Transfilter - Die vergessenen Bauelemente

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Transfilter - Die vergessenen Bauelemente 
04.Dec.21 14:58
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Harald Giese (D)
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Harald Giese

Transfilter - Die vergessenen Bauelemente

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1     Transfilter bei Radio Arlt im Jahr 1960

Mit 17 Jahren wohnte ich in Berlin - Wilmersdorf am Hohenzollerplatz, einen Spaziergang von der Berliner Stadtverkauf - Niederlassung der Arlt Radio Elektronik in der Kaiser-Fiedrich-Str. 18 in Charlottenburg (Westsektor) entfernt. Trotz des niedrigen Taschengelds  war ich oft in diesem Geschäft - manchmal um ein paar Bauteile zu kaufen, meistens nur um zu träumen.

Im Sommer 1960 konnte man dort für 40 Pf. eine kleine Broschüre erstehen: Die Transistoren-Liste TG5, in der man sich in Sachen Transistoren auf den neuesten Stand bringen konnte. So sah die Frontseite der Broschüre aus:

Was mich an dieser Broschüre am meisten faszinierte, war ein Hinweis auf einen neuen Typus von Bauelementen, Die Transfilter:

Es handelte sich hierbei um keramische Bauelemente in heute recht massiv anmutenden Plastikgehäusen, die in zwei Ausführungen angeboten wurden:

  • Den Zweipol - Typ TF-01A mit der Charakteristik eine Serien-Schwingkreises und den Abmessungen BxHxT = 7,5 x 10 x 4 mm
  • Den Vierpol -  Typ TO-01A (Bild aus RM-Modellseite TF2) mit der Charakteristik eines Bandfilters und den Abmessungen BxHxT = 17 x 19 x 6 mm.

Wie in der Anzeige beschrieben, waren die beiden hier angebotenen "Transfilter" für Transistor - Superhets mit einer Zwischenfrequenz von 455 KHz vorgesehen, der damals allgemein üblichen ZF dieser Gerätefamilie. Der Typ TF - 01A wurde als Ersatz für den Emitterkondensator des ZF - Verstärkertransistors empfohlen, um die Selektivität zu verbessern, der Typ TO-01A als Bandfilterersatz.

 

Neben der Mittenfrequenz von 455 KHz wurden in den datauffolgenden Jahren auch "Transfilter" mit anderen Mittenfrequenzen angeboten:  460, 465, 470 KHz und 10,7 MHz.


Ein Satz dieser Wunderwerke der modernen Elektronik kostete 8,60 DM! (das damalige mittlere Monatseinkommen lag laut Statistischem Bundesamt bei 500 DM - Mein Taschengeld bei monatlich 2,50 DM.) Trotzdem zögerte ich nicht, mein angespartes Taschengeld zu inverstieren. Es gab nämlich in derselben Broschüre auch einen Schaltungsvorschlag für einen Transistorempfänger für dessen Aufbau man diese 2 Transfilter benötigte und mit dem ich meinen Klassenkameraden imponieren wollte. Hier die Schaltung:

Für den Abgleich des Transfilter Superhet - Empfängers wurde zum Preis von 19,80 DM ein mit einem Transfilter TO-01A ausgerüsteter 455 KHz Prüfoszillator angeboten:

Die kompletten Bausätze für 85,00 + 19,80 DM konnte ich mir natürlich nicht leisten - eigentlich nicht einmal die Transistoren, obwohl es sich bei den Typen HF44, HF45,NF21 und NF32 um GFT... Transistoren zweiter Wahl handelte:

Hier die Preisliste einiger Transistoren aus der gleichen Broschüre:

Wer denkt, das sei in Relation zum damaligen mittleren Einkommen kostspielig, sei auf die Arlt - Preisliste der "Marken - Transistoren" von 1960 hingewiesen. Ein OC171 kostete dort immerhin noch 22,50 DM!

So musste ich notgedrungen Weihnachten 1960 abwarten, um mir die Transistoren schenken zu lassen.

Letzten Endes endete das Ganze leider in einem Fiasko. Da ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie etwas komplizierteres als einen Detektor mit zweistufigem Transistorverstärker aufgebaut hatte, und eigentlich auch garnicht wusste, wie ein Superhet funktionierte, bekam ich das Gerät nie so richtig zum Laufen - zum äußersten Ergötzen meiner Klassenkameraden.

