funkschau: M4; Allwellen-Frequenzmesser; Nachbau-Variante

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funkschau: M4; Allwellen-Frequenzmesser; Nachbau-Variante 
01.Mar.11 13:02
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Hans-Dieter Haase † 5.2.18 (D)
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Hans-Dieter Haase † 5.2.18

Bei der Auflösung einer Rundfunkwerkstatt wurde in der hintersten Ecke ein Selbstbaugerät gefunden. Auf den ersten Blick wurde ein Gesellen- oder Meisterstück vermutet. Daran konnte sich aber niemand erinnern, zumal das Meisterstück des früheren Firmeninhabers ein Oszillograph war.

Da hier intensiv Blecharbeiten (Biegen, Nieten, Gewindeschneiden etc.) in früher üblicher Werkstattqualität (nicht Industrie mit ihren Möglichkeiten) ausgeführt waren, liegt der Verdacht nahe, dass hier im Rahmen der Lehrlingsausbildung geübt wurde. Für gute Lehrlingsausbildung war die Werkstatt bekannt. Die Lötstellen sind allerdings von sehr schlechter Qualität und einer Fachwerkstatt unwürdig. Möglicherweise lag es aber auch mit an der schlechten Zinnqualität der damaligen Zeit. Das Baujahr des Gerätes schätzte ich auf ca. 1946 bis 1950.

Die  Funktion des Gerätes ließ sich an Hand der guten Frontplattenbeschriftung schnell herausfinden: ein Prüfsender und ein L- / C-Messgerät basierend auf dem Resonanzprinzip ( wie Rohde & Schwarz LRH bzw KRH). Es musste allerdings ein Schaltungskonzept vorgelegen haben, denn die komplette Neukonzeption eines derartigen Gerätes überstieg sicherlich die Fähigkeiten einer damaligen ( und heutigen ?) Radio-Werkstatt, man denke nur an die Bemessung der Schwingkreise.

Hier einige Aufnahmen des Gerätes (Gehäuse entfernt):

Frontplatte:

 

Innenansicht:

In die leere Europafassung rechts gehört ein GR150A. Der Netztrafo stammt aus einem VE dyn, wobei eine Heizwicklung auf 6,3 V erweitert wurde.

Chassis von unten:

Ein vorsichtiger Funktionstest am Stell-Trenntrafo zeigte zunächst einen defekten Netzschalter und defekte Netzentstörkondensatoren. Nach Ausschalten dieser Fehler und einem LK199 mit Adapter als GR150A-Ersatz ließ sich das Gerät einschalten, aber es zeigte sich keine Reaktion. Die Anodenspannung vor dem Stabi war zu niedrig. Also wurde der Selen-Stabgleichrichter durch eine Si-Brücke ersetzt. Jetzt zündete auch der Stabi, und wie, da dessen Zündanode ohne Vorwiderstand direkt an Plus lag. Ein 1 MΩ-Vorwiderstand brachte hier Ordnung. Die Netz-Stromaufnahme betrug etwa 150 mA, ansonsten tat sich nicht viel, ein schwaches Signal auf 500 kHz konnte in einem Kontrollempfänger festgestellt werden. Ein angeschlossener Prüfkondensator zeigte beim Durchstimmen keine Reaktion am Röhrenvoltmeter. Ohne Schaltungsaufnahme schien ein weiteres Vorgehen unsinnig.

Bei der Schaltungsaufnahme gab es zunächst eine große Überraschung. Der Minuspol des Netzteils ist isoliert geführt (Elkos isoliert eingebaut). Spannungsmessungen zB. an der Anode einer Röhre gegen Chassis ergaben immer negative Spannungen. Des Rätsels Lösung ist, dass der Pluspol der stabilisierten Anodenspannung auf Chassis gelegt ist. Manche Anschlüsse in der Schaltung liegen aber auch auf dem hochliegenden Minuspol. Das ist das reinste Verwirrspiel und erfordert höchste Konzentration bei der Schaltungsaufnahme. Es gab so zunächst kein rechtes Vorwärtskommen.

Nun gibt es ja das RM. Warum nicht einmal nach dem vermuteten Schaltungskonzept suchen? Relativ schnell wurde ich dann hier bei dem Allwellen-Frequenzmesser M4 fündig. Mein Gerät besitzt zwar 2 Röhren mehr aber die Ähnlichkeit zB. der Frontplatte ist frappierend (nur spiegelverkehrt, ansonsten gleich einschl. der Messbereiche).

Jetz konnte auch etwas Licht in das Erdungskonzept gebracht werden, obwohl das M4 als Allstromgerät ausgeführt ist. Auch hier wird der Minuspol getrennt und isoliert geführt und über 4µF an das Chassis gelegt. Möglicherweise ist bei meinem Gerät der Anschluss des Pluspols der stabilisierten Spannung an das Chassis empirisch ermittelt worden. Im übrigen zeigt die Verdrahtung einige Spuren von Änderungen / Versuchen.

Hier zur Verdeutlichung (dafür sollte die Verkleinerung ausreichen) das Schaltbild des Franzis M4. Die Schaltung meines Gerätes ist mit ECH11 und 2 x EF11 identisch.

