telefunken: T42 'Volkstrautonium': Funktionsweise

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telefunken: T42 'Volkstrautonium': Funktionsweise 
19.Apr.08 13:29
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Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
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Dietmar Rudolph † 6.1.22

Die Klangerzeugung
Die Klangerzeugung beim Trautonium ist den Prinzipien der Stimme bzw. eines Rohrblattinstrumentes nachempfunden. Die Stimmbänder bzw. das Rohrblatt führen Kippschwingungen aus. Der Rachen- und Nasenraum bzw. das Rohr das Instrumentes wirken als (veränderbare) Filter, so daß ein typischer Klang entsteht.

Trautwein (daher der Name "Trautonium") hat als Tongenerator zunächst eine Schaltung mit einer Glimmlampe verwendet.
  
Es entsteht näherungsweise eine Sägezahnspannung (genauer e-Funktion), deren Periode T abhängt von den Werten des Widerstandes R und des Kondensators K, sowie der Zündspannung EZ und der Löschspannung EL der Glimmlampe GL. Zur Änderung der Periode T und damit der Tonhöhe wird der Widerstand R variiert.

Verbesserung des Kippgenerators
Besonders die Zünd- aber auch die Lösch-Spannungen einer Glimmlampe sind gewissen Schwankungen unterworfen, die sich dann in Schwankungen der Tonhöhe bemerkbar machen. Eine Verbesserung bringt eine Schaltung mit Thyratron, weil hier mit Hilfe eines "Steuergitters" der Zündzeitpunkt exakter festgelegt werden kann.


Als Thyratron wurde zunächst die RK1 verwendet, später dann (von Sala) die AC50. Die Höhe der Zündspannung (und damit die Länge der Periode bzw. die Tonhöhe) wird mit Hilfe des Spannungsteilers B, A, S bestimmt. S ist die weiter unten beschriebene Widerstandssaite, die vom Spieler auf die Metallschiene Sch gedrückt wird. Die Widerstände A & B dienen zur Einstellung der Mensur (d.i. die Entfernung der Töne von einer Oktave auf der Saite, Oktavabstand).

Der Oktavabstand
Betrachtet man das Schaltbild mit der Glimmlampe, wo (allein) durch Veränderung des Widerstandes R die Tonhöhe bestimmt wird. Eine Oktave höher wird der Ton bei R/2. Zwei Oktaven höher bei R/4. Wird die Widerstandssaite (aus mechanischen Gründen) gleichmäßig mit Widerstandsdraht bewickelt, so wird dadurch der Oktavabstand (d.i. die Mensur) immer kleiner. Spieltechnisch ist das unbrauchbar. Daher verwendet man einstellbare Vorwiderstände, um die Mensur (halbwegs) konstant zu erhalten. (Beim Volkstrautonium weiter unten die Knöpfe 5, 8 & 9)

Zur Erleichterung der Spielweise wurden mit Leder umwickelte Stahlfedern (Nr. 10) zur Markierung der richtigen Abstände über der Widerstandsaite angebracht.

Verbesserung des Sägezahns

Die Aufladung eines Kondensators mit einer konstanten Spannungsquelle ergibt als Kurvenform eine e-Funktion. Wird der Kondensator aber mit Hilfe einer Stromquelle aufgeladen, ergibt sich eine Gerade. Eine Stromquelle kann mit Hilfe einer Pentode (damals Tetrode) realisiert werden.


Diese Schaltung wurde als Bastelvorschlag im "Funk-Bastler" (1933, H. 38, S 607) veröffentlicht, was zeigt, wie groß damals das Interesse der Öffentlichkeit an der "elektrischen Musik" war. Zur Klangfärbung dienten die beiden Schwingkreise bei der 2. Röhre.

Die Klangfärbung
Die Filterung und damit die Klangfärbung erfolgt mit Hilfe eines Filters, hier z.B. mittels eines RLC-Bandpasses (oder auch RLC-Tiefpaß), dessen Grenzfrequenz fg und Güte Q zum Zwecke der Veränderung des Klanges einstellbar sind.