Das war mein erstes und gleichzeitig letztes Bastelabenteuer mit "Transfiltern".

Kürzlich fiel mir die besagte ARLT Transistoren - Liste TG5 von 1960 wieder in die Hände und ich fragte mich, wie sich die Geschichte mit den "Transfiltern" wohl weiter entwickelt hatte, bzw. wieviele Geräte damit bestückt waren. Irgendwie hörte man in späteren Jahren überhaupt nichts mehr von dieser 1960 angepriesenen "technischen Neuheit". Bei diesen Nachforschungen stiess ich auf einige interessante Informationen, über die ich hier berichten möchte


 

2     Kurzer historischer Abriss der Transfilter - Entwicklung

Die Entwicklung der "Transfilter" erfolgte ursprünglich in den 1919 von Charles Francis Brush gegründeten Brush - Laboratories in Cleveland / Ohio, wo man sich Untersuchungen an piezoelektrischen Keramiken auf der Basis von u.a. Seignette-Salz (Rochelle - Salz) und Barium-Titanat/- Zirkonat widmete. Diese Arbeiten waren so erfolgreich, dass man bald ein Unternehmen zur Vermarktung der dort entwickelten Produkte gündete, die Brush Development Co. Im Jahr 1943 bestand das sehr profitable Hauptgeschäft dieser Gesellschaft in der Herstellung von piezoelektrischen  Plattenspieler - Tonabnehmersystemen, die man heute landläufig als Kristall -Tonabnehmer bezeichnet.

Ermutigt durch den reichen Erfahrungsschatz bei der Herstellung piezoelektrischer Materialien wagte man sich sich Ende der 1950er Jahre an die Fertigung keramische Resonatoren, die man sich unter dem Markennamen (Registered Trademark) "Transfilter ® " schützen liess. Diese waren zwar von der Güte her schlechter als Quarzfilter - aber deutlich preisgünstiger. Sie bestanden aus einer Scheibe aus  Blei - Zirkonium -Titanat (PZT), die zur Kontaktierung mit Silberbelägen versehen wurde. In den ersten Transfiltern wurden diese Scheiben zwischen Kontaktfedern eingeklemmt, was übrigens infolge Kontaktkorrosion über längere Zeuträume zu Funktionsausfällen führte. 

Erfolg weckt bekanntlich Begehrlichkeiten und so wurde die Brush Development Co.1952 von der ebenfalls in Cleveland ansässigen Clevite Corporation (Cleveland Graphite Bronze Co,) übernommen; 1955 wurde auch das damals in Düsseldorf beheimatete deutsche Unternehmen Intermetall in die Brush-Clevite Familie integriert. Intermetall übernahm dann auch den Vertrieb von Brush-Clevite Produkten wie den Transfiltern in Deutschland.

Bereits in den 1960er Jahren gab es eine enge Zusammenarbeit zwischen Clevite und dem japanischen Unternehmen Murata Manufacturing Co. in Kyoto. Während Clevite in den Folgejahren das Schwergewicht seiner Arbeiten auf den militärischen Sektor verlagerte, konzentrierte sich MURATA auf das "Massengeschäft", also auf den allgemeinen Radio- und TV-Markt mit absehbar großen Produktionsstückzahlen. Clevite Filter verschwanden aus der Öffentlichkeit, während Murata Filter sukzessive den gesamten Elektronikmarkt eroberten.

Außer den ursprünglich verwendten Materialien arbeitete man nun auch mit alternativen Basissubstanzen wie z.B. Barium-Titanat, erweiterte das Produktspektrum in Richtung höherer Frequenzen uvam. Anstatt der anfänglichen Kontaktierung der Keramikscheibe mit Andruckfedern ging man bald auf stabilere Konstruktionen über. Die Anschlussdrähte wurden direkt auf die metallisierten Partien der Keramikkörper gelötet und das Ganze in Epoxidharz vergossen. Hier einige Beispiele moderner keramischer Filter, wie sie in zahlreichen elektronischen Geräten angetroffen werden.

