blaupunkt: BLAUPUNKT 7W77 - ein früher HiFi Empfänger

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ID: 521563
blaupunkt: BLAUPUNKT 7W77 - ein früher HiFi Empfänger 
16.Mar.19 12:03
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Harald Giese (D)
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Harald Giese

1   Einleitung

Alle Bilder können durch Anklicken vergrößert werden!

Ich berichte hier über den Empfänger BLAUPUNKT 7W77, der insofern eine Besonderheit darstellt, als er eines der wenigen Radiomodelle repräsentiert, die sowohl als Superhet, als auch als 2-Kreis Geradeaus-Empfänger betrieben werden konnten.

 

Der BLAUPUNKT 7W77 ist ein 7-Kreis Superhet der Saison 1937 /38 mit den Wellenbereichen LW, MW und KW und der Röhrenbestückung AF3, ACH1, AF3, AB2, AM2, AC2, AD1, AD1, RGN2004.

Neben der Möglichkeit der Betriebsartenumschaltung verfügte dieser stattliche Empfänger mit einem Gewicht von ca. 32 kg und den Maßen 60 x 38 x 32 cm über eine kontinuierliche Bandbreitenregelung, Tonblende, Sprache- /Musik-Schalter, Stummschaltung und 2 Lautsprecher: einen elektrodynamischen Breitbandlautsprecher Ø=24 cm und einen permanent-dynamischen Hochton-Lautsprecher Ø=16cm. 

Solche schweren Geräte standen in den dreißiger Jahren häufig auf speziellen, aus Stabilitätsgründen relativ niedrigen Radiotischen (siehe auch Bild unten vom Telefunken T1000 ARCOFAR bei der Gartenparty!). Um nun zu vermeiden, dass man sich bei der Bedienung des Gerätes hinhocken musste, konnte man die großformatige Skala wahlweise von der nahezu vertikalen Position in die Horizontale klappen. Die Senderabstimmung konnte also bequem im Stehen erfolgen.

Nun sah man sich allerdings mit dem Dilemma konfrontiert, dass man im Stehen das in einen relativ tiefen Schacht in der Gerätefront versenkte Magische Auge nicht mehr beobachten konnte. Dieses Problem wurde dadurch gelöst, dass man vor dem Magischen Auge einen kleinen runden Spiegel anbrachte, der mit Hilfe des großen Stellrades oberhalb des BLAUPUNKT-Symbols um seine horizontale Achse gekippt werden konnte. Entweder war diese Spiegeloptik so filigran konstruiert, dass sie bei versehentlichem Dagegenstossen abbrach, oder die Halterung war aus Zink-Spritzguss gefertigt, liess sich nach einiger Zeit wegen des üblichen Materialquellens nicht mehr bewegen und wurde absichtlich entfernt. Zur Zeit der Redaktion dieses Berichts ist mir kein Gerät mit intaktem Umlenkspiegel bekannt. Es wurde aber der Versuch unternommen, diese Spiegeloptik zu rekonstruieren. 

Abgesehen von der fehlenden Spiegeloptik fehlte bei meinem Gerät auch der Winkeltrieb des Wellenschalters und der Schalter  sowie die gesamte Verdrahtung für die Umstellung von Superhet- auf Geradeaus-Empfang. Über die Funktionsweise des Gerätes und die Restauration wird detailliert berichtet.

 

2   HiFi in den dreißiger Jahren

Manche Leser werden sich über die Erwähnung des Terminus "HiFi" im Titel dieses Berichts gewundert haben. Dazu ist zu sagen, dass die Betreiber der Rundfunksender schon relativ früh nach der Einführung des öffentlichen Rundfunks intensive Behühungen unternahmen, insbesondere Musikübertragungen mit großer Bandbreite und hoher Klanggüte auszustrahlen. Während die Mehrzahl der Radiohörer noch zufrieden war, wenn sie überhaupt etwas hören konnten, erkannte die Radioindustrie schon bald, dass sich hier ein neuer Markt für Rundfunkempfänger auftat, die einen Radiosender nicht nur empfingen, sondern dem geschulten Ohr einen bis dahin unbekannten Klanggenuss bescherten. So erklärt es sich, dass schon in den dreißiger Jahren Empfänger mit ganz hervorragenden Klangwiedergabe auf dem Markt erschienen - eben Vorläufer der späteren HiFi Geräte (siehe auch D. Rudolph: "HiFi AM Empfänger").

Ein herausragendes Beispiel solcher Geräte ist das erste Kompaktgerät auf dem deutschen Markt mit Radio (LW und MW) und elektrisch angetriebenem Grammophon. Es handelt sich um den TELEFUNKEN T1000 Arcofar.

 

Ein Geradeausempfänger aus dem Produktionszeitraum 1930 - 32 mit der Röhrenbestückung REN904 REN904 RE604, RGN2004. Im Interesse optimaler Klangtreue wurde hier auf große Empfangsempfindlichkeit verzichtet und ein einfaches Audion ohne Vorverstärkung verwendet. Um die Spulengüte möglichst niedrig und damit die Bandbreite möglichst groß zu halten, wurden Cu-Volldrahtspulen an Stelle von HF-Litzespulen verwendet.  Die Verwendung einer RE604 im Leistungsverstärker in Kombination mit einem leistungsstarken Breitbandlautsprecher vom Typ L.600 garantierten hervorragenden Klang. Verständlicherweise waren diese Geräte im gehobenen Preissegment angesiedelt (ca. 490 RM - das entsprach 1930 etwa einem Viertel des durchschnittlichen Jahreseinkommens!)

Mit dem Aufkommen der Superhetempfänger in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre erreichte man zwar ohne die Komplexität der Mehrkreis-Geradeausempfänger eine deutliche Erhöhung der Empfangsempfindlichkeit, handelte sich aber, wegen der aufgrund steigender Senderdichte (9kHz Raster) notwendigerweise schmalen Durchlasskurve der Zwischenfrequenz-Filter, eine Reduktion der NF-Bandbreite ein.

Wollte man in den Genuss optimaler Klangwiedergabe kommen, musste man auf einen Empfänger mit Audion oder Nestel Audion oder Diodengleichrichtung zurückgreifen.

 

So mutet es schon fast wie ein Anachronismus an, wenn gegen Mitte der dreißiger Jahre noch Audionempfänger mit leistungsstarker Endstufe auftauchen. Hier ein Ausschnitt aus der AEG - Werbung für Geräte der Saison 1933 / 34. Neben den neuen Superhets Super-Geatron 303 und Super-Geador 605 erscheint auch noch der 3-Kreis Audion - Empfänger Ultra-Geadem 304.

 

Ein typisches Beispiel für einen frühen HiFi Empfänger mit Nestel Audion ist der LORENZ 100W der Saison 1937/38 (also der Zeit als auch der 7W77 erschien), der im Bericht "HiFi AM Empfänger" näher beschrieben wird.

Eine besondere Stellung in dieser Empfängergeneration nehmen die SIEMENS Kammermusik-Geräte KMG-I von 1936/37, KMG-II von 1937/38 und KMG-III von 1938/39 ein, die alle mit Diodengleichrichtung und sehr starken Endstufen arbeiten. Auch diese Geräte werden hier detailliert vorgestellt. 

Aber wer hatte schon genug Geld, um sich zwei Radios anzuschaffen, eines für empfindlichen Fernempfang und ein zweites für hohe Klanggüte?

Das brachte die Firma BLAUPUNKT auf die Idee, ab 1936 eine Serie von Luxusgeräten auf den Markt zu bringen, die den solventen Käufer nicht nur durch spektakuläres Design (Edelholz-Gehäuse und ab dem 7W77 mit großflächiger Schwenkskala) zum Kauf verführten, sondern auch mit einer technischen Neuerung aufwarteten: der Möglichkeit vom empfindlichen, trennscharfen Superhetempfang mit hervorragenden Fernempfangseigenschaften auf Geradeausempfang mit überzeugender Klangfülle umzuschalten. So entstanden die folgenden Empfängermodelle:


5W86, ein 8-Kreis-Superhet der Saison 1936/37 mit der Röhrenbestückung AH1 AH1 AC2 AH1 AB2 AF7 AL4 AZ1, der auf einen 2-Kreis Geradeaus Empfänger umgeschaltet werden konnte.