In diesem Schaltbild ist RK ein "Kippgenerator", der z.B. mittels einer Glimmlampe (wie oben) realisiert sein kann.

Die Tonhöhesteuerung
Beim Spielen muß sehr einfach die Tonhöhe (Frequenz) und die Lautstärke zu verändern sein. Für die Tonhöhe ist der Widerstand R im Kippgenerator zu ändern. Hierzu gab es bereits eine brauchbare technische Lösung beim Hellertion [elektrisches Musikinstrument, entwickelt von Hellberger & Lertes]. Diese  besteht (beim Hellertion) aus 4 Bandmanualen D mit darunter liegenden drahtgewickelten Widerständen W. Je nachdem, an welcher Stelle die beiden Teile sich durch Niederdrücken berühren, ändert sich der Wert des Widerstandes W und damit die Tonhöhe. Das Hellertion verwendet 4 Manuale - im Unterschied zum Volkstrautonium, das nur 1 Manual hat.

Anders als es gemäß dieser Schaltung erscheint, soll der Generator mit R1 als Sperrschwinger arbeiten [1]. Die Lautstärke kann über die Kopplung S1 S2 verändert werden.

Die Spielschiene beim Volkstrautonium
Trautwein hat das Prinzip der Tonhöhensteuerung nachempfunden. Er verwendet eine Metallschiene mit darüber ausgespannter Saite, die mit Wiederstandsdraht umwickelt ist. Aus diesem Grunde mußten die Volkstrautonien mit dem Hinweis auf dieses Patent von Hellberger & Lertes versehen werden.

Dies ist ein zeitgenössisches Bild (1933) des Volkstrautoniums (von Telefunken) mit einem Telefunken-Radio 231WL als Wiedergabegerät. Nr. 4 ist das Manual mit der darüber befindlichen Widerstands-Saite (als schwarzer Strich zu erkennen).

Das erste industriell gefertigte Trautonium
1931 stellte Telefunken das erste Trautonium her, einen Kasten mit 12 Drehknöpfen und Schaltern. Das Gerät ließ sich kaum verkaufen. Es wurden auch nur ca. 50 Geräte produziert. [1]

Die Schaltung diese Gerätes ist nicht bekannt. Man erkennt jedoch 3 Röhren. (Das Volkstrautonium hatte nur noch 2 .) Nach [2] soll das Gerät einen Glimmlampen-Generator verwenden.
Im Funkbastler 1933 H. 38 S. 607 ist eine Prinzip-Schaltung für ein "altes Trautonium" mit 3 Röhren angegeben. Es ist aber auch hier nicht bekannt, in wie weit diese an die Lösung von Telefunken "angelehnt" ist.

Hier wird noch keine Glimmlampe bzw. kein Thyratron verwendet. Wahrschinlich soll der Oszillator auch wieder ein Sperrschwinger sein (wie beim Hellertion). Die Klangfärbung geschieht mit Hilfe von 4 in Serie geschalteten Schwingkreisen. (Würde der Oszillator in Meißner-Schaltung einen Sinus liefern, wären die Klangfilter unnötig bzw. wirkungslos.)

Das Volkstrautonium 1933
Es entstand das "Volkstrautonium", das eine gefälligere Form hatte und einfacher zu bedienen war. Die detaillierte Schaltung ist beim Modell; hier wird die Prinzipschaltung dargestellt.

Die Röhre 1 (links) ist die Thyratron-Röhre RK1 und dient als Sägezahngenerator. 12 ist der "Formant-Trafo", der im Zusammenwirken mit den beiden Drehkondensatoren als Formantfilter arbeitet. Die Röhre rechts ist die REN904. 16 ist ein Kohledruck-Widerstand, der unterhalb des Manuals eingebaut ist. Mit diesem kann durch den Druck auf (die Saite und) das Manual die Lautstärke reguliert werden.
Der Prototyp des Volkstrautoniums unterscheidet sich äußerlich noch etwas von der endgültigen Ausführung.



