Gleichstrom-Netz und Radio

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Gleichstrom-Netz und Radio 
10.Mar.20 11:53
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Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
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Dietmar Rudolph † 6.1.22

Der Beginn der Stromversorgung

Als sich im 19. Jahrhundert die öffentliche Stromversorgung entwickelte, gab es dafür zunächst nur "Insel-Lösungen". Sehr häufig wurde damals Gleichstrom erzeugt. Man konnte damit eine elektrische Beleuchtung, aber auch (Gleichstrom-) Motoren betreiben. 

Das Bild von 1890 zeigt die Berliner Schloßbrücke, die mit Bogenlampen beleuchtet ist. Für Bogenlampen ist nach Graetz [1] Gleichspannung günstiger als Wechselspannung. Eine einzelne Bogenlampe benötigt 55V, um zusammen mit einem geeigneten Vorwiderstand zu leuchten. Bei der Serienschaltung von zwei solcher Lampen werden dann 110V benötigt. Hieraus ergab sich der ansonsten eventuell willkürlich erscheinende Wert für die Netzspannung von 110V bzw. 220V bei der Serienschaltung von 4 Bogenlampen.

Vor- und Nachteile der Gleichstromübertragung

Während auf kurze Distanzen der Gleichtrom Vorteile brachte, überwogen bei größeren Entfernungen die Nachteile. Hier machten sich die Verluste aufgrund des ohmschen Widerstandes der Leitungen bemerkbar. Um größere Entfernungen ohne wesentliche Spannungs-Verluste zu überbrücken, waren Cu-Leitungen von erheblichem Querschnitt erforderlich. Das war teuer und deshalb nicht ökonomisch. Bei Gleichstrom-Netzen war daher pro Straßen-Karree ein eigenes Kraftwerk erforderlich. Der Gleichstrom mußte in der Spannung erzeugt werden, die der Verbraucher direkt verwenden konnte, also als 110V= oder als 220V=.

Erst mit der Erfindung und der Realisation von Wechselstrom bzw. Drehstrom konnten größere Entfernungen verlustarm überbrückt werden. Der Grund dafür ist, daß sich Wechselspannungen (hoch- und herunter-) transformieren lassen. Dadurch reduzieren sich die Ströme und damit die ohmschen Verluste in den Leitungen.


Heute gibt es wieder Gleichstrom-Übertragungen. Man verwendet dazu Gleichspannungen im Bereich 400 kV bis 800 kV. Das sind Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungen (HGÜ). Das Anwendungsgebiet von HGÜ ist vor allem die Übertragung sehr hoher elektrischer Leistungen über sehr große Entfernungen. Die HGÜ wird dann preiswerter als eine Übertragung von Drehstrom. Am Zielort wird der Gleichstrom wieder in Drehstrom umgewandelt.


Bemerkungen zum Streit Edison - Westinghouse

1891 erfolgte eine Drehstrom-Übertragung von Lauffen a. N. nach Frankfurt a. M. mit der gezeigt werden konnte, daß eine Drehstrom-Übertragung auch auf größere Entfernungen einen brauchbaren Wirkungsgrad ergibt. Das führte zu dem "Stromkrieg" zwischen Edison (Gleichstrom) und Westinghouse (Drehstrom). Edison sah seine bisherigen Investitionen gefährdet und schürte deshalb die Angst vor den hohen Wechselspannungen. Er sorgte sogar dafür, daß die "elektrischen Stühle" mit Wechselspannung betrieben wurden, nur um damit zu demonstieren, wie gefährlich der Wechselstrom sei.

Die Situation in Berlin beim Beginn des Rundfunks

Kurz nach der "Geburtsstunde"  des Rundfunks sah die Stromversorgung in Berlin so aus, wie in  Abb. 15 dargestellt ist.

  • Berlin Mitte, wo es zuerst Strom gab, hatte ein 110V Gleichstrom-Netz (dunkelrot).
  • Die umgebenden Bezirke hatten ein 220V Gleichstrom-Netz (magenta).
  • Charlottenburg (bis 1924 eigenständige Stadt) hatte ein 120V Drehstrom-Netz (grün umrandet).
  • Wannsee hatte ein 220/127V Drehstrom-Netz (cyan umrandet).
  • Die restlichen Bezirke hatten ein 220V Drehstom-Netz.