Die beim Übergang auf Geradeaus-Empfang (hier noch als "Qualitätsempfang" bezeichnet) vorgenommenen Umschaltungen wurden im folgenden Schaltbild rot umrandet. Sie entsprechen weitgehend denen der Folgemodelle 7W77, 9W78 und 11W78, und werden dort ausführlich kommentiert. Ein Unterschied besteht allerdings darin, dass der Primärkreis des 1. ZF-Bandfilters bei Geradeaus-Empfang kurzgeschlossen wird, während er bei den Folgemodellen im Signalweg belassen wird, was zu einer Reduktion der Signalverstärkung beim Geradeaus-Empfang führt.  

Die Schaltung des 5W86:


 

7W77, ein 7-Kreis-Superhet der Saison 1937/38, der ebenfalls auf einen 2-Kreis Geradeaus Empfänger umgeschaltet werden konnte, und über den hier ausführlich berichtet wird (Originalpreis 550 RM).

 


 

9W78, der in der Saison 1938/39 erschien und dessen Aussehen, Schaltung und Aufbau im wesentlichen dem 7W77 entsprachen, der aber in der ZF-Verstärkung anstatt einer AF3 eine EF11 einsetzte. Für die höhrere Heizspannung der EF11 wurde der 4V Heizwickel des Netztrafos um einige zusätzliche Windungen aufgestockt.

Wie im nebenstehenden Bild gezeigt wird, weist die EF11 ein besseres Regelverhalten als die AF3 auf. Das Bild entstammt diesem Beitrag von D. Rudolph.

Es sind weiterhin auch Geräte bekannt, bei denen zusätzlich die Gegentaktendstufe von 2 x AD1 auf 2 x AL5 umgestellt wurde. Dafür dürften folgende Gründe verantwortlich gewesen sein:

Zitat aus diesem Beitrag von D. Rudolph :

Eine schaltungstechnische Neuerung war zu dieser Zeit das Aufkommen der Gegenkopplung. Das hatte zur Folge, daß der "Trioden-Klang" nun auch mit Penthoden in der Endstufe erreichbar war. Dadurch wurde die AD1 mit ihrer Erfordernis einer recht hohen Steuerspannung am Gitter durch Penthoden wie die AL4 bzw. AL5 ersetzbar.

 


 

11W78 , ein 9-Kreis Superhet, ebenfalls in der Saison 1938/39 erschienen (Originalpreis: 650 RM). Dies war das letzte der von Super- auf Geradeaus-Empfang umschaltbaren BLAUPUNKT Geräte. Die prinzipielle Schaltungsstrategie dieser Umschaltung auf einen 2-Kreis Geradeausempfänger  wurde zwar immer noch vom 5W86, 7W77 und 9W78 beibehalten, jedoch wurden nunmehr, dem Stand der Technik folgend, nahezu ausschließlich Stahlröhren eingesetzt. Nur der NF-Teil war noch mit den Röhren AC2 und 2 x AL5 bestückt. Zusätzlich verfügte der 11W78 über automatische Scharfabstimmung, Stationstasten und die Möglichkeit der Fernbedienung.

 

Die Schaltung des 11W78 (Das originale BLAUPUNKT Service- Schaltbild stand mir nicht zur Verfügung):

Offenbar verkauften sich diese Empfänger so gut, dass sich die Firma KÖRTING, ein anderer Hersteller von Luxusgeräten auf dem deutschen Markt motiviert fühlte, in der Saison 1939 / 40 ebenfalls einen Empfänger mit dieser Umschaltoption auf den Markt zu bringen:


 

Es entstand einer der komplexesten Vorkriegsempfänger, der 8-Kreis Superhet KÖRTING  Dominus 40 (Originalpreis 495RM), der die BLAUPUNKT Geräte in Hinsicht technischer Perfektion noch in den Schatten stellte. Wie unten stehendes Schema zeigt, wurden hier nicht nur für selektiven MW/LW und KW Empfang unterschiedliche Eingangsschaltungen verwendet, selbst bei der Option Geradeaus-Empfang verwendete man 3 abgestimmte Kreise, während BLAUPUNKT sich an dieser Stelle mit 2 Kreisen begnügte. Ein weiteres Extra dieses außergewöhnlichen Gerätes bestand in der Druckknopf Senderwahl.

Genaueres zu Dominus 40 findet man in den Forumsbeiträgen zu diesem Modell.

 

Die Schaltung des Körting Dominus 40:

Funktionsschema des KÖRTING DOMINUS 40WK


Nun darf man sich nicht der Illusion hingeben, dass man bei der Umschaltung von Superhet- auf Geradeaus-Empfang plötzlich alle Sender in HiFi Qualität hören konnte. Es ist wichtig, von vornherein klarzustellen, dass die Option Geradeaus-Empfang für hochqualitative Klangwiedergabe ausschließlich für den Empfang leistungsstarker Ortssender / Nahsender auf Mittelwelle vorgesehen war. Nur dann erreichte man beim Umschalten vom Superhet auf Geradeausempfang, daß das Radio einerseits die erhoffte Klangwiedergabe bot und andererseits bei gleicher Einstellung des Lautstärkereglers mit ungefähr der gleichen Lautstärke spielte, was natürlich aus Sicht des Bedienungskomforts erwünscht war. 

Schaltet man heutzutage ein solches Gerät bei irgendeinem Sender, der einem stark erscheint, von Superhet-, auf Geradeaus-Empfang um, so hört man zunächst überhaupt nichts! Das scheint zunächst überraschend, ist aber insofern verständlich, als bei Superhet-Betrieb die automatische Schwundregelung (AVC = Automatic  Volume Control) die Verstärkung der Röhren des HF- und ZF-Teils entsprechend der Stärke des empfangenen Signals aufwärts bzw. abwärts fährt. Die AVC sorgt also dafür, dass auch schwache Sender laut wiedergegeben werden, indem sie die Verstärkung der HF- und ZF-Stufen hochregelt. Das setzt aber zunächst einmal voraus, daß die Durchgangsverstärkung ausreichend hoch ist, daß also der am Antenneneingang anstehende niedrige HF-Pegel einer schwach empfangenen Station in den verstärkenden Stufen so weit angehoben wird, dass man für die Demodulation einen HF-Pegel von einigen Volt zur Verfügung hat.

Das ist aber bei der Umschaltung auf Geradeaus-Empfang nicht mehr so. Die Durchgangsverstärkung ist im Geradeaus-Betrieb sehr viel niedriger als im Superhet-Betrieb (siehe später in diesem Bericht). Die automatische Schwundregelspannung sorgt dann zwar infolge des am Demodulator anstehenden niedrigen HF-Pegels dafür, dass die HF-Röhren auf maximaler Verstärkung laufen, das kann aber das Defizit an Verstärkung gegenüber dem Superhet-Betrieb nicht kompensieren.

Sehr übersichtlich sind die Unterschiede in der Empfindlichkeit von Superhet und Geradeaus-Empfängern übrigens bei Wiesemann dargestellt:

Die Kennlinie "K -L" ganz rechts gilt für ein Audion. Die Kennlinien gleicher Steigung links daneben für ein Audion mit einem Schwingkreis höherer Güte bzw. "Q-R" für eine HF-Vorstufe. Die Kennlinie "E-J" für einen Super mit Schwundregelung.

Um eine NF-Spannung in der Größenordnung von 3 Veff zu erzielen, benötigt man beim einfachen  Audion eine Antennenspannung von ca. 200 mVeff. M an darf aber in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass hier von Audion - Empfängern gesprochen wird, deren Empfindlichkeit durch Anziehen der Rückkopplung gesteigert werden kann. Diese Möglichjkeit besteht aber beim hier beschriebenen 7W77 nicht, da er, wie später noch beschrieben wird, im Geradeaus-Betrieb mit keiner Audion- sondern mit einer noch unempfindlicheren Dioden - Demodulation arbeitet.

