeichnet. 

Diese selbst erstellte Karte hat mir Herr Adrian Böhlen aus der Schweiz übergeben. Rot eingezeichnet hat er seinen Wanderweg. Der TV-Turm steht auf dem 96 m hohen Falkenbergareal.

Ich entnehme der Postchronik zum Standort Rhinow den nachfolgenden Text;

Es ergab sich die Frage, wie die Bevölkerung des nördlichen Teils der DDR am besten und günstigsten mit den Programmen des Demokratischen Rundfunks und des Deutschen Fernsehfunks versorgt werden könnte. Im Ergebnis entstand das Projekt , das u.a. einen Ring von Relaisstellen vorsah, bestehend aus einer Nord- und einer Weststrecke.  Zum einen war es die Fernsehversorgung zum anderen die des Rundfunks UKW. 

Die Nordstrecke, die bereits Mitte der 50iger Jahre aufgebaut wurde, sicherte zuerst über die Müggelberge, dann über den Standort Picheberg, ab 22.juli 1961  ersetzt durch Birkholzaue die Übertragung des Fernsehens sowie zwei UKW Programme auf der Nordstrecke über den Telegrafenberg bei Angermünde, den Helpterberg, Hardtberg in Richtung Marlow ( Rostock ) und über  Schlemmin nach Schwerin. 

Die Weststrecke wurde Anfang der 60iger aufgebaut, die "Verteilerstation" war Birkholzaue, dann ging es über Perwenitz, Rhinow nach Dequede. 

Hier ist die Senderbelegung des DDR Rundfunks Ende der 50iger Jahre mal zur Info. Rheinsberg und Helpterberg können sie hier nachlesen. 

Aber zurück nach Rhinow. Nach entsprechenden Untersuchungen beginnt der Bau im Jahre 1956 mit dem Anlegen der Zufahrt , Planierarbeiten wurden ausgeführt und die Baugrube ca 6 m tief ausgehoben.

Die Pflasterstrasse wird gebaut, oben wird zunächst planiert und es werden Baubaracken errichtet.

Gebaut wurde ein sogenanntes schwimmendes Fundament. 

So wird der 86 m hohe Stahlbetonturm bei dem vorhandenen Baugrund sicher auch schwersten Stürmen trotzen ! Der Schwankungsradius bei normalem Wetter, so hat man es errechnet, liegt immerhin bei 40 cm, kann jedoch bei Sturm bis zu zwei Meter betragen.

Vom Baugeschehen selbst habe ich leider noch keine Fotos gefunden. wer kann helfen ?  

Der schlanke Turm aus Stahlbeton erhält oben eine weithin sichtbare Glaskanzel mit einem Durchmesser von 11 m.. Ein sehr schönes Foto habe ich von der Museumsstiftung Post und Telekommunikation  erhalten. Diese Aufnahme ist von Manfred Dummer vermutlich aus dem Jahre 1965.

Am 24.Juli 1961 wird die Funkbetriebsstelle in Betrieb genommen. Zunächst nur mit dem Richtfunk. Wir sehen hier die Antennenspiegel von 4 m Durchmesser, die dazugehörigen RVG 908 Geräte befanden sich im 3.Betriebsgeschoß. Zur Übermittlung des Tones sind Empfänger und Sender RVG 955 für die Vorwärtsstrecke und das gleiche für die Rückwärtsstrecke eingerichtet. 

Da für den UKW- Sender Rheinsberg ein Ersatzmodulationsweg geschaffen werden musste, erhält Rhinow einen RVG 905 Sender und Empfänger. Er wird in der 9.Etage untergebracht , ebenso der Antennenspiegel mit Durchmesser 2,5 m in Richtung Rheinsberg. Moduliert wird der Sender auf dem Signal eines Kanales der Rückwärtsstrecke RVG955 (Dequede).

Die Stromversorgungsanlagen (Sicherungsfelder und Einphasenspannungskonstanthalter) befinden sich zunächst im Betriebsraum der 10.Etage.

Die Bild- und Tonüberwachung erfolgt anfangs mit einem Fernsehempfänger Cranach. 

Foto Jörg Kulbe für Radiomuseum.org

Der Turmdurchmesser ist von unten bis oben 8,00 m. Für den Einbau eines Fahrstuhles wie in Perwenitz oder Birkholzaue, fehlt hier der Platz und der Fahrstuhlschacht wird seitlich am Turm angebaut.

Da könnte der Laie schon denken, eine Raketenabschußrampe. Diese technische Lösung, welche man z. B. auch in Frankfurt/oder realisierte, war jedoch eine unglückliche.

Hier dazu der Bericht eines Radeberger Monteurs :

Der Turm hatte zu unserer Zeit den Aufzug außen noch mit Glas verkleidet, total undicht, bei Regen stand immer mindestens eine Schüssel im Aufzugsraum, um das rein tropfende Wasser aufzufangen. Und man mußte immer einen kleinen Schraubendreher am Mann haben, um an der "Haltestelle" die Tür zu entriegeln, denn angehalten wurde eben so zwischendurch. Da wurde dann auch klar, warum eine kleine Leiter mit an Bord war, denn zum Aussteigen war das zwischen den Etagen recht hilfreich. Die Sperrholzwände waren aufgequollen; nicht nur einmal mußten wir aus der 12-ten (ganz oben) in die gewünschte 3-te runter laufen, weil er aus der 5-ten (dort hatten wir unser Schlafquartier) pardou nicht in die 3-te wollte. X-mal war er auch gesperrt und sollte abgerissen werden, aber er wurde ja auch gebraucht und bestand bis nach der Wende noch in seiner Glas-Außenvariante.

Der Standort besaß auch anfangs eine Netzersatzanlage, eine fahrbare Dieselanlage vom Typ DF50-4 mit einer Leistung von 63 kVA. Im Februar 1963 wird die stationäre Netzersatzanlage 250 kvA in Betrieb genommen.

Die Empfangsverhältnisse des Programmes des Deutschen Fernsehfunks in den Kreisen Rathenow und Kyritz waren schlecht. "Versorgt" wurden diese Gebiete damals vom Sender Köpenick , Kanal 5   und Brocken Kanal 6.

Wiederholt kamen aus der Bevölkerung Anfragen, wann sich dieser Zustand ändern werde. Bei einer Einwohnerversammlung in Rathenow im Frühjahr 1964 wurde das Problem angesprochen. das Westfernsehen kommt wie der Ortssender auf Kanal 7 und unser DDR Fernsehen ? Jetzt wurde die SED Kreisleitung aktiv und kurzfristig das Problem gelöst.

Ein Fernseh-Kleinsender 300/60 Watt sendete seit dem 6.Oktober 1964 auf VHF Kanal 9 das Programm des Deutschen Fernsehfunks. Dieser Sender war ein polnisches Erzeugnis Typ NTV 006/003 E Fabrikat ZARAT und wurde von polnischen Kollegen montiert.

aus dem Album von K.-H.Römer ehem. RAFENA Radeberg , vielen Dank !

Für den Ballempfang des Senders Köpenick wird eine eisgeschützte 14-Elemente-Yagi-Antenne angebracht ( Ballempfang Köpenick).

Im Jahre 1984 wird der 300 Watt ZARAT- Sender durch einen 50 Watt Fernsehkanalumsetzer ersetzt. Offensichtlich hat der Ostberliner Fernsehturm auf Kanal 5  die Empfangsverhältnisse an vielen regionalen Stellen verbessert.

In Vorbereitung der Einrichtung von RVG 958 und RVG 935 in der 9.Etage im Juni 1964  werden 4 Hornparabolantennen in der 10.Etage montiert. 

Karl-Heinz Römer von ehem. RAFENA schreibt mir dazu:

 Da werden gerade die HoPa's (mit Wandbefestigung) gezogen. Die Montage fand damals durchweg vom FFAB Berlin statt, wir waren "nur" Montage-Hilfe usw. , waren für die Betreuung der Monteure (Verkabelung) und danach für's Einmessen zuständig. Auf dem Bild ist - außer einem Starmonteur des FFAB - auch unser Siegfried Mieth mit drauf, der Chef für die berittene Truppe beim Radeberger Kundendienst  war; ein gelernter Ant.-Labor-Mann, und ziemlich beschlagen in der damaligen RiFu-Technik war. Er hat uns suxsessiv das Einmessen beigebracht und wurde auch von den Koriphäen des RFZ anerkannt. .. Eine RVG 935-Antenne hängt da schon oben, dazu noch der Spiegel von der vorhergehenden Technik RVG 904/905. Sehr gut ist da auch der verglaste Aufzugsschacht a.d. Seite zu sehen.

Im Februar 1965 wird der Betrieb der RVG 905 eingestellt. Das Gerät sowie die Antenne werden angebaut. Wie auch in Rheinsberger Unterlagen gibt es dazu keine weiteren Erklärungen. 

Von der Stadtverwaltung Rhinow erhielt ich noch den folgenden Plan zum Gelände des Fernsehturmes.

Anfang der 60iger bis 23.11.1978 wurde ein RIAS Störsender 2 kW Typ SM6 ( ein stationärer und ein fahrbarer Mittelwellensender ) dort betrieben mit 51 m hohem Mast und T-Antenne. Ein regulärer MW-Sender auf diesem Standort existierte nach meinen Recherchen nicht. 

Neben dem Deutschen Fernsehfunk, ab 1969 Programm DDR 1  auf Kanal 9 wurde  nach dem 3.Oktober 1990 das DFF Programm und mit Gründung des ORB am 1.Januar 1992 dieses Regionalprogramm von hier gesendet. Auf dem Kanal 40 konnten die Zuschauer aus Rhinow und Umgebung nun das ZDF sehen.

Wir springen in das Jahr 1986. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR betrieb hier einen Aufklärungsstützpunkt mit dem Decknamen QUELLE1. . Der Signalabgriff erfolgte direkt im Richtfunkturm Rhinow. Wer sich dafür interessiert kann bei Manfred Bischoff es gerne nachlesen.

Foto Adrian Böhlen, Schweiz: Blick auf den Bienenkorb /Abhörturm. 

Vielleicht noch eine interessante Information. von 1970 bis 1972 gab es in den Sommermonaten Waldbrandwachen auf dem Turm. Entdeckte man im Wald Rauch, dann wurde die Feuerwehr alarmiert. 

Die Aufgaben des Turmes beschränken sich jetzt auf Mobilfunk und Behördenfunk sowie zwei UKW-Sender kleiner Leistung. 

90,9 MHz         BB Radio ( 800W )
103,7 MHz       Deutschlandradio Kultur ( 200W )

Betreiber ist die Deutsche Funkturm GmbH
Noch ein weiterer wichtiger Hinweis, diese Anlage ist kein technisches Denkmal. Aus meiner Sicht sollte man nochmal darüber nachdenken.

Foto privat

Wir sehen uns gerne wieder in Dequede 

 

Perwenitz ansehen 

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.