Die Gleichstrom-Netze wurden zu dieser Zeit bereits über Gleichrichter aus dem da bereits etablierten Drehstrom-Netz gespeist. Sie mußten damals allerdings mit Rücksicht auf die (gewerblichen) Stromkunden als Gleichstrom-Netze bestehen bleiben. (Einzelne Gleichstrom-Netze bestanden noch bis zum Anfang der '50er Jahre.)

Auswirkungen auf Radioempfänger

Da die ersten Radios häufig nur Detektoren waren, spielte die zersplitterte Stromversorgung dafür keine Rolle. Aber auch bei den ersten Röhren-Radios war es noch belanglos, da diese Geräte Batterie-betrieben waren, also einen Heizakku und eine Anoden-Batterie hatten. Das änderte sich erst nach 1926/27, als die ersten Empfänger aufkamen, die entweder die Anodenspannung oder die Heizspannung oder beides aus dem Netz entnahmen.

Probleme bekamen nun die Radiohörer, die zwischen den Gebieten mit Gleichstrom-Versorgung und denen mit Wechselstrom-Versorgung umzogen und ihren jeweiligen Radio-Empfänger (eigentlich) weiter verwenden wollten, was damals nicht ging. Die Lösung bestand später in der Entwicklung von "Allstrom-Empfängern", s. weiter unten.

 

Es gab "auf dem flachen Land" aber (mindestens bis zum Ende der '20er Jahre) noch Gebiete, die keine öffentliche Stromversorgung hatten. Hier konnte man nur mit Batterie-Empfängern Radio hören, die sowohl die Heizung als auch den Anodenstrom aus Akkus bzw. Batterien entnahmen.

Das Bild [2] zeigt einen Senior mit einem SH 18RFE von 1927, den es als SH 22REF (leicht modifiziert) auch noch 1928 gab. Das waren z.B. die "Fernempfänger" in Gegenden ohne öffentliche Stromversorgung. Einen Vorteil gab es dabei: Es gab dann auch praktisch keine Störungen durch Kollektor-Motoren, Röntgen-Apparate, Straßenbahnen  und dergleichen mehr, die den "Genuß" des Radioempfangs in Städten damals schwer getrübt hatten.

 

Kappelmaier [2] zeigt in Abb. 212 ein Beispiel, wo nur die Anodenspannung aus dem Gleichtrom-Netz entnommen wird. Die "Netzanode" bestand außer dem Einschalter aus 2 Eisendrosseln (ggf. auf gemeinsamem Kern) und einem Glättungs-Kondensator.

 

Diese Netzanode diente zur Unterdrückung der Störgeräusche aus dem Gleichstrom-Netz (Kollektor-Funken der Generatoren bzw. Brummen nach den Gleichrichtern).

Später gab es Vorschläge (Funkschau 1936, S. 256), wie Störungen aus dem Gleichstrom-Netz mit Hilfe eines Vor-Filters noch wirkungsvoller unterdrückt werden konnten, Abb. 1. Hierbei handelt es sich eigentlich um eine "Luxus-Ausführung" für sehr stark gestörte Gleichstrom-Netze.

Drei-Leiter System für Gleichstrom

Am Beispiel Abb. 121 verblüfft heute vielleicht, daß es sich beim gezeichneten Gleichstrom-Netz um ein "Dreileiter-System" ("+", "0", "-") handelte. Wie man aber dem oben gezeigten Plan von Berlin, Abb. 15, entnehmen kann, hatten die Bezirke mit Gleichstrom-Versorgung ebenfalls Dreileiter-Systeme, nämlich  2*110V bzw. 2*220V.

In Herzog / Feldmann [3] findet man eine Beschreibung des Dreileiter-Systems.

Das "Dreileiter-System" war also eine "Teil-Lösung" für das Problem der Verluste bei einer Gleichstrom-Übertragung.

Da der einzelne Teilnehmer keinen Einfluß darauf hatte, ob in seiner Wohnung die Plus-Leitung oder die Minus-Leitung an den Steckdosen erschien, konnte folglich genau der Fall entstehen, den Kappelmayer in Abb. 121 dargestellt hat. Für den Radio-Bastler bedeutete dies eine nicht unerhebliche Gefahrenquelle.