Daher also die enttäuschen Stille wenn man auf Geradeaus-Empfang umschaltet. Nun hat man natürlich die Möglichkeit den Lautstärkeregler (und wie man sehen wird, damit auch die Verstärkung der HF-Vorstufe) hochzudrehen. Handelt es sich nun wirklich um einen für heutige Verhältnisse stark einfallenden Sender, wird man in Stellung Geradeaus-Empfang auch etwas hören. Man darf nun nur nicht den Fehler begehen, das Radio in dieser Lautstärke-Einstellung auf Superempfang zurückzustellen. Des Resultat ist, dass das Radio mit voller Lautstärke losbrüllt.

Nur beim Empfang eines starken MW-Ortssenders / Nahsenders, und wir reden hier von Sendern die einige Hundert mV am Antenneneingang produzieren, regelt die AVC die Verstärkung im Superhet-Betrieb soweit herunter, dass die Lautstärke beim Umschalten von Superhet-, auf Geradeaus-Empfang ungefähr gleich bleibt.

Unglücklicherweise existieren solche Empfangsbedingungen in Deutschland nicht mehr, und das Wunschergebnis ähnlich lauter Wiedergabe bei Superhet- und Geradeaus-Empfang wird man heute nur noch mit Hilfe eines Heimsenders erreichen können.

 

3   Die Schaltung des 7W77

Die folgenden Schaltbilder entstammen den originalen BLAUPUNKT Serviceunterlagen. Wegen der Breite des Schaltbilds wurde dieses überlappend in 2 Bilder aufgeteilt.

Die zugehörigen Original - Stücklisten findet man in den in RMorg zum Modell hochgeladenen technischen Unterlagen.

Achtung:

Der Kondensator mit der Teil # "92" ist in den BLAUPUNKT - Stücklisten für den 7W77 mit 50 T, also 50 nF gelistet, während er in der von ART publizierten Schaltung mit 50 pF angegeben ist. Auch in der BLAUPUNKT - Stückliste des 5W86, also des Vorgängermodells des 7W77, ist der Wert dieses Kondensators (hier Teil "124") mit 50 cm, also 50 pF  angegeben.

 

 

Ein Bild der Verdrahtungsumgebung des Umschalters von Superhet- auf Geradeausempfang im 9W78, dem Nachfolgemodell des 7W77, zeigt hier ebenfalls einen Kondensator von 50 cm (roter Kreis).

Gleichermaßen zeigt auch die ART - Schaltung des Nachfolgemodells 11W78 (siehe oben) für diesen Kondensator einen Wert von 50pf.

 

Obwohl man davon ausgehen kann, dass es sich bei dem von BLAUPUNKT für den 7W77 gelisteten Wert von 50 T um einen Druckfehler handelte, da dieser zu einer unzulässig hohen Bedämpfung hoher Audiofrequenzen geführt hätte (siehe Abschnitt 4.4), kann ich leider keine belastbare Aussage zum tatsächlichen Wert dieses Kondensators im 7W77 machen, da er in meinem Gerät fehlte, und im Internet bisher keine entsprechenden Detailfotos der 7W77 Verdrahtung auffindbar sind.

Ein weiterer Druckfehler in der BLAUPUNKT Stückliste des 7W77 liegt beim Widerstand mit der Teil # "99" vor. Dort ist ein Wert von 150 Ω angegeben; korrekt muss es 150 kΩ heißen.

Wie man sieht, handelt es sich beim 7W77 um einen 7-Kreis Superhet, der in der HF-Vorstufe und in der ZF-Verstärkung die Regelpentode AF3 verwendet, in der Mischstufe die ACH1 und im Demodulator die AB2. Das Triodensystem des Magischen Auges AM2 wird zur NF-Vorverstärkung verwendet, was den bekannten Nachteil hat, dass die Sektorsäume bei schwachen Signalen verwaschen sind. Dieses Phänomen wurde hier bereits von Herrn Holtmann beschrieben. Eine weitere NF-Vorverstärkung mit der AC2 ist notwendig, um die erforderliche Ansteuerspannung für die Gegentakt - Endstufe mit 2 x AD1 bereitzustellen.

Die Zwischenfrequenz des 7W77 lag bei 468 kHz, bzw. bei Geräten, die in westliche Landesteile ausgeliefert wurden, bei 473 kHz. Zitat aus einem Beitrag von D. Rudolph zu den Zwischenfrequenzen älterer AM-Geräte:  "Bei den Vorkriegs-Supern hat sich schließlich mehrheitlich die ZF-Frequenz 468 kHz durchgesetzt, allerdings mit einem "Schönheitsfehler". Auch hier schlug eine Oberschwingung (Oberwelle) des Senders Luxemburg auf die ZF durch. Daher gab es für viele Geräte zusätzlich eine "Westausführung" (Stempel "W"), die eine ZF von 473 kHz hatten".

Wie man am Stempel auf dem Spritzgussrahmen des Wellenschalters erkennt, handelt es sich  bei meinem Gerät offensichtlich um eine solche "Westausführung".

Im Prinzip handelt es sich also um ein Gerät mit der für die späten dreißiger Jahre üblichen Technik.

Die Besonderheit besteht nun in der Möglichkeit von Superhet- auf Geradeaus-Empfang umzustellen zu können. Der Signalweg bei Geradeaus-Empfang verläuft dann so wie im kommenden Bild mit roten Linien angedeutet:

Während die erste AF3 auch hier als HF-Vorverstärker fungiert, arbeitet die ACH1 nun nicht mehr als Mischstufe, sondern als einfache Breitband-Verstärkerstufe mit einem Lastwiderstand von 10kΩ (Teil # 67). Von dort aus wird das vorverstärkte Empfangssignal über einen Koppelkondensator von 50 pF (Teil #92) durch den Sekundärkreis des 2. Bandfilters hindurch auf die linke Diode der AB2 gegeben. Das NF-Signal wird dann über einen Widerstand von 10 kΩ (Teil # 113) und einen Kondensator von 20 nF (Teil # 118) auf den Hochpunkt des Lautstärkereglers gegeben. In der NF-Signalaufbereitung werden bei der Umschaltung von Super- auf Geradeaus-Empfang keine Änderungen vorgenommen.

Da die Schirmgitterspannung der ZF-Verstärkerröhre AF3 bei Geradeaus-Empfang abgeschaltet, die Stufe in der Signalaufbereitung also übersprungen wird, folgt sofort, dass die Gesamtverstärkung des empfangenen Signals in diesem Betriebsmodus deutlich niedriger liegt. Zusätzlich leidet die Empfindlichkeit des 7W77 im Geradeaus-Modus noch daran,  dass die Demodulation mit einem relativ unempfindlichen Diodengleichrichter erfolgt! Diese Art einer Demodulation ist aber absolut notwendig, um im geradlinigen Teil der Diodenkennlinie ein klirrarmes NF-Signal zu gewinnen.

 

4   Detaillierte Schaltungsbeschreibung

 

Da das ART Schaltbild im Gegensatz zu den oben gezeigten BLAUPUNKT -  Originalunterlagen die Werte der Bauteile angibt, werde ich mich bei der Beschreibung darauf beziehen:

Hier sind die Werte der Teile "92" (50 pF) und "99" (150 kΩ) korrekt eingetragen.

4.1   HF-Vorstufe

Das Antennensignal wird hochinduktiv auf den Eigangskreis gekoppelt und dann in der ersten Regelpenthode AF3 vorverstärkt. Bei LW und MW wird das verstärkte Signal von der Anode der AF3  rein induktiv auf den Zwischenkreis und damit auf das Gitter der Mischröhe ACH1 gekoppelt. Nur bei KW wird das Signal mit dem Ziel konstanter Empfindlichkeit über den gesamten KW - Bereich (6MHz - 15 MHz) sowohl induktiv, als auch per kapazitiver Hochpunktkopplung auf den Zwischenkreis gegeben.

