Schirmgitterspannung von Mischröhren

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Schirmgitterspannung von Mischröhren 
05.May.18 19:23
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Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
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Dietmar Rudolph † 6.1.22

Zunächst eine tabellarische Übersicht der "kontinentalen" Mischröhren. Aus dieser Reihe näher betrachtet werden die Verbundröhren ACH bzw. ECH und zwar hiervon "nur" das "H"-System.

Das Unterscheidungs-Merkmal ist dabei die Art der Spannungsversorgung der Gitter 2 & 4 der "H"-Systeme.

Beispiele von Mischröhren
Jahr 1930 1933 1933 1934 1936 1938 1941 1948 1952
Typ REN704d RENS1224 ACH1 AK1 AK2 ECH11 ECH21 ECH42 ECH81
Art Doppelgitter Hexode Hexode Oktode Oktode Hexode Heptode Hexode Heptode

 

ACH1

Die ACH1 (Stiftröhre, 7 Pin) ist die erste speziell für Mischung entwickelte Verbundröhre.

Da das Hexoden-System regelbar ist, hat das 1. Steuergitter eine ungleichmäßige Steigung. Die restlichen Gitter sind mit gleichmäßiger Steigung gewickelt.

Zwei typische Schaltungen sind in den beiden nächsten Bildern dargestellt. Sie unterscheiden sich nur in der Stromversorgung für den Oszillator-Teil: links: Parallel-Speisung; rechts: Serien-Speisung

Es sind die beiden von Telefunken empfohlenen Schaltungen. Nur für diese wurde von TFK eine "Garantie" übernommen.

Bei der äußeren Beschaltung der Gitter 2 & 4 des Hexodensystems ist ein (relativ) niederohmiger Spannungsteiler 50 kΩ / 25 kΩ erkennbar, wie er entsprechend auch für Regel-Penthoden aus diesen Jahren vorgeschrieben war. 

Abb. 6 zeigt eine Gegenüberstellung von "fester" und "gleitender" Schirmgitterspannung. Je größer der Querstrom in dem Spannungs-Teiler der Schirmgitter-Widerstände gewählt wird, um so "fester", d. h. konstanter, bleibt die Schirmgitter-Spannung trotz veränderlicher Regel-Spannung am Steuergitter.  

In den Grafiken Bild 75 bis Bild 80 sind diese Zusammenhänge nochmals etwas ausführlicher dargestellt.

Die Begründung für die Notwendigkeit einer "festen" Schirmgitterspannung liefert Philips (für das Beispiel ECH42) wie folgt.

„Ebenso wie bei der Röhre ECH 41 ist es bei der ECH 42 notwendig, die Schirmgitter mit Hilfe eines Spannungsteilers zu speisen. Bei Verwendung eines Serienwiderstandes nimmt die Schirmgitterspannung bei Regelung zu, was zur Folge hat, dass Sekundäremissionserscheinungen auftreten, wodurch sich eine starke Abnahme des Innenwiderstandes ergibt. Durch den niedrigen inneren Widerstand wird die Verstärkung kleiner, aber das ist im allgemeinen kein Nachteil, da die Röhre ja doch schon geregelt wird, um die Verstärkung zu vermindern. Außerdem wird aber, als Folge des niedrigen Innenwiderstandes, das ZF-Bandfilter in der Anodenleitung des Hexodenteiles schwer gedämpft, wodurch die Trennschärfe ungünstig beeinflusst wird. Im allgemeinen ist deshalb die Benutzung eines Serienwiderstandes bei der Speisung der Schirmgitter abzuraten.“

Sekundäremission

Der entscheidende Grund, der hier benannt wird, sind die Sekundäremissionserscheinungen, die dabei auftreten. 

Diese Grafik zeigt prinzipiell die Entstehung von Sekundär-Elektronen beim Aufprall auf die Anode eines von der Kathode kommenden Elektrons. Die "umherschwirrenden" Sekundärelektronen landen dabei stets auf einer benachbarten Elektrode mit dem höchsten Potential. In der mittleren Grafik ist es das Schirmgitter (Schutzgitter), weil es zu diesem Zeitpunkt das höchste Potential hat. In der rechten Grafik verhindert das auf 0 Volt liegende Bremsgitter, daß die (langsamen) Sekundärelektronen zum Schirmgitter gelangen können.

Die Gleichspannung an der Anode einer Mischhexode (bzw. Heptode) hat stets einen Wert, der größer ist als die Spannung an den Gittern 2 & 4. Aber im ZF-Schwingkreis an der Anode entsteht eine beträchtliche Wechselspannung, wenn ein stark einfallender Sender empfangen wird. Diese Wechselspannung überlagert sich der Anoden-Gleichspannung. Die Summenspannung (bzw. Differenz-Spannung) aus Gleich- und Wechsel-Spannung erreicht damit minimale Werte, die kleiner sind als die Spannung an den Gitteren 2 & 4. Damit tritt (mit der ZF-Frequenz) "pulsierend" eine "Sekundäremissionserscheinung" auf. Da bei stark einfallenden Signalen auch eine entsprechend große Regelspannung entsteht - und damit die Schirmgitterspannung ansteigt, werden die "Sekundäremissionserscheinungen" hierbei entsprechend stärker.

