grundig: Stereo-Decoder für USA-Export, Übersetzung

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grundig: Stereo-Decoder für USA-Export, Übersetzung 
30.May.09 10:02
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Rolf Nickel (D)
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Rolf Nickel

 Liebe Leser, 

als ich vor einigen Monaten beim Stöbern nach dem Schaltbild eines bestimmten amerikanischen Stereodecoders diese Grundig-Schaltung zum ersten Mal sah, war ich zunächst etwas ratlos. Was sollte das denn bloß sein ? Ein Oszillator oder sonst irgendein rückgekoppeltes schwingfähiges Gebilde ? Es war aber unter der Überschrift "Stereo-Decoder" abgelegt. Bei genauerem Hinsehen und Nachdenken kommt man allmählich dahinter,  faszinierend, und, wie ich erst kürzlich bemerkte, schon vor etwa einem Jahr hatte uns Herr Sousa freundlicherweise die ausführliche Erklärung im Radiomuseum zur Verfügung gestellt. Um auch unsere deutschsprachigen Leser mit einzubeziehen, bin ich seinem Vorschlag gefolgt und habe die Übersetzung angefertigt. Vielen Dank an Herrn Knoll für das Korrekturlesen.

Ein Hinweis: Den englischen Originaltext von Herrn Joe Sousa finden Sie hier

 

 
Grundig stellte verschiedene UKW-Stereo-Decoder für den US-amerikanischen Markt her. Die hier behandelte Ausführung benötigt nur eine einzige Röhre zur vollständigen Stereo-Decodierung durch die Anwendung der Reflex-Technik.
Reflexschaltungen wurden in den 1920er Jahren erstmals angewendet, um dieselbe Röhre zur HF-Verstärkung vor dem Detektor und zur Verstärkung des NF-Signals nach dem Detektor verwenden zu können. Der damals mit diesem Verfahren verfolgte Zweck war die Kostenersparnis.
Der Grund für die Anwendung von Reflexschaltungen in diesem Decoder und in Grundigs Reihe von Dreiröhren-UKW/MW-Tischradios von der Mitte der 50er bis zur Mitte der 60er Jahre war die Einsparung bei der Röhrenanzahl für den deutschen Markt, wo die Radiogeräte nach der Anzahl ihrer Röhren besteuert wurden.
Als Beispiele für die Anwendung von Reflex-Eingangsschaltungen seien hier einige Tischradios von Grundig mit den Modell-Nummern 80U, 85, 87, 88, 92, 101U und 2550 genannt.
In jeder Reflexschaltung verstärkt dieselbe Röhre Signale in unterschiedlichen Frequenz-bereichen, ohne dass es zu einer gegenseitigen Beeinflussung der Signale kommt.
 
Bei dieser Schaltung wird ein Stereo-Multiplex-Signal von bis zu mehreren Volt Amplitude an den Eingang IV gelegt. Dieses Signal stammt von einem breitbandigen FM-Demodulator, der das (R–L) Seitenbandsignal im Bereich von 15 kHz unter 38 kHz bis 15 kHz über 38 kHz (also 23 bis 53 kHz) ebenso verarbeiten kann wie den mit 10% Tiefe modulierten sinusförmigen19 kHz Pilotton.
Der niederfrequente Signalanteil von 20 Hz bis 15 kHz, das Monosignal, wird von allen (auch den nicht-stereophonen) UKW/FM-Empfängern wiedergegeben.
 
Das Kathodenpotenzial an Pin 2 der Pentode 6BH6 folgt einfach dem beschriebenen undecodierten Eingangssignal ("Kathodenfolger") und steht an R14 mit niedriger Impedanz zur Weiterleitung mit R18 bis R22 zur Verfügung und treibt die Brückenschaltung mit den vier Schaltdioden OA90 (Signalweg im Schaltbild rot markiert).
 
C15 = 2nF und die zugehörige Induktivität 9204-051 bilden einen Filter zur Löschung eines etwa vorhanden 67 kHz Signals des SCA-Dienstes (Subscription CArrier). Dieses Signal hat nichts mit der Stereo-Decodierung zu tun, es enthält eine Mono-Hintergrundmusik für Geschäftsräume, Restaurants und Fahrstühle auf Abonnement-Basis.
 