Bei SUPERHET - Betrieb sind die Schaltkontakte "a" und "b" geschlossen und die Kathode der AF3 liegt über 20nF auf Masse und über ein RC-Glied 250 Ω II 50nF und 15 Ω auf einer blau markierten "Stern-Schiene", auf der auch die Kathoden der ACH1, der ZF-AF3, der AB2 und der AM2 "reiten" - eine in BLAUPUNKT - Supern der dreißiger Jahre häufiger angewandte Schaltungsvariante.

Nach Service - Vorschrift wird die Spannung dieser "gesternten Schiene" mit Hilfe des 800 Ω Reglers (siehe Übersichtsschaltbild) so eingestellt, dass das Magische Auge ohne Antennensignal Leuchtstriche von 1-2 mm Breite anzeigt. Das ist der Fall, wenn die Schiene auf etwa +12V liegt.

 

Bei GERADEAUS - Betrieb werden die beiden Schaltkontakte geöffnet, sodass zwischen dem 250 Ω Widerstand und der Bias-Schiene noch eine Parallelschaltung eines 20 kΩ Potis und einem 10 kΩ Festwiderstand sowie eine kleine Spule liegen. Diese Spule besitzt nur eine Windung und liegt, wie man auf dem folgenden Bild erkennt, am unteren Ende der MW-Vorkreisspule. Sie ist so geschaltet, dass sie die MW - Vorkreisspule leicht entdämpft.Wie stark diese Entdämpfung ist, bestimmt die Position des 20 kΩ Potis, das starr mit der Achse des NF - Lautstärkereglers verbunden ist.

Hier sieht man die Rückkopplungsschleife über dem Fuß der MW-Vorkreisspule und die mechanische Anordnung von Lautstärkeregler und Kathodenpoti der AF3.

 

Bei maximaler Lautstärke, also bei Rechtsanschlag hat das 20kΩ Poti seinen minimalen Wert. Damit fließt durch die AF3 der maximale Strom, sie erreicht ihre maximale Verstärkung und damit nimmt auch die Entdämpfung ihren größten Werte an. Natürlich fragt man sich, warum man die AF3 bei Geradeaus-Betrieb nicht immer mit voller Verstärkung laufen liess, da man ja sowieso durch den Wegfall der AF3 in der ZF ein Verstärkungsdefizit hatte.

Die Erklärung dürfte darin liegen, dass man bei extrem starken Antennensignalen eine Übersteuerung der HF-Vorverstärkung vermeiden wollte.

Die kleine Koppelschleife sollte vermutlich 2 Funktionen erfüllen:

(i) Man gewann etwas Spannungsverstärkung, ohne die Durchlasskurve des Vorkreises zu sehr einzuengen.

(ii)  Physiologische Regelung: Bei niedriger Lautstärke reagiert das menschliche Ohr schlechter auf hohe und tiefe Frequenzen. Man muss also so breitbandig wie möglich arbeiten -> Die Verstärkung der Vorstufe ist niedrig-> die Koppelschleife ist  ohne Funktion. Zu höherer Lautstärke hin, verbessert sich die Ansprechempfindlichkeit des Ohres auf beiden Seiten der mittleren Frequenzen. Man kann also die Bandbreite etwas zurücknehmen und etwas mehr verstärken (konstantes Bandbreite-Verstärkungsprodukt!), was dadurch geschieht, dass die Entdämpfung durch den höheren Kathodenstrom der AF3 zunimmt.


4.2   Mischstufe

Erwähnenswert ist hier die Oszillatorschaltung der mit der Triode-Hexode  ACH1 arbeitenden Mischstufe. Die abgestimmten Kreise liegen in der Anodenleitung des ACH1 Triodensystems, die induktiven Ankopplungen im Gitterkreis.

Diese Anordnung hat gegenüber der Positionierung der abgestimmten Kreise am Triodengitter den Vorteil, dass sie weniger empfindlich gegenüber Veränderungen der Gitterkapazität ist. Solche Veränderungen treten bei geregelten Mischröhren wie der ACH1 auf, da die Regelung der g1 Spannung des Hexodensystems die Verteilung der Raumladungselektronenwolke und damit auch die internen Kapazitätsverteilung beeinflusst. Über die interne Verbindung des g3 des Hexodensystems mit g1 des Triodensystems werden diese Kapazitätsänderungen in das Triodensystem verschleppt und beeinflussen den Oszillator. Aus der Sicht möglicher Frequenzverwerfungen ist es daher bei geregelten Mischröhren günstiger, den Resonanzkreis nicht ans Gitter sondern an die Anode der Triode anzuschließen. In diesem Fall wird nämlich der Einfluss der Kapazitätsänderungen  am Oszillatorgitter auf den Schwingkreis quadratisch mit dem Kopplungsverhältnis abgeschwächt. Frequenzverwerfungenen bleiben daher auch im KW-Bereich außerordentlich klein.

Die Einspeisung der Anodenspannung erfolgt parallel zum Schwingkreis. Wie bei Pitsch erläutert, wird diese Art der Speisung mit dem Ziel einer über den Abstimmbereich möglichst konstanten Oszillatoramplitude gewählt - die Vorbedingung für möglichst gleichbleibende Mischsteilheit. Da sich inbesondere bei MW und LW beim Überstreichen des Abstimmbereiches der Resonanzwiderstand des Oszillatorkreises und damit die Oszillatoramplitude stark ändern, versucht man durch die bedämpfende Wirkung eines Parallelwiderstandes von sehr viel niedrigerem Wert (hier 30 kΩ) als dem Resonanzwiderstand dieser Amplitudenvariation entgegenzuwirken. Natürlich sind dieser Bedämpfung und der daraus resultierenden Nivellierung der Oszillatoramplitude dadurch Grenzen gesetzt, dass die für die Aufrechterhaltung der Schwingung notwendige Mindestamplitude nicht unterschritten werden darf.

Das folgende Bild zeigt den Aufbau der Spulentürme von Eingangskreis, Zwischenkreis und Oszillator bei abgenommenen Abschirmbechern.


4.3   Bandbreitenregler

Auf die Mischröhre ACH1 folgt das erste ZF-Bandfilter (468 kHz), dessen Durchlasskurve mit Hilfe kapazitiver Hochpunktkopplung variiert werden kann. Bei dem hierzu eingesetzten Bandbreitenregler handelt es sich um einen Differenzial - Drehkondensator spezieller Bauart, der eine variable Spannungskopplung zwischen den Hochpunkten der Bandfilterkreise erlaubt, ohne dabei die Kreise zu verstimmen. Dessen Aufbau wird weiter unten ausführlich beschrieben.

Die mit roten Buchstaben gekennzeichneten Schaltkontakte haben folgende Funktion:

"c": Am Fußpunkt des Primärkreises des 1. ZF-Filters liegt ein 10 kΩ Widerstand, der bei SUPER - Betrieb durch den geschlossenen Schaltkontakt "c" überbrückt wird. Der Fußpunkt liegt dann über 10 kΩ an Ua2 und ist über 1µF nach Masse abgeblockt, also HF-mäßig kalt.

Bei Geradeaus-Betrieb öffnet Kontakt "c" woraufhin der Lastwiderstand der Mischröhre aus einer Reihenschaltung von Primärkreis und 10 kΩ Widerstand besteht.

Das größte Teil des Ausgangssignals der ACH1  baut sich nun nicht mehr über dem Primärkreis des Filters auf, dessen Resonanzpunkt weit entfernt liegt, sondern über dem  eingeschleiften 10 kΩ Widerstand und wird über einen 50 pF Kondensator (siehe nächsten Abschnitt) direkt auf den Demodulator gekoppelt.

Schaltkontakt "d" ist bei SUPER-Betrieb geschlossen. Bei GERADEAUS-Betrieb öffnet er und unterbricht damit die Stromzufuhr zum Schirmgitter der ZF-Röhre und Gitter des AM2 Anzeigesystems. Der als NF-Vorverstärker arbeitende Triodenteil der AM2 bleibt in Funktion! 