Das Volkstrautonium des Musikinstrumentenmuseums Berlin
Von diesem Museum und Forschungsinstitut wurden dankenswerterweise Bilder von dem dort befindlichen Volkstrautoniums zur Verfügung gestellt, s. auch die Bilder beim Modell.

Hier wurden die Bilder ergänzt durch die Bezeichnungen für wesentliche Teile.

Das Volkstrautonium hat Netzanschluß (umschaltbar) für die Heizung der Röhren und eine Batterie von 150 V für die Anode. Aber auch die Heizung konnte aus einem 4V Akku erfolgen, wofür eine Brücke an der Rückseite (Heiz 4V) geöffnet werden mußte um die Spannung dann dort einzuspeisen.
Eine Anodenbatterie bei einem Gerät mit Netzanschluß?? Der Grund dafür waren (und sind ?) die Schwankungen der Netztspannung. Diese wirken sich mittelbar auf Zünd- und Löschspannung des Thyratrons aus. Dadurch kommt es zu entsprechenden Tonhöhenschwankungen (Jaulen), was dem Musikgenuß nicht eben zugute kommt. Man mußte sich damals mit einer relativ teueren Anodenbatterie behelfen. Aber auch der damals bei Radios übliche "Netzton" (Netzbrumm) aufgrund ungenügender Siebung wurde so vermieden.
Zum Trautonium gehört auch noch ein Pedal, mit dessen Hilfe ebenfalls die Lautstärke gesteuert werden konnte.
Über der Widerstandssaite sind mit Leder umwickelte Hilfstasten aus Federstahl angeordnet, die die Abstände der Oktaven (Mensur) und weitere Abstände für Zwischentöne markieren. Elektrisch haben diese keine Wirkung; sie dienen nur zur Erleichterung des Spielens.
Die mit "Stimmung: A B C" bezeichneten Drehknöpfe dienen zur Einjustierung der Mensur. Der "Tastenhebel" kann die Hilfstaten über der Saite verschieben. Dadurch kann das Instrument sehr einfach transponieren (in einer anderen Tonart gespielt werden). Mit dem "Register" werden die Formantfilter ein- und umgeschaltet.
Auf der Internetseite des Musikinstrumentenmuseums findet sich ein Bild des Volkstrautoniums mit der 1933 erschienenen "Trautonium-Schule".

Die eigentlich von Telefunken stammenden Zeichnungen  (Skizzen) zur Funktionsweise des Volkstrautoniums können aus lizenzrechtlichen Gründen leider nicht hier gebracht werden. Aber vielleicht findet sich etwas Entsprechendes direkt bei Telefunken.

Hintergrundinformationen zum Volkstrautonium
Mit einer Neukonstruktion des Trautoniums sollte ein großes Geschäft gemacht werden. In einem Vortrag des VDI im Deutschen Technikmuseum Berlin ging Herr Mag. Donhauser vom Technischen Museum Wien auf die Hintergründe dazu ein. [2] Mit freundlicher Genehmigung durch den Autor wird hieraus der Abschnitt über das Trautonium wiedergegeben.

Das bekannteste unter den „Elektrischen Instrumenten“ der 1930er Jahre ist wohl das Trautonium. Sein „Schöpfer“ Friedrich Trautwein, der schon in den 1920er Jahren intensiv mit Rundfunktechnik beschäftigt war und damals zwei Patente zur elektronischen Klangerzeugung angemeldet hatte1, entwickelte an der „Rundfunkversuchsstelle“ der Berliner Hochschule für Musik das erste Modell des „Trautoniums“. Es war ein Instrument mit Glimmlampengenerator und einer Spielschiene, die dem Bandmanual von Helberger ähnelte. Hindemith, der ebenfalls an der Rundfunkversuchsstelle unterrichtete, förderte die Experimente und entließ seinen Schüler Oskar Sala aus dem Unterricht, um an der Entwicklung mitzuarbeiten. Im Juni 1930 wurden dann die ersten drei Trautonien mit Hindemiths Stücken „Des kleinen Elektromusikers Lieblinge“ öffentlich vorgeführt.