ECH21

Die ECH21 (Locktal-Röhre, Schlüssel-Röhre, 8 Pin + Kontakt am Führungsbolzen) hat deshalb ein Schutzgitter erhalten, womit "Sekundäremissionserscheinungen" unterdrückt werden, weshalb hier nur noch ein einfacher Vorwiderstand für die Gitter 2 & 4 erforderlich ist.

Ein ähnliches System hat auch die ECH4 (Topfsockel, rote Röhre) aus dem Jahr 1940.

 ECH11

Die 1939 auf den Markt gekommene ECH11 (Stahlröhre, 8 Pin) hat "nur" ein Hexoden-System, das also kein Bremsgitter hat. Trotzdem kann sie mit "gleitender" Schirmgitterspannung betrieben werden.

Warum aber gibt es bei dieser Röhre keine "Sekundäremissionserscheinungen", obwohl sie kein Bremsgitter hat?

Das Geheimnis davon scheint an der Art der Gitter zu liegen. Bei allen "Stahlröhren" mit Regelcharakteristik sind alle Gitter mit veränderlicher Steigung gewickelt, wie es am Beispiel der EF 13 dokumentiert ist.

Am Bild der Gitter ist die veränderliche Steigung nur undeutlich erkennbar. Am Besten sieht man die in der Mitte der Gitter vergrößerte Steigung noch am Steuergitter g1.

Um die Fotos der Gitter herum ist dargestellt, wie groß die Steigung an den Rändern ist und wie diese zur Mitte hin zunimmt.

Bei stärker "zu"-geregelter Röhre fließt der Elektronenstrom nur noch in der Mitte der Gitter. Da bei den "Stahlröhren" die Gitter nach dem Steuergitter ebenfalls in der Mitte weniger Gitterdrähte haben, kommt hierdurch offensichtlich ein elektronenoptischer Bündelungs-Effekt zustande, unterstützt durch Schirm-Bleche, wie er später auch bei den Strahl-Bündelungs-Röhren (Beam Power Tubes) angewendet wird.

 

Abb. 47 zeigt den Innenaufbau einer Stahl-Röhre am Beispiel der ECH11.

 

Stahlröhren sind eine Entwicklung von Telefunken, jedoch haben andere Firmen, darunter auch Philips, ebenfalls Stahlröhren gebaut bzw. vertrieben. Die Schutzpatente, die mit der Beschaltung ECH11 zusammenhängen (gleitende Schirmgitterspannung), konnte Philips/Valvo anscheinend nicht für ihre ECH41 und ECH42 verwenden.

 

ECH42

Mit der ECH21 gab es zwar eine Lösung mit einem zusätzlichen Bremsgitter. Das System der ECH42 (Rimlock, 8 Pin) hat jedoch einen geringeren Durchmesser, weil Rimlock-Röhren nur noch maximal 22 mm gegenüber max. 32 mm bei den Locktal-Röhren haben. Ganz offensichtlich konnte das Bremsgitter (damals) nicht in dem schlankeren Kolben untergebracht werden. Das hatte jedoch zur Folge, daß man - in Bezug auf die Versorgung des Schirmgitters - wieder auf den Stand von 1933 (ACH1) zurück kehren mußte. Es war also wieder ein relativ niederohmiger Spannungsteiler notwendig. Der Fortschritt der Rimlock ECH42 bestand jedoch in der erheblich kleineren Bauform. Offenbar gab das den Ausschlag. (Dagegen findet man in Dänischen Radios häufig die ECH21 bei einer restlichen Bestückung mit Rimlock-Röhren.)

Die Betriebsdaten der ECH42 (als Mischröhre):

Schon 1949 war es allerdings bei der EQ40 (Enneode für FM Demodulation) möglich, noch viel mehr Gitter in einer Rimlockröhre  unter zu bringen. Allerdings war die Zeit der 8 poligen Rimlock-Röhren um 1950 so langsam vorbei und die Industrie ging über zu 9 poligen Noval-Röhren (neben den 7 poligen Pico-Röhren).

ECH81

Die ECH81 (Noval, 9 Pin) kam 1952 heraus und wurde "die Mischröhre" für AM. Das Heptoden-System kam in AM-FM Radios zusätzlich als 1. ZF Verstärker für 10,7 MHz zum Einsatz, was mit der ECH42 nicht möglich war, weil bei dieser g3 der Hexode und g1 der Triode direkt verbunden sind. 

Das "H"-System der ECH81 ist eine Heptode, entsprechend zum "H"-System der ECH21. Also braucht die ECH81 auch nur einen einfachen Vorwiderstand für g 2& g4.

 

Messungen 1

Für die ECH11, die ECH42 und die ECH81 wurden mit dem μ-Tracer Messungen durchgeführt. Hierbei wurde die Anodenspannung auf 200V fest eingestellt und die Spannung für Gitter 2&4 in Stufen verändert. Die Gitterspannung für g1 wurde dabei zwischen -15V und 0V "durchgefahren". (g3 war auf 0V, bei der ECH42 aber auf -8V)

Der μ-Tracer ist für eine solche Messung "eigentlich" nicht vorgesehen, weil hier die Schirmgitterspannung (normalerweise) einen festen Wert hat und die Anodenspannung in Stufen geändert werden kann (entsprechend zu "normalen" Kennlinien der Röhrenhersteller).