Auch Schaltkontakt "f" ist bei SUPER-Betrieb geschlossen. Bei GERADEAUS-Betrieb öffnet er und unterbricht damit die Stromzufuhr zum Oszillator und zum Leuchtschirm der AM2.


Zur Funktionsweise dieser Bandbreitenregelung hier ein Auszug aus Pitsch "Lehrbuch der Funkempfangstechnik":

Zum besseren Verständnis der mechanischen Umsetzung des bei Pitsch gezeigten Bildes, folgen hier einige Bilder des demontierten Bandbreitenreglers. Die Bilder entstammen einem BLAUPUNKT 4W77, der über einen identischen Regler verfügt.

 

Eine massive Keramik-Grundplatte wird in einem stabilen, mehrfach versteiften,  metallischen Rahmen gehalten. Der besseren Übersichtlichkeit wegen, wurde zunächst der Rotor entfernt. Wie man sieht, besitzt der Drehko nur 2 Statorplatten, die in der keramischen Grundplatte etwa in der Mitte des Metallrahmens verankert sind.
 

 

Der Rotor besteht aus 2 voneinander isolierten Halbkreisplatten von 33 mm Durchmesser unterschiedlicher Stärke: Eine dünnere mit 1 mm Stärke, eine dickere mit 1,5mm Stärke. Die dünnere ist mit der Rotorachse leitend verbunden, die dickere ist isoliert befestigt.


 

Abschließend ein Bild des Bandbreitendrehkos im zusammengebauten Zustand, also mit eingehängtem Rotor:

 

Eine mit einem Stückchen gelben Isolierschlauches überzogene Mitnehmernase an der Bedienachse greift in die am Rotor sitzende Kralle ein, sodaß man den Rotor um 180° drehen kann. In einer Extremstellung liegt also der dünne, geerdete Kreissektor des Rotors zwischen den Statorplatten, in der anderen der dicke, isolierte Kreissektor.

 


4.4   ZF-Verstärker und Demodulator

Der ZF-Verstärker zeigt keine schaltungstechnischen Besonderheiten, man fragt sich aber, warum das Schirmgitter der AF3 seine positive Spannung nicht direkt von der Versorgungsschiene Ua3 erhält, sondern über eine Koppelwicklung zum Sekundärwickel des 1.Bandfilters (kleine Spule in der Schirmgitterzuleitung). Dahinter verbirgt sich folgende Überlegung:

Man strebt an, mit der Bandbreitenregelung eine möglichst große Variation der Durchlasskurvenbreite zu erzielen. Nun muss man aber bedenken, dass im Fall der schmalen Durchlasskurve, also der losen Kopplung der Bandfilterkreise, die Signalamplitude zurückgeht - man muss also wieder mehr verstärken. (Zur Thematik der Bandfilterkopplung siehe "Die Höcker beim Zweikreis- Bandfilter".

Auch sind der erzielbaren Verschärfung der Resonanzkurve durch die begrenzte Güte der Einzelkreise Grenzen gesetzt. So lag es nahe, die Resonanzkurve des Bandfilter-Gitterkreises dadurch zu verschärfen, dass man sie durch eine positive Rückkopplung entdämpft. Genau das erreicht man durch die in die Schirmgitter-Zuleitung eingeschleifte Koppelspule.

Das in einer zweiten Regelpenthode AF3 verstärkte ZF - Signal wird dem 2. Bandfilter und von dort aus der Demodulatorröhre AB2 zugeführt, die das NF-Signal sowie 3 individuelle Regelspannungen liefert. Die Regelspannung AGC1 mit der größten Amplitude erhält die AF3 in der HF-Vorverstärkung, die halbierte Spannung AGC2 die Mischröhre ACH1,  und eine noch niedrigere Spannung AGC3 die zweite AF3 im ZF-Verstärker.

Bei Superhetempfang ist der Schalter "e" geöffnet. Die linke Diode der AB2 arbeitet auf einen Lastwiderstand von 0,3 MΩ und 0,1 MΩ in Reihe. Zwischen beiden wird die Regelspannung AGC3 und über 10kΩ das um einen Faktor 4 heruntergeteilte NF-Signal ausgekoppelt.

Bei Geradeausempfang gelangt das in der HF-Vorstufe und der ACH1 Hexode vorverstärke Signal über einen Kondensator von 50 pF auf den Fußpunkt des Sekundärkreises des 2. ZF-Bandfilters und wird von der AB2 demoduliert (Diodendemodulation).

Weiterhin ist bei Geradeausempfang der Schaltkontakt "e" geschlossen. Der  0,3 MΩ Widerstand wird dadurch überbrückt und die linke Diode der AB2 arbeitet auf einen reduzierten Lastwiderstand von nur noch 0,1 MΩ. Das NF-Signal wird nun nicht mehr wie zuvor beim Superhetbetrieb um einen Faktor 4 heruntergeteilt, sondern in voller Höhe weitergegeben.

Da die AF3 im ZF-Verstärker durch Abschalten der Schirmgitterspannung deaktiviert wurde (offener Schaltkontakt "d"), ist die geänderte Anbindung des 2 MΩ Widerstandes in ihrer Regelleitung ohne Bedeutung.



Hier soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass der Wert dieses Koppelkondensators in manchen Schaltbildern und selbst in der originalen BLAUPUNKT Serviceinformation fälschlicherweise mit 50 nF angegeben ist. Wie man an nebenstehendem Bild erkennt, würde ein Kondensator solcher Größe bei Superhetempfang die hohen Tonfrequenzen abschneiden. Der Koppelkondensator liegt nämlich bei Superhetempfang von der NF-Leitung über einen Kondensator von 1µF an Masse. Der Umschalter sowie der 10 kΩ Widerstand am 1. ZF-Filter wurden der besseren Übersichtlichkeit in diesem Bild weggelassen.

 


4.5   NF - Verstärker


Das NF-Signal wird nach dem Lautstärkeregler dem Triodensystem des Magischen Auges AM2 zugeführt und dort vorverstärkt. Zur Erreichung einer ausreichend hohen Ansteuerspannung für die Gegentakt-Endstufe mit 2 x AD1 erfolgt eine weitere Vorverstärkung mit einer AC2.

Wie man sieht, liegt in der Gitterleitung der AC2 ein Schalter der wahlweise einen 2000pF Kondensator überbrückt. Hierbei handelt es sich um den Sprache-Musik-Schalter, der sich auf der Rückseite des Gerätes befindet. 

Vom Gitter der AC2 nach Masse liegt ein Klangfilter Netzwerk. Mit dem 1,5 MΩ Regler (Teil "134") können die hohen Tonfrequenzen abgesenkt werden. 

Auf der Sekundärseite des NF-Treibertrafos liegt ein Schalter "St", mit dem die Gitteranschlüsse der beiden AD1 Endröhren kurzgeschlosen werden können. Hier handelt es sich um den Stummschalter, der durch Herausziehen der Achse des Lautstärkereglers aktiviert wird.

 

Die Gegentaktendstufe mit  2x AD1 speist aus einem Abgriff des Ausgangstrafo - Sekundärwickels einen  elektrodynamischen Breitbandlautsprecher mit Ø=24 cm.  Der volle Sekundärwickel speist über einen Filterkondensator von 4µF einen permanent-dynamischen Hochtonlautsprecher mit Ø=16 cm.

 

5   Allgemeiner Aufbau

5.1   Das Gehäuse und die Bedienelemente

 

Auf der Vorderseite befinden sich folgende Bedienelemente:

Links: Der Lautstärkeregler kombiniert mit dem Zug-Druck-Netzschalter. Wurde der Knopf im eingeschalteten Zustand noch weiter herausgezogen, wurde der Stummschalter betätigt.

Mitte: Großer Knopf: Tonblende. Kleiner Knopf: kontinuierliche Bandbreitenregelung. Minmale Bandbreite bei Linksanschlag, max. Bandbreite bei Rechtsanschlag. Wurde der Drehknopf über den Druckpunkt am Rechtsanschlag hinweggedreht, schaltete das Gerät von SUPER- auf GERADEAUS-Betrieb um.