 

 

Von links nach rechts:

  • CFK - 455 ⇒ schmalbandiges Leiter - Filter mit hoher Flankensteilheit und guter Fernabselektion, vorzugsweise für SSB - Empfänger (Hersteller MURATA).
  • 3 SFE - 10.7MA ⇒ ZF - Standardfilter für 10,7 MHz mit unterschiedlichen Farbpunkten, die sich auf die Mittenfrequenzen beziehen: schwarz/black = 10.64 MHz, blau/blue = 10.67 MHz, rot/red = 10.70 MHz, orange = 10.73 MHz, weiss/white = 10.76 MHz (Hersteller MURATA)
  • SFC - 5.5MA ⇒ ZF - Filter für Standard PAL TV Ton -  ZF 5,5 MHz (Hersteller ?)
  • SFE - 4.5MA ⇒ ZF - Filter für Standard NTSC TV Ton - ZF 4,5MHz (Hersteller?)

Ausgehend von den frühen Transfiltern der 1960er Jahre haben die keramischen Filter insbesondere durch die Initiative von Murata eine rasante Entwicklung durchlaufen, die in dem folgenden Artikel von einem ehemaligen MURATA Mitarbeiter detailliert beschrieben wird:

Dr. Satoru Fujishima, "The History of Ceramic Filters", IEEE Transactions on Ultrasonics, Ferroelectrics, and Frequency Control", Vol. 47, No. 1, January 2000.

Ebenfalls lesenswert ist der Artikel von;

Ian Pogson, "Ceramic Filters as IF filters and Oscillators", Electronics Australia, Sep. 1969, p.59

Den neusten Stand der Technik bei SMD - Filtern findet man als pdf. in:

Murata "Ceramic Filters Application Manual," Oktober 2019, P11E.

 

3     Transfilter Erwähnung im RM

Natürlich habe ich bei meinen Nachforschungen zunächst die Suchfunktion im RM Suchfenster verwendet. Unter dem Begriff "Transfilter" erhält man 2 Hits:

(i) Das keramische Filter BFB-455A, das in seiner Funktion dem Transfilter TF-01A entspricht, aber sicher später hergestellt wurde. Als Hersteller werden z.B. MURATA und Stettner angegeben.

(ii) Ein Transistorradio der Fa. ARLT von 1963 mit der Modellbezeichnung TF2.

 

Auf der RM - Modellseite des TF2 findet man auch die originale Bauanleitung, sowie dessen Schaltung, die dem Buch: H. Sutaner "Reiseempfänger mit Transistoren", RPB Band 47/47a. 1963, pp. 100 - 102 entnommen wurde..

Die entsprechenden Seiten aus diesem Buch füge ich hier ein:

 

 

Auffällig ist an dieser Schaltung die Tatsache, daß im Gegensatz zur ursprünglichen Schaltung von 1960  bereits nur noch 1 Transfilter, nämlich dasjenige mit der Bandfilter - Charakteristik verwendet wurde. Die 1. ZF  Stufe wurde vollständig unterdrückt. Offenbar brachte das zunächst anstelle des Emitterkondensators  eingesetzte Transfilter TF-01A doch nicht so viel Selktivitätsgewinn, dass sich der Einsatz angesichts des großen Preisunterschieds gegenüber einem einfachen Kondensator gelohnt hätte.

 

Hier noch einmal die beiden Schaltungversionen in direkter Gegenüberstellung. Der beim TF2 gegenüer der ursprünglichen Schaltung von 1960  weggelassene Schaltungsteil wurde rot umrahmt. Abgesehen von dieser Vereinfachung stimmen die Schaltungen weitgehend überein.  

 


 

4     Selbstbau Projekt in "Practical Wireless Juli 1967"

Auf der Suche nach Anwendungen der Transfilter in den 1960er Jahren bin ich über ein britisches Radioforum (www vintage-radio.net) auf einen sehr informativen Artikel im "Practical Wireless, July 1967" gestossen: "Transfilter Portable" den ich hier anfüge. Hier wurden noch Transfilter in der ursprünglichen Bauform verwendet, wie sie in der ARLT - Broschüre von 1960 gezeigt wurden. Die Typbezeichnungen hatten sich inzwischen geringfügig geändert - offenbar Weiterentwicklungen. Leider sind die Scans etwas blass, in der Vergrößerung aber gut zu erkennen. 