Die Entwicklung wurde (wie beim Neo-Bechstein) zuerst gemeinsam mit Siemens, anschließend mit Telefunken vorangetrieben. Trautwein schloss 1931 einen lukrativen Vertrag mit AEG und Siemens zur Verwertung seiner Ideen ab: eine überaus optimistische Einschätzung der Verkaufszahlen (7% des Verkaufspreises für „Heimapparate, die als Zusatzgeräte für Radioapparate ... ausgebildet sind“ sollte an Trautwein abgeführt werden) garantierte ihm ein Mindesthonorar von RM 10.000.- pro Jahr für die ersten beiden Vertragsjahre.2 Der Betrag lässt eine vorsichtige Abschätzung der geplanten Stückzahlen zu: geht man von einem Stückpreis von RM 400.- aus (entspricht etwa dem Verkaufspreis des Geräts von 1933), so ergibt das bei Zugrundelegung des Mindesthonorars einen Umfang von 360 Stück pro Jahr: 1931 war jedoch weder die Präsenz in der Öffentlichkeit noch die Reaktion der Fachpresse dazu angetan, solche Ansatzmöglichkeiten als wahrscheinlich anzusehen.

Um den Absatz zu fördern, entwickelte Telefunken ein neues Modell, das „Volkstrautonium“, das vor allem der Hausmusik dienen sollte und auf der Funkausstellung 1933 erstmals präsentiert wurde. Eine beim Musikverlag Schott erschienene Trautoniumschule und Trautoniumkurse sollten der weiten Verbreitung des Instruments dienen. Die Realität sah jedoch anders aus. Das Instrument ließ sich kaum verkaufen, die Schule entwickelte sich zum „Flop“. Sala führt dies auf den unerwarteten Rückzug Telefunkens aus dem Trautoniumgeschäft zurück: man hätte plötzlich andere Aufgaben gehabt.3 Die Ursache dafür scheint aber vor allem auf die geringen Verkaufszahlen zurückzuführen zu sein. Ein Teil des Produktionsumfangs soll verschenkt, der Rest verschrottet worden sein. Nachweisbar sind jedenfalls Verkaufszahlen aus der Abrechnung der Lizenzgebühren an Helberger und Lertes4 aus dem Telefunken Nachlass. Demzufolge wurden im Zeitraum vom 1. April 1936 bis zum 31. Dezember 1939 insgesamt 13 Stück verkauft5.

Der entscheidende Hinweis auf die Produktion und damit auch die Stückzahlen des Volkstrautoniums findet sich in einer Telefunken-internen Kostenaufstellung über die vertragliche Bindung mit Trautwein. Demzufolge wurden bis dato insgesamt RM 301.900.- für das Trautonium aufgewendet. Dabei entfielen RM 38.400.- auf Entwicklungskosten im Labor, RM 24.000.- auf Konstruktionskosten, RM 43.600.- auf die Fabrikation von 200 Trautonien, RM 30.500.- auf Werbung (!), RM 71.400.- auf Kosten des Vertriebs (!) und RM 16.000.- auf reine Patentverwaltungskosten. Der Rest entfiel auf Zahlungen an Trautwein aufgrund der vertraglichen Bindung.6 Berücksichtigt man den ausgewiesenen Verkaufspreis von RM 431,25 laut „Telefunken Preisblatt“, so ergäben sich Einnahmen von RM 86.250.- und damit ein Defizit von RM 215.650.- (wohl gemerkt: bei Verkauf aller Exemplare!). Dies ließe sich betriebwirtschaftlich nur dadurch rechtfertigen, dass wesentlich höhere Absatzzahlen nach der ersten Serie zu erwarten waren und dass aus Sicht der Elektronikbranche der „Elektromusik“ eine zukunftsträchtige Entwicklung prognostiziert wurde. Als Ergebnis dieses wohl schockierenden Kassasturzes übertrug Telefunken den Restbestand an Trautonien kostenlos an Trautwein „zur gewerblichen Verwertung“ mit der Auflage, den Namen „Telefunken“ in jeder Korrespondenz zu vermeiden.7