Rechts: Senderabstimmung

An der rechten Seitenwand befindet sich der Wellenbereichsumschalter; der Kippschalter auf der Rückseite dient der Umschaltung von Musik- auf Sprachwiedergabe.

Der Trimmregler auf der Rückseite beeinflusst das Spannungsniveau der "Bias-Schiene", auf der die Kathoden aller HF- und ZF-Röhren sowie des Magischen Auges "reiten". Eine Veränderung der Einstellung beeinflusst den Aussteuerbereich des Magischen Auges.

 

Die roten Pfeile zeigen auf Plombierungslöcher in der Rückwand
 

Hier sieht man die verbliebenen Teile der Mechanik des Kippspiegels vor dem Magischen Auge. Bei Drehen des die Spiegelmechanik umgebenden großen gerändelten Bakelitringes bewegte sich der Kipphebel vor und zurück, während die Spiegel-Drehachse feststand. Durch die kurze Distanz zwischen Kipphebel und Drehachse war es möglich einen großen Kippwinkel zu erzielen.

 

Die originalen Endröhren 2 x AD1 wurden in diesem Bild bereits durch datenähnliche TUNGSRAM OP10-500 ersetzt. Der in Reihe zum permanent-dynamischen Hochtonlautsprecher liegende 4µF Kondensator an der von hinten gesehen linken Seitenschürze fehlt hier noch.

Wie man sieht, war das Chassis in 2 Teile unterteilt, die durch punktgeschweißte Laschen zusammen gehalten wurden. Der linke Teil trägt die HF - und ZF - Komponenten, den Demodulator und die NF-Vorverstärkung, der rechte die Stromversorgung und die Gegentaktendstufe. Dieser modulare Aufbau erleichterte BLAUPUNKT den Übergang zu neuen Modellvarianten, insbesondere zum 9W78.

5.2   Das Chassis

Die Chassisaufnahmen wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Restauration durchgeführt, woraus sich die etwas unterschiedliche Anordnung von Komponenten im Verlauf des Berichts erklärt.

Die Chassisfront

Der Umschalter zum Wechseln von SUPER- auf GERADEAUS - Betrieb fehlte hier noch. Der im Fundzustand ebenfalls fehlende Winkeltrieb des Wellenschlaters wurde bereits ersetzt (rechts im Bild).

 

Das zugehörige Bild aus den BLAUPUNKT Serviceblättern:

Die Chassisrückseite

Hier steckten noch die Coke-Bottle AD1 auf dem Gerät

Das zugehörige Bild aus den BLAUPUNKT Serviceblättern:

Chassisunterseite

Einige Rollenkondensatoren wurden später durch zeitgemäße Komponenten ersetzt. Der Platz des noch fehlenden Super-Geradeaus-Umschalters wurde rot umrahmt. 

Das zugehörige Bild aus den BLAUPUNKT Serviceblättern:

 

 6   Restaurationsarbeiten

6.1   Gehäuse

Das Gehäuse befand sich in jämmerlichem Zustand mit vielen ausgebrochenen Furnierstellen. Da der Spritzguss - Winkeltrieb des Wellenschalters zerbrochen war, hatte man kurzerhand ein Loch in die Gehäusefront gebohrt und die Wellenschalterachse dort hinausgeführt. Aus der Gabel des BLAUPUNKT - Emblems war ein Stück herausgebrochen. Einen Eindruck von dem damaligen Zustand vermitteln die folgenden Bilder.

 

Die Restaurationsarbeiten am Holzgehäuse hat mir ein hilfsbereiter RMorg Kollege abgenommen, dem es nicht nur gelang, die fehlenden Holzpartien zu ergänzen, sondern auch das Loch in der Gerätefront durch ein eingeklebtes Stück Furnier und Nachzeichnung der Kaukasisch Nussbaum Maserung mit dem Tuschpinsel so zu kaschieren, dass es nicht mehr ins Auge fällt.

Zum Ergänzen des ausgebrochenen Teils in der Gabel des BLAUPUNKT Emblems, wurde dieses ausgebaut, und die Umrisse auf Millimeterpapier übertragen. Durch Spiegelung der Kontur konnte nun eine kleine Gussform an den noch bestehenden linken Teil der Gabel angeklebt und letztere mit Epoxidharz ausgegossen werden. Abschließend wurde die gesamte Gabel mit Lackspray mit "Edelstahl-Optik" lackiert, das sich in Textur und Farbton kaum vom originalen Spritzguss unterscheidet. Die vertieften Partien wurden mit einem schwarzen Filzstift nachgezeichnet.

6.2   Wellenbereichsschalter

Wie bereits erwähnt, war der Winkelantrieb zur Bedienung des Wellenschalters total entfernt und dessen Achse durch die Gerätefront hinausgeführt worden. Dadurch wurde auch der hinter der Skalenscheibe liegende, mit der Stellung des Wellenschalters auf- und ablaufende Schieber deaktiviert, durch dessen Fenster das Zeichen des jeweils eingestellten Wellenbereich beleuchtet wird

Hier eingestellt der Wellenbereich "I" Langwelle:


Hier zunächst 2 Bilder des originalen Wellenschalter-Antriebs in einem 9W78 (A. Steinmetz). Im 9W78 und vermutlich auch im 7W77 saß auf der Wellenschalterachse nur ein Rastrad innerhalb der Chassis-Schürze (roter Pfeil im 2. Bild):

Und hier der von mir rekonstruierte Antrieb:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bei der Rekonstruktion, die bereits im Jahr 1990 erfolgte, unterstützte mich Günter F. Abele, der mir für diesen Zweck seinen BLAUPUNKT 11W79 auslieh. Letzterer verfügte übrigens über keine Superhet- Geradeausempfang Umschaltung mehr.

Um die Wiederkehrgenauigkeit der Wellenschalterposition zu  verbessern, war die Wellenschalterachse des 11W79 mit zwei Rasträdern ausgerüstet; das erste außerhalb und das zweite innerhalb der Chassis-Schürze. Da ich mich beim Nachbau am 11W79 orientierte, stimmt meine Reproduktion also in diesem Punkt nicht präzise mit der Mechanik im 7W77 und 9W78 überein, da diese nur ein Rastrad enthielten.

 

6.3   Super- Geradeaus-Umschalter

Sehr viel komplizierter gestaltete sich die Rekonstruktion der Umschaltung von Superhet- auf Geradeausempfang, da hier nicht nur der Umschalter sondern auch die zugehörige Verdrahtung fehlte.

Als Vorlagen für die Rekonstruktion dienten mir hier Bilder von Franz-Josef-Haffner und insbesondere von Andreas Steinmetz.

Hier noch einmal die Bedienelemente an der Gerätefront:

 

Die Umschaltung von Superhet auf Geradeausempfang erfolgt durch Drehen des Bandbreitenreglers im Uhrzeigersinn. Auf der Achse des Bandbreitenreglers sitzt eine Mitnehmerkralle, die beim Drehen über die Bandbreitenposition "breit" hinweg die Gabel des Umschalters nach unten drückt und damit den Emfänger von  Superhet- auf Geradeausempfang umstellt. (rechtes Bild von A. Steinmetz)

 

 

 

 

 

Da die Mitnehmerkralle in meinem Gerät noch vorhanden war, musste nur die Schaltergabel neu angefertigt werden. Für den Schalter wurde ein moderner Schalter mit 6 Kontakten und 2 Schaltstellungen aus Fernost-Fertigung verwendet, der sich gut für diesen Zweck eignete.

 

So sieht die aus 2 mm starkem Messingblech nachgebildete Schaltergabel aus.

 Superempfang                                                                 Geradeausempfang                                        

Bandbreitenregler "breit" kurz vor Umschaltung             Mitnehmerkralle hat den Schalter umgeworfen.

 


Für die Neuverdrahtung habe ich mich an Bildern des 9W78 von Franz-Josef Haffner (Homepage "Spickelmir's Saarfranzosen") und von Andreas Steinmetz orientiert.