Ich habe das Stereo-Multiplex-Signal als eine Reihe von Frequenzbereichen beschrieben. Aber wenn man dieses Signal mit dem Oszilloskop ansieht, wird man feststellen, dass sich diese Komponenten aus mehreren Frequenzbereichen mischen mit dem Ergebnis eines 38 kHz-Hüllkurvensignals, in dem der linke Kanal in den ungeraden Halbwellen und der rechte Kanal in den geraden Halbwellen enthalten ist.
Das bedeutet, dass ein einfaches Verfahren zur Trennung der L und R Signale darin besteht, das undecodierte Signal für die Dauer der ungeraden Halbwelle mit dem linken Kanal und während der Dauer der geraden Halbwelle der modulierten 38 kHz-Schwingung mit dem rechten Kanal zu verbinden.
Ein Mono-Signal hat gleich große L und R Amplituden, daher ist keine Differenz L-R von ungeraden Halbwellen zu geraden Halbwellen bei einer Frequenz von 38 KHz zu erkennen. Das gilt auch für den Fall der FM-Stereo-Rundfunk-Übertragung einer alten Mono-Schallplatte.
Die OA90-Diodenbrücke schaltet immer dann, wenn ihre Dioden von dem 38-kHz-Signal konstanter Amplitude in den leitenden oder gesperrt Zustand gesteuert werden, das von dem auf 38 kHz abgestimmten Transformator 9204-53 stammt, dessen Sekundärseite den linken und den rechten Eingang der OA90-Brücke betreibt.
Das Schalten der Brücke kann auf mehrere Arten bewerkstelligt werden.
In dieser Schaltung mit dem die Brücke treibenden 38 kHz Transformator wird eine konstante hohe (38 kHz-) Amplitude zum Eingangssignal aus dem Kathodenfolger addiert, so dass dessen ungerade 38 kHz-Halbwellen sehr viel mehr positiv werden als die geraden negativen Halbwellen.
Das Endergebnis an C17 sieht wie ein amplitudenmoduliertes Signal mit 38 kHz Trägerfrequenz aus mit dem linken Kanal als eingeprägte positive Hüllkurve und dem rechten Kanal als eingeprägte negative Hüllkurve.
Dies erklärt, warum die Kathoden der OA90-Brücke der positiven Hüllkurve folgen und den Ausgang II treiben, während die Anoden der OA90 der negativen Hüllkurve folgen und den Ausgang I treiben.
Aus dem Schaltbild geht nicht hervor, welcher der beiden Ausgänge I und II der rechte oder der linke Kanal ist.
Möglicherweise habe ich die Zuordnung rechts und links vertauscht, aber das ist für die Erklärung nicht wichtig.
Durch dieses spezielle Verfahren der Abtastung der positiven und der negativen Hüllkurve werden positive und negative Gleichspannungsanteile an den Ausgängen Kanal I und II erzeugt. Diese werden durch Koppelkondensatoren blockiert, die sich ausserhalb dieser Schaltung befinden. Der (zugehörige) externe Stereo-Verstärker enthält ausserdem ein C-L-C Pi-Filter, das Frequenzen oberhalb von 15 kHz abschneidet.
 
Bis hierher wurde kein Reflexverfahren angewendet. Tatsächlich kann man die notwendige konstante 38 kHz Hilfsträgerfrequenz zum Umschalten der Brücke aus dem (Multiplex-) Eingangssignal mit einer Reihe weiterer Röhrenstufen gewinnen, wie es bei weniger eleganten Stereo-Decodern üblich ist.
 
Bei Anwendung des Reflexverfahrens muss der 19 kHz Pilotton, der nur etwa 10% des Eingangssignals ausmacht, mit einem Filter abgetrennt, verstärkt und in der Frequenz verdoppelt werden, um daraus das erforderliche 38 kHz-Hilfsträgersignal mit konstanter Amplitude zu erzeugen. Dieser mit dem MPX-Eingangssignal (und damit auch mit dem Sendersignal !) synchrone Hilfsträger wird von der OA90-Brücke zur Abtrennung des L- und des R-Signals zu den entsprechenden Ausgängen benötigt, wie oben beschrieben.
 
Die Reihenschaltung R15 mit C14 und C15 wirkt als niedrige Impedanz für hohe Frequenzen und überbrückt den Kathodenwiderstand R 14 an der Kathode Pin 2 der 6BH6 Pentode nach Masse, so dass der 19 kHz-Pilotton, der am an Gitter 1 anliegt, hoch verstärkt wird und an der Anode zur Verfügung steht. Das Schaltbild zeigt den 19kHz-Pfad in grüner Farbe.
 
Das Anodensignal speist einen auf 19 kHz abgestimmten zweikreisigen Transformator 9223-101 mit 6 parallelen Kondensatoren je 180 pF auf der Primär- und 4,7 nF auf der Sekundärseite. Das hoch übersetzte 19 kHz Signal speist zwei Dioden OA 90.
Die anschließende Zweiweg-Gleichrichtung mit den Dioden bewirkt eine Frequenzverdopplung des sinusförmigen Pilottons von 19 kHz auf 38 kHz.
 
Mit dem nachfolgenden auf 38 kHz abgestimmten zweikreisigen Filter 7209-102 mit C2 = 3.5nF auf der Primär- und C1 = 1.5nF auf der Sekundärseite wird aus dem gleichgerichteten 19 kHz Signal eine saubere Sinusschwingung von 38 kHz erzeugt. Die Sekundärseite des 38 kHz-Filters liegt in Serie mit dem Eingangssignal am Steuergitter 1 der Pentode.
 
Jetzt erkennen wir, dass am Steuergitter sowohl das ursprüngliche undecodierte Signal als auch das daraus erzeugte neue 38 kHz-Signal mit konstanter Amplitude anliegen.
Damit tritt auch das 38kHz Hilfsträger-Sinussignal verstärkt an der Anode Pin 5 auf, wird mit dem einkreisigen, auf 38 kHz abgestimmten Transformator 9204-53 vom Anodenstrom abgetrennt und treibt die OA90-Gleichrichterbrücke (Das Signal ist im Schaltbild blau markiert).
 
Insgesamt führt die 6BH6 drei getrennte Verstärkungsvorgänge durch: Sie puffert das Multiplex-Eingangssignal an ihrer Kathode, verstärkt das niedrig pegelige 19 kHz-Pilotsignal zur Frequenzverdopplung, und sie verstärkt die 38 kHz-Hilfsträgerspannung zum Schalten der OA90-Diodenbrücke.
 
Eine Reflexschaltung mit einer einzigen Röhre, die drei verschiedene Signale (verstärkt bzw.) verarbeitet, könnte einen Rekord bezüglich der Anzahl von Operationen darstellen. Die üblicherweise in Reflexschaltungen verstärkte Anzahl von Signalen beträgt (nur) zwei.
 
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Deutsche Übersetzung von Rolf Nickel, Lektorat Hans M. Knoll, für www radiomuseum.org 2009-05-30
 
Ed. 30.05.2009: Schreibfehler und Titel korrigiert
Ed. 12.03.2018: "toter" Link nach extern entfernt, int. Links zu Modellen ergänzt
 
 

 

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