Die weitere Entwicklung des Trautoniums blieb bei Oskar Sala, der noch vor Kriegsbeginn zwei größere, zweimanualige Instrumente baute: das „Rundfunktrautonium“ wurde bis zum Kriegsbeginn in regelmäßigen Rundfunksendungen benützt (1936 wurde darauf Genzmers erstes Trautoniumkonzert in Weimar uraufgeführt). Eine mehr als 50 Aufführungen umfassende Konzertserie beschäftigte Sala mit seinem extra dafür gebauten „Konzerttrautonium“ bis knapp vor Kriegsende. Bis zu Salas Tod im Jahr 2002 blieb das Trautonium seine Domäne, das Instrument selbst allerdings ein Einzelstück.

1 Patent DE 462.980, 1922, Anmeldedatum nach P. Lertes, Elektrische Musik, Dresden 1933, S. 197 und Patent DE 469.775, 1924.

2 Vertrag vom 30. Mai 1931 im Archiv des DTMB, Signatur I.2.60 C 3505.

3 P. Frieß, Oskar Sala im Gespräch. In: Forschung und Technik in Deutschland nach 1945, München 1995, S. 226.

4 Abzugelten waren die Patente DE 549.481, DE 559.506, DE 613.879 und DE 626.504, im Wesentlichen die Spieleinrichtung des Trautoniums.

5 Archiv des DTMB, Signatur I.2.60 C 2934 und 2935, fol. 37, 38, 40 und 44.

6 Aufstellung der Kosten vom 9.12.1937, Archiv des DTMB, Signatur I.2.60 C 1783, fol. 93.

7 Vertrag vom 4.2.1938, Archiv des DTMB, Signatur I.2.60 C 3505.

Das Preisblatt zum Volkstrautonium
Das oben zitierte Preisblatt zum Volkstrautonium wird hier abschließend wiedergegeben.


Literatur:
[1] Donhauser, P.: Elektrische Klangmaschinen, Die Pionierzeit in Deutschland und Österreich, Böhlau, 2007
[2] Donhauser, P.: "Technische Spielerei oder phantastische Realität? Telefunken und die ersten elektronischen Instrumente in Deutschland", Vortrag im DTM Berlin, 03.11.2006

Danksagung
Mein besonderer Dank gilt Herrn Mag. Peter Donhauser vom Technischen Museum Wien dafür, daß er sowohl den Text des Vortrages im DTM Beriln, als auch die das Trautonium betreffenden Bilder aus "Elektrische Klangmaschinen" elektronisch zur Verfügung stellte.
Ein herzliches Dankeschön gilt auch dem Staatlichen Institut für Musikforschung Berlin und seinen Mitarbeitern für die Bereitstellung der Fotos (jpg) vom Volkstrautonium und dem Tyratron RK1.
Für die Zustimmung zur Verwendung von Skizzen aus früheren Publikationen bedanke ich mich bei den Verlagen RFE Elektronik und Umschau Zeitschriftenverlag.

MfG DR

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Vom Volkstrautonium zum Mixturtrautonium 
21.Apr.08 11:19

Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
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Dietmar Rudolph † 6.1.22

Mit Oskar Sala (1910 - 2002; Schüler von Hindemith) fand Trautwein einen kongenialen Mitarbeiter, der nicht nur das Trautonium spielen konnte, sondern der auch mit einem Lötkolben umgehen konnte und das Trautonium zum zweimanualigen Mixturtrautonium weiterentwickelte.