Das Vorhandensein von zwei zusätzlichen Röhren lässt sich jetzt nach ca. 80%  Schaltungsaufnahme auch erklären: eine EF11 fungiert als NF-Generator ( im M4 übernimmt das Hexodenteil der UCH11 diese Funktion) und die zweite zusätzliche EF11 ist ein sog. Röhrenspannungsteiler für die HF-Ausgangsspannung. Eine Lösung mit einem normalen Poti an dieser Stelle ist ja bekanntermaßen schwierig. Diese Schaltung beschreibt Diefenbach in seinem Buch "Handbuch der Rundfunk-Reparaturtechnik" von 1947 auf Seite 36-37. Die Schaltung ist dort in einem "Abgleich- und Prüfgerät" an gleicher Stelle eingesetzt.

Röhrenspannungsteiler nach Diefenbach

In der Franzis-Baumappe wird auch auf die Dimensionierung der Schwingkreise eingegangen. Damit wird auch die anfangs gemachte Aussage klar, dass die Neukonzeption einer derartigen Schaltung das Vermögen einer damaligen Radiowerkstatt überstieg.
 
Um eine ordentliche Funktion sicherzustellen, ist das Auswechseln der Teerkondensatoren erforderlich. Auch ein Nachlöten der schlimmsten Lötstellen kann nicht schaden. Der Bereichsschalter hat Kontaktprobleme. Man kann natürlich das Gerät auch als Zeitzeuge in dem vorgefundenen Zustand belassen. Einen Techniker reizt aber auch das Wiederherstellen der Funktion.

Wie auch immer ich verfahre, ich werde hier vom Ergebnis berichten.
 

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.

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Teil 2, Inbetriebnahme 
27.Mar.11 09:38
275 from 3369

Hans-Dieter Haase † 5.2.18 (D)
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Hans-Dieter Haase † 5.2.18

 Um die Funktionsfähigkeit zu testen habe ich dann doch beschlossen, das Gerät behutsam teilweise neu zu verdrahten. Da die Teerkondensatoren alle ausgewechselt werden mussten konnte dabei auch die teils sehr unstabile freitragende Verdrahtung erneuert werden. Es wurde zur Stabilität eine durchgehende Lötösenleiste eingebaut, die großen Drahtwiderstände wurden mit langen Schrauben befestigt. Für die Bauteile habe ich möglichst alte Bauformen verwendet und bin sogar ohne neue Bohrungen ausgekommen.

Die neue Verdrahtung

Für die Stabilisierung der Anodenspannung habe ich jetzt einen 0D3 mit entsprechender Fassung eingesetzt, um das Adapter-Provisorium mit dem LK199 zu beenden. Der maximale Strom von 40 mA reicht vollkommen aus, zumal ich die Schaltung nach der Originalvorlage (aber in Wechselstromversion) aufgebaut habe, also auf den separaten NF-Generator mit EF11 verzichtet habe. Den aktiven Ausgangsspannungsteiler mit EF11 habe ich allerdings beibehalten.

Es stellten sich natürlich auch Probleme bei der weiteren Arbeit ein. Z.B. der Umschalter für die Modulation war total defekt. Ein Ausbau war wegen der dahinterliegenden Spulenbox unmöglich. Es gelang mir dann doch, den Schalter im eingebauten Zustand zu zerlegen und wieder funktionsfähig zu bekommen.

 Das Rätsel der Pluspolerdung ist auch geklärt. Da der Rotor des Drehkondensators am Gehäuse liegt, der Schwingkreis aber im Anodenkreis  des Oszillators, wäre nur ein isolierter Einbau mit all seinen Problemen in Frage gekommenn oder eine Hf-mäßige Erdung der Schwingkreisspule über einen relativ großen Kondensator. Also hat man den Pluspol an das Chassis gelegt. Für spätere Arbeiten am Schwingkreis unter Spannung war das auch ganz bequem.

In der Funktechnik Nr. 10/1949 wurde diese Schaltung mit geerdeter Anodenspannung auch schon beschrieben (siehe hier in Post 10 von Wolfgang Eckardt angegeben).  Man schreibt dort: "Um HF-technisch günstigere Verhältnisse zu bekommen, wurde bei dieser Anordnung im Gegensatz zu den Gepflogenheiten der Empfängertechnik +A geerdet". Der Praktiker würde als Begründung den gerdeten Rotor des Drehkos nennen. Beides ist sicherlich richtig. Hier kommt auch der Röhrenspannungsteiler im Ausgang zur Anwendung. Diese Schaltungstechnik war anscheinend 1948/49 so etwas wie Standard (Diefenbach).

 Die schrittweise Inbetriebnahme des Gerätes war an sich problemlos. Beim Oszillator kamen erste Zweifel. Bis auf den obersten Frequenzbereich schwang der Oszillator. In einem Kontrollempfänger ließ sich das Signal abhören. Bei der Kontrolle des HF-Signals am Ausgang mit einem Oszilloskop glaubte ich jedoch an einen massiven Fehler. Das Signal war total verzerrt:

 

 

Ausgangssignal im Bereich 2 (mit Hameg HM205-3 dargestellt)

 

Die Oszillatorspannung am Gitter und an der Anode des Triodensystems der ECH11 war relativ sinusförmig.