 

 

 

 

Hier noch einmal die extrahierte Schaltung dieses Selbstbau - Superhets mit 2 Brush - Clevite Transfiltern TO-02D und einem TF-01D.

Einen deutlichen Unterschied zu den oben erwähnten früheren Schaltungen sieht man im NF-Verstärker, der in der Treiberstufe einen AC127 in Kollektorschaltung und eine Kombination aus OC81 und AC127 in der eisenlosen Komplementär - Endstufe verwendet. Die trotz der Kollektorschaltung der beiden Ausgangstransistoren relativ hohe Ausgangsimpedanz der Endstufe erforderte den Einsatz eines 35Ω Lautsprechers.


 

Neben den erwähnten Transistor - Taschenradios gab es in den 1960er Jahren aber interessenterweise noch ein andere Einsatzgebiet der Transfilter:


 

5     Transfilter bei HEATHKIT

Die Firma HEATHKIT hat in den 1960er Jahren in einigen seiner Empfänger Transfilter eingesetzt. So z.B. in seinen Allwellenempfängern (550 KHz - 32MHz) MOHICAN GC-1U (UK - Version 1961) und MOHICAN GC-1A (USA - Version, 1962 - 1968). Hier die Schaltung des Mohican GC-1U mit in rot markierten Transfiltern. 

 

Die Transfilter tragen hier zwar Heatkit - interne Bezeichnungen, jedoch kann man in dem erwähnten britisches Radioforum (www vintage-radio.net) nachlesen, dass es sich um die oben genannten Brush / Clevite Typen handelt.


 

6     Schlussbemerkungen

Der Leser dieses Beitrags wird bei sich denken, dass die Ausbeute meiner Recherche nicht überwältigend war. Generell scheint es aber so zu sein, dass sich die 1960 im Arlt - Katalog vorgestellten Transfilter TF-01A und TO-01A nicht so recht auf dem Markt durchsetzen konnten. Ob das nun eine Folge ihres relativ hohen Preises, ihrer berüchtigten Nebenresonanzen oder des genannten mangelhaften Langszeitverhaltens aufgrund interner Kontaktschwierigkeiten war, sei dahingestellt.

Gleichzeitig muss man bedenken, dass, wie bereits oben erwähnt, schon in den 1960er Jahren eine enge Kooperation zwischen Clevite / Brush und Murata existierte. Der größte Teil der Entwicklung für den zivilen Sektor ging auf Murata über, die sich alsbald bemühten, aus den ursprünglichen "Transfiltern" ein zuverlässiges und preisgünstiges Massenprodukt für ein weites Spektrum elektronischer Geräte zu entwickeln - was ihnen ohne Zweifel gelungen ist.

Sicher könnte man die Aufzählung der Anwendungen und Typen von keramischen Filtern noch lange fortsetzen. So wurden frühe Transfilter in den 1960er Jahren auch in einigen SONY Taschenradios, und Anfang der 1970er Jahre in Autoradios von DELCO, PHILCO - FORD und BLAUPUNKT eingesetzt.

Mein Ziel war aber weniger, eine erschöpfende Abhandlung zum Thema "Keramische Filter" zu präsentieren, sondern etwas Detektivarbeit zu den Ursprüngen dieser heute als so selbstverständlich hingenommenen, omnipräsenten Komponenten zu leisten.


Hans M. Knoll, ehemaliger GRUNDIG Entwickler, übersandte mir folgende Zusatzinformationen:

"Auch GRUNDIG hatte damals einen möglichen Einsatz von CLEVITE Filtern zwar geprüft aber letztendlich verworfen. Die Nebenresonanzen bei nicht ohmischer Speisung und Belastung hatten unseren Vorstellungen nicht entsprochen. Nebenwege der Oszillatorfrequenz wie auch Phantom - Empfangsstellen konnten wir bei einem GRUNDIG Produkt nicht verantworten, speziell bei EXPORTMODELLEN =  2MHz bis 26,5Mhz. Zum Einsatz kam vor MURATA  ein Filter der STEMAG (STEATIT - MAGNESIA - AG  ⇒ heute CeramTec) ca. 1963. Aber nicht bei Heimradios."


Harald Giese

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