Hier zunächst noch einmal die nunmehr komplette Chassisfront:

Die endgültige Verdrahtung in 3 Vergrößerungsstufen:

 


 

Nachdem die Baugruppe zur Superhet - Geradeaus-Umschaltung wiederhergestellt war, wollte ich natürlich wissen, ob sie funktioniert.

So wurde in einer ersten Messreihe unter Verwendung eines R&S Leistungsmesssenders SMLR ein 30% 1 kHz moduliertes 1 MHz Signal  mit einer Amplitude von 20 mVss in den Antenneneingang des 7W77 eingespeist und die Signalamplitude von Stufe zu Stufe bis zur linken Anode der AB2 verfolgt. Gemessen wurde an Punkten MP1 - MP6.

Um den verstimmenden Einfluss der Tastkopfkapazität zu kompensieren, wurde bei der Messung am Gitter der ACH1 (MP2) der Kreistrimmer auf Maximum nachgestellt. Bei der folgenden Messung an der Anode der ACH1 (MP3) wurde er wieder in die alte Postion zurückgestellt.

Es wurden 3 Messreihen durchgeführt:

                                  GERADEAUS                                                                SUPER

 Lst-Regler Linksanschlag             Lst-Regler Rechtsanschlag                  Unabhängig von Lst-Regler    

Die folgende Tabelle zeigt die erhaltenen Ergebnisse:

Um den Einfluss der Vorkreis-Entdämpfung durch die Koppelschleife am Fuß der MW-Spule zu testen, wurde diese in einigen Fällen probewiese überbrückt. Diese Messwerte erscheinen in Klammern und tragen den Zusatz "oRK".

Geradeaus - Betrieb:

Steht der Lautstärkerregler (und damit auch der Regler in der Kathodenleitung der AF3) auf Linksanschlag, so liegen in der Kathodenleitung ca. 6,9 kΩ→ die AF3 ist vollständig heruntergefahren. An der Anode der AB2 erscheinen lediglich 90 mVss

Steht der Lautstärkerregler (und damit auch der Regler in der Kathodenleitung der AF3) auf Rechtsanschlag, so liegen in der Kathodenleitung nur noch 250 Ω→ die AF3 ist vollständig hochgefahren. An der Anode der AB2 erscheinen 1,8 Vss.

Ein besonders auffälliger Punkt in der obigen Tabelle ist der starke Pegelverlust von >6 db über dem 50 pF Auskoppelkondensator (MP4 ⇒ MP5). In Anbetracht der sowieso geringen Signalverstärkung im Geradeausbetrieb hätte man vermutet, dass hier ein größerer Auskoppelkondensator verwendet wird, um das Signal vor dem Demodulator nicht noch weiter abzuschwächen. In den Abschnitten 3 und 4.4 dieses Berichts wurde bereits erwähnt, dass BLAUPUNKT für diesen Kondensator einen Wert von 50 nF angab, dass dieser Wert aber wegen unzulässig hoher Bedämpfung der oberen Audiofrequenzen nicht korrekt sein kann. Andererseits wurde eingangs auch ein Foto gezeigt, in dem eindeutig zu erkennen war, dass im Folgemodell 9W78 ein 50 pF Kondensator verbaut war.

Trotzdem habe ich probeweise in meinem 7W77 einen Auskoppelkondensator von 500 pF eingesetzt. 

Die folgende Tabelle zeigt die resultierenden Pegeländerungen:

Die Vergrößerung des Kondensators um einen Faktor 10 von 50 pF auf 500 pF führte an der Anode der AB2 zu einer Pegelerhöhung um einem Faktor 1,7 ( 4,6 db), gefolgt von einem merklichen Lautstärkeanstieg.

Bei Umschaltung auf Superhet - Betrieb war keine merkliche Absenkung der hohen Audiofrequenzen zu registrieren. Der 500 pF Kondensator wurde daher im Gerät belassen.

 

Superhet - Betrieb:

Unabhängig von der Stellung des Lautstärkeregler (die Schaltkontakte "a" und "b" sind geschlossen), liegen in der Kathodenleitung 250 Ω→ die AF3 arbeitet im normalen AGC-Regelbetrieb. An der Anode der AB2 erscheinen ca. 30 Vss

Man erkennt, wie groß der Unterschied in der Signalverstärkung in den beiden Betriebsarten vom Antenneneingang bis zum Demodulator ist. Sogar bei Rechtsanschlag des Lst-Reglers im Geradeaus-Betrieb, also voll verstärkender AF3, liegt der Unterschied immer noch bei einem Faktor 30 / 1,8 = 17 (bei einem Faktor 10, wenn man für den Auskoppelkondensator 500 pF anstatt 50 pF verwendet).

Bei normaler Hörlautstärke ist beim 7W77 der Lautstärkeregler höchstens 1/4 des gesamten Drehwinkels aufgedreht. Da das 20 kΩ Kathodenpoti der AF3 logorithmische Regelcharakteristik besitzt, ist es in dieser Position immer noch sehr hochohmig und die 1,8 Vss an der Anode der AB2 werden sicher noch nicht erreicht. Es werden also wirklich große Antennensignale benötigt, um im Geradeaus-Betrieb ähnliche Signalamplituden zu erreichen wie im Super-Betrieb.

In einem letzten Test wurde der R&S Messsender SMLR nicht mehr mit  1 kHz Eigenmodulation betrieben. Anstatt dessen wurde nun ein SABA HiFi Tuner CT310 verwendet, um den SMLR zu modulieren und ein realistisches Antennensignal zu produzieren. Da der Line-Ausgang des CT310 nur ein Standardsignal mit ca. 1 Vss maximaler Amplitude liefert, der Modulationseingang des SMLR aber ca. 0,2 Vss pro % Modulationsgrad verlangt (für 30% Modulationsgrad also 6 Vss), wurde das Line-Ausgangssignal noch einmal um einen Faktor 6 zwischenverstärkt.

Das Resultat:

Gleich große Lautstärke bei Super- und Geradeausbetrieb wurde erst dann erzielt, wenn das Antennensignal bei ca. 250 mVss lag. Dieses Ergebnis basiert aber auf keiner exakten Messung, sondern auf rein subjektivem Hörempfinden.

Die Klanggüte der Wiedergabe ist bei Geradeausbetrieb wirklich überraschend gut. Das ist man von MW-Empfang nicht gewöhnt. Zum Vergleich wurde der SABA HiFi Tuner CT310 mit einem modernen hochqualitativen HiFi Verstärker an ebensolchen Lautsprecherboxen betrieben. Bei diesem Vergleich hört man nun doch, dass die Klangqualität des 7W77 auch im Geradeaus-Betrieb mit heutigen HiFi-Anlagen nicht konkurrieren kann. Das mag u.a. daran liegen, dass zwar der SABA CT310 und der nachfolgende Zwischenverstärker ein breitbandiges NF-Signal in HiFi Qualität liefern, die Bandbreite des Modulationsverstärkers im SMLR aber bei nur 10 kHz liegt.


6.4   Spiegeloptik für Magisches Auge

6.4.1 Die Kippmechanik

Glücklicherweise waren die Komponenten der Kippmechanik in meinem Gerät noch vorhanden und intakt.

Das 1. Bild zeigt die Außenansicht der Spiegelhalterung. Sie besteht aus einem äußeren, um ca. 90° drehbaren Stellrad mit Innengewinde, das zum Kippen des Spiegels diente und einem feststehenden Innenteil mit Außengewinde, das mit dem Gehäuse verschraubt ist. In dessen unterem Teil ist die Spiegel-Drehachse zu sehen, ein 1,5 mm Stahldorn, der von beiden Seiten eingesägt ist. Nach Montage des Spiegels, der aus Stabilitätsgründen in einem Rahmen gehalten wurde,  konnten die Enden gespreizt und damit der Spiegel in seiner Lateralposition fixiert werden. 

 

Nach Entfernen (3 Schrauben) der Spiegelhalterung aus dem Gehäuse kann der Stellring nach vorne herausgeschraubt, und der die Schubstange betätigende Kipphebel nach Ziehen eines Splints aus dem Innenteil herausgezogen werden. 