Bei den Mixturen wird zuerst eine Sägezahnschwingung kleiner Periode (hoher Frequenz) erzeugt. Damit werden weitere Sägezahngeneratoren (damals in Thyratron-Technik) synchronisiert, deren Periode ein Vielfaches beträgt. Die zugehörigen Frequenzen sind daher Teile (1/2, 1/3, 1/4 usw.) der hohen Frequenz (Subharmonische). Werden z.B. nur die Subharmonischen 1/4 und 1/5 verwendet, ergibt sich ein Klang 4:5 (Terz).  Während die Obertöne (Vielfache des Grunddtons) Dur-Akkorde ergeben, liefern die Untertöne (Subharmonischen) Moll-Akkorde.

Das Mixturtrautonium ist ein sehr virtuoses Instrument (und damit schwer spielbar: Üben, üben, üben!) und hat eine ungeheuere Vielfalt der damit erzeugbaren Klänge und Geräusche. Ein markantes Beispiel hierzu ist der Soundtrack zu Hitchcocks "Die Vögel", bei dem alle mit den Vögeln zusammenhängenden Töne von Oskar Sala auf dem Mixturtrautonium erzeugt wurden.

Das (letzte) röhrenbestückte (EC50 & AC101) Mixturtrautonium ist mittlerweile im Deutschen Museum in Bonn ausgestellt.


Im oberen Bild spielt Oskar Sala an seinem röhrenbestückten Mixturtrautonium. Im unteren Bild sind auch einige Kollegen der damaligen Fachhochschule der DBP Berlin zu sehen. Wir machten damals Messungen an diesem Instrument, weil wir u.a. in Diplomarbeiten und sehr viel eigener Arbeit ein ein halbleiterbestücktes "Mixturtrautonium nach Oskar Sala" entwickeln wollten. Dieses wurde dann für ihn "My feascinating Instrument".

Unser Nachbau des Mixturtrautoniums führte auch zu mehreren weiteren Trautonium-Projekten (Spix, Sundmanns, Döpfer, Hiller,).
Oskar Sala ist an vielen Stellen im Internet zu finden (z.B. hier), meist zusammen mit dem von der FH DBP gebauten Instrument.

Das "Mixturtrautonium nach Oskar Sala", entwickelt und gebaut an der FH DBP Berlin. Es befindet sich jetzt im Musikinstrumenten Museum Berlin und kann da auch von Musikern gespiel werden.

MfG DR

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Hitchkocks "Die Vögel" am 05.10.2010, 20:10 im DLF 
05.Oct.10 10:35
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Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
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Dietmar Rudolph † 6.1.22

Einen Eindruck von den Möglichkeiten und der Virtuosität des Mixturtrautoniums erhält man aus dem Soundtrack von Hitchkocks Film-Klassiker "Die Vögel". 

Es wird wohl kaum jemand geben, der diesen Film noch nicht gesehen hat. Neuerdings gibt es jedoch auch ein Hörspiel davon, welches DRadio in seinem Programm DLF heute, am 05.10.2010, um 20:10 sendet.

Der Text zur Ankündigung des Hörspiels lautet:

Hörspiel 05.10.2010 · 20:10 Uhr
Die Vögel
Nach Oskar Sala

Von Andreas Ammer und Console

"Obwohl das Sujet des Hörstücks von einem Film herrührt, ist es ein zutiefst akustisches. Die Autoren legen offen, was man beim Betrachten von Alfred Hitchcocks Film meist nur unterschwellig registriert:

Dass die Geschichte maßgeblich über den Ton erzählt wird, nicht über die Bilder. Im gleichen Maß, wie sie den Film adaptieren, ist ihr Stück auch ein künstlerisches Feature über Oskar Sala und dessen Mixturtrautonium, mit dem der Elektronikpionier den Sound zu 'Die Vögel' erschaffen hat. Und: eine eigenständige Klangkomposition. Denn die Autoren bearbeiten die im Deutschen Museum in München archivierten Klänge Salas zu einer neuen Tonspur für ihre Fassung, in die überdies Interviews mit Hitchcock und die Autobiographie der Schauspielerin Tippi Hedren auf originelle Weise eingebaut sind." (Begründung der Jury)