Radios mit Batterie-Röhren am Gleichstrom-Netz

Als Beispiel für ein Radio mit Batterie-Röhren für Gleichstrom-Netzbetrieb wird das AEG Geadem 1G/1aG gewählt. Der Grund für diese Wahl ist, daß hier alle typischen Merkmale eines Gleichstrom-Netzanschlusses vorkommen. Dieses Gerät wurde zwischen 1928 und 1930 zum Verkauf angeboten.

  • Beide Netzadern sind abgesichert.
  • Die Gehäuse-Masse ist von der Minus-Leitung für Gleichstrom getrennt. Es gibt mehrere Kondensatoren, die beide "Massen" HF mäßig kurzschließen. (Berührungs-Gefahr und Kurzschluß-Gefahr entsprechend zu Abb. 121 (s. oben), falls einer der Kondensatoren "durchschlägt".)
  • Eine Netzdrossel, verbunden mit dem 4μF Kondensator (Papier-Kondensator, kein Elektrolyt) dient zur Beseitigung der Störungen durch Kollektorfunken der Gleichstrom-Generatoren bzw. durch Netzbrumm bei Gleichstrom-Netzen, die über Drehstrom-Brücken-Gleichrichter versorgt werden.
  • Durch die Netzdrossel fließt der gesamte Strom. (Bei "Allstrom-Radios" ist die Drossel - falls vorhanden - nur noch für den Anodenstrom.)
  • Es gibt einen "Polwender", der, je nachdem ob der Plus-Pol oder der Minus-Pol des Dreileiter-Systems geerdet ist, entsprechend zu stecken ist.

 

  • Die "Vorschaltlampe", hier mit Spannung und Strom spezifiziert, könnte (theoretisch) ein "Eisen-Wasserstoff-Widerstand" sein, wodurch dann der Heizstrom - trotz Spannungsschwankungen des Netzes - konstant gehalten würde.
    Eine "normale" Glühlampe kann den Strom nicht ganz so gut konstant halten. Tatsächlich gab es hierfür "Spezial-Glühlampen", die je nach erforderlichem Spannungsfall, an ihrer Spitze eine entsprechende "Farbkappe" hatten. Die Telefunken Arcolette 31G verwendete solche Vorschaltlampen. Vorschaltlampen waren billiger als Eisen-Wasserstoff-Widerstände.

 

  • Abhängig von der - damals häufig wählbaren - Röhrenbestückung und Netzspannung sind unterschiedliche Vorwiderstände und Vorschaltlampen zu wählen.
  • Die Schaltung im Heizkreis ist deswegen kompliziert, weil das Radio Röhren mit unterschiedlichen Heizströmen verwendet und weil die Anodenströme zur Heizleistung beitragen. Die Röhren haben als Typ-Bezeichnung stets ein zusätzliches "s", z.B. RE084s bzw. RE084-Serie. Das bedeutet, daß sie nach dem Heiz-Strom selektiert sind. Die Heiz-Spannung kann dabei etwas von der "nominellen" Spannung abweichen.

 

 

  • Der Netzschalter [4] hat die für Gleichstrom-Geräte typische Form, um beim Ausschalten einen Lichtbogen zu vermeiden, der den Schalter zerstören würde. (Er ist - aus fertigungstechnischen Gründen - bei den entsprechenden "G" und "W" Geräten gleichartig ausgeführt.)

Die mit den Netzschaltern verbundene Problematik beim Ausschalten von Gleichstrom-Geräten wird im Post "Netzschalter in Gleichstromradios" ausfühlich behandelt.

 

Das AEG Geadem 1G ist somit ein weiteres Beispiel für die Anwendung relativ großer Netzschalter, die dafür aber beim Ausschalten keine Bogen-Entladung - und damit die Zerstörung des Schalters - bewirken.

 

Der Heizkreis ist bei Netzempfängern, die direkt geheizte Röhren verwenden, schaltungsmäßig immer relativ kompliziert realisiert, wie am Beispiel des AEG Geadem 1G zusehen war.