Auf der Innenseite des Stellrads sieht man eine schräge Laufbahn, auf der die Rolle des Kipphebels bei Drehen des Stellrades unter Federdruck abläuft.

 

Hier eine Großaufnahme des Kipphebels. Rechts sieht man die Rolle, die auf der Schräge des Stellrads läuft, in der Mitte das Führungsloch, durch das der Splint den Kipphebel in seiner Position hält und links die Schubstange, die vorn unterhalb der Spiegelachse aus der Front der Spiegelhalterung herausschaut. 

Der Spritzgusskörper des Kipphebels hat ein Langloch. Dieses dient dazu, die Kipphebelmechanik beim Aufschrauben des Stellrads auf den Innenteil gegen den Druck der kleinen Feder flach zu drücken. Anderenfalls würde sie bei der Montage des Stellrads gegen die Anschläge der schrägen Lauffläche stoßen. Bei jeder Gewindeumdrehung des Stellrads muss daher die Kipphebelmechanik mit einem passenden Werkzeug so weit flachgedrückt werden, dass sie an den beidseitigen Anschlägen der schrägen Lauffläche vorbeigleitet.

 

Hier zwei Bilder die aufgenommen wurden, bevor und nachdem der Kipphebel wieder in den Rezess des Innenteils eingesetzt wurde.

 

Die Positionen von Kipphebel und Schubstange beim Drehen des Stellrades bis an den linken bzw. rechten Anschlag zeigen die folgenden beiden Bilder:

Zunächst erstaunt es natürlich, dass der geringe Hub der Schubstange ausreichen soll, um den Spiegel um mindestens 90° zu kippen. Hier kommt einem aber zugute, dass die Schubstange sehr dicht bei der Spiegeldrehachse liegt. So genügen auch schon kleine Bewegungen um große Kippwinkel zu erzeugen. 

Nachdem nun die Funktion der Mechanik geklärt wurde, muss man nur noch den fehlenden Spiegel ersetzen.

 

6.4.2 Die Restauration des Spiegels

In Ermangelung einer originalen Vorlage wurde zunächst probeweise aus 1mm starkem Messingblech eine Scheibe von 44 mm Durchmesser ausgeschnitten. Das entspricht etwa dem Durchmesser des Innenteils.

Auf diese Scheibe wurden auf der Höhe der Spiegel-Drehachse 3 Messinghülsen mit 4mm Außen Ø und 1,5 mm Innen Ø aufgelötet. Die Längen und seitliche Position wurden auf die Lagerböcke der Drehachse abgestimmt.

 

Die nachfolgenden 2 Bilder zeigen die Scheibe mit aufgelöteten Führungshülsen und den Sitz nach Einhängen ins Innenteil. Der schwarze Kreis ( 30 mmØ) markiert den lichten Durchmesser der Innenteils - also ungefähr den Durchmesser des Tubus in dem die AM2 sitzt. Für den Spiegel ist dies die eigentliche funktionelle Fläche.

 

Abgesehen von etwas Spiel in den Lagern sitzt die Scheibe schon in der korrekten Position. Schwieriger gestaltet sich die Wahl des optimalen Anlenkpunkts für die Schubstange.

Hier hatte ich keine passenden Führungshülsen; so wurden die gleichen Hülsen wie für die Spiegelachse verwendet - lediglich etwas gekürzt. Da das Loch in der Schubstange einen Durchmesser von nur 1,2 mm hat, war ich beim Führungsdorn ebenfalls auf 1,2 mm festgelegt, was in den 1,5 mm Bohrungen der Führungshülsen zu inakzeptablem Spiel geführt hätte. Die Hülsen würden daher vor dem Einlöten etwas flachgedrückt, die nun ovalen Bohrungen mit Lötzinn geflutet und nachträglich auf 1,3mm aufgebohrt. So hielt sich das Spiel des 1,2 mm Führungsdorns in tolerablen Grenzen und der Kippmechanismus funktionierte bei Drehen des Stellrades problemlos.

 

Betrachtet man die wenigen verfügbaren historischen Bilder, so hat man den Eindruck, als wenn es sich bei der "Augenklappe" von außen gesehen nicht um eine einfache flache Scheibe handelte, sondern dass diese aus "kosmetischen" Gründen etwas gewölbt war.

Ich habe versucht, eine solche Wölbung durch Aufsetzen einer Kugelkalotte nachzubilden. Das nach Lackieren mit schwarzem Lack erhaltene Ergebnis bei verschiedenen Spiegelneigungen sieht man hier:

6.4.3   Gedanken zur originalen Spiegelkonstruktion

Nun darf man bei all dem nicht vergessen, dass es sich bei meinem Spiegel um einen zwar funktionierenden, aber im Detail grob vereinfachten Nachbau handelt.

  1. Der originale Spiegel war vermutlich kaum größer, als die benöigte Spiegelfläche von 30 mmØ und wurde in einem klappbaren Spritzgussrahmen gehalten.
  2. Die Erwähnung einer Spiegeloptik in der Originaldokumentation suggeriert, dass es sich wirklich um einen Spiegel handelte und der Spiegelrahmen nach vorne hin geschlossen war. Wollte man das Magische Auge im Stehen beobachten, klappte man den Rahmen um ca. 45° nach vorn. Wollte man es frontal sehen, musste der Spiegel um 90° heruntergeklappt werden, um den Blick frei zu geben ... und ragte damit deutlich aus der Gerätefront heraus.
  3. Interessanterweise zeigt aber keines der Bilder in der Originalwerbung einen herausgeklappten Spiegel. Soweit man das erkennen kann, steht der Rahmen immer nach oben. Warum wohl, wenn man die klappbare Spiegeloptik als Verkaufsgag verwendete. Man fragt sich also, ob die anfängliche Hypothese vom nach vorn verschlossenen Spiegelrahmen überhaupt logisch ist. Das hiesse ja, dass das Magische Auge in der originalen Werbung immer verschlossen war. Hier ein Beispiel:

  1. Man kann die Aussage "Spiegeloptik" aber auch anders verstehen. Es könnte auch sein, dass der Spiegelrahmen nicht nur nach hinten sondern auch nach vorn offen war, und dass es sich bei dem "Spiegel" um keinen Spiegel, sondern eine Glasscheibe handelte. In diesem Fall bräuchte der Spiegelrahmen für die Frontalbetrachtung nicht um 90° herausgekippt zu werden, sondern könnte vertikal stehen bleiben - was angesichts der Darstellung in der Werbung viel mehr Sinn macht -  und bei Betrachtung von oben nach wie vor unter 45°geneigt sein.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass man sich bei einem Lichteinfall von 45° dicht am Grenzwinkel der Totalreflexion für den Übergang Glas → Luft befindet. Man sieht also von oben blickend nicht den Fußboden, sondern wirklich das Magische Auge!


Solange kein Gerät auftaucht, in dem die originale Spiegeloptik noch vorhanden ist, wird die Frage zu deren Aufbau wohl unbeantwortet bleiben müssen. So begnüge ich mich zunächst mit diesem Resultat:

Links: Der BLAUPUNKT 7W77 mit aufgestellter Skala und horizontal gestelltem Spiegel vor dem Mag. Auge von vorne gesehen.

Rechts: Mit gekippter Skala und entsprechend geneigtem Spiegel von oben gesehen.

 


Mein Dank geht an H. M. Knoll und D. Rudolph für Ihre hilfreichen Kommentare und Erweiterungsvorschläge, an A. Peukert für seine akribischen Restaurationsarbeiten am Gehäuse und an F.J. Haffner sowie A. Steinmetz für die Detailphotos Ihrer 9W78 Geräte, die mir bei der Restaurierung der ursprünglich fehlenden Superhet- Geradeaus- Umschaltung sehr geholfen haben. Mein besonderer Dank geht an G. Abele, für die leihweise Überlassung seines 11W79 und seinen ermunternden Zuspruch im Jahr 1990, ohne den ich mich sicher nicht an dieses Restaurationsprojekt gewagt hätte.

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.