Realisation: die Autoren

Produktion: WDR/Deutsches Museum, München 2010

Mit: Axel Milberg und Judith Huber

Länge: ca. 49'

Interessant an diesem Hörspiel ist, daß auch Oskar Sala (18.07.1910 - 26.02.2002) zu Wort kommt und zur Technik des Mixtur-Trautoniums berichtet. Der Sound zu den "Vögeln" entstand auf einem früheren Trautonium in Röhrentechnik, das nun im Deutschen Museum Außenstelle Bonn steht und nicht auf dem letzten von ihm gespielten Instrument in Halbleitertechnik.

MfG DR

 

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Hitchcock und Sala 
05.Oct.10 12:58
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Hier noch zwei zeitgenössische Bilder vom Besuch Hitchcocks bei Oskar Sala. Scan in grau mit Überabtastung und anschließender Herunterskalierung um die Rasterpunkte der Druckvorlage etwas zu verwischen.

Joe Sousa hat freundlicherweise die beiden Bilder mit Adobe Photoshop nachbearbeitet. Da die Ergebnisse beachtlich sind und sicherlich von allgemeinem Interesse, wird hier die Anleitung dazu benannt.

I used photoshop to apply a sigma=0.3pixel Gaussian filter. I repeated the filter a few times, perhaps 5 times. This is the equivalent of sharp high order low pass filter.

Diese nachträgliche Filterung beseitigt die Rasterpunkte weitaus besser.

Der Vergleich der ungefilterten Bildern mit den gefilterten fällt eindeutig zu Gunsten der letzteren aus.

MfG DR

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Trautonium ist kein Synthesizer 
06.Oct.10 16:22
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Trautonium und Synthesizer sind elektronische Musikinstrumente. Oberflächlich betrachtet, unterscheiden sie sich im Klang nicht allzu wesentlich, wenngleich das Trautonium einige Klänge und Geräusche erzeugen kann, die in einem Synthesizer nicht so ohne weiteres möglich sind – wenn überhaupt. Ein ungeübtes Ohr hätte deshalb mitunter schon Schwierigkeiten, einen elektronisch erzeugten Klang richtig zuzuordnen.

Es gibt jedoch einen ganz wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Typen von Musikinstrumenten.

Der Synthesizer, wie auch der Name schon aussagt, synthetisiert Klänge. Vorgegeben sind also zunächst die Frequenzen der Schwingungen oder Töne, neben deren Dauer, Periode, Lautstärke usw. Die Tonhöhen sind dabei in temperierter Stimmung gegeben. Eine solche Vorgabe „im Frequenzbereich“ ist zur Realisierung einer Komposition z.B. im Computer relativ bequem, da eben nicht „in Echtzeit“ gearbeitet werden muß. Man hat daher im Prinzip beliebig viele Versuchsmöglichkeiten, bis man einen gewünschten Klang gefunden hat. Werden Sequenzen durch Wiederholung aneinandergereiht, geschieht das mit quarzgenauer Präzision. Das Ohr empfindet solche „präzise“ Wiederholungen allerdings als langweilig.

Das Trautonium erzeugt die Klänge unmittelbar und in Echtzeit („im Zeitbereich“). Hier ist die Virtuosität des Spielers entscheidend. Dadurch kommen leichte zeitliche Ungenauigkeiten zustande, die ein Musikstück „lebendig“ machen. Da das Trautonium zur Schwingungserzeugung eine Widerstands-Saite benutzt, sind sowohl beliebige Tonhöhen als auch Glissandi möglich, wie man dieses auch von einem Streichinstrument kennt. Das Mixtur-Trautonium (nach Oskar Sala) teilt die (pro Saite) erzeugte Schwingung in je 4 Kanäle auf. Jeder dieser Kanäle hat einen Frequenzteiler, der von 2 bis 24 eingestellt werden kann. Die herunter geteilten Frequenzen werden „Subharmonische“ genannt. Werden z.B. 2 dieser Kanäle mit Teilerverhältnissen 5 bzw. 4 addiert, erhält man eine Terz – und das auch bei einem Glissando. Aufgrund der Subharmonischen ergeben sich Moll-Akkorde.