Ein wesentlicher Grund dafür ist, daß über die Heizfäden ja auch die Ströme von Schrimgitter und Anode fließen müssen, wie in Fig. 10-19 [5] an einem Beispiel eines Batterie-Radios mit Netzbetrieb (115V) gezeigt wird. Diese zusätzlichen Ströme führen zu Veränderungen des tatächlichen Heizstroms der Röhren, wenn nicht durch entsprechende zusätzliche Widerstände im Heizkreis ein Ausgleich geschaffen wird. Daher sind die Schaltungen dieser Heizkreise aufwändig und oft nicht einfach zu durchschauen. 

 

Radios mit 18er Stift-Röhren

Es werden hierfür die gleichen Modelle betrachtet wie in dem Thread "Netzschalter in Gleichstromradios".

Das Modell Siemens 35G (links) hat (seltsamerweise) keinen Polwender gemäß Schaltplan. "Polwenden" geht dann nur dadurch, daß der Netzstecker anders herum in die Steckdose gesteckt wird. Wenn aber in einem Dreileiter-System der "+" Pol geerdet ist und der "-" Pol "hoch" liegt, hat das dann zur Folge, daß die Drossel hier ihre Wirkung zur Unterdrückung der Störungen im Gleichstrom-Netz nicht voll entfalten kann.

Der Netz-Strom, also Heiz-Strom und Anoden-Strom, fließen durch die Netz-Drossel. Das erfordert einen entsprechend großen Kern (hier in der Größe wie der Trafo im VE301) mit entsprechend dickem Draht. Es gibt allerdings auch andere Gleichstrom-Radios, bei denen der Heiz-Strom nicht über die Drossel geführt wird, weshalb diese dann kleiner ausfallen kann.

Bei Gleichstrom-Radios von Siemens findet man oft ein Thermo-Relais, das seinen Kontakt erst verzögert öffnet, so daß die Skalenbirne vor dem Einschaltstoß des Stromes geschützt ist. Später wird das Problem des Einschaltstoßes i.a. dadurch gelöst, daß sich ein Heißleiter (Urdox) im Heizkreis befindet. Der Heißleiter wird dann oft kombiniert mit einem Eisen-Wasserstoff-Widerstand, siehe bei den "Allstrom-Radios" weiter unten.    

 

Das Modell Blaupunkt LG/G 400  hat dagegen eine Polumschaltung. Liegt der + Pol "hoch" gilt die schwarz gezeichnete Stellung beim Polwender. Liegt der - Pol "hoch" gilt die magenta gezeichnete Schalterstellung. Die Richtung des Netz-Stromes dreht sich entsprechend um (gestrichelt gezeichnet). Auch bei diesem Modell wird der gesamte Strom über die Netz-Drossel geführt.

Im Unterschied zum SH 35G gibt es hier keinen Schutz der Skalenlampe vor dem Einschaltstoß. Die Gleichstrom-Trennung für die Buchsen von Antenne und Erde ist hier deutlicher zu sehen als beim SH 35G, der aber auch eine Trennung durch Kondensatoren hat.

Allstrom-Radios

Nach dem Übergang von den Stift-Röhren zu den Röhren mit Topfsockel (etwa um 1935) gab es keine (reinen) Gleichstrom-Radios mehr. Es gab von da an als Ersatz dafür die Allstrom-Radios mit "C" Röhren (200 mA Heizstrom). Es gibt nun auch keine Geräte mehr ohne eingebauten Lautsprecher.

Als frühes Beispiel wird der Siemens 53GWL , ein Zweikreiser, gewählt. Siemens hat mit dem Design der '35er Geräte-Serie ("Herr im Frack") keinen großen Verkaufs-Erfolg gehabt. Besser verkauften sich z.B. die technisch identischen, aber im Design unterschiedlichen Geräte z.B. von Telefunken T523GWL

Gegen Störungen aus dem Gleichstrom-Netz gibt es hier "nur" noch 2 Hochfrequenz-Drosseln "HD" direkt nach dem doppelpoligen Netzschalter. Dieser konnte nun in den Wellenschalter integriert werden, weil es keine große Eisendrossel mehr gibt, die vom Gesamt-Strom durchflossen wird und es deshalb beim Ausschalten auch keine schwer zu unterdrückende Bogen-Entladung mehr gibt. Die Netz-Drossel "NeD" befindet sich hinter der CY1. Sie hat nur 200Ω Widerstand, damit der Spannungsverlust gering bleibt. Der Lausprecher hat demzufolge eine permanet-magnetische Erregung.

Wie aus dem Siemens Schaltbild (links), als auch aus dem ART Schaltbild ersichtlich ist, ist die Gleichrichter-Röhre CY1 beständig im Anodenkreis eingeschleift, also auch bei Betrieb am Gleichstrom-Netz. Das ist zwar bequem für den Kunden, der je nach Netz-Spannung zur Umschaltung nur noch den richtigen Eisen-Urdox (EU ...) Widerstand einstecken muß, aber die Gleichrichter-Röhre hat einen Innenwiderstand, der bei Betrieb am Gleichspannungs-Netz einen (eigentlich vermeidbaren) Spannungsverlust für die Anodenspannung ergibt.  Speziell bei 110V Netzen (Gleich- oder Wechselstrom) ergibt das bei der hier verwendeten CL2 als Lautsprecher-Röhre mit Ua = 74V und Ia = 26mA eine sehr geringe Sprechleistung.

Die geringe Sprechleistung am 110V Netz ist möglicherweise der Grund für die Änderungen im Netzteil der Gleichstrom-Geräte ab 1936.

Mit dem Siemens 64GW wird ein Super gewählt, von dem es allerdings 2 Schaltungsversionen gibt.

Statt der Netzdrossel vom Vorjahr gibt es ab jetzt einen Heiztrafo für die Gleichrichter-Röhre AZ1.  Die AZ1 ist (eigentlich) ein Doppelweg-Gleichrichter. Er wird hier als Einweg-Gleichrichter betrieben, wobei beide Anoden parallel geschaltet werden. Die AZ1 wird jedoch nur dann benötigt, wenn das Gerät am Wechselstrom-Netz betrieben wird. Da der Heiztrafo Anzapfungen für die üblichen Netz-Spannungen hat, hat das Radio nun beim Betrieb am Wechselspannungs-Netz stets seine volle Empfangs- und Sprechleistung, weil die Anodenspannung dabei immer aus der obersten Anzapfung der Primärspule des Heiz-Trafos gewonnen wird, der hierfür als "Spar-Trafo" geschaltet ist (keine Netz-Trennung).

Für die richtige Heizung der Röhren muß auch bei Wechselstrom-Betrieb der entsprechende Eisen-Urdox-Widerstand eingesteckt werden, womit gleichzeitig die richtige Wahl für die Netzspannung erfolgt.

Wie aus dem originalen Siemens-Schaltbild (links) hervorgeht, wurde die Serienproduktion des SH 64GW mit der BCH1 als Mischröhre begonnen, während spätere Geräte 64GW dann die CK1 als Mischröhre hatten.

Wie aus den Spannungs- und Stromangaben für die Lautsprecher-Röhre CL4 ersichtlich ist, ist die Sprechleistung für Wechselspannungen auch dann größer, als wenn das Gerät an 220V= betrieben wird.

Allstrom-Geräte in den '50er Jahren

Allstrom-Radios gab es noch bis 1953/54. Das letzte bei Grundig produzierte Gerät war das 5040GW. Es ist ein Parallel-Gerät zum 5040W.

Da die Schaltung des Gerätes ziemlich aufwändig ist, soll hier nur das Netzteil gezeigt werden.

Es gibt im Heizkreis keinen "EU.." mehr. Einzig die Skalenlampen sind mit Heißleitern überbrückt, so daß bei dem Ausfall der Birnen der Heizkreis nicht unterbrochen wird. Diese Aussage trifft auch für den 4010GW aus dem Vorjahr zu.

Der 5040GW hat eine Gegentakt-Endstufe mit 2 Stück UL41, s.u. .

Der 5040GW ist dem 4010GW aus dem Vorjahr sehr ähnlich. Der größte Unterschied zwischen beiden Geräten scheint vor allem in der Form des Gehäuses zu bestehen.

Wenn man allerdings die beiden Schaltungen der Netzteile vergleicht, fällt auf, daß im Netzteil des 5040GW die Heizleitungen der Empfangs-Röhren HF mäßig besser verblockt sind als beim 4010GW.

Die "UL" des 4010GW sind UL11 in einer Gegentakt-Endstufe. Es gibt wohl auch einzelne Geräte, die eine Gegentakt-Endstufe mit UL41 haben. Da die UL11 und die UL41 elektrisch gleiche Werte haben, ist das dann nur eine mechanische Änderung.

 

 

Die jeweiligen "Parallel-Geräte" in "W" Ausführung hatten die EL12 in der Endstufe. Daß hier jedoch Gegentakt-Endstufen mit 2*UL11 bzw. (elektrisch identisch) mit 2*UL41 gewählt wurden, ist der Tatsache geschuldet, daß bei Betrieb der Geräte am 110V= Netz mit der UL12 nur ca. 2W Sprechleistung bei 10% Klirrfaktor zu erzielen wären, während mit einer Gegentakt-Endstufe mit 2*UL11 hier immerhin noch ca. 2,9W Sprechleistung bei einem Klirrgrad von nur 4% realisierbar sind. Sowohl der 4010GW als auch der 5040GW waren die jeweiligen "GW Spitzen-Modelle", die aufgrund ihres Preises auch bei 110V= ein qualitativ hochwertiges Audio-Signal liefern mußten.

AC/DC Radios aus USA

In den USA haben sich für kleinere Röhren-Radios Allstrom-Schaltungen durchgesetzt, obwohl es dort schon lange kein 115V= Netz, sondern nur noch 115V~ Netze gibt. Es ließ sich so der Netztrafo einsparen.

Die Netzspannung von "nur" 115V ist ausreichend gering, so daß mit einem geeigneten Satz von 5 Röhren bei Serienheizung (150mA) noch nicht einmal ein zusätzlicher Vorwiderstand im Heizkreis erforderlich ist.

Sogar der Betrieb der Skalenlampe (pilot light) erfordert dabei keinerlei zusätzlichen Schaltungsaufwand.

 

Fig. 7-10 [6] zeigt einen Röhrenfehler (Kurzschluß zwischen Heizfaden und Kathode) und seine Auswirkungen im Heizkreis.

 

Fig. 7-12 zeigt einen weiteren Röhrenfehler (Unterbrechung im Heizfaden einer Röhre). In einem solchen Fall heizen dann alle in Serie liegenden Röhren nicht. Die hier gezeigte Meßmethode findet so einen Fehler auch dann, wenn "nur" ein schlechter Kontakt zwischen Fassung und Röhren-Pin die Ursache ist.

Es ist dies ein Fall, der bei jedem Gerät auftreten kann, bei dem die Heizfäden der Röhren in Serie geschaltet sind.

 

Wechselstrom-Radios mit Zerhacker

In den Jahren 1938 / 1939 gab es "größere" Radios z.T. nur noch in Wechselstrom-Ausführung.

Als Beispiel seien von Telefunken hier die Modelle T898WK (1938), D860WK und D770WKK (1939) benannt, die keine Parallel-Typen in Allstrom-Ausführung mehr hatten.

Mit Hilfe eines Wechselrichters WRE2 (1938) bzw. WRE20 (1939) war jedoch ein Betrieb auch an 110V= bzw. an 220V= möglich.

Die Beschreibung im Telefunken Werkstattbuch, wie der Wechselrichter im Gerät anzuschließen ist, ist nicht ganz einfach verständlich.

Bei den Geräten, die dafür vorgesehen sind, findet man im Schaltbild links vom Netztrafo (oberhalb des Spannungs-Wählers) ein gestricheltes Rechteck mit unbeschalteten und unbezeichneten  Klemmen. Mißt man aus, welche Spannung diese haben, wenn der Trafo an 220V~ angeschlossen ist, so findet man die Werte 80V & 180V, gemessen gegen die Klemme mit der Thermo-Sicherung (126).

 

Wie aus dem Schaltbild des WER20 zu erkennen ist, handelt es sich bei der Zerhacker-Patrone um einen "Wendepol-Zerhacker". Im Bild (rechts) sieht man oben (horizontal) das Chassis mit den Filter-Spulen und Filter-Kondensatoren (ohne Zerhacker-Patrone) und darunter (vertikal, etwas verkleinert) das Zerhacker-Gerät mit eingesetzter Zerhacker-Patrone und abgenommenem Deckel.

Damit ist es nun wahrscheinlich, wie der Wechselrichter anzuschließen ist: (Siehe aber auch weiter unten beim Kaco Wechselrichter!)