Um die gewünschte Messung durchführen zu können, mußten folglich (am μ-Tracer) die Anschlüsse für Anode und Schirmgitter vertauscht werden. In den Diagrammen zeigt sich das (in diesem Fall) daran, daß die Kennlinien für den Anodenstrom gestrichelt sind, während der Schirmgitterstrom in durchgezogenen Linien dargestellt wird.

Messungen 2

Bei diesen Messungen mit dem μ-Tracer waren sowohl Ua = 250 V als auch Usg =250 V eingestellt. Jedoch wurden Rs = 50 kΩ als Vorwiderstand für die Schirmgitter g2 & g4 geschaltet, so daß nun tatsächlich eine gleitende Schirmgitterspannung enstanden ist. Damit ergaben sich die folgenden Kennlinien (links), wobei nun Ia durchgezogen ist und Ig2g4 gestrichelt (der "Normalfall" für den μ-Tracer). Allerdings wurden jetzt die 30 Meßpunkte pro Kurve nicht markiert. Die Spannung Ug3 wurde einem Konstanter entnommen und pro "Durchlauf" des μ-Tracers (von Hand) auf die entsprechenden Werte (0 V, -5 V, -9V) eingestellt:

Der μ-Tracer hat auch die Möglichkeit, die gemessenen Werte als ASCII File abzuspeichern (.udt). Mit Hilfe von z.B. Matlab oder EXCEL kann damit die Schirmgitter-Spannung  Ug2g4 berechnet und gezeichnet werden.
Wie aus den Kurven für die Schirmgitterspannungen (rechts) hervorgeht, sinkt die Schirmgitterspannung für kleine negative Vorspannungen sehr stark ab, so daß dann auch der Anodenstrom stark abnimmt, insbesondere dann, wenn zusätzlich die negative Vorspannung für g3 zunimmt und damit die (aufgrund der geringen Spannung an den Schirmgittern) langsamen Elektronen so stark "ausgebremst" werden, daß nur noch wenige von ihnen die Anode erreichen.

Schlußfolgerungen

Der Vergleich der gemessenen Kennlinien zeigt keine prinzipiellen Unterschiede zwischen den Röhren ohne Sekundär-Emission (ECH11 & ECH81) und der ECH42 mit Sekundär-Emission.

Das ist aber absolut nicht verwunderlich, weil (auch) bei der ECH42 die Anoden-Gleich-Spannung stets größer als die Spannung an den Schirmgittern bleibt. Zu der unerwünschten Sekundär-Emission und ihren negativen Folgen kommt es erst dann, wenn der Anodenspannung eine entsprechend hohe ZF-Wechselspannung überlagert ist. Hier noch einmal das Zitat von oben:

"Bei Verwendung eines Serienwiderstandes nimmt die Schirmgitterspannung bei Regelung zu, was zur Folge hat, dass Sekundäremissionserscheinungen auftreten, wodurch sich eine starke Abnahme des Innenwiderstandes ergibt. Durch den niedrigen inneren Widerstand wird die Verstärkung kleiner, aber das ist im allgemeinen kein Nachteil, da die Röhre ja doch schon geregelt wird, um die Verstärkung zu vermindern. Außerdem wird aber, als Folge des niedrigen Innenwiderstandes, das ZF-Bandfilter in der Anodenleitung des Hexodenteiles schwer gedämpft, wodurch die Trennschärfe ungünstig beeinflusst wird."  

Folglich lassen sich mit einer rein statischen Messung der Kennlinien des "H" Systems der ECH42 diese "Sekundäremissionserscheinungen" gar nicht darstellen. Eine nur auf statischen Messungen beruhende Argumentation steht daher "auf schwachen Beinen". Wenngleich die Tatsache als solche stimmt.

 

Mein Dank geht an Henning Oelkers für die Messungen mit dem μ-Tracer und an Hans Knoll für wertvolle Hinweise.

Literatur:

Ratheiser, L.: Rundfunkröhren, Eigenschaften und Anwendung, 4.A., DVA, 1940
Philips [Hrsg.]: Daten und Schaltungen moderner Empfänger- und Kraftverstärkerröhren, Bd. 3, 1942
Philips [Hrsg.]: Daten und Schaltungen moderner Empfänger- und Kraftverstärkerröhren, Bd. 3A, 1952
Philips [Hrsg.]: Daten und Schaltungen moderner Empfänger- und Kraftverstärkerröhren, Bd. 3B, 1956
Deketh, J.: Grundlagen der Röhrentechnik, Philips Bücherreihe, 1946
Handbuch der Funktechnik Bd. 7: Fortschritte der Funktechnik und ihrer Grenzgebiete, Bd. 4, Frankh, 1939
Handbook Tubes, 16th ed., De Muiderkring B.V., 1973

MfG DR

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