Sala:„Mit den Subharmonischen meine ich die Töne der Untertonreihe. Bei der Orgel wird für bestimmte Klangfarben eine Mixtur aus Pfeifen der Obertonreihe zugemischt. Beim danach von mir so genannten Mixturtrautonium werden Kombinationen aus Tönen der Untertonreihe erzeugt. Zugemischt kann man hier allerdings nicht sagen, denn es entstehen dadurch keine neuen Klangfarben, sondern etwas viel Interessanteres: subharmonische Akkorde in reinen harmonischen Intervallen. Die Untertonreihe ist ja nichts anderes als ein Spiegelbild der Obertonreihe. Sie beginnt in den höchsten Lagen des Instruments und steigt dann exakt in den Intervallen der Obertonreihe abwärts, zum Beispiel so „c4 c3 f2 c2 as1 f1 d1 c1“... 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. … Subharmonische.
Es entsteht in dieser Reihe nicht wie in der Obertonreihe der Dur-Akkord „c e g“ = 4. + 5. + 6. Oberton, sondern der Moll-Akkord „c as f“= 4. + 5. + 6. Unterton. Diese zur Obertonreihe spiegelbildliche Untertonreihe hat die Musiktheorie schon lange interessiert. Man könnte daran so schön Dur und Moll erklären, ja, wenn diese Reihe existieren würde, als Naturphänomen eben. Nun ist sie wenigstens ein elektronisches Naturphänomen, entdeckt als solches von Friedrich Trautwein, 1934, und als Grundlage eines elektronischen Musikinstruments mit einer neuen Schaltung von mir.


Oskar Sala hat stets sehr großen Wert darauf gelegt, daß „sein“ Trautonium nicht mit einem Synthesizer verwechselt wird. Da wurde er sehr quirlig und hat Klänge vorgeführt, die sich mit dem Trautonium, aber nicht mit einem Synthesizer realisieren lassen.

Sala hätte es mit Sicherheit mißfallen, wenn, wie in diesem Hörspiel, die virtuosen Klänge und Geräusche des Trautoniums in einem breiten Synthesizer Klangteppich untergehen und nur ganz vereinzelt noch etwas vom charakteristischen Klang des Trautoniums übrig bleibt. Aber er ist ja schon seit 2002 tot und kann sich nicht mehr gegen eine solche Verballhornung wehren.

Ein diesbezüglicher Vergleich, wie es jeder Radiosammler versteht, wäre z.B., ein 30er Jahre Röhrenradio mit Hilfe eines Mikroprozessors zu „verbessern“.
 

MfG DR

 

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Zur Geschichte des Trautoniums 
01.Jul.11 17:14
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Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
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Dietmar Rudolph † 6.1.22

Zur Geschichte des Trautoniums gibt es einen Artikel aus dem Synthesizer-Magazin Mai/Juni 2011, Nr. 26, Seite 30 - 37.

Das Bild auf S. 31, das eine verkehrte Unterschrift hat, stellt das "Volkstrautonium" von der Rückseite her dar. Hier ist  eine Anoden-Batterie eingesetzt - im Unterschied zum Bild in Post #1, wo die Batterie nur angedeutet ist. Auch ist bei dem Thyratron (rechts) entweder die Metallisierung abgegangen oder es steckt ein anderes Thyratron drin.

MfG DR

Edit:

Das Bild des Volkstrautoniums (Bild S. 31) ist auf der Internetseite von midisoft zu sehen. Dort wird auch beschrieben, daß das Thyratron eine AC50 (mit Adapter-Zwischensockel) ist und keine RK1.

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