  • Bei 110V= an die Klemmen 0V und 80V
  • Bei 220V= an die Klemmen 0V und 180V

Betrachtet man die Spannungsverläufe, die vom Wechselrichter in den Trafo eingespeist werden,  wird verständlich, weshalb die mit Wechselspannung gemessenen Werte (80V , 180V) kleiner sind als die entsprechenden Gleichspannungen: sie haben keinen "Sinus-Verlauf".

Auch Philips hatte für seine (zahlreichen) Wechselstrom-Spitzengeräte einen Einbau-Zerhacker 7931 im Angebot, der üblicherweise dann oben am Gehäuse des Radios befestigt wurde.

Dieser Zerhacker enthält (links) die Zerhacker-Patrone und (rechts unter dem Lochblech) die gesamten Spulen und Kondensatoren für die Filterung. Fig. 1 [7] zeigt die Schaltung des Zerhackers. Für die Zerhacker-Patrone (Vibrator Unit) gibt es Ausführungen für 110V= und für 220V=.

Fig. 6 zeigt die Beschaltung bei einem Gleichspannungs-Netz, während Fig.7 die Beschaltung für ein Wechselspannungs-Netz ist. Der Wechsel zwischen Gleich- und Wechselspannung erfolgt bei eingebautem AC/DC Converter durch Umstecken des Anschluß-Steckers am Netzspannungs-Wähler des Netztrafos.

 

Der Wechselrichter von Kaco ist ein eigenständiges Gerät [8], das nicht für den Einbau in ein Radio vorgesehen ist. Daher hat der Kaco Wechselrichter ausgangsseitig (im Unterschied zu den beiden vorher gezeigten) einen Trafo. Abb. 138a zeigt seine Schaltung.

In Abb. 138b ist die rechteckige Wechselrichter-Patrone rechts oben erkennbar. Sie ist in eine Fassung mit 6 Buchsen gesteckt.

Unterhalb der Wechselrichter-Patrone ist der Trafo zu erkennen.

Im Chassis mittig unten sind die 3 Drosseln L1, L2, L3 zu sehen.

In der Schaltung, Abb. 138a, ist erkennbar, daß der Trafo zwischen 110V= und 220V= Betrieb auf der Primärseite umgeschaltet werden muß. Auf der Sekundärseite wird nicht umgeschaltet, so daß immer ca. 110V Wechselspannung von rechteckiger Kurvenform zur Verfügung stehen, s. Abb. 143 & 145 weiter oben.

Der Schalter, der den 50Ω überbrückt, wird zeitlich nach dem davor liegenden Einschalter betätigt. Dies dient dem leichteren Anschwingen des Zerhackers. 

 

 

Die Abb. 139 & 140 zeigen den Wirkungsgrad des Wechselrichters, der sein Optimum bei ca. 80W Leistungsabgabe hat.

Da ein Wechselrichter auch einen Innenwiderstand hat, ist die abgegebene Spannung von der Last durch das angeschlossene Radio abhängig. Wie zu erkennen ist, ändert sich die Ausgangsspannung zwischen ca. 130V und 100V, je nach Last. Je nach Leistungs-Aufnahme des angeschlossenen Wechselstrom-Empfängers muß dieser dann am Spannungswähler eingestellt werden. (Das ist sicher Teil der Bedienungsanleitung.)

Das trifft aber genau so auch für die zuvor gezeigten Einbau-Wechselrichter von Telefunken und Philips. Auch hier ist dann am Gerät - gemäß Bedienanleitung - die entsprechende Spannung zu wählen.

 

Literatur:

[1] Graetz, L.: Die Elektrizität und ihre Anwendungen, 17.A., Engelhorn, 1914

[2] Kappelmayer, O.: Mit meinem Radio auf Du und Du, Scherl, 1934

[3] Herzog-Feldmann; Feldmann, C.: Die Berechnung elektrischer Leitungsnetze in Theorie und Praxis, 4.A., Springer, 1927

[4] Ardenne, M. (Hrsg.): Handbuch der Funktechnik, Bd. 2, Frankh, 1935

[5] Ghirardi, A.A.: Receiver Circuitry and Operation, Rinehart, 1955

[6] Ghirardi, A.A.: Receiver Troubleshooting and Repair, Rinehart, 1955

[7] Trader Service Sheet 713: Philips DC to AC "round type" Converter Units, The Wireless & Electrical Trader, 1945

[8] Richter, H. (Hrsg.): Fortschritte der Funktechnik, Bd. 7 & 8, Frankh, 1950


Mein Dank geht an Hans Knoll und Harald Giese für wertvolle Hilfe beim Ausarbeiten des Textes.

MfG DR

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.

 2
Fünf-Leiter-Gleichstrom-Netz 
19.May.20 12:27
651 de 4888

Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
Beiträge: 2492
Anzahl Danke: 18
Dietmar Rudolph † 6.1.22

In Ergänzung zu dem in Post #1 zitierten Drei-Leiter Gleichstrom-System wird hier der Vollständigheit halber auch das sehr frühe Fünf-Leiter Gleichstrom-System gezeigt.

Die früheste (mir bekannte) Quelle in der darüber berichtet wird, ist Wilke, A.: Die Elektrizität, 4. A., Spamer, 1899".

Das Buch stammt also aus einer Zeit, als die Elektrizität und ihre Anwendungen einen "Siegeszug" angetreten haben. Es werden alle damals wichtigen Neuerungen und Erfindungen vorgestellt und mit Graphiken illustriert.

Man findet darin sogar auch einige Seiten über "Marconis Telegraphie ohne Leitungen".

Das vorgestellte Fünf-Leiter Gleichstrom-System hat damals eigentlich nur etwas mit der elektrischen Beleuchtung zu tun. Radio-Geräte gab es noch lange nicht.

Ein elektrisches Netz zur Versorgung der Verbraucher ist jedoch eine große Investition, die sich ja auch amortisieren muß. Man wird also das Netz und seine gesamte Topologie nur dann ändern (können), wenn es wichtige wirtschaftliche Gründe dafür gibt.

In den Jahren, als der Rundfunk in Deutschland anfing, war das Fünf-Leiter-System für Gleichstrom gegenüber dem Drei-Leiter-System bereits auf dem Rückzug.

 

Diese Mehr-Leiter-Systeme für Gleichstrom hatten gegenüber dem anfänglichen Zwei-Leiter-System den Vorteil, daß bei gleichmäßiger Last der einzelnen Stränge, der Strom auf den "mittleren" Leitungen (idealer Weise) praktisch zu Null werden konnte. Daher kamen diese Leitungen mit einem geringeren Querschnitt aus. Folglich konnte man auch in der Praxis da am Kupfer-Querschnitt der Leitungen sparen, was das Mehrleiter-System  gegenüber Zwei-Leiter-Systemen preiswerter machte. Nachteilig (aus heutiger Sicht) waren die sich ergebenden Potential-Verhältnisse der in die Häuser führenden Leitungen. Damals war das allerdings (noch) kein wesentlicher Nachteil, weil Steckdosen in den Wohnungen nicht üblich waren. Ggf. mußte man sich den Strom über einen Schraub-Adapter aus der Deckenlampe holen.

 

Bild 246 zeigt die Schaltung des Dreileiter-Systems nach Wilke. D.M. sind die Dynamo-Maschinen.

 

Hier wird bestätigt, daß damals in Berlin (entspricht heute Berlin-Mitte) ein Drei-Leiter-System für Gleichstrom eingerichtet wurde, das ja auch noch zu Beginn des Rundfunks so existiert hatte.


Ein Beleg für die Aussage, daß um die Jahrhundert-Wende von 1900 keine Steckdosen in den Zimmern üblich waren, konnte in den Lehrbriefen des "Technischen Lehrinstitutes Onken" im Kurs "Elektrotechnik" gefunden werden. Die Lehrbriefe sind als Buch mit 692 Seiten gebunden. Es gibt leider keine Angaben zum Erscheinungs-Jahr.

Es ist dies der Grundriß einer Berliner Wohnung (auf S. 625), wie sie sich nur sehr Wohlhabende leisten konnten. Die Küche, die Vorratskammer und die Zimmer für die Dienstboten gehören anscheinend nicht zu der Wohnung.

Der gesamte Lehrgang ist offensichtlich in absolut sauberer Sütterlin-Schrift von Hand geschrieben.

MfG DR

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.