 

Oszillatorspannung im Bereich 2

 

Jetzt glaubt man zunächst an eigene Fehler, aber die Verdrahtung war nach Schaltplan in Ordnung. Dann kommt die Phase des Nachdenkens und der Grundlagenforschung. Eine Mischstufe mit ECH11 kennt man doch, aber man denkt zunächst nicht daran, dass hier völlig andere Verhältnisse herrschen als im Rundfunkempfänger.

Der Beitrag von Jacob Roschy war hier sehr hilfreich. Wenn man bei dem Konzept mit einer Hexode bleiben möchte wird klar, dass nur eine Röhre mit gerader Kennlinie (ECH84), ein separater HF-Oszillator und ein separater in der Amplitude einstellbarer NF-Generator Besserung bringen würde. Außerdem müsste im Anodenkreis des Hexodensystems ein Schwingkreis liegen. Hier hat man versucht, das mit einer aperiodischen HF-Drossel zu erreichen. Wie die Oszillogramme zeigen, bringt das aber nur bei den höheren Frequenzen einen gewissen Erfolg. Möglicherweise haben die Erbauer des Gerätes bei der Herstellung der Drossel nicht ordentlich gearbeitet (das wurde nicht untersucht), aber das glaube ich nicht. Als Alternative wäre je Bereich eine separate (umschaltbare) Drossel denkbar.

Hier die Oszillogramme der Ausgangsspannungen, wegen der besseren Triggermöglichkeiten mit Tektronix 454 dargestellt.

 

 Ausgangsspannungen Bereiche 1 und 2

 

 

 Ausgangsspannungen Bereiche 3 und 4

 

 Ausgangsspannung Bereich 5

Im oberen Frequenzbereich setzten die Schwingungen erst im letzten oberen Drittel ein. Zu erwarten wäre eigentlich ein umgekehrtes Verhalten. Ein Blick auf die Dimensionierung des Schwingkreises bringt hier die Lösung. Bei über 1000pF Schwingkreiskapazität am Bereichsanfang und einer Luft-Spule mit nur 4 Windungen ist das L/C-Verhältnis viel zu schlecht. Außerdem lag der Bereich damit immer noch ca. 3 MHz unter Sollfrequenz. Entsprechende Versuchsspuren wurden dann auch bei Öffnen der Spulenabschirmung gefunden.

 

Dies Problem hatten die damaligen Erbauer offensichtlich auch nicht lösen können. Der Zustand der Verdrahtung ist nicht gerade vertrauenerweckend und auch der Bereichsschalter hat Kontaktprobleme. Das Gleiche gilt für Erdungspunkte in der Mischstufe. Ein kompletter Neubau des Gerätes mit neuen Bauteilen bringt hier vielleicht Besserung, aber das war nicht Ziel der Arbeit.

Wird das Signal mit dem NF-Generator der ECH11 moduliert, wird das Ganze regelrecht überfahren: (gleicher y-Maßstab bei beiden Oszillogrammen

 

Ausgangsspannungen Bereich 4 unmoduliert und moduliert

Bei allen Oszillogrammen kam es mir nicht auf den absoluten Messwert an sondern nur auf den Verlauf. Bis auf Bereich 5 Drehko in Mittelstellung.

Die L- und C-Messung funktioniert im Prinzip. Hier hat man auch wieder mit dem zu schlechten L/C-Verhältnis der Schwingkreise Probleme. Im unteren C-Bereich und im oberen L-Bereich ist die Empfindlichkeit beachtlich, man kann das Poti gar nicht schnell genug zurückdrehen. Im oberen C-Bereich und unteren L-Bereich genau das Gegenteil. Man hat Mühe, den Anstieg des Auschlags am Instrument zu erkennen.

Zur Eichung ist zu sagen, dass die unteren Frequenzbereiche noch erstaunlich genau sind, das Gleiche gilt für die Kapazitätsbereiche. Bei den Induktivitätsbereichen liegt man schon ganz schön daneben. Verglichen wurde mit dem LARU von Rohde und Schwarz. Denkbar ist, dass die Erbauer hier Probleme mit dem Beschaffen von Vergleichs-Induktivitäten hatten. Eine Neueichung habe ich wegen festsitzender Spulenkerne und Keramiktrimmer nicht versucht. Das gibt leicht neue Baustellen.

Alles in allem kann man sagen: das Gerät funktioniert im Prinzip, aber so etwas würde man heute nicht mehr einsetzen. Vielleicht ist man aber auch von LARU, KARU und Co. verwöhnt.

Blieb also nur noch das Reinigen der Frontplatte von einer gelblich-bräunlichen Schicht (Nikotin?). Selbst das brachte Probleme, weil die Beschriftung sich vor dem Schmutz ablöste.

Aber es ist vielleicht doch ein Gerät als Zeitzeuge für die Sammlung, da ja durch die Veröffentlichung als Funkschau-Baumappe eine gewisse Authentizität besteht